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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 3. Preußens Erhebung.
trauen zu der Rechtschaffenheit Friedrich Wilhelms. Daß dieser Fürst ein
offenbares Unrecht gebieten könne, wollten doch selbst die Unzufriedenen
nicht glauben. Die Reform ging ihren Gang. Wieder, wie so oft schon,
wurde eine That der Befreiung dem preußischen Volke durch den Willen
seiner Krone auferlegt.

Die zweite große Aufgabe, welche Stein sich stellte, war die Vollendung
der Staatseinheit. Er hatte aus den Verhandlungen der Pariser National-
versammlung die Nothwendigkeit eines centralisirten Kassenwesens, aus der
Verwaltungsorganisation des ersten Consuls die Vorzüge einer übersicht-
lichen Eintheilung der Staatsgeschäfte kennen gelernt und schon vor dem
Kriege die Einsetzung von Fachministern für den gesammten Staat em-
pfohlen. Das wunderliche Nebeneinander von Provinzial- und Fach-
ministern, die Vermischung des Realsystems mit dem Provinzialsysteme
genügte nicht mehr für die Bedürfnisse der schlagfertigen modernen Ver-
waltung. War doch die ängstliche Schonung der landschaftlichen Eigen-
thümlichkeiten während der letzten Jahrzehnte so weit getrieben worden,
daß die Beamten der alten Schule die preußische Monarchie gradezu einen
Föderativstaat nennen konnten. Bei näherer Prüfung ergab sich indeß,
wie gesund und lebensfähig die Verwaltungsordnung Friedrich Wilhelms I.
noch immer war. Nun man sich anschickte sein Werk weiterzuführen lernte
man den sicheren Blick des alten gestrengen Organisators erst völlig wür-
digen; Schoen pries ihn gern als Preußens größten inneren König. Nicht
ein Umsturz, nur die Fortbildung und Vereinfachung der alten Institu-
tionen wurde beschlossen. Das Gesetz vom 16. December 1808 über die
veränderte Verfassung der obersten Staatsbehörden stellte fünf Fachminister,
für das Innere, die Finanzen, das Auswärtige, den Krieg und die Justiz,
an die Spitze der gesammten Staatsverwaltung, vereinigte die alten Ge-
neralkassen zu einer General-Staatskasse unter der Leitung des Finanz-
ministers. Stein sah voraus, wie gefährlich die ungeheure Macht jener
fünf Männer werden konnte; er beabsichtigte daher, als höchste Behörde
der Monarchie einen Staatsrath zu bilden, der alle hervorragenden Kräfte
des Staatsdienstes, auch die Minister selbst, in sich vereinigen, die Gesetz-
entwürfe berathen, die großen Streitfragen des öffentlichen Rechts ent-
scheiden sollte. Aber dieser Theil seiner Entwürfe blieb unter seinen Nach-
folgern unausgeführt.

Durch die Einsetzung der Fachminister war das Generaldirectorium
beseitigt. Dagegen blieben die altbewährten Kriegs- und Domänenkammern
unter dem neuen Namen: Regierungen bestehen. Man trennte Rechts-
pflege und Verwaltung vollständig, nahm den Regierungen die Gerichts-
geschäfte der alten Kammern; man säuberte sie von unbrauchbaren Mit-
gliedern, wie denn Stein überall die thatsächliche Unabsetzbarkeit des alten
Beamtenthums bekämpfte und der Krone das Recht vorbehielt, die Ver-
waltungsbeamten nach Belieben zu entlassen; man erleichterte den Ge-

I. 3. Preußens Erhebung.
trauen zu der Rechtſchaffenheit Friedrich Wilhelms. Daß dieſer Fürſt ein
offenbares Unrecht gebieten könne, wollten doch ſelbſt die Unzufriedenen
nicht glauben. Die Reform ging ihren Gang. Wieder, wie ſo oft ſchon,
wurde eine That der Befreiung dem preußiſchen Volke durch den Willen
ſeiner Krone auferlegt.

Die zweite große Aufgabe, welche Stein ſich ſtellte, war die Vollendung
der Staatseinheit. Er hatte aus den Verhandlungen der Pariſer National-
verſammlung die Nothwendigkeit eines centraliſirten Kaſſenweſens, aus der
Verwaltungsorganiſation des erſten Conſuls die Vorzüge einer überſicht-
lichen Eintheilung der Staatsgeſchäfte kennen gelernt und ſchon vor dem
Kriege die Einſetzung von Fachminiſtern für den geſammten Staat em-
pfohlen. Das wunderliche Nebeneinander von Provinzial- und Fach-
miniſtern, die Vermiſchung des Realſyſtems mit dem Provinzialſyſteme
genügte nicht mehr für die Bedürfniſſe der ſchlagfertigen modernen Ver-
waltung. War doch die ängſtliche Schonung der landſchaftlichen Eigen-
thümlichkeiten während der letzten Jahrzehnte ſo weit getrieben worden,
daß die Beamten der alten Schule die preußiſche Monarchie gradezu einen
Föderativſtaat nennen konnten. Bei näherer Prüfung ergab ſich indeß,
wie geſund und lebensfähig die Verwaltungsordnung Friedrich Wilhelms I.
noch immer war. Nun man ſich anſchickte ſein Werk weiterzuführen lernte
man den ſicheren Blick des alten geſtrengen Organiſators erſt völlig wür-
digen; Schoen pries ihn gern als Preußens größten inneren König. Nicht
ein Umſturz, nur die Fortbildung und Vereinfachung der alten Inſtitu-
tionen wurde beſchloſſen. Das Geſetz vom 16. December 1808 über die
veränderte Verfaſſung der oberſten Staatsbehörden ſtellte fünf Fachminiſter,
für das Innere, die Finanzen, das Auswärtige, den Krieg und die Juſtiz,
an die Spitze der geſammten Staatsverwaltung, vereinigte die alten Ge-
neralkaſſen zu einer General-Staatskaſſe unter der Leitung des Finanz-
miniſters. Stein ſah voraus, wie gefährlich die ungeheure Macht jener
fünf Männer werden konnte; er beabſichtigte daher, als höchſte Behörde
der Monarchie einen Staatsrath zu bilden, der alle hervorragenden Kräfte
des Staatsdienſtes, auch die Miniſter ſelbſt, in ſich vereinigen, die Geſetz-
entwürfe berathen, die großen Streitfragen des öffentlichen Rechts ent-
ſcheiden ſollte. Aber dieſer Theil ſeiner Entwürfe blieb unter ſeinen Nach-
folgern unausgeführt.

Durch die Einſetzung der Fachminiſter war das Generaldirectorium
beſeitigt. Dagegen blieben die altbewährten Kriegs- und Domänenkammern
unter dem neuen Namen: Regierungen beſtehen. Man trennte Rechts-
pflege und Verwaltung vollſtändig, nahm den Regierungen die Gerichts-
geſchäfte der alten Kammern; man ſäuberte ſie von unbrauchbaren Mit-
gliedern, wie denn Stein überall die thatſächliche Unabſetzbarkeit des alten
Beamtenthums bekämpfte und der Krone das Recht vorbehielt, die Ver-
waltungsbeamten nach Belieben zu entlaſſen; man erleichterte den Ge-

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[282/0298] I. 3. Preußens Erhebung. trauen zu der Rechtſchaffenheit Friedrich Wilhelms. Daß dieſer Fürſt ein offenbares Unrecht gebieten könne, wollten doch ſelbſt die Unzufriedenen nicht glauben. Die Reform ging ihren Gang. Wieder, wie ſo oft ſchon, wurde eine That der Befreiung dem preußiſchen Volke durch den Willen ſeiner Krone auferlegt. Die zweite große Aufgabe, welche Stein ſich ſtellte, war die Vollendung der Staatseinheit. Er hatte aus den Verhandlungen der Pariſer National- verſammlung die Nothwendigkeit eines centraliſirten Kaſſenweſens, aus der Verwaltungsorganiſation des erſten Conſuls die Vorzüge einer überſicht- lichen Eintheilung der Staatsgeſchäfte kennen gelernt und ſchon vor dem Kriege die Einſetzung von Fachminiſtern für den geſammten Staat em- pfohlen. Das wunderliche Nebeneinander von Provinzial- und Fach- miniſtern, die Vermiſchung des Realſyſtems mit dem Provinzialſyſteme genügte nicht mehr für die Bedürfniſſe der ſchlagfertigen modernen Ver- waltung. War doch die ängſtliche Schonung der landſchaftlichen Eigen- thümlichkeiten während der letzten Jahrzehnte ſo weit getrieben worden, daß die Beamten der alten Schule die preußiſche Monarchie gradezu einen Föderativſtaat nennen konnten. Bei näherer Prüfung ergab ſich indeß, wie geſund und lebensfähig die Verwaltungsordnung Friedrich Wilhelms I. noch immer war. Nun man ſich anſchickte ſein Werk weiterzuführen lernte man den ſicheren Blick des alten geſtrengen Organiſators erſt völlig wür- digen; Schoen pries ihn gern als Preußens größten inneren König. Nicht ein Umſturz, nur die Fortbildung und Vereinfachung der alten Inſtitu- tionen wurde beſchloſſen. Das Geſetz vom 16. December 1808 über die veränderte Verfaſſung der oberſten Staatsbehörden ſtellte fünf Fachminiſter, für das Innere, die Finanzen, das Auswärtige, den Krieg und die Juſtiz, an die Spitze der geſammten Staatsverwaltung, vereinigte die alten Ge- neralkaſſen zu einer General-Staatskaſſe unter der Leitung des Finanz- miniſters. Stein ſah voraus, wie gefährlich die ungeheure Macht jener fünf Männer werden konnte; er beabſichtigte daher, als höchſte Behörde der Monarchie einen Staatsrath zu bilden, der alle hervorragenden Kräfte des Staatsdienſtes, auch die Miniſter ſelbſt, in ſich vereinigen, die Geſetz- entwürfe berathen, die großen Streitfragen des öffentlichen Rechts ent- ſcheiden ſollte. Aber dieſer Theil ſeiner Entwürfe blieb unter ſeinen Nach- folgern unausgeführt. Durch die Einſetzung der Fachminiſter war das Generaldirectorium beſeitigt. Dagegen blieben die altbewährten Kriegs- und Domänenkammern unter dem neuen Namen: Regierungen beſtehen. Man trennte Rechts- pflege und Verwaltung vollſtändig, nahm den Regierungen die Gerichts- geſchäfte der alten Kammern; man ſäuberte ſie von unbrauchbaren Mit- gliedern, wie denn Stein überall die thatſächliche Unabſetzbarkeit des alten Beamtenthums bekämpfte und der Krone das Recht vorbehielt, die Ver- waltungsbeamten nach Belieben zu entlaſſen; man erleichterte den Ge-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/298>, abgerufen am 22.11.2024.