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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Reorganisation der Armee.
corps eingedrängt, und wie bedenklich dort ein zügelloser Ehrgeiz die
Bande der treuen Kameradschaft gelockert hatte. Der deutsche Bauern-
sohn wußte wohl, warum Washington den Amerikanern zugerufen: nehmt
nur Gentlemen zu Offizieren -- warum König Friedrich Wilhelm I. seinen
Offizieren erlaubt hatte dann nicht zu gehorchen, wenn ihnen etwas gegen
die Ehre angesonnen würde. Er wollte den alten aristokratischen Charakter
des preußischen Offizierscorps nicht zerstören, sondern nur die Aristokratie
der Bildung an die Stelle des adlichen Vorrechts setzen.

Das Reglement vom 6. August 1808 über die Besetzung der Stellen
der Portepeefähnriche stellte den Grundsatz auf: im Frieden gewähren nur
Kenntnisse und Bildung, im Kriege nur ausgezeichnete Tapferkeit und Um-
sicht einen Anspruch auf die Offiziersstellen; keine Junker mehr, dafür Porte-
peefähnriche, die erst im siebzehnten Jahre und nach einer wissenschaftlichen
Prüfung zugelassen werden, erst nach einer zweiten Prüfung und auf Vor-
schlag des Offizierscorps die Epauletten erlangen können. Den Offizieren
schärfte der König ein, sie sollten sich ihre ehrenvolle Bestimmung, die Er-
zieher und Lehrer eines achtbaren Theiles der Nation zu sein, immer ver-
gegenwärtigen. In den unteren Graden bis zum Hauptmann erfolgte das
Aufrücken in der Regel nach dem Dienstalter; bei der Auswahl der Stabs-
offiziere und bei der Besetzung der höheren Commandos entschied das
Verdienst allein. Durch diese unscheinbaren Vorschriften erhielt der Offi-
ziersstand eine neue Verfassung, die uns heute selbstverständlich erscheint,
während sie doch einen unterscheidenden nationalen Charakterzug des deut-
schen Heerwesens bildet. Jetzt erst wurde das Offizierscorps dem Civil-
beamtenthum innerlich gleichartig, durch einen geistigen Census über die
Mannschaft erhoben. Dem Talente war die Aussicht auf rasches Auf-
steigen eröffnet, doch die langsame Beförderung auf den niederen Stufen,
die Gleichheit der Bildung und der Lebensgewohnheiten bewirkten, daß
sich Jeder schlechtweg als Offizier fühlte, ein aristokratisches Standes-
bewußtsein alle Glieder des Corps durchdrang. Die sociale Schranke,
welche in Frankreich den aus der Mannschaft emporgestiegenen Capitän
von seinen gebildeten Kameraden trennte, konnte hier nicht entstehen.

Für Niemand wurde die Umgestaltung des Heerwesens so folgen-
reich wie für die alten Geschlechter vom Landadel, die noch immer
den Stamm des Offizierscorps bildeten. Es währte noch viele Jahre,
bis die thatsächliche Begünstigung des Adels in der Armee aufhörte.
Aber der Grundsatz stand doch fest, daß auch der Edelmann durch den
Nachweis wissenschaftlicher Kenntnisse sich das Offizierspatent erwerben
mußte, und den neuen schärferen Anforderungen des Dienstes konnten
nur Männer von einiger Bildung genügen. Der Staatsdienst bot dem
völlig Unwissenden nirgends mehr ein Unterkommen, die Reformer nannten
das neue Preußen zuweilen schon einen Staat der Intelligenz. Erst durch
Scharnhorst wurde die naturwüchsige Roheit des ostdeutschen Junkerthums

Reorganiſation der Armee.
corps eingedrängt, und wie bedenklich dort ein zügelloſer Ehrgeiz die
Bande der treuen Kameradſchaft gelockert hatte. Der deutſche Bauern-
ſohn wußte wohl, warum Waſhington den Amerikanern zugerufen: nehmt
nur Gentlemen zu Offizieren — warum König Friedrich Wilhelm I. ſeinen
Offizieren erlaubt hatte dann nicht zu gehorchen, wenn ihnen etwas gegen
die Ehre angeſonnen würde. Er wollte den alten ariſtokratiſchen Charakter
des preußiſchen Offizierscorps nicht zerſtören, ſondern nur die Ariſtokratie
der Bildung an die Stelle des adlichen Vorrechts ſetzen.

Das Reglement vom 6. Auguſt 1808 über die Beſetzung der Stellen
der Portepeefähnriche ſtellte den Grundſatz auf: im Frieden gewähren nur
Kenntniſſe und Bildung, im Kriege nur ausgezeichnete Tapferkeit und Um-
ſicht einen Anſpruch auf die Offiziersſtellen; keine Junker mehr, dafür Porte-
peefähnriche, die erſt im ſiebzehnten Jahre und nach einer wiſſenſchaftlichen
Prüfung zugelaſſen werden, erſt nach einer zweiten Prüfung und auf Vor-
ſchlag des Offizierscorps die Epauletten erlangen können. Den Offizieren
ſchärfte der König ein, ſie ſollten ſich ihre ehrenvolle Beſtimmung, die Er-
zieher und Lehrer eines achtbaren Theiles der Nation zu ſein, immer ver-
gegenwärtigen. In den unteren Graden bis zum Hauptmann erfolgte das
Aufrücken in der Regel nach dem Dienſtalter; bei der Auswahl der Stabs-
offiziere und bei der Beſetzung der höheren Commandos entſchied das
Verdienſt allein. Durch dieſe unſcheinbaren Vorſchriften erhielt der Offi-
ziersſtand eine neue Verfaſſung, die uns heute ſelbſtverſtändlich erſcheint,
während ſie doch einen unterſcheidenden nationalen Charakterzug des deut-
ſchen Heerweſens bildet. Jetzt erſt wurde das Offizierscorps dem Civil-
beamtenthum innerlich gleichartig, durch einen geiſtigen Cenſus über die
Mannſchaft erhoben. Dem Talente war die Ausſicht auf raſches Auf-
ſteigen eröffnet, doch die langſame Beförderung auf den niederen Stufen,
die Gleichheit der Bildung und der Lebensgewohnheiten bewirkten, daß
ſich Jeder ſchlechtweg als Offizier fühlte, ein ariſtokratiſches Standes-
bewußtſein alle Glieder des Corps durchdrang. Die ſociale Schranke,
welche in Frankreich den aus der Mannſchaft emporgeſtiegenen Capitän
von ſeinen gebildeten Kameraden trennte, konnte hier nicht entſtehen.

Für Niemand wurde die Umgeſtaltung des Heerweſens ſo folgen-
reich wie für die alten Geſchlechter vom Landadel, die noch immer
den Stamm des Offizierscorps bildeten. Es währte noch viele Jahre,
bis die thatſächliche Begünſtigung des Adels in der Armee aufhörte.
Aber der Grundſatz ſtand doch feſt, daß auch der Edelmann durch den
Nachweis wiſſenſchaftlicher Kenntniſſe ſich das Offizierspatent erwerben
mußte, und den neuen ſchärferen Anforderungen des Dienſtes konnten
nur Männer von einiger Bildung genügen. Der Staatsdienſt bot dem
völlig Unwiſſenden nirgends mehr ein Unterkommen, die Reformer nannten
das neue Preußen zuweilen ſchon einen Staat der Intelligenz. Erſt durch
Scharnhorſt wurde die naturwüchſige Roheit des oſtdeutſchen Junkerthums

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[293/0309] Reorganiſation der Armee. corps eingedrängt, und wie bedenklich dort ein zügelloſer Ehrgeiz die Bande der treuen Kameradſchaft gelockert hatte. Der deutſche Bauern- ſohn wußte wohl, warum Waſhington den Amerikanern zugerufen: nehmt nur Gentlemen zu Offizieren — warum König Friedrich Wilhelm I. ſeinen Offizieren erlaubt hatte dann nicht zu gehorchen, wenn ihnen etwas gegen die Ehre angeſonnen würde. Er wollte den alten ariſtokratiſchen Charakter des preußiſchen Offizierscorps nicht zerſtören, ſondern nur die Ariſtokratie der Bildung an die Stelle des adlichen Vorrechts ſetzen. Das Reglement vom 6. Auguſt 1808 über die Beſetzung der Stellen der Portepeefähnriche ſtellte den Grundſatz auf: im Frieden gewähren nur Kenntniſſe und Bildung, im Kriege nur ausgezeichnete Tapferkeit und Um- ſicht einen Anſpruch auf die Offiziersſtellen; keine Junker mehr, dafür Porte- peefähnriche, die erſt im ſiebzehnten Jahre und nach einer wiſſenſchaftlichen Prüfung zugelaſſen werden, erſt nach einer zweiten Prüfung und auf Vor- ſchlag des Offizierscorps die Epauletten erlangen können. Den Offizieren ſchärfte der König ein, ſie ſollten ſich ihre ehrenvolle Beſtimmung, die Er- zieher und Lehrer eines achtbaren Theiles der Nation zu ſein, immer ver- gegenwärtigen. In den unteren Graden bis zum Hauptmann erfolgte das Aufrücken in der Regel nach dem Dienſtalter; bei der Auswahl der Stabs- offiziere und bei der Beſetzung der höheren Commandos entſchied das Verdienſt allein. Durch dieſe unſcheinbaren Vorſchriften erhielt der Offi- ziersſtand eine neue Verfaſſung, die uns heute ſelbſtverſtändlich erſcheint, während ſie doch einen unterſcheidenden nationalen Charakterzug des deut- ſchen Heerweſens bildet. Jetzt erſt wurde das Offizierscorps dem Civil- beamtenthum innerlich gleichartig, durch einen geiſtigen Cenſus über die Mannſchaft erhoben. Dem Talente war die Ausſicht auf raſches Auf- ſteigen eröffnet, doch die langſame Beförderung auf den niederen Stufen, die Gleichheit der Bildung und der Lebensgewohnheiten bewirkten, daß ſich Jeder ſchlechtweg als Offizier fühlte, ein ariſtokratiſches Standes- bewußtſein alle Glieder des Corps durchdrang. Die ſociale Schranke, welche in Frankreich den aus der Mannſchaft emporgeſtiegenen Capitän von ſeinen gebildeten Kameraden trennte, konnte hier nicht entſtehen. Für Niemand wurde die Umgeſtaltung des Heerweſens ſo folgen- reich wie für die alten Geſchlechter vom Landadel, die noch immer den Stamm des Offizierscorps bildeten. Es währte noch viele Jahre, bis die thatſächliche Begünſtigung des Adels in der Armee aufhörte. Aber der Grundſatz ſtand doch feſt, daß auch der Edelmann durch den Nachweis wiſſenſchaftlicher Kenntniſſe ſich das Offizierspatent erwerben mußte, und den neuen ſchärferen Anforderungen des Dienſtes konnten nur Männer von einiger Bildung genügen. Der Staatsdienſt bot dem völlig Unwiſſenden nirgends mehr ein Unterkommen, die Reformer nannten das neue Preußen zuweilen ſchon einen Staat der Intelligenz. Erſt durch Scharnhorſt wurde die naturwüchſige Roheit des oſtdeutſchen Junkerthums

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/309>, abgerufen am 22.11.2024.