Dem Könige war die gleichmäßige Ruhe des Generals behaglicher als Steins aufregendes und aufgeregtes Wesen; Keiner unter seinen Räthen stand ihm so nahe. Scharnhorst erwiderte das Vertrauen seines könig- lichen Freundes mit unbedingter Hingebung; er fand es niedrig, jetzt noch vergangener Fehler zu gedenken, er bewunderte die Seelenstärke des un- glücklichen Monarchen und hat in seiner Treue nie geschwankt, auch dann nicht, als manche seiner Freunde in ihrer patriotischen Ungeduld an dem bedachtsamen Fürsten irr wurden. Ein echter Niederdeutscher, war er schamhaften Gemüthes, still und verschlossen von Natur; das Lob klang ihm fast wie eine Beleidigung, ein zärtliches Wort wie eine Entweihung der Freundschaft. Nun führte ihn das Leben einen rauhen Weg, immer zwischen Feinden hindurch; in Hannover hatte der Plebejer mit der Miß- gunst des Adels, in Preußen der Neuerer mit dem Dünkel der alten Generale zu kämpfen. Als ihn jetzt das Vertrauen des Königs, die all- gemeine Stimme der Armee an die Spitze des Heerwesens stellten, da mußte er fünf Jahre lang das finstre Handwerk des Verschwörers treiben, unter den Augen des Feindes für die Befreiung rüsten. So lernte er jedes Wort und jede Miene zu beherrschen, und der einfache Mann, der für sich selber jeden Winkelzug verschmähte, wurde um seines Landes willen ein Meister in den Künsten der Verstellung, ein unergründlicher Schweiger, listig und menschenkundig. Mit einem raschen forschenden Blicke las er dem Eintretenden sofort die Hintergedanken von den Augen ab, und galt es ein Geheimniß des Königs zu verstecken, dann wußte er mit halben Worten Freund und Feind auf die falsche Fährte zu locken. Die Offiziere sagten wohl, seine Seele sei so faltenreich wie sein Gesicht; er gemahnte sie an jenen Wilhelm von Oranien, der einst in ähnlicher Lage, still und verschlagen, den Kampf gegen das spanische Weltreich vorbereitet hatte. Und wie der Oranier, so barg auch Scharnhorst in verschlossener Brust die hohe Leidenschaft, die Kampflust des Helden; sie hatte ihm während des jüngsten Krieges die Freundschaft des thatenfrohen Blücher erworben. Er kannte die Furcht nicht, er wollte nicht wissen, wie sinn- bethörend die Angst nach einer Niederlage wirken kann; in den Kriegs- gerichten war sein Urtheilsspruch immer der strengste, schonungslos hart gegen Zagheit und Untreue. Niemand vielleicht hat die Bitterniß jener Zeit in so verzehrenden Qualen empfunden wie dieser Schweigsame; Tag und Nacht folterte ihn der Gedanke an die Schande seines Landes. Alle nahten ihm mit Ehrfurcht, denn sie fühlten unwillkürlich, daß er die Zu- kunft des Heeres in seinem Haupte trage.
Unter den Männern, die ihm bei der Reorganisation des Heeres zur Hand gingen, sind Vier gleichsam die Erben seines Geistes geworden, so daß Jeder einen Theil von der umfassenden Begabung des Meisters überkam: die Feldherrennaturen Gneisenau und Grolmann, der Organi- sator Boyen, der Gelehrte Clausewitz -- alle Vier, wie Scharnhorst selber,
I. 3. Preußens Erhebung.
Dem Könige war die gleichmäßige Ruhe des Generals behaglicher als Steins aufregendes und aufgeregtes Weſen; Keiner unter ſeinen Räthen ſtand ihm ſo nahe. Scharnhorſt erwiderte das Vertrauen ſeines könig- lichen Freundes mit unbedingter Hingebung; er fand es niedrig, jetzt noch vergangener Fehler zu gedenken, er bewunderte die Seelenſtärke des un- glücklichen Monarchen und hat in ſeiner Treue nie geſchwankt, auch dann nicht, als manche ſeiner Freunde in ihrer patriotiſchen Ungeduld an dem bedachtſamen Fürſten irr wurden. Ein echter Niederdeutſcher, war er ſchamhaften Gemüthes, ſtill und verſchloſſen von Natur; das Lob klang ihm faſt wie eine Beleidigung, ein zärtliches Wort wie eine Entweihung der Freundſchaft. Nun führte ihn das Leben einen rauhen Weg, immer zwiſchen Feinden hindurch; in Hannover hatte der Plebejer mit der Miß- gunſt des Adels, in Preußen der Neuerer mit dem Dünkel der alten Generale zu kämpfen. Als ihn jetzt das Vertrauen des Königs, die all- gemeine Stimme der Armee an die Spitze des Heerweſens ſtellten, da mußte er fünf Jahre lang das finſtre Handwerk des Verſchwörers treiben, unter den Augen des Feindes für die Befreiung rüſten. So lernte er jedes Wort und jede Miene zu beherrſchen, und der einfache Mann, der für ſich ſelber jeden Winkelzug verſchmähte, wurde um ſeines Landes willen ein Meiſter in den Künſten der Verſtellung, ein unergründlicher Schweiger, liſtig und menſchenkundig. Mit einem raſchen forſchenden Blicke las er dem Eintretenden ſofort die Hintergedanken von den Augen ab, und galt es ein Geheimniß des Königs zu verſtecken, dann wußte er mit halben Worten Freund und Feind auf die falſche Fährte zu locken. Die Offiziere ſagten wohl, ſeine Seele ſei ſo faltenreich wie ſein Geſicht; er gemahnte ſie an jenen Wilhelm von Oranien, der einſt in ähnlicher Lage, ſtill und verſchlagen, den Kampf gegen das ſpaniſche Weltreich vorbereitet hatte. Und wie der Oranier, ſo barg auch Scharnhorſt in verſchloſſener Bruſt die hohe Leidenſchaft, die Kampfluſt des Helden; ſie hatte ihm während des jüngſten Krieges die Freundſchaft des thatenfrohen Blücher erworben. Er kannte die Furcht nicht, er wollte nicht wiſſen, wie ſinn- bethörend die Angſt nach einer Niederlage wirken kann; in den Kriegs- gerichten war ſein Urtheilsſpruch immer der ſtrengſte, ſchonungslos hart gegen Zagheit und Untreue. Niemand vielleicht hat die Bitterniß jener Zeit in ſo verzehrenden Qualen empfunden wie dieſer Schweigſame; Tag und Nacht folterte ihn der Gedanke an die Schande ſeines Landes. Alle nahten ihm mit Ehrfurcht, denn ſie fühlten unwillkürlich, daß er die Zu- kunft des Heeres in ſeinem Haupte trage.
Unter den Männern, die ihm bei der Reorganiſation des Heeres zur Hand gingen, ſind Vier gleichſam die Erben ſeines Geiſtes geworden, ſo daß Jeder einen Theil von der umfaſſenden Begabung des Meiſters überkam: die Feldherrennaturen Gneiſenau und Grolmann, der Organi- ſator Boyen, der Gelehrte Clauſewitz — alle Vier, wie Scharnhorſt ſelber,
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I. 3. Preußens Erhebung.
Dem Könige war die gleichmäßige Ruhe des Generals behaglicher als
Steins aufregendes und aufgeregtes Weſen; Keiner unter ſeinen Räthen
ſtand ihm ſo nahe. Scharnhorſt erwiderte das Vertrauen ſeines könig-
lichen Freundes mit unbedingter Hingebung; er fand es niedrig, jetzt noch
vergangener Fehler zu gedenken, er bewunderte die Seelenſtärke des un-
glücklichen Monarchen und hat in ſeiner Treue nie geſchwankt, auch dann
nicht, als manche ſeiner Freunde in ihrer patriotiſchen Ungeduld an dem
bedachtſamen Fürſten irr wurden. Ein echter Niederdeutſcher, war er
ſchamhaften Gemüthes, ſtill und verſchloſſen von Natur; das Lob klang
ihm faſt wie eine Beleidigung, ein zärtliches Wort wie eine Entweihung
der Freundſchaft. Nun führte ihn das Leben einen rauhen Weg, immer
zwiſchen Feinden hindurch; in Hannover hatte der Plebejer mit der Miß-
gunſt des Adels, in Preußen der Neuerer mit dem Dünkel der alten
Generale zu kämpfen. Als ihn jetzt das Vertrauen des Königs, die all-
gemeine Stimme der Armee an die Spitze des Heerweſens ſtellten, da
mußte er fünf Jahre lang das finſtre Handwerk des Verſchwörers treiben,
unter den Augen des Feindes für die Befreiung rüſten. So lernte er
jedes Wort und jede Miene zu beherrſchen, und der einfache Mann, der
für ſich ſelber jeden Winkelzug verſchmähte, wurde um ſeines Landes
willen ein Meiſter in den Künſten der Verſtellung, ein unergründlicher
Schweiger, liſtig und menſchenkundig. Mit einem raſchen forſchenden
Blicke las er dem Eintretenden ſofort die Hintergedanken von den Augen
ab, und galt es ein Geheimniß des Königs zu verſtecken, dann wußte er mit
halben Worten Freund und Feind auf die falſche Fährte zu locken. Die
Offiziere ſagten wohl, ſeine Seele ſei ſo faltenreich wie ſein Geſicht; er
gemahnte ſie an jenen Wilhelm von Oranien, der einſt in ähnlicher Lage,
ſtill und verſchlagen, den Kampf gegen das ſpaniſche Weltreich vorbereitet
hatte. Und wie der Oranier, ſo barg auch Scharnhorſt in verſchloſſener
Bruſt die hohe Leidenſchaft, die Kampfluſt des Helden; ſie hatte ihm
während des jüngſten Krieges die Freundſchaft des thatenfrohen Blücher
erworben. Er kannte die Furcht nicht, er wollte nicht wiſſen, wie ſinn-
bethörend die Angſt nach einer Niederlage wirken kann; in den Kriegs-
gerichten war ſein Urtheilsſpruch immer der ſtrengſte, ſchonungslos hart
gegen Zagheit und Untreue. Niemand vielleicht hat die Bitterniß jener
Zeit in ſo verzehrenden Qualen empfunden wie dieſer Schweigſame; Tag
und Nacht folterte ihn der Gedanke an die Schande ſeines Landes. Alle
nahten ihm mit Ehrfurcht, denn ſie fühlten unwillkürlich, daß er die Zu-
kunft des Heeres in ſeinem Haupte trage.
Unter den Männern, die ihm bei der Reorganiſation des Heeres
zur Hand gingen, ſind Vier gleichſam die Erben ſeines Geiſtes geworden,
ſo daß Jeder einen Theil von der umfaſſenden Begabung des Meiſters
überkam: die Feldherrennaturen Gneiſenau und Grolmann, der Organi-
ſator Boyen, der Gelehrte Clauſewitz — alle Vier, wie Scharnhorſt ſelber,
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/306>, abgerufen am 22.11.2024.
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