der Zwangs- und Bannrechte, der Servituten, der Gemeinheiten war das Ziel, dem der Gesetzgeber zustrebte; das freie Privateigenthum sollte überall zu seinem Rechte kommen. In scharfem Gegensatze zu dem fridericianischen Systeme der monarchischen Arbeitsorganisation wollten die neuen Gesetze "Alles entfernen, was den Einzelnen bisher hinderte den Wohlstand zu erwerben, den er nach dem Maaße seiner Kräfte zu erreichen fähig war". Die nach Steins Abgang erlassene Instruction an die Verwaltungsbehörden sagte kurzab -- in der Form vielleicht etwas abstracter als Stein selbst geschrieben hätte: -- die Gewerbe sollten ihrem natürlichen Gange über- lassen bleiben; es sei nicht nothwendig den Handel zu begünstigen, er müsse nur nicht erschwert werden.
Im Auslande wurde der mächtige Umschwung, der das alte Preußen in seinen socialen Grundfesten erschütterte, kaum beachtet. Die bewegte Zeit hatte der radikalen Neuerungen genug erlebt, und wie viele, die mit größerem Lärm begannen, waren im Sande verlaufen. Die Franzosen spotteten, wie bedachtsam man in Königsberg den Spuren der großen Revolution folge. In Preußen selbst empfand man um so lebhafter, wie tief die neue Gesetzgebung in alle Lebensverhältnisse einschnitt. Das ge- bildete Bürgerthum begrüßte die Befreiung des Landvolks mit Freuden; in Breslau wurden die Thaten des königlichen Reformators auf der Bühne verherrlicht. Aber der kurmärkische Adel, der tapfere Marwitz voran, zürnte auf den dreisten Ausländer, der mit seiner fränkischen und ostpreußischen Beamtenschule das alte gute brandenburgische Wesen zerstöre. Unerhört erschien außer dem revolutionären Inhalt auch die jacobinische Sprache der Stein'schen Gesetze, die sich wiederholt auf das Wohl des Staates, auf die Fortschritte des Zeitgeistes beriefen. Und nun gar die den märkischen Junkern ganz unbekannte Menschenklasse der "Landbe- wohner", die man am grünen Tische erfunden hatte! In der Priegnitz rotteten sich selbst die Bauern zusammen, tobend gegen "die neue Frei- heit", und der König mußte seine gelben Reiter wider sie aussenden. Auf der Junkergasse zu Königsberg tagte der Perponcher'sche Club, würdige Herren vom Hofe, vom Landadel, von der Armee, allesammt tief entrüstet über "das Nattergezücht" der Reformer. Niemand dort schalt grimmiger als General York: der sah die alte strenge Zucht aus der Welt ver- schwinden, sah die Zeit gekommen, wo jeder Fähnrich an seinem Obersten zum Marquis Posa werden wollte. Selbst Gneisenau konnte der Kühn- heit des Ministers nicht folgen, er meinte den Untergang des großen Grundbesitzes vor Augen zu sehen bis ihn die Erfahrung eines Besseren belehrte. Einige der wackersten Männer aus den alten ostpreußischen Ge- schlechtern der Dohna, der Auerswald, der Finkenstein beschworen den König in einer Eingabe, die Rechte des Adels zu schützen, ihm mindestens die Befreiung vom Kriegsdienste und die Patrimonialgerichte zu erhalten. Aber das Ansehen des Königlichen Befehls stand ebenso fest wie das Ver-
Befreiung des Landvolks.
der Zwangs- und Bannrechte, der Servituten, der Gemeinheiten war das Ziel, dem der Geſetzgeber zuſtrebte; das freie Privateigenthum ſollte überall zu ſeinem Rechte kommen. In ſcharfem Gegenſatze zu dem fridericianiſchen Syſteme der monarchiſchen Arbeitsorganiſation wollten die neuen Geſetze „Alles entfernen, was den Einzelnen bisher hinderte den Wohlſtand zu erwerben, den er nach dem Maaße ſeiner Kräfte zu erreichen fähig war“. Die nach Steins Abgang erlaſſene Inſtruction an die Verwaltungsbehörden ſagte kurzab — in der Form vielleicht etwas abſtracter als Stein ſelbſt geſchrieben hätte: — die Gewerbe ſollten ihrem natürlichen Gange über- laſſen bleiben; es ſei nicht nothwendig den Handel zu begünſtigen, er müſſe nur nicht erſchwert werden.
Im Auslande wurde der mächtige Umſchwung, der das alte Preußen in ſeinen ſocialen Grundfeſten erſchütterte, kaum beachtet. Die bewegte Zeit hatte der radikalen Neuerungen genug erlebt, und wie viele, die mit größerem Lärm begannen, waren im Sande verlaufen. Die Franzoſen ſpotteten, wie bedachtſam man in Königsberg den Spuren der großen Revolution folge. In Preußen ſelbſt empfand man um ſo lebhafter, wie tief die neue Geſetzgebung in alle Lebensverhältniſſe einſchnitt. Das ge- bildete Bürgerthum begrüßte die Befreiung des Landvolks mit Freuden; in Breslau wurden die Thaten des königlichen Reformators auf der Bühne verherrlicht. Aber der kurmärkiſche Adel, der tapfere Marwitz voran, zürnte auf den dreiſten Ausländer, der mit ſeiner fränkiſchen und oſtpreußiſchen Beamtenſchule das alte gute brandenburgiſche Weſen zerſtöre. Unerhört erſchien außer dem revolutionären Inhalt auch die jacobiniſche Sprache der Stein’ſchen Geſetze, die ſich wiederholt auf das Wohl des Staates, auf die Fortſchritte des Zeitgeiſtes beriefen. Und nun gar die den märkiſchen Junkern ganz unbekannte Menſchenklaſſe der „Landbe- wohner“, die man am grünen Tiſche erfunden hatte! In der Priegnitz rotteten ſich ſelbſt die Bauern zuſammen, tobend gegen „die neue Frei- heit“, und der König mußte ſeine gelben Reiter wider ſie ausſenden. Auf der Junkergaſſe zu Königsberg tagte der Perponcher’ſche Club, würdige Herren vom Hofe, vom Landadel, von der Armee, alleſammt tief entrüſtet über „das Nattergezücht“ der Reformer. Niemand dort ſchalt grimmiger als General York: der ſah die alte ſtrenge Zucht aus der Welt ver- ſchwinden, ſah die Zeit gekommen, wo jeder Fähnrich an ſeinem Oberſten zum Marquis Poſa werden wollte. Selbſt Gneiſenau konnte der Kühn- heit des Miniſters nicht folgen, er meinte den Untergang des großen Grundbeſitzes vor Augen zu ſehen bis ihn die Erfahrung eines Beſſeren belehrte. Einige der wackerſten Männer aus den alten oſtpreußiſchen Ge- ſchlechtern der Dohna, der Auerswald, der Finkenſtein beſchworen den König in einer Eingabe, die Rechte des Adels zu ſchützen, ihm mindeſtens die Befreiung vom Kriegsdienſte und die Patrimonialgerichte zu erhalten. Aber das Anſehen des Königlichen Befehls ſtand ebenſo feſt wie das Ver-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0297"n="281"/><fwplace="top"type="header">Befreiung des Landvolks.</fw><lb/>
der Zwangs- und Bannrechte, der Servituten, der Gemeinheiten war das<lb/>
Ziel, dem der Geſetzgeber zuſtrebte; das freie Privateigenthum ſollte überall<lb/>
zu ſeinem Rechte kommen. In ſcharfem Gegenſatze zu dem fridericianiſchen<lb/>
Syſteme der monarchiſchen Arbeitsorganiſation wollten die neuen Geſetze<lb/>„Alles entfernen, was den Einzelnen bisher hinderte den Wohlſtand zu<lb/>
erwerben, den er nach dem Maaße ſeiner Kräfte zu erreichen fähig war“.<lb/>
Die nach Steins Abgang erlaſſene Inſtruction an die Verwaltungsbehörden<lb/>ſagte kurzab — in der Form vielleicht etwas abſtracter als Stein ſelbſt<lb/>
geſchrieben hätte: — die Gewerbe ſollten ihrem natürlichen Gange über-<lb/>
laſſen bleiben; es ſei nicht nothwendig den Handel zu begünſtigen, er müſſe<lb/>
nur nicht erſchwert werden.</p><lb/><p>Im Auslande wurde der mächtige Umſchwung, der das alte Preußen<lb/>
in ſeinen ſocialen Grundfeſten erſchütterte, kaum beachtet. Die bewegte<lb/>
Zeit hatte der radikalen Neuerungen genug erlebt, und wie viele, die mit<lb/>
größerem Lärm begannen, waren im Sande verlaufen. Die Franzoſen<lb/>ſpotteten, wie bedachtſam man in Königsberg den Spuren der großen<lb/>
Revolution folge. In Preußen ſelbſt empfand man um ſo lebhafter, wie<lb/>
tief die neue Geſetzgebung in alle Lebensverhältniſſe einſchnitt. Das ge-<lb/>
bildete Bürgerthum begrüßte die Befreiung des Landvolks mit Freuden;<lb/>
in Breslau wurden die Thaten des königlichen Reformators auf der<lb/>
Bühne verherrlicht. Aber der kurmärkiſche Adel, der tapfere Marwitz<lb/>
voran, zürnte auf den dreiſten Ausländer, der mit ſeiner fränkiſchen und<lb/>
oſtpreußiſchen Beamtenſchule das alte gute brandenburgiſche Weſen zerſtöre.<lb/>
Unerhört erſchien außer dem revolutionären Inhalt auch die jacobiniſche<lb/>
Sprache der Stein’ſchen Geſetze, die ſich wiederholt auf das Wohl des<lb/>
Staates, auf die Fortſchritte des Zeitgeiſtes beriefen. Und nun gar die<lb/>
den märkiſchen Junkern ganz unbekannte Menſchenklaſſe der „Landbe-<lb/>
wohner“, die man am grünen Tiſche erfunden hatte! In der Priegnitz<lb/>
rotteten ſich ſelbſt die Bauern zuſammen, tobend gegen „die neue Frei-<lb/>
heit“, und der König mußte ſeine gelben Reiter wider ſie ausſenden. Auf<lb/>
der Junkergaſſe zu Königsberg tagte der Perponcher’ſche Club, würdige<lb/>
Herren vom Hofe, vom Landadel, von der Armee, alleſammt tief entrüſtet<lb/>
über „das Nattergezücht“ der Reformer. Niemand dort ſchalt grimmiger<lb/>
als General York: der ſah die alte ſtrenge Zucht aus der Welt ver-<lb/>ſchwinden, ſah die Zeit gekommen, wo jeder Fähnrich an ſeinem Oberſten<lb/>
zum Marquis Poſa werden wollte. Selbſt Gneiſenau konnte der Kühn-<lb/>
heit des Miniſters nicht folgen, er meinte den Untergang des großen<lb/>
Grundbeſitzes vor Augen zu ſehen bis ihn die Erfahrung eines Beſſeren<lb/>
belehrte. Einige der wackerſten Männer aus den alten oſtpreußiſchen Ge-<lb/>ſchlechtern der Dohna, der Auerswald, der Finkenſtein beſchworen den<lb/>
König in einer Eingabe, die Rechte des Adels zu ſchützen, ihm mindeſtens<lb/>
die Befreiung vom Kriegsdienſte und die Patrimonialgerichte zu erhalten.<lb/>
Aber das Anſehen des Königlichen Befehls ſtand ebenſo feſt wie das Ver-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[281/0297]
Befreiung des Landvolks.
der Zwangs- und Bannrechte, der Servituten, der Gemeinheiten war das
Ziel, dem der Geſetzgeber zuſtrebte; das freie Privateigenthum ſollte überall
zu ſeinem Rechte kommen. In ſcharfem Gegenſatze zu dem fridericianiſchen
Syſteme der monarchiſchen Arbeitsorganiſation wollten die neuen Geſetze
„Alles entfernen, was den Einzelnen bisher hinderte den Wohlſtand zu
erwerben, den er nach dem Maaße ſeiner Kräfte zu erreichen fähig war“.
Die nach Steins Abgang erlaſſene Inſtruction an die Verwaltungsbehörden
ſagte kurzab — in der Form vielleicht etwas abſtracter als Stein ſelbſt
geſchrieben hätte: — die Gewerbe ſollten ihrem natürlichen Gange über-
laſſen bleiben; es ſei nicht nothwendig den Handel zu begünſtigen, er müſſe
nur nicht erſchwert werden.
Im Auslande wurde der mächtige Umſchwung, der das alte Preußen
in ſeinen ſocialen Grundfeſten erſchütterte, kaum beachtet. Die bewegte
Zeit hatte der radikalen Neuerungen genug erlebt, und wie viele, die mit
größerem Lärm begannen, waren im Sande verlaufen. Die Franzoſen
ſpotteten, wie bedachtſam man in Königsberg den Spuren der großen
Revolution folge. In Preußen ſelbſt empfand man um ſo lebhafter, wie
tief die neue Geſetzgebung in alle Lebensverhältniſſe einſchnitt. Das ge-
bildete Bürgerthum begrüßte die Befreiung des Landvolks mit Freuden;
in Breslau wurden die Thaten des königlichen Reformators auf der
Bühne verherrlicht. Aber der kurmärkiſche Adel, der tapfere Marwitz
voran, zürnte auf den dreiſten Ausländer, der mit ſeiner fränkiſchen und
oſtpreußiſchen Beamtenſchule das alte gute brandenburgiſche Weſen zerſtöre.
Unerhört erſchien außer dem revolutionären Inhalt auch die jacobiniſche
Sprache der Stein’ſchen Geſetze, die ſich wiederholt auf das Wohl des
Staates, auf die Fortſchritte des Zeitgeiſtes beriefen. Und nun gar die
den märkiſchen Junkern ganz unbekannte Menſchenklaſſe der „Landbe-
wohner“, die man am grünen Tiſche erfunden hatte! In der Priegnitz
rotteten ſich ſelbſt die Bauern zuſammen, tobend gegen „die neue Frei-
heit“, und der König mußte ſeine gelben Reiter wider ſie ausſenden. Auf
der Junkergaſſe zu Königsberg tagte der Perponcher’ſche Club, würdige
Herren vom Hofe, vom Landadel, von der Armee, alleſammt tief entrüſtet
über „das Nattergezücht“ der Reformer. Niemand dort ſchalt grimmiger
als General York: der ſah die alte ſtrenge Zucht aus der Welt ver-
ſchwinden, ſah die Zeit gekommen, wo jeder Fähnrich an ſeinem Oberſten
zum Marquis Poſa werden wollte. Selbſt Gneiſenau konnte der Kühn-
heit des Miniſters nicht folgen, er meinte den Untergang des großen
Grundbeſitzes vor Augen zu ſehen bis ihn die Erfahrung eines Beſſeren
belehrte. Einige der wackerſten Männer aus den alten oſtpreußiſchen Ge-
ſchlechtern der Dohna, der Auerswald, der Finkenſtein beſchworen den
König in einer Eingabe, die Rechte des Adels zu ſchützen, ihm mindeſtens
die Befreiung vom Kriegsdienſte und die Patrimonialgerichte zu erhalten.
Aber das Anſehen des Königlichen Befehls ſtand ebenſo feſt wie das Ver-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/297>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.