Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Vertrag von Bartenstein.
herzig, ohne jeden Hintergedanken betrieb er diese Pläne; keine einzige
seiner geheimen Staatsschriften verrieth noch irgendwelche versteckte Feind-
seligkeit gegen Oesterreich. Er glaubte durch den guten Vorsatz freund-
nachbarlicher Gesinnung einen uralten Gegensatz der Interessen völlig be-
seitigen zu können, und unleugbar entsprach seine Politik dem Bedürfniß
der nächsten Zukunft.

In diesem Sinne war auch der neue Bundesvertrag gehalten,
welchen Preußen und Rußland am 26. April in Bartenstein unterzeich-
neten. Die zwei Mächte verpflichteten sich die Waffen erst niederzulegen,
wenn Deutschland befreit und Frankreich über den Rhein zurückgeworfen
sei; das deutsche Gebiet sollte durch eine Festungsreihe auf dem linken
Rheinufer, Oesterreich im Südwesten durch Tyrol und die Minciolinie ge-
sichert werden; statt des Rheinbundes ein deutscher Bund von souveränen
Staaten unter der gemeinsamen Führung der beiden Großmächte, der-
gestalt, daß Oesterreich im Süden, Preußen im Norden den Oberbefehl
erhielte; Wiederherstellung Preußens auf den Besitzstand von 1805, mit
Abrundungen und verstärkten Grenzen; endlich Vergrößerung des welfischen
Hausbesitzes auf deutschem Boden und wo möglich Wiederaufrichtung der
Unabhängigkeit Hollands. Ein besonderer Artikel behielt der Hofburg den
Zutritt zu dem Bündniß ausdrücklich vor; auch auf den Anschluß Eng-
lands und Schwedens rechnete man sicher. Mit erstaunlicher Zuversicht
wurden hier schon fast alle die Gedanken verkündigt, welche das Jahr 1814
verwirklichen sollte.

Doch eben die Kühnheit dieser Politik erschreckte den Wiener Hof.
Graf Stadion hörte befremdet, daß man so verwegene Pläne ohne das
Zuthun der Hofburg zu entwerfen wagte, und wollte behutsam nicht über
den Preßburger Frieden hinausgehen. Und wie wenig entsprach doch die
russische Kriegführung dem stolzen Fluge der Hardenbergischen Entwürfe.
Allein die Laune des Glücks und die Tapferkeit der Soldaten hatten der
Mittelmäßigkeit des Generals Bennigsen die Lorbeeren von Eylau in den
Schooß geworfen; er hütete sich sorgsam seinen Ruhm wieder auf das
Spiel zu setzen, blieb vier Monate lang fast unbeweglich. Währenddem
entfaltete Napoleon im Winterquartier zu Osterode eine fieberhafte Thätig-
keit, verstärkte sein Heer, ließ die Conscription von 1808 zum Voraus
ausheben, die Rheinbundfürsten eine Reserve-Armee bilden, leitete aus
der Ferne die Vertheidigung von Konstantinopel gegen die englische Flotte
und betrieb zugleich die Belagerung von Danzig. Da dieser Platz ihm
als Stützpunkt für die Fortsetzung des Feldzugs dienen sollte, so entschloß
er sich, zum zweiten und letzten male in seinem Feldherrnleben, zu der
langsamen Arbeit des Festungskrieges, die er seit den Kämpfen um Mantua
immer verschmäht hatte. Die Festung wurde durch General Kalkreuth
tapfer vertheidigt; bei den Entsatzversuchen that sich schon ein großer
Name des neuen deutschen Heeres, Oberst Bülow, glänzend hervor. Aber

Vertrag von Bartenſtein.
herzig, ohne jeden Hintergedanken betrieb er dieſe Pläne; keine einzige
ſeiner geheimen Staatsſchriften verrieth noch irgendwelche verſteckte Feind-
ſeligkeit gegen Oeſterreich. Er glaubte durch den guten Vorſatz freund-
nachbarlicher Geſinnung einen uralten Gegenſatz der Intereſſen völlig be-
ſeitigen zu können, und unleugbar entſprach ſeine Politik dem Bedürfniß
der nächſten Zukunft.

In dieſem Sinne war auch der neue Bundesvertrag gehalten,
welchen Preußen und Rußland am 26. April in Bartenſtein unterzeich-
neten. Die zwei Mächte verpflichteten ſich die Waffen erſt niederzulegen,
wenn Deutſchland befreit und Frankreich über den Rhein zurückgeworfen
ſei; das deutſche Gebiet ſollte durch eine Feſtungsreihe auf dem linken
Rheinufer, Oeſterreich im Südweſten durch Tyrol und die Minciolinie ge-
ſichert werden; ſtatt des Rheinbundes ein deutſcher Bund von ſouveränen
Staaten unter der gemeinſamen Führung der beiden Großmächte, der-
geſtalt, daß Oeſterreich im Süden, Preußen im Norden den Oberbefehl
erhielte; Wiederherſtellung Preußens auf den Beſitzſtand von 1805, mit
Abrundungen und verſtärkten Grenzen; endlich Vergrößerung des welfiſchen
Hausbeſitzes auf deutſchem Boden und wo möglich Wiederaufrichtung der
Unabhängigkeit Hollands. Ein beſonderer Artikel behielt der Hofburg den
Zutritt zu dem Bündniß ausdrücklich vor; auch auf den Anſchluß Eng-
lands und Schwedens rechnete man ſicher. Mit erſtaunlicher Zuverſicht
wurden hier ſchon faſt alle die Gedanken verkündigt, welche das Jahr 1814
verwirklichen ſollte.

Doch eben die Kühnheit dieſer Politik erſchreckte den Wiener Hof.
Graf Stadion hörte befremdet, daß man ſo verwegene Pläne ohne das
Zuthun der Hofburg zu entwerfen wagte, und wollte behutſam nicht über
den Preßburger Frieden hinausgehen. Und wie wenig entſprach doch die
ruſſiſche Kriegführung dem ſtolzen Fluge der Hardenbergiſchen Entwürfe.
Allein die Laune des Glücks und die Tapferkeit der Soldaten hatten der
Mittelmäßigkeit des Generals Bennigſen die Lorbeeren von Eylau in den
Schooß geworfen; er hütete ſich ſorgſam ſeinen Ruhm wieder auf das
Spiel zu ſetzen, blieb vier Monate lang faſt unbeweglich. Währenddem
entfaltete Napoleon im Winterquartier zu Oſterode eine fieberhafte Thätig-
keit, verſtärkte ſein Heer, ließ die Conſcription von 1808 zum Voraus
ausheben, die Rheinbundfürſten eine Reſerve-Armee bilden, leitete aus
der Ferne die Vertheidigung von Konſtantinopel gegen die engliſche Flotte
und betrieb zugleich die Belagerung von Danzig. Da dieſer Platz ihm
als Stützpunkt für die Fortſetzung des Feldzugs dienen ſollte, ſo entſchloß
er ſich, zum zweiten und letzten male in ſeinem Feldherrnleben, zu der
langſamen Arbeit des Feſtungskrieges, die er ſeit den Kämpfen um Mantua
immer verſchmäht hatte. Die Feſtung wurde durch General Kalkreuth
tapfer vertheidigt; bei den Entſatzverſuchen that ſich ſchon ein großer
Name des neuen deutſchen Heeres, Oberſt Bülow, glänzend hervor. Aber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0277" n="261"/><fw place="top" type="header">Vertrag von Barten&#x017F;tein.</fw><lb/>
herzig, ohne jeden Hintergedanken betrieb er die&#x017F;e Pläne; keine einzige<lb/>
&#x017F;einer geheimen Staats&#x017F;chriften verrieth noch irgendwelche ver&#x017F;teckte Feind-<lb/>
&#x017F;eligkeit gegen Oe&#x017F;terreich. Er glaubte durch den guten Vor&#x017F;atz freund-<lb/>
nachbarlicher Ge&#x017F;innung einen uralten Gegen&#x017F;atz der Intere&#x017F;&#x017F;en völlig be-<lb/>
&#x017F;eitigen zu können, und unleugbar ent&#x017F;prach &#x017F;eine Politik dem Bedürfniß<lb/>
der näch&#x017F;ten Zukunft.</p><lb/>
            <p>In die&#x017F;em Sinne war auch der neue Bundesvertrag gehalten,<lb/>
welchen Preußen und Rußland am 26. April in Barten&#x017F;tein unterzeich-<lb/>
neten. Die zwei Mächte verpflichteten &#x017F;ich die Waffen er&#x017F;t niederzulegen,<lb/>
wenn Deut&#x017F;chland befreit und Frankreich über den Rhein zurückgeworfen<lb/>
&#x017F;ei; das deut&#x017F;che Gebiet &#x017F;ollte durch eine Fe&#x017F;tungsreihe auf dem linken<lb/>
Rheinufer, Oe&#x017F;terreich im Südwe&#x017F;ten durch Tyrol und die Minciolinie ge-<lb/>
&#x017F;ichert werden; &#x017F;tatt des Rheinbundes ein deut&#x017F;cher Bund von &#x017F;ouveränen<lb/>
Staaten unter der gemein&#x017F;amen Führung der beiden Großmächte, der-<lb/>
ge&#x017F;talt, daß Oe&#x017F;terreich im Süden, Preußen im Norden den Oberbefehl<lb/>
erhielte; Wiederher&#x017F;tellung Preußens auf den Be&#x017F;itz&#x017F;tand von 1805, mit<lb/>
Abrundungen und ver&#x017F;tärkten Grenzen; endlich Vergrößerung des welfi&#x017F;chen<lb/>
Hausbe&#x017F;itzes auf deut&#x017F;chem Boden und wo möglich Wiederaufrichtung der<lb/>
Unabhängigkeit Hollands. Ein be&#x017F;onderer Artikel behielt der Hofburg den<lb/>
Zutritt zu dem Bündniß ausdrücklich vor; auch auf den An&#x017F;chluß Eng-<lb/>
lands und Schwedens rechnete man &#x017F;icher. Mit er&#x017F;taunlicher Zuver&#x017F;icht<lb/>
wurden hier &#x017F;chon fa&#x017F;t alle die Gedanken verkündigt, welche das Jahr 1814<lb/>
verwirklichen &#x017F;ollte.</p><lb/>
            <p>Doch eben die Kühnheit die&#x017F;er Politik er&#x017F;chreckte den Wiener Hof.<lb/>
Graf Stadion hörte befremdet, daß man &#x017F;o verwegene Pläne ohne das<lb/>
Zuthun der Hofburg zu entwerfen wagte, und wollte behut&#x017F;am nicht über<lb/>
den Preßburger Frieden hinausgehen. Und wie wenig ent&#x017F;prach doch die<lb/>
ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Kriegführung dem &#x017F;tolzen Fluge der Hardenbergi&#x017F;chen Entwürfe.<lb/>
Allein die Laune des Glücks und die Tapferkeit der Soldaten hatten der<lb/>
Mittelmäßigkeit des Generals Bennig&#x017F;en die Lorbeeren von Eylau in den<lb/>
Schooß geworfen; er hütete &#x017F;ich &#x017F;org&#x017F;am &#x017F;einen Ruhm wieder auf das<lb/>
Spiel zu &#x017F;etzen, blieb vier Monate lang fa&#x017F;t unbeweglich. Währenddem<lb/>
entfaltete Napoleon im Winterquartier zu O&#x017F;terode eine fieberhafte Thätig-<lb/>
keit, ver&#x017F;tärkte &#x017F;ein Heer, ließ die Con&#x017F;cription von 1808 zum Voraus<lb/>
ausheben, die Rheinbundfür&#x017F;ten eine Re&#x017F;erve-Armee bilden, leitete aus<lb/>
der Ferne die Vertheidigung von Kon&#x017F;tantinopel gegen die engli&#x017F;che Flotte<lb/>
und betrieb zugleich die Belagerung von Danzig. Da die&#x017F;er Platz ihm<lb/>
als Stützpunkt für die Fort&#x017F;etzung des Feldzugs dienen &#x017F;ollte, &#x017F;o ent&#x017F;chloß<lb/>
er &#x017F;ich, zum zweiten und letzten male in &#x017F;einem Feldherrnleben, zu der<lb/>
lang&#x017F;amen Arbeit des Fe&#x017F;tungskrieges, die er &#x017F;eit den Kämpfen um Mantua<lb/>
immer ver&#x017F;chmäht hatte. Die Fe&#x017F;tung wurde durch General Kalkreuth<lb/>
tapfer vertheidigt; bei den Ent&#x017F;atzver&#x017F;uchen that &#x017F;ich &#x017F;chon ein großer<lb/>
Name des neuen deut&#x017F;chen Heeres, Ober&#x017F;t Bülow, glänzend hervor. Aber<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[261/0277] Vertrag von Bartenſtein. herzig, ohne jeden Hintergedanken betrieb er dieſe Pläne; keine einzige ſeiner geheimen Staatsſchriften verrieth noch irgendwelche verſteckte Feind- ſeligkeit gegen Oeſterreich. Er glaubte durch den guten Vorſatz freund- nachbarlicher Geſinnung einen uralten Gegenſatz der Intereſſen völlig be- ſeitigen zu können, und unleugbar entſprach ſeine Politik dem Bedürfniß der nächſten Zukunft. In dieſem Sinne war auch der neue Bundesvertrag gehalten, welchen Preußen und Rußland am 26. April in Bartenſtein unterzeich- neten. Die zwei Mächte verpflichteten ſich die Waffen erſt niederzulegen, wenn Deutſchland befreit und Frankreich über den Rhein zurückgeworfen ſei; das deutſche Gebiet ſollte durch eine Feſtungsreihe auf dem linken Rheinufer, Oeſterreich im Südweſten durch Tyrol und die Minciolinie ge- ſichert werden; ſtatt des Rheinbundes ein deutſcher Bund von ſouveränen Staaten unter der gemeinſamen Führung der beiden Großmächte, der- geſtalt, daß Oeſterreich im Süden, Preußen im Norden den Oberbefehl erhielte; Wiederherſtellung Preußens auf den Beſitzſtand von 1805, mit Abrundungen und verſtärkten Grenzen; endlich Vergrößerung des welfiſchen Hausbeſitzes auf deutſchem Boden und wo möglich Wiederaufrichtung der Unabhängigkeit Hollands. Ein beſonderer Artikel behielt der Hofburg den Zutritt zu dem Bündniß ausdrücklich vor; auch auf den Anſchluß Eng- lands und Schwedens rechnete man ſicher. Mit erſtaunlicher Zuverſicht wurden hier ſchon faſt alle die Gedanken verkündigt, welche das Jahr 1814 verwirklichen ſollte. Doch eben die Kühnheit dieſer Politik erſchreckte den Wiener Hof. Graf Stadion hörte befremdet, daß man ſo verwegene Pläne ohne das Zuthun der Hofburg zu entwerfen wagte, und wollte behutſam nicht über den Preßburger Frieden hinausgehen. Und wie wenig entſprach doch die ruſſiſche Kriegführung dem ſtolzen Fluge der Hardenbergiſchen Entwürfe. Allein die Laune des Glücks und die Tapferkeit der Soldaten hatten der Mittelmäßigkeit des Generals Bennigſen die Lorbeeren von Eylau in den Schooß geworfen; er hütete ſich ſorgſam ſeinen Ruhm wieder auf das Spiel zu ſetzen, blieb vier Monate lang faſt unbeweglich. Währenddem entfaltete Napoleon im Winterquartier zu Oſterode eine fieberhafte Thätig- keit, verſtärkte ſein Heer, ließ die Conſcription von 1808 zum Voraus ausheben, die Rheinbundfürſten eine Reſerve-Armee bilden, leitete aus der Ferne die Vertheidigung von Konſtantinopel gegen die engliſche Flotte und betrieb zugleich die Belagerung von Danzig. Da dieſer Platz ihm als Stützpunkt für die Fortſetzung des Feldzugs dienen ſollte, ſo entſchloß er ſich, zum zweiten und letzten male in ſeinem Feldherrnleben, zu der langſamen Arbeit des Feſtungskrieges, die er ſeit den Kämpfen um Mantua immer verſchmäht hatte. Die Feſtung wurde durch General Kalkreuth tapfer vertheidigt; bei den Entſatzverſuchen that ſich ſchon ein großer Name des neuen deutſchen Heeres, Oberſt Bülow, glänzend hervor. Aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/277
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/277>, abgerufen am 22.11.2024.