denkwürdige Waffenthat der preußischen Kriegsgeschichte. Diesem ver- kleinerten Preußen war der Rheinbund an Flächengehalt zweifach, an Bevölkerung dreifach überlegen; schon Baiern allein durfte sich jetzt dem Staate Friedrichs ebenbürtig dünken, da dies Kernland des Rheinbundes nur etwa eine Million Köpfe weniger zählte und unvergleichlich wohl- habender war. Die Spaßvögel in Dresden und Leipzig beschauten ergötzt das englische Spottbild, das die Zusammenkunft auf dem Floße zu Tilsit darstellte: wie der prahlerische kleine "Bony" den jungen Czaren so stürmisch umarmte, daß das Floß ins Wanken gerieth und der zuschauende Fried- rich Wilhelm jämmerlich ins Wasser fiel.
Der neue König von Sachsen aber wurde der unterthänigste aller Rhein- bundsfürsten. Der schwerfällige, peinlich gewissenhafte Mann war grau ge- worden in den Traditionen des alten Reichsrechts, in den steifen Formen einer spanischen Etikette; er allein unter den größeren Reichsfürsten hatte nicht theilgenommen an dem großen Beutezuge gegen die geistlichen Staaten -- was ihm freilich leicht fiel, da er keine Entschädigungen zu fordern hatte. Noch im vergangenen Herbst entschloß er sich nur schwer dem sieg- reichen Plebejer seine Huldigung darzubringen; da er endlich in Berlin eintraf, fand er den Imperator nicht mehr vor und fragte rathlos den hilfsbereiten Gagern: wie lebt man eigentlich mit diesen Menschen? Doch als nachher der Verrath an Preußen mit reichen Geschenken belohnt wurde, als Napoleon auf der Heimkehr selbst in Dresden erschien und gegen- über der rasch durchschauten Beschränktheit die Miene des wohlwollenden Gönners annahm, da wurde der schwache Fürst durch die Caesarengröße des Protectors völlig geblendet, baute mit abergläubischer Zuversicht auf den Stern seines "großen Alliirten". Ehrgeizige junge Männer traten an die Spitze der Armee, wider allen Brauch dieses langsamen Staatswesens, und erfüllten die tapfere Truppe, die nur widerwillig zu den Franzosen übergetreten war, bald mit der gewissenlosen Wagelust rheinbündischer Landsknechte; das rothe Band der Ehrenlegion wurde hier wie in Baiern und Württemberg als das höchste Ehrenzeichen des Soldaten verehrt. In Allem und Jedem war Friedrich August seinem Herrn zu Willen; er be- durfte kaum der Mahnung des Imperators: "was Ihr für Preußen thut, das thut Ihr gegen Euch!"
So ging das alte Preußen unter dem Frohlocken der deutschen Klein- staaterei zu Grunde. Anders dachten die Bewohner der alten preußischen Provinzen, als ihr König ihnen mit würdigen Worten verkündete: "was Jahr- hunderte und biedere Vorfahren, was Verträge, was Liebe und Vertrauen verbunden hatten mußte getrennt werden." Stumpf und gelassen hatte das Volk der hunderte von deutschen Staaten, die in den Stürmen dieser wilden Zeit dahingesunken, sein Schicksal ertragen; die aber jetzt von Preußen los- gerissen wurden, empfanden bis in das Mark ihres Lebens, was ein ehren- hafter Staat dem Menschen bedeutet. Der unglückliche Monarch konnte kaum
I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
denkwürdige Waffenthat der preußiſchen Kriegsgeſchichte. Dieſem ver- kleinerten Preußen war der Rheinbund an Flächengehalt zweifach, an Bevölkerung dreifach überlegen; ſchon Baiern allein durfte ſich jetzt dem Staate Friedrichs ebenbürtig dünken, da dies Kernland des Rheinbundes nur etwa eine Million Köpfe weniger zählte und unvergleichlich wohl- habender war. Die Spaßvögel in Dresden und Leipzig beſchauten ergötzt das engliſche Spottbild, das die Zuſammenkunft auf dem Floße zu Tilſit darſtellte: wie der prahleriſche kleine „Bony“ den jungen Czaren ſo ſtürmiſch umarmte, daß das Floß ins Wanken gerieth und der zuſchauende Fried- rich Wilhelm jämmerlich ins Waſſer fiel.
Der neue König von Sachſen aber wurde der unterthänigſte aller Rhein- bundsfürſten. Der ſchwerfällige, peinlich gewiſſenhafte Mann war grau ge- worden in den Traditionen des alten Reichsrechts, in den ſteifen Formen einer ſpaniſchen Etikette; er allein unter den größeren Reichsfürſten hatte nicht theilgenommen an dem großen Beutezuge gegen die geiſtlichen Staaten — was ihm freilich leicht fiel, da er keine Entſchädigungen zu fordern hatte. Noch im vergangenen Herbſt entſchloß er ſich nur ſchwer dem ſieg- reichen Plebejer ſeine Huldigung darzubringen; da er endlich in Berlin eintraf, fand er den Imperator nicht mehr vor und fragte rathlos den hilfsbereiten Gagern: wie lebt man eigentlich mit dieſen Menſchen? Doch als nachher der Verrath an Preußen mit reichen Geſchenken belohnt wurde, als Napoleon auf der Heimkehr ſelbſt in Dresden erſchien und gegen- über der raſch durchſchauten Beſchränktheit die Miene des wohlwollenden Gönners annahm, da wurde der ſchwache Fürſt durch die Caeſarengröße des Protectors völlig geblendet, baute mit abergläubiſcher Zuverſicht auf den Stern ſeines „großen Alliirten“. Ehrgeizige junge Männer traten an die Spitze der Armee, wider allen Brauch dieſes langſamen Staatsweſens, und erfüllten die tapfere Truppe, die nur widerwillig zu den Franzoſen übergetreten war, bald mit der gewiſſenloſen Wageluſt rheinbündiſcher Landsknechte; das rothe Band der Ehrenlegion wurde hier wie in Baiern und Württemberg als das höchſte Ehrenzeichen des Soldaten verehrt. In Allem und Jedem war Friedrich Auguſt ſeinem Herrn zu Willen; er be- durfte kaum der Mahnung des Imperators: „was Ihr für Preußen thut, das thut Ihr gegen Euch!“
So ging das alte Preußen unter dem Frohlocken der deutſchen Klein- ſtaaterei zu Grunde. Anders dachten die Bewohner der alten preußiſchen Provinzen, als ihr König ihnen mit würdigen Worten verkündete: „was Jahr- hunderte und biedere Vorfahren, was Verträge, was Liebe und Vertrauen verbunden hatten mußte getrennt werden.“ Stumpf und gelaſſen hatte das Volk der hunderte von deutſchen Staaten, die in den Stürmen dieſer wilden Zeit dahingeſunken, ſein Schickſal ertragen; die aber jetzt von Preußen los- geriſſen wurden, empfanden bis in das Mark ihres Lebens, was ein ehren- hafter Staat dem Menſchen bedeutet. Der unglückliche Monarch konnte kaum
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0282"n="266"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">I.</hi> 2. Revolution und Fremdherrſchaft.</fw><lb/>
denkwürdige Waffenthat der preußiſchen Kriegsgeſchichte. Dieſem ver-<lb/>
kleinerten Preußen war der Rheinbund an Flächengehalt zweifach, an<lb/>
Bevölkerung dreifach überlegen; ſchon Baiern allein durfte ſich jetzt dem<lb/>
Staate Friedrichs ebenbürtig dünken, da dies Kernland des Rheinbundes<lb/>
nur etwa eine Million Köpfe weniger zählte und unvergleichlich wohl-<lb/>
habender war. Die Spaßvögel in Dresden und Leipzig beſchauten ergötzt<lb/>
das engliſche Spottbild, das die Zuſammenkunft auf dem Floße zu Tilſit<lb/>
darſtellte: wie der prahleriſche kleine „Bony“ den jungen Czaren ſo ſtürmiſch<lb/>
umarmte, daß das Floß ins Wanken gerieth und der zuſchauende Fried-<lb/>
rich Wilhelm jämmerlich ins Waſſer fiel.</p><lb/><p>Der neue König von Sachſen aber wurde der unterthänigſte aller Rhein-<lb/>
bundsfürſten. Der ſchwerfällige, peinlich gewiſſenhafte Mann war grau ge-<lb/>
worden in den Traditionen des alten Reichsrechts, in den ſteifen Formen<lb/>
einer ſpaniſchen Etikette; er allein unter den größeren Reichsfürſten hatte<lb/>
nicht theilgenommen an dem großen Beutezuge gegen die geiſtlichen Staaten<lb/>— was ihm freilich leicht fiel, da er keine Entſchädigungen zu fordern<lb/>
hatte. Noch im vergangenen Herbſt entſchloß er ſich nur ſchwer dem ſieg-<lb/>
reichen Plebejer ſeine Huldigung darzubringen; da er endlich in Berlin<lb/>
eintraf, fand er den Imperator nicht mehr vor und fragte rathlos den<lb/>
hilfsbereiten Gagern: wie lebt man eigentlich mit dieſen Menſchen? Doch<lb/>
als nachher der Verrath an Preußen mit reichen Geſchenken belohnt wurde,<lb/>
als Napoleon auf der Heimkehr ſelbſt in Dresden erſchien und gegen-<lb/>
über der raſch durchſchauten Beſchränktheit die Miene des wohlwollenden<lb/>
Gönners annahm, da wurde der ſchwache Fürſt durch die Caeſarengröße<lb/>
des Protectors völlig geblendet, baute mit abergläubiſcher Zuverſicht auf<lb/>
den Stern ſeines „großen Alliirten“. Ehrgeizige junge Männer traten an<lb/>
die Spitze der Armee, wider allen Brauch dieſes langſamen Staatsweſens,<lb/>
und erfüllten die tapfere Truppe, die nur widerwillig zu den Franzoſen<lb/>
übergetreten war, bald mit der gewiſſenloſen Wageluſt rheinbündiſcher<lb/>
Landsknechte; das rothe Band der Ehrenlegion wurde hier wie in Baiern<lb/>
und Württemberg als das höchſte Ehrenzeichen des Soldaten verehrt. In<lb/>
Allem und Jedem war Friedrich Auguſt ſeinem Herrn zu Willen; er be-<lb/>
durfte kaum der Mahnung des Imperators: „was Ihr für Preußen thut,<lb/>
das thut Ihr gegen Euch!“</p><lb/><p>So ging das alte Preußen unter dem Frohlocken der deutſchen Klein-<lb/>ſtaaterei zu Grunde. Anders dachten die Bewohner der alten preußiſchen<lb/>
Provinzen, als ihr König ihnen mit würdigen Worten verkündete: „was Jahr-<lb/>
hunderte und biedere Vorfahren, was Verträge, was Liebe und Vertrauen<lb/>
verbunden hatten mußte getrennt werden.“ Stumpf und gelaſſen hatte das<lb/>
Volk der hunderte von deutſchen Staaten, die in den Stürmen dieſer wilden<lb/>
Zeit dahingeſunken, ſein Schickſal ertragen; die aber jetzt von Preußen los-<lb/>
geriſſen wurden, empfanden bis in das Mark ihres Lebens, was ein ehren-<lb/>
hafter Staat dem Menſchen bedeutet. Der unglückliche Monarch konnte kaum<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[266/0282]
I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
denkwürdige Waffenthat der preußiſchen Kriegsgeſchichte. Dieſem ver-
kleinerten Preußen war der Rheinbund an Flächengehalt zweifach, an
Bevölkerung dreifach überlegen; ſchon Baiern allein durfte ſich jetzt dem
Staate Friedrichs ebenbürtig dünken, da dies Kernland des Rheinbundes
nur etwa eine Million Köpfe weniger zählte und unvergleichlich wohl-
habender war. Die Spaßvögel in Dresden und Leipzig beſchauten ergötzt
das engliſche Spottbild, das die Zuſammenkunft auf dem Floße zu Tilſit
darſtellte: wie der prahleriſche kleine „Bony“ den jungen Czaren ſo ſtürmiſch
umarmte, daß das Floß ins Wanken gerieth und der zuſchauende Fried-
rich Wilhelm jämmerlich ins Waſſer fiel.
Der neue König von Sachſen aber wurde der unterthänigſte aller Rhein-
bundsfürſten. Der ſchwerfällige, peinlich gewiſſenhafte Mann war grau ge-
worden in den Traditionen des alten Reichsrechts, in den ſteifen Formen
einer ſpaniſchen Etikette; er allein unter den größeren Reichsfürſten hatte
nicht theilgenommen an dem großen Beutezuge gegen die geiſtlichen Staaten
— was ihm freilich leicht fiel, da er keine Entſchädigungen zu fordern
hatte. Noch im vergangenen Herbſt entſchloß er ſich nur ſchwer dem ſieg-
reichen Plebejer ſeine Huldigung darzubringen; da er endlich in Berlin
eintraf, fand er den Imperator nicht mehr vor und fragte rathlos den
hilfsbereiten Gagern: wie lebt man eigentlich mit dieſen Menſchen? Doch
als nachher der Verrath an Preußen mit reichen Geſchenken belohnt wurde,
als Napoleon auf der Heimkehr ſelbſt in Dresden erſchien und gegen-
über der raſch durchſchauten Beſchränktheit die Miene des wohlwollenden
Gönners annahm, da wurde der ſchwache Fürſt durch die Caeſarengröße
des Protectors völlig geblendet, baute mit abergläubiſcher Zuverſicht auf
den Stern ſeines „großen Alliirten“. Ehrgeizige junge Männer traten an
die Spitze der Armee, wider allen Brauch dieſes langſamen Staatsweſens,
und erfüllten die tapfere Truppe, die nur widerwillig zu den Franzoſen
übergetreten war, bald mit der gewiſſenloſen Wageluſt rheinbündiſcher
Landsknechte; das rothe Band der Ehrenlegion wurde hier wie in Baiern
und Württemberg als das höchſte Ehrenzeichen des Soldaten verehrt. In
Allem und Jedem war Friedrich Auguſt ſeinem Herrn zu Willen; er be-
durfte kaum der Mahnung des Imperators: „was Ihr für Preußen thut,
das thut Ihr gegen Euch!“
So ging das alte Preußen unter dem Frohlocken der deutſchen Klein-
ſtaaterei zu Grunde. Anders dachten die Bewohner der alten preußiſchen
Provinzen, als ihr König ihnen mit würdigen Worten verkündete: „was Jahr-
hunderte und biedere Vorfahren, was Verträge, was Liebe und Vertrauen
verbunden hatten mußte getrennt werden.“ Stumpf und gelaſſen hatte das
Volk der hunderte von deutſchen Staaten, die in den Stürmen dieſer wilden
Zeit dahingeſunken, ſein Schickſal ertragen; die aber jetzt von Preußen los-
geriſſen wurden, empfanden bis in das Mark ihres Lebens, was ein ehren-
hafter Staat dem Menſchen bedeutet. Der unglückliche Monarch konnte kaum
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/282>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.