schäftsgang, gab dem Präsidenten und den Decernenten für die einzelnen Fächer größere Selbständigkeit. Jedoch die Vorzüge des deutschen Collegial- systems, Unparteilichkeit und sorgsame Berücksichtigung aller Verhältnisse des einzelnen Falls, standen in Steins Augen zu hoch, als daß er sie gegen die raschere Beweglichkeit der bureaukratischen Präfecten-Verwaltung hingegeben hätte. Die Mittelstellen der preußischen Verwaltung blieben Collegien und haben in dieser Gestalt noch durch zwei Menschenalter er- sprießlich gewirkt. Statt des leeren Schaugepränges der Generalräthe, die den napoleonischen Präfecten mit unmaßgeblichem Beirath zur Seite standen, verlangte der deutsche Staatsmann vielmehr eine thätige, regel- mäßige Theilnahme der Nation an den Geschäften der Verwaltung; dann ströme den Männern am grünen Tische ein aus der Fülle der Natur genommener Reichthum von Ansichten und Gefühlen zu, und im Volke belebe sich der Sinn für Vaterland, Selbständigkeit, Nationalehre.
Doch wie diese verwaltende Thätigkeit der Regierten einfügen in die festgeordnete Hierarchie des Soldbeamtenthums? Einzelne Verwaltungs- geschäfte den Landtagen zu übertragen verbot sich von selbst; der Nepotis- mus, die Schwerfälligkeit, die Händelsucht der alten landständischen Aus- schüsse standen noch in allzu üblem Andenken. Daher kamen Stein und Hardenberg Beide auf den sonderbaren Einfall, in jede Regierung, immer auf drei Jahre, neun von den Landständen vorgeschlagene Repräsentanten zu berufen, die mit vollem Stimmrecht an allen Arbeiten der Behörde sich betheiligen sollten. Der Gedanke zeigt deutlich, wie gründlich man mit den alten Anschauungen bureaukratischer Selbstgerechtigkeit gebrochen hatte; doch er war verfehlt. Die neue Einrichtung trat nur in Ostpreußen in's Leben; überall sonst zeigten die Landstände geringe Neigung die Tage- gelder für die Notabeln aufzubringen. Die ostpreußischen Repräsentanten fühlten sich bald sehr einsam unter der Ueberzahl ihrer bureaukratischen Amtsgenossen, sie standen wie Dilettanten unter Fachmännern; die vom Lande wollten nicht so lange im Bureau aushalten; die Tagegelder blieben aus, der Eifer erkaltete rasch, und im Jahre 1812 wurde der verunglückte Versuch aufgegeben *). Ganz anders bewährte sich das neue Amt der Oberpräsidenten. Während das revolutionäre Frankreich seine alten Pro- vinzen in ohnmächtige Departements zerschlug, wollte Stein, in bewußtem Gegensatze, die schwachen Regierungsbezirke zu großen lebensfähigen Pro- vinzen vereinigen. Drei Oberpräsidenten, für Schlesien, für die altpreu- ßischen, für die märkisch-pommerschen Lande, erhielten die Oberaufsicht über die Regierungen, nicht als eine Zwischeninstanz, sondern als stän- dige Commissare des Ministeriums und als Vertreter der gemeinsamen Interessen ihrer Provinz.
Steins sociale Reformen und die Befestigung der Staatseinheit gingen
*) Bericht des Ministers v. Schuckmann an den König, 24. Mai 1812.
Der Einheitsſtaat in der Verwaltung.
ſchäftsgang, gab dem Präſidenten und den Decernenten für die einzelnen Fächer größere Selbſtändigkeit. Jedoch die Vorzüge des deutſchen Collegial- ſyſtems, Unparteilichkeit und ſorgſame Berückſichtigung aller Verhältniſſe des einzelnen Falls, ſtanden in Steins Augen zu hoch, als daß er ſie gegen die raſchere Beweglichkeit der bureaukratiſchen Präfecten-Verwaltung hingegeben hätte. Die Mittelſtellen der preußiſchen Verwaltung blieben Collegien und haben in dieſer Geſtalt noch durch zwei Menſchenalter er- ſprießlich gewirkt. Statt des leeren Schaugepränges der Generalräthe, die den napoleoniſchen Präfecten mit unmaßgeblichem Beirath zur Seite ſtanden, verlangte der deutſche Staatsmann vielmehr eine thätige, regel- mäßige Theilnahme der Nation an den Geſchäften der Verwaltung; dann ſtröme den Männern am grünen Tiſche ein aus der Fülle der Natur genommener Reichthum von Anſichten und Gefühlen zu, und im Volke belebe ſich der Sinn für Vaterland, Selbſtändigkeit, Nationalehre.
Doch wie dieſe verwaltende Thätigkeit der Regierten einfügen in die feſtgeordnete Hierarchie des Soldbeamtenthums? Einzelne Verwaltungs- geſchäfte den Landtagen zu übertragen verbot ſich von ſelbſt; der Nepotis- mus, die Schwerfälligkeit, die Händelſucht der alten landſtändiſchen Aus- ſchüſſe ſtanden noch in allzu üblem Andenken. Daher kamen Stein und Hardenberg Beide auf den ſonderbaren Einfall, in jede Regierung, immer auf drei Jahre, neun von den Landſtänden vorgeſchlagene Repräſentanten zu berufen, die mit vollem Stimmrecht an allen Arbeiten der Behörde ſich betheiligen ſollten. Der Gedanke zeigt deutlich, wie gründlich man mit den alten Anſchauungen bureaukratiſcher Selbſtgerechtigkeit gebrochen hatte; doch er war verfehlt. Die neue Einrichtung trat nur in Oſtpreußen in’s Leben; überall ſonſt zeigten die Landſtände geringe Neigung die Tage- gelder für die Notabeln aufzubringen. Die oſtpreußiſchen Repräſentanten fühlten ſich bald ſehr einſam unter der Ueberzahl ihrer bureaukratiſchen Amtsgenoſſen, ſie ſtanden wie Dilettanten unter Fachmännern; die vom Lande wollten nicht ſo lange im Bureau aushalten; die Tagegelder blieben aus, der Eifer erkaltete raſch, und im Jahre 1812 wurde der verunglückte Verſuch aufgegeben *). Ganz anders bewährte ſich das neue Amt der Oberpräſidenten. Während das revolutionäre Frankreich ſeine alten Pro- vinzen in ohnmächtige Departements zerſchlug, wollte Stein, in bewußtem Gegenſatze, die ſchwachen Regierungsbezirke zu großen lebensfähigen Pro- vinzen vereinigen. Drei Oberpräſidenten, für Schleſien, für die altpreu- ßiſchen, für die märkiſch-pommerſchen Lande, erhielten die Oberaufſicht über die Regierungen, nicht als eine Zwiſcheninſtanz, ſondern als ſtän- dige Commiſſare des Miniſteriums und als Vertreter der gemeinſamen Intereſſen ihrer Provinz.
Steins ſociale Reformen und die Befeſtigung der Staatseinheit gingen
*) Bericht des Miniſters v. Schuckmann an den König, 24. Mai 1812.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0299"n="283"/><fwplace="top"type="header">Der Einheitsſtaat in der Verwaltung.</fw><lb/>ſchäftsgang, gab dem Präſidenten und den Decernenten für die einzelnen<lb/>
Fächer größere Selbſtändigkeit. Jedoch die Vorzüge des deutſchen Collegial-<lb/>ſyſtems, Unparteilichkeit und ſorgſame Berückſichtigung aller Verhältniſſe<lb/>
des einzelnen Falls, ſtanden in Steins Augen zu hoch, als daß er ſie<lb/>
gegen die raſchere Beweglichkeit der bureaukratiſchen Präfecten-Verwaltung<lb/>
hingegeben hätte. Die Mittelſtellen der preußiſchen Verwaltung blieben<lb/>
Collegien und haben in dieſer Geſtalt noch durch zwei Menſchenalter er-<lb/>ſprießlich gewirkt. Statt des leeren Schaugepränges der Generalräthe,<lb/>
die den napoleoniſchen Präfecten mit unmaßgeblichem Beirath zur Seite<lb/>ſtanden, verlangte der deutſche Staatsmann vielmehr eine thätige, regel-<lb/>
mäßige Theilnahme der Nation an den Geſchäften der Verwaltung; dann<lb/>ſtröme den Männern am grünen Tiſche ein aus der Fülle der Natur<lb/>
genommener Reichthum von Anſichten und Gefühlen zu, und im Volke<lb/>
belebe ſich der Sinn für Vaterland, Selbſtändigkeit, Nationalehre.</p><lb/><p>Doch wie dieſe verwaltende Thätigkeit der Regierten einfügen in die<lb/>
feſtgeordnete Hierarchie des Soldbeamtenthums? Einzelne Verwaltungs-<lb/>
geſchäfte den Landtagen zu übertragen verbot ſich von ſelbſt; der Nepotis-<lb/>
mus, die Schwerfälligkeit, die Händelſucht der alten landſtändiſchen Aus-<lb/>ſchüſſe ſtanden noch in allzu üblem Andenken. Daher kamen Stein und<lb/>
Hardenberg Beide auf den ſonderbaren Einfall, in jede Regierung, immer<lb/>
auf drei Jahre, neun von den Landſtänden vorgeſchlagene Repräſentanten<lb/>
zu berufen, die mit vollem Stimmrecht an allen Arbeiten der Behörde ſich<lb/>
betheiligen ſollten. Der Gedanke zeigt deutlich, wie gründlich man mit<lb/>
den alten Anſchauungen bureaukratiſcher Selbſtgerechtigkeit gebrochen hatte;<lb/>
doch er war verfehlt. Die neue Einrichtung trat nur in Oſtpreußen in’s<lb/>
Leben; überall ſonſt zeigten die Landſtände geringe Neigung die Tage-<lb/>
gelder für die Notabeln aufzubringen. Die oſtpreußiſchen Repräſentanten<lb/>
fühlten ſich bald ſehr einſam unter der Ueberzahl ihrer bureaukratiſchen<lb/>
Amtsgenoſſen, ſie ſtanden wie Dilettanten unter Fachmännern; die vom<lb/>
Lande wollten nicht ſo lange im Bureau aushalten; die Tagegelder blieben<lb/>
aus, der Eifer erkaltete raſch, und im Jahre 1812 wurde der verunglückte<lb/>
Verſuch aufgegeben <noteplace="foot"n="*)">Bericht des Miniſters v. Schuckmann an den König, 24. Mai 1812.</note>. Ganz anders bewährte ſich das neue Amt der<lb/>
Oberpräſidenten. Während das revolutionäre Frankreich ſeine alten Pro-<lb/>
vinzen in ohnmächtige Departements zerſchlug, wollte Stein, in bewußtem<lb/>
Gegenſatze, die ſchwachen Regierungsbezirke zu großen lebensfähigen Pro-<lb/>
vinzen vereinigen. Drei Oberpräſidenten, für Schleſien, für die altpreu-<lb/>
ßiſchen, für die märkiſch-pommerſchen Lande, erhielten die Oberaufſicht<lb/>
über die Regierungen, nicht als eine Zwiſcheninſtanz, ſondern als ſtän-<lb/>
dige Commiſſare des Miniſteriums und als Vertreter der gemeinſamen<lb/>
Intereſſen ihrer Provinz.</p><lb/><p>Steins ſociale Reformen und die Befeſtigung der Staatseinheit gingen<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[283/0299]
Der Einheitsſtaat in der Verwaltung.
ſchäftsgang, gab dem Präſidenten und den Decernenten für die einzelnen
Fächer größere Selbſtändigkeit. Jedoch die Vorzüge des deutſchen Collegial-
ſyſtems, Unparteilichkeit und ſorgſame Berückſichtigung aller Verhältniſſe
des einzelnen Falls, ſtanden in Steins Augen zu hoch, als daß er ſie
gegen die raſchere Beweglichkeit der bureaukratiſchen Präfecten-Verwaltung
hingegeben hätte. Die Mittelſtellen der preußiſchen Verwaltung blieben
Collegien und haben in dieſer Geſtalt noch durch zwei Menſchenalter er-
ſprießlich gewirkt. Statt des leeren Schaugepränges der Generalräthe,
die den napoleoniſchen Präfecten mit unmaßgeblichem Beirath zur Seite
ſtanden, verlangte der deutſche Staatsmann vielmehr eine thätige, regel-
mäßige Theilnahme der Nation an den Geſchäften der Verwaltung; dann
ſtröme den Männern am grünen Tiſche ein aus der Fülle der Natur
genommener Reichthum von Anſichten und Gefühlen zu, und im Volke
belebe ſich der Sinn für Vaterland, Selbſtändigkeit, Nationalehre.
Doch wie dieſe verwaltende Thätigkeit der Regierten einfügen in die
feſtgeordnete Hierarchie des Soldbeamtenthums? Einzelne Verwaltungs-
geſchäfte den Landtagen zu übertragen verbot ſich von ſelbſt; der Nepotis-
mus, die Schwerfälligkeit, die Händelſucht der alten landſtändiſchen Aus-
ſchüſſe ſtanden noch in allzu üblem Andenken. Daher kamen Stein und
Hardenberg Beide auf den ſonderbaren Einfall, in jede Regierung, immer
auf drei Jahre, neun von den Landſtänden vorgeſchlagene Repräſentanten
zu berufen, die mit vollem Stimmrecht an allen Arbeiten der Behörde ſich
betheiligen ſollten. Der Gedanke zeigt deutlich, wie gründlich man mit
den alten Anſchauungen bureaukratiſcher Selbſtgerechtigkeit gebrochen hatte;
doch er war verfehlt. Die neue Einrichtung trat nur in Oſtpreußen in’s
Leben; überall ſonſt zeigten die Landſtände geringe Neigung die Tage-
gelder für die Notabeln aufzubringen. Die oſtpreußiſchen Repräſentanten
fühlten ſich bald ſehr einſam unter der Ueberzahl ihrer bureaukratiſchen
Amtsgenoſſen, ſie ſtanden wie Dilettanten unter Fachmännern; die vom
Lande wollten nicht ſo lange im Bureau aushalten; die Tagegelder blieben
aus, der Eifer erkaltete raſch, und im Jahre 1812 wurde der verunglückte
Verſuch aufgegeben *). Ganz anders bewährte ſich das neue Amt der
Oberpräſidenten. Während das revolutionäre Frankreich ſeine alten Pro-
vinzen in ohnmächtige Departements zerſchlug, wollte Stein, in bewußtem
Gegenſatze, die ſchwachen Regierungsbezirke zu großen lebensfähigen Pro-
vinzen vereinigen. Drei Oberpräſidenten, für Schleſien, für die altpreu-
ßiſchen, für die märkiſch-pommerſchen Lande, erhielten die Oberaufſicht
über die Regierungen, nicht als eine Zwiſcheninſtanz, ſondern als ſtän-
dige Commiſſare des Miniſteriums und als Vertreter der gemeinſamen
Intereſſen ihrer Provinz.
Steins ſociale Reformen und die Befeſtigung der Staatseinheit gingen
*) Bericht des Miniſters v. Schuckmann an den König, 24. Mai 1812.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/299>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.