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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Gneisenau. Schlacht von Friedland.
Vaterlandes pries: ihm war es recht, wenn nur die gedrückte Seele dieses
Volkes sich wieder hoffend emporhob, gleichviel an wessen Bilde. In Vor-
pommern sammelte Marwitz ein Freicorps, zur Befreiung des deutschen
Vaterlandes, wie der tapfere Junker seinen Leuten sagte; in Westphalen ver-
suchte der treue Vincke einen Aufstand anzuzetteln. Blücher aber schickte
sich an, mit einem kleinen preußischen Corps, mit schwedischen Hilfstruppen
und einer englischen Landungsarmee, die auf Rügen erwartet wurde, eine
Diversion im Rücken Napoleons zu unternehmen. Dem Imperator wurde
das zähe preußische Wesen täglich verhaßter. In überströmendem Zorne
nannte er Schill einen Räuber, ließ in seinen Zeitungen den König ver-
höhnen als einen Einfältigen, der neben Alexander kaum so viel gelte wie
ein Adjutant; er war entschlossen den unbequemen Staat, den er nie mehr
versöhnen konnte, gänzlich zu vernichten.

Da fiel die Entscheidung in Ostpreußen. Der allgemeine Unwille
über den Fall von Danzig nöthigte den russischen Oberbefehlshaber, im
Juni endlich wieder seine Armee in Bewegung zu setzen. Ein Angriff der
Franzosen wurde bei Heilsberg glücklich zurückgewiesen. Als aber Napoleon
nunmehr die Alle abwärts zog um die Russen zu umgehen, da unternahm
Bennigsen, ohne Kenntniß der Stärke des Feindes, einen unbedachten
Vorstoß gegen die französischen Marschcolonnen und erlitt bei Friedland
am 14. Juni eine vollständige Niederlage. Am Jahrestage von Marengo
ging der preußische Krieg zu Ende, denn nach diesem einen Schlage brach
Alexanders Muth ebenso plötzlich zusammen wie vordem nach der Auster-
litzer Schlacht. Noch war sein Land vom Feinde unberührt, aber er
fürchtete einen Aufstand im russischen Polen; sein Bruder Konstantin
und die große Mehrzahl der Generale verwünschten laut diesen Krieg für
fremde Zwecke, auch Stadion hatte schon früher den russischen Gesandten
gefragt, warum sich der Czar für Preußen opfern wolle. Der Unbestän-
dige meinte der Großmuth genug gethan zu haben; ohne den König, der
unerschütterlich auf die Betheurungen seines Freundes vertraute, auch
nur zu benachrichtigen bot Alexander dem Sieger einen Waffenstillstand
an. Napoleon griff freudig zu; er war außer Stande jetzt schon den
Krieg bis in das Innere Rußlands zu tragen, und zudem ängstigte ihn
die schwankende Haltung Oesterreichs, das um die nämliche Zeit einen
Unterhändler zu den Verbündeten sendete. In wenigen Tagen gelang es
ihm dann den Czaren für das französische Bündniß zu gewinnen. Nicht
als ob Alexanders Schlauheit diesem Bundesgenossen jemals getraut hätte.
Nur für einige Jahre mindestens hoffte er von der neuen Freundschaft
Vortheil zu ziehen: waren erst mit Frankreichs Hilfe zwei Lieblingswünsche
des thatenlustigen jungen Kaisers erfüllt, war erst Finnland erobert und
auf der Balkanhalbinsel fester Fuß gefaßt, so konnte das verstärkte Ruß-
land vielleicht dereinst mit besserem Erfolge das Werk der Weltbefreiung
wieder aufnehmen. Geblendet von solchen lockenden Aussichten bemerkte

Gneiſenau. Schlacht von Friedland.
Vaterlandes pries: ihm war es recht, wenn nur die gedrückte Seele dieſes
Volkes ſich wieder hoffend emporhob, gleichviel an weſſen Bilde. In Vor-
pommern ſammelte Marwitz ein Freicorps, zur Befreiung des deutſchen
Vaterlandes, wie der tapfere Junker ſeinen Leuten ſagte; in Weſtphalen ver-
ſuchte der treue Vincke einen Aufſtand anzuzetteln. Blücher aber ſchickte
ſich an, mit einem kleinen preußiſchen Corps, mit ſchwediſchen Hilfstruppen
und einer engliſchen Landungsarmee, die auf Rügen erwartet wurde, eine
Diverſion im Rücken Napoleons zu unternehmen. Dem Imperator wurde
das zähe preußiſche Weſen täglich verhaßter. In überſtrömendem Zorne
nannte er Schill einen Räuber, ließ in ſeinen Zeitungen den König ver-
höhnen als einen Einfältigen, der neben Alexander kaum ſo viel gelte wie
ein Adjutant; er war entſchloſſen den unbequemen Staat, den er nie mehr
verſöhnen konnte, gänzlich zu vernichten.

Da fiel die Entſcheidung in Oſtpreußen. Der allgemeine Unwille
über den Fall von Danzig nöthigte den ruſſiſchen Oberbefehlshaber, im
Juni endlich wieder ſeine Armee in Bewegung zu ſetzen. Ein Angriff der
Franzoſen wurde bei Heilsberg glücklich zurückgewieſen. Als aber Napoleon
nunmehr die Alle abwärts zog um die Ruſſen zu umgehen, da unternahm
Bennigſen, ohne Kenntniß der Stärke des Feindes, einen unbedachten
Vorſtoß gegen die franzöſiſchen Marſchcolonnen und erlitt bei Friedland
am 14. Juni eine vollſtändige Niederlage. Am Jahrestage von Marengo
ging der preußiſche Krieg zu Ende, denn nach dieſem einen Schlage brach
Alexanders Muth ebenſo plötzlich zuſammen wie vordem nach der Auſter-
litzer Schlacht. Noch war ſein Land vom Feinde unberührt, aber er
fürchtete einen Aufſtand im ruſſiſchen Polen; ſein Bruder Konſtantin
und die große Mehrzahl der Generale verwünſchten laut dieſen Krieg für
fremde Zwecke, auch Stadion hatte ſchon früher den ruſſiſchen Geſandten
gefragt, warum ſich der Czar für Preußen opfern wolle. Der Unbeſtän-
dige meinte der Großmuth genug gethan zu haben; ohne den König, der
unerſchütterlich auf die Betheurungen ſeines Freundes vertraute, auch
nur zu benachrichtigen bot Alexander dem Sieger einen Waffenſtillſtand
an. Napoleon griff freudig zu; er war außer Stande jetzt ſchon den
Krieg bis in das Innere Rußlands zu tragen, und zudem ängſtigte ihn
die ſchwankende Haltung Oeſterreichs, das um die nämliche Zeit einen
Unterhändler zu den Verbündeten ſendete. In wenigen Tagen gelang es
ihm dann den Czaren für das franzöſiſche Bündniß zu gewinnen. Nicht
als ob Alexanders Schlauheit dieſem Bundesgenoſſen jemals getraut hätte.
Nur für einige Jahre mindeſtens hoffte er von der neuen Freundſchaft
Vortheil zu ziehen: waren erſt mit Frankreichs Hilfe zwei Lieblingswünſche
des thatenluſtigen jungen Kaiſers erfüllt, war erſt Finnland erobert und
auf der Balkanhalbinſel feſter Fuß gefaßt, ſo konnte das verſtärkte Ruß-
land vielleicht dereinſt mit beſſerem Erfolge das Werk der Weltbefreiung
wieder aufnehmen. Geblendet von ſolchen lockenden Ausſichten bemerkte

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[263/0279] Gneiſenau. Schlacht von Friedland. Vaterlandes pries: ihm war es recht, wenn nur die gedrückte Seele dieſes Volkes ſich wieder hoffend emporhob, gleichviel an weſſen Bilde. In Vor- pommern ſammelte Marwitz ein Freicorps, zur Befreiung des deutſchen Vaterlandes, wie der tapfere Junker ſeinen Leuten ſagte; in Weſtphalen ver- ſuchte der treue Vincke einen Aufſtand anzuzetteln. Blücher aber ſchickte ſich an, mit einem kleinen preußiſchen Corps, mit ſchwediſchen Hilfstruppen und einer engliſchen Landungsarmee, die auf Rügen erwartet wurde, eine Diverſion im Rücken Napoleons zu unternehmen. Dem Imperator wurde das zähe preußiſche Weſen täglich verhaßter. In überſtrömendem Zorne nannte er Schill einen Räuber, ließ in ſeinen Zeitungen den König ver- höhnen als einen Einfältigen, der neben Alexander kaum ſo viel gelte wie ein Adjutant; er war entſchloſſen den unbequemen Staat, den er nie mehr verſöhnen konnte, gänzlich zu vernichten. Da fiel die Entſcheidung in Oſtpreußen. Der allgemeine Unwille über den Fall von Danzig nöthigte den ruſſiſchen Oberbefehlshaber, im Juni endlich wieder ſeine Armee in Bewegung zu ſetzen. Ein Angriff der Franzoſen wurde bei Heilsberg glücklich zurückgewieſen. Als aber Napoleon nunmehr die Alle abwärts zog um die Ruſſen zu umgehen, da unternahm Bennigſen, ohne Kenntniß der Stärke des Feindes, einen unbedachten Vorſtoß gegen die franzöſiſchen Marſchcolonnen und erlitt bei Friedland am 14. Juni eine vollſtändige Niederlage. Am Jahrestage von Marengo ging der preußiſche Krieg zu Ende, denn nach dieſem einen Schlage brach Alexanders Muth ebenſo plötzlich zuſammen wie vordem nach der Auſter- litzer Schlacht. Noch war ſein Land vom Feinde unberührt, aber er fürchtete einen Aufſtand im ruſſiſchen Polen; ſein Bruder Konſtantin und die große Mehrzahl der Generale verwünſchten laut dieſen Krieg für fremde Zwecke, auch Stadion hatte ſchon früher den ruſſiſchen Geſandten gefragt, warum ſich der Czar für Preußen opfern wolle. Der Unbeſtän- dige meinte der Großmuth genug gethan zu haben; ohne den König, der unerſchütterlich auf die Betheurungen ſeines Freundes vertraute, auch nur zu benachrichtigen bot Alexander dem Sieger einen Waffenſtillſtand an. Napoleon griff freudig zu; er war außer Stande jetzt ſchon den Krieg bis in das Innere Rußlands zu tragen, und zudem ängſtigte ihn die ſchwankende Haltung Oeſterreichs, das um die nämliche Zeit einen Unterhändler zu den Verbündeten ſendete. In wenigen Tagen gelang es ihm dann den Czaren für das franzöſiſche Bündniß zu gewinnen. Nicht als ob Alexanders Schlauheit dieſem Bundesgenoſſen jemals getraut hätte. Nur für einige Jahre mindeſtens hoffte er von der neuen Freundſchaft Vortheil zu ziehen: waren erſt mit Frankreichs Hilfe zwei Lieblingswünſche des thatenluſtigen jungen Kaiſers erfüllt, war erſt Finnland erobert und auf der Balkanhalbinſel feſter Fuß gefaßt, ſo konnte das verſtärkte Ruß- land vielleicht dereinſt mit beſſerem Erfolge das Werk der Weltbefreiung wieder aufnehmen. Geblendet von ſolchen lockenden Ausſichten bemerkte

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/279>, abgerufen am 22.11.2024.