Kriege verwenden wollte. So fanden denn die Kleinfürsten Thüringens und Westphalens eine leidliche Aufnahme, als sie, die Einen persönlich, die Andern durch ihre Minister, im Hauptquartiere zu Posen die Gnade des Siegers anflehten. Zum dritten male begann das ekelhafte Schau- spiel des deutschen Länderhandels, zum dritten male floß das Gold deutscher Fürsten in die unergründlichen Taschen der napoleonischen Diplomatie, und das Geschäft verlief glücklich, da die bedrängten Kleinen in dem nassauischen Staatsmanne Hans von Gagern einen rührigen und un- eigennützigen Makler fanden. Dieser wunderliche Verehrer der altdeutschen Freiheit hatte aus seinen gelehrten reichsgeschichtlichen Forschungen den Schluß gezogen, daß der reine Germanismus, die wahre Größe Deutsch- lands in der buntscheckigen Zersplitterung seines Staatslebens bestehe. Als er nun von den Aengsten der kleinen Herren des Nordens erfuhr, eilte er spornstreichs herbei, nahm sich der Bedrohten an und hielt durch seine vielgeschäftige Zudringlichkeit seinen alten Gönner Talleyrand der- maßen in Athem, daß der Franzose, ohnehin ein stolzer Aristokrat und dem deutschen hohen Adel wohlgesinnt, endlich auf alle Wünsche des Unermüdlichen einging. Auch der Humor fehlte nicht, der eines solchen Gegenstandes würdig war. "Schenken Sie mir einige Ihrer kleinen Fürsten", rief einmal Talleyrands Gehilfe Labesnardiere. "Nicht einen", erwiderte der heitere Lebensretter der Kleinstaaterei, "Sie müssen sie alle hinunterschlucken, und sollten Sie daran ersticken!"
So geschah es, daß die Ernestiner und die Ascanier, die Reuß und Schwarzburg, die Lippe und Waldeck als Souveräne in den Rheinbund eintraten. Der Graf von Bückeburg erschlich sich nebenbei den Fürstentitel, da die Franzosen das Geschäft mit geringschätziger Leichtfertigkeit betrieben und in dem Vertrage kurzweg von den beiden Fürsten von Lippe sprachen. Napoleon aber klagte nachher ärgerlich, in diesem Handel sei er zum ersten male betrogen worden; hätte er gewußt, wo die Reuß, Lippe und Waldeck eigentlich säßen, so würden sie ihre Throne nicht behalten haben. Er ver- gaß auch niemals, daß diese Dynasten des Nordens einst den Kern der preußischen Partei im Reiche gebildet hatten. Darum blieb er ihnen stets ein gestrenger Herr, gönnte ihnen keine Vergrößerung, nahm sie nicht in seine Verwandtschaft auf, während er dem Dresdner und den süddeutschen Höfen nach seiner brutalen Art einiges Wohlwollen erwies. Darum blieb auch das patriarchalische Völkchen der norddeutschen Kleinstaaten ganz un- berührt von dem Napoleonscultus, der in Kursachsen und Süddeutschland so viele Anhänger fand; der Bauersmann in Thüringen und Mecklenburg fühlte sich persönlich gekränkt, wenn er seinen angestammten Herzog in demüthiger Haltung neben den fremden Gewalthabern sah. Genug, noch während des Krieges wurde Preußen, wie im Sommer vorher Oesterreich, aus Deutschland hinausgestoßen, die Gesammtheit der Mittel- und Klein- staaten dem Protector des Rheinbundes unterworfen.
I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
Kriege verwenden wollte. So fanden denn die Kleinfürſten Thüringens und Weſtphalens eine leidliche Aufnahme, als ſie, die Einen perſönlich, die Andern durch ihre Miniſter, im Hauptquartiere zu Poſen die Gnade des Siegers anflehten. Zum dritten male begann das ekelhafte Schau- ſpiel des deutſchen Länderhandels, zum dritten male floß das Gold deutſcher Fürſten in die unergründlichen Taſchen der napoleoniſchen Diplomatie, und das Geſchäft verlief glücklich, da die bedrängten Kleinen in dem naſſauiſchen Staatsmanne Hans von Gagern einen rührigen und un- eigennützigen Makler fanden. Dieſer wunderliche Verehrer der altdeutſchen Freiheit hatte aus ſeinen gelehrten reichsgeſchichtlichen Forſchungen den Schluß gezogen, daß der reine Germanismus, die wahre Größe Deutſch- lands in der buntſcheckigen Zerſplitterung ſeines Staatslebens beſtehe. Als er nun von den Aengſten der kleinen Herren des Nordens erfuhr, eilte er ſpornſtreichs herbei, nahm ſich der Bedrohten an und hielt durch ſeine vielgeſchäftige Zudringlichkeit ſeinen alten Gönner Talleyrand der- maßen in Athem, daß der Franzoſe, ohnehin ein ſtolzer Ariſtokrat und dem deutſchen hohen Adel wohlgeſinnt, endlich auf alle Wünſche des Unermüdlichen einging. Auch der Humor fehlte nicht, der eines ſolchen Gegenſtandes würdig war. „Schenken Sie mir einige Ihrer kleinen Fürſten“, rief einmal Talleyrands Gehilfe Labesnardiere. „Nicht einen“, erwiderte der heitere Lebensretter der Kleinſtaaterei, „Sie müſſen ſie alle hinunterſchlucken, und ſollten Sie daran erſticken!“
So geſchah es, daß die Erneſtiner und die Ascanier, die Reuß und Schwarzburg, die Lippe und Waldeck als Souveräne in den Rheinbund eintraten. Der Graf von Bückeburg erſchlich ſich nebenbei den Fürſtentitel, da die Franzoſen das Geſchäft mit geringſchätziger Leichtfertigkeit betrieben und in dem Vertrage kurzweg von den beiden Fürſten von Lippe ſprachen. Napoleon aber klagte nachher ärgerlich, in dieſem Handel ſei er zum erſten male betrogen worden; hätte er gewußt, wo die Reuß, Lippe und Waldeck eigentlich ſäßen, ſo würden ſie ihre Throne nicht behalten haben. Er ver- gaß auch niemals, daß dieſe Dynaſten des Nordens einſt den Kern der preußiſchen Partei im Reiche gebildet hatten. Darum blieb er ihnen ſtets ein geſtrenger Herr, gönnte ihnen keine Vergrößerung, nahm ſie nicht in ſeine Verwandtſchaft auf, während er dem Dresdner und den ſüddeutſchen Höfen nach ſeiner brutalen Art einiges Wohlwollen erwies. Darum blieb auch das patriarchaliſche Völkchen der norddeutſchen Kleinſtaaten ganz un- berührt von dem Napoleonscultus, der in Kurſachſen und Süddeutſchland ſo viele Anhänger fand; der Bauersmann in Thüringen und Mecklenburg fühlte ſich perſönlich gekränkt, wenn er ſeinen angeſtammten Herzog in demüthiger Haltung neben den fremden Gewalthabern ſah. Genug, noch während des Krieges wurde Preußen, wie im Sommer vorher Oeſterreich, aus Deutſchland hinausgeſtoßen, die Geſammtheit der Mittel- und Klein- ſtaaten dem Protector des Rheinbundes unterworfen.
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I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
Kriege verwenden wollte. So fanden denn die Kleinfürſten Thüringens
und Weſtphalens eine leidliche Aufnahme, als ſie, die Einen perſönlich,
die Andern durch ihre Miniſter, im Hauptquartiere zu Poſen die Gnade
des Siegers anflehten. Zum dritten male begann das ekelhafte Schau-
ſpiel des deutſchen Länderhandels, zum dritten male floß das Gold deutſcher
Fürſten in die unergründlichen Taſchen der napoleoniſchen Diplomatie,
und das Geſchäft verlief glücklich, da die bedrängten Kleinen in dem
naſſauiſchen Staatsmanne Hans von Gagern einen rührigen und un-
eigennützigen Makler fanden. Dieſer wunderliche Verehrer der altdeutſchen
Freiheit hatte aus ſeinen gelehrten reichsgeſchichtlichen Forſchungen den
Schluß gezogen, daß der reine Germanismus, die wahre Größe Deutſch-
lands in der buntſcheckigen Zerſplitterung ſeines Staatslebens beſtehe.
Als er nun von den Aengſten der kleinen Herren des Nordens erfuhr,
eilte er ſpornſtreichs herbei, nahm ſich der Bedrohten an und hielt durch
ſeine vielgeſchäftige Zudringlichkeit ſeinen alten Gönner Talleyrand der-
maßen in Athem, daß der Franzoſe, ohnehin ein ſtolzer Ariſtokrat und
dem deutſchen hohen Adel wohlgeſinnt, endlich auf alle Wünſche des
Unermüdlichen einging. Auch der Humor fehlte nicht, der eines ſolchen
Gegenſtandes würdig war. „Schenken Sie mir einige Ihrer kleinen
Fürſten“, rief einmal Talleyrands Gehilfe Labesnardiere. „Nicht einen“,
erwiderte der heitere Lebensretter der Kleinſtaaterei, „Sie müſſen ſie alle
hinunterſchlucken, und ſollten Sie daran erſticken!“
So geſchah es, daß die Erneſtiner und die Ascanier, die Reuß und
Schwarzburg, die Lippe und Waldeck als Souveräne in den Rheinbund
eintraten. Der Graf von Bückeburg erſchlich ſich nebenbei den Fürſtentitel,
da die Franzoſen das Geſchäft mit geringſchätziger Leichtfertigkeit betrieben
und in dem Vertrage kurzweg von den beiden Fürſten von Lippe ſprachen.
Napoleon aber klagte nachher ärgerlich, in dieſem Handel ſei er zum erſten
male betrogen worden; hätte er gewußt, wo die Reuß, Lippe und Waldeck
eigentlich ſäßen, ſo würden ſie ihre Throne nicht behalten haben. Er ver-
gaß auch niemals, daß dieſe Dynaſten des Nordens einſt den Kern der
preußiſchen Partei im Reiche gebildet hatten. Darum blieb er ihnen ſtets
ein geſtrenger Herr, gönnte ihnen keine Vergrößerung, nahm ſie nicht in
ſeine Verwandtſchaft auf, während er dem Dresdner und den ſüddeutſchen
Höfen nach ſeiner brutalen Art einiges Wohlwollen erwies. Darum blieb
auch das patriarchaliſche Völkchen der norddeutſchen Kleinſtaaten ganz un-
berührt von dem Napoleonscultus, der in Kurſachſen und Süddeutſchland
ſo viele Anhänger fand; der Bauersmann in Thüringen und Mecklenburg
fühlte ſich perſönlich gekränkt, wenn er ſeinen angeſtammten Herzog in
demüthiger Haltung neben den fremden Gewalthabern ſah. Genug, noch
während des Krieges wurde Preußen, wie im Sommer vorher Oeſterreich,
aus Deutſchland hinausgeſtoßen, die Geſammtheit der Mittel- und Klein-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/272>, abgerufen am 23.07.2024.
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