rettet hatte. Bald wurde verboten, daß irgend eine preußische Uniform sich in Berlin blicken lasse; auch die pensionirten alten Offiziere sollten den blauen Rock ausziehen. Dazu die unerschwinglichen Contributionen, dazu der Uebermuth, die Völlerei, die Erpressungen der Einquartierung. Am 21. November erließ Napoleon aus Berlin jenes unerhörte Decret, das allen Handel mit England verbot, alle englischen Waaren zur Confis- cation verurtheilte: das System der Continentalsperre ward begründet, Deutschlands Wohlstand auf Jahre hinaus gewaltsam unterbunden.
Es fehlte nicht an Zügen ehrloser Unterwürfigkeit; die Niedertracht, die in keinem Volke mangelt, erschien hier häßlicher als anderswo, denn deutsche Formlosigkeit versteht sich nicht, wie die feinere Bildung der Ro- manen, auf die zweifelhafte Kunst den äußeren Anstand mitten in der Gemeinheit zu wahren. Mancher schlechte Gesell bot dem Eroberer kriechend seine Dienste an. Lange, Buchholz und andere Chorführer der Berliner Auf- klärung verherrlichten den Sieg der Vernunft über das adliche Vorurtheil; der Haß des Volkes gegen den Uebermuth der Offiziere bekundete sich in einigen empörenden Auftritten roher Spötterei. Auch die schwerfällige Pedanterei und die gedankenlose Pünktlichkeit des Beamtenthums lähmten dem Staate die Widerstandskraft; alle Behörden besorgten in der wilden Zeit ruhig ihr gewohntes Tagewerk, also daß die einrückenden Sieger überall einen geordneten Verwaltungsapparat zu ihren Diensten vorfanden und mancher wohlmeinende alte Kriegsrath, ohne es selber recht zu merken, ein Werkzeug des Feindes wurde. Unter den Fällen offenbaren Verrathes erschien keiner so schmählich wie der Abfall Johannes Müllers. Den pathe- tischen Lobredner altdeutscher und schweizerischer Freiheit rissen die Triumphe des Imperators zu knechtischer Bewunderung hin; er hielt es an der Zeit sich gänzlich umzudenken, feierte in schwülstigen Perioden Napoleon und Friedrich als die Heroen der modernen Welt. Da sagte ihm sein alter Genosse Gentz empört die Freundschaft auf und wünschte ihm nur die eine Strafe von allmächtigem Gewicht: daß er den Usurpator gestürzt und Deutschland wieder frei und glücklich sehen möge! Minder unwürdig, doch ebenso krankhaft war die wissenschaftliche Gelassenheit, womit Hegel sich den Untergang seines Vaterlandes zurechtlegte: der meinte die Weltseele zu sehen, als Napoleon über das Feld von Jena sprengte, und zog aus dem Falle des alten Preußens die kluge Lehre, daß der Geist immer über geist- losen Verstand und Klügelei den Sieg davontrage. Ueberhaupt wurde dort in Thüringen der erste betäubende Eindruck des Unglücks rasch ver- wunden; erst unter dem unbarmherzigen Drucke der folgenden Jahre lernte das mitteldeutsche Volk, wie fest sein eigenes Leben mit dem Schicksale des preußischen Staates verwachsen war.
In den alten preußischen Provinzen begann der Umschwung der Stimmungen schon früher, unmittelbar nach den ersten Niederlagen. Napoleons zügelloser, beständig wachsender Haß gegen Preußen nährte sich
Napoleon in Berlin.
rettet hatte. Bald wurde verboten, daß irgend eine preußiſche Uniform ſich in Berlin blicken laſſe; auch die penſionirten alten Offiziere ſollten den blauen Rock ausziehen. Dazu die unerſchwinglichen Contributionen, dazu der Uebermuth, die Völlerei, die Erpreſſungen der Einquartierung. Am 21. November erließ Napoleon aus Berlin jenes unerhörte Decret, das allen Handel mit England verbot, alle engliſchen Waaren zur Confis- cation verurtheilte: das Syſtem der Continentalſperre ward begründet, Deutſchlands Wohlſtand auf Jahre hinaus gewaltſam unterbunden.
Es fehlte nicht an Zügen ehrloſer Unterwürfigkeit; die Niedertracht, die in keinem Volke mangelt, erſchien hier häßlicher als anderswo, denn deutſche Formloſigkeit verſteht ſich nicht, wie die feinere Bildung der Ro- manen, auf die zweifelhafte Kunſt den äußeren Anſtand mitten in der Gemeinheit zu wahren. Mancher ſchlechte Geſell bot dem Eroberer kriechend ſeine Dienſte an. Lange, Buchholz und andere Chorführer der Berliner Auf- klärung verherrlichten den Sieg der Vernunft über das adliche Vorurtheil; der Haß des Volkes gegen den Uebermuth der Offiziere bekundete ſich in einigen empörenden Auftritten roher Spötterei. Auch die ſchwerfällige Pedanterei und die gedankenloſe Pünktlichkeit des Beamtenthums lähmten dem Staate die Widerſtandskraft; alle Behörden beſorgten in der wilden Zeit ruhig ihr gewohntes Tagewerk, alſo daß die einrückenden Sieger überall einen geordneten Verwaltungsapparat zu ihren Dienſten vorfanden und mancher wohlmeinende alte Kriegsrath, ohne es ſelber recht zu merken, ein Werkzeug des Feindes wurde. Unter den Fällen offenbaren Verrathes erſchien keiner ſo ſchmählich wie der Abfall Johannes Müllers. Den pathe- tiſchen Lobredner altdeutſcher und ſchweizeriſcher Freiheit riſſen die Triumphe des Imperators zu knechtiſcher Bewunderung hin; er hielt es an der Zeit ſich gänzlich umzudenken, feierte in ſchwülſtigen Perioden Napoleon und Friedrich als die Heroen der modernen Welt. Da ſagte ihm ſein alter Genoſſe Gentz empört die Freundſchaft auf und wünſchte ihm nur die eine Strafe von allmächtigem Gewicht: daß er den Uſurpator geſtürzt und Deutſchland wieder frei und glücklich ſehen möge! Minder unwürdig, doch ebenſo krankhaft war die wiſſenſchaftliche Gelaſſenheit, womit Hegel ſich den Untergang ſeines Vaterlandes zurechtlegte: der meinte die Weltſeele zu ſehen, als Napoleon über das Feld von Jena ſprengte, und zog aus dem Falle des alten Preußens die kluge Lehre, daß der Geiſt immer über geiſt- loſen Verſtand und Klügelei den Sieg davontrage. Ueberhaupt wurde dort in Thüringen der erſte betäubende Eindruck des Unglücks raſch ver- wunden; erſt unter dem unbarmherzigen Drucke der folgenden Jahre lernte das mitteldeutſche Volk, wie feſt ſein eigenes Leben mit dem Schickſale des preußiſchen Staates verwachſen war.
In den alten preußiſchen Provinzen begann der Umſchwung der Stimmungen ſchon früher, unmittelbar nach den erſten Niederlagen. Napoleons zügelloſer, beſtändig wachſender Haß gegen Preußen nährte ſich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0267"n="251"/><fwplace="top"type="header">Napoleon in Berlin.</fw><lb/>
rettet hatte. Bald wurde verboten, daß irgend eine preußiſche Uniform<lb/>ſich in Berlin blicken laſſe; auch die penſionirten alten Offiziere ſollten den<lb/>
blauen Rock ausziehen. Dazu die unerſchwinglichen Contributionen, dazu<lb/>
der Uebermuth, die Völlerei, die Erpreſſungen der Einquartierung. Am<lb/>
21. November erließ Napoleon aus Berlin jenes unerhörte Decret, das<lb/>
allen Handel mit England verbot, alle engliſchen Waaren zur Confis-<lb/>
cation verurtheilte: das Syſtem der Continentalſperre ward begründet,<lb/>
Deutſchlands Wohlſtand auf Jahre hinaus gewaltſam unterbunden.</p><lb/><p>Es fehlte nicht an Zügen ehrloſer Unterwürfigkeit; die Niedertracht,<lb/>
die in keinem Volke mangelt, erſchien hier häßlicher als anderswo, denn<lb/>
deutſche Formloſigkeit verſteht ſich nicht, wie die feinere Bildung der Ro-<lb/>
manen, auf die zweifelhafte Kunſt den äußeren Anſtand mitten in der<lb/>
Gemeinheit zu wahren. Mancher ſchlechte Geſell bot dem Eroberer kriechend<lb/>ſeine Dienſte an. Lange, Buchholz und andere Chorführer der Berliner Auf-<lb/>
klärung verherrlichten den Sieg der Vernunft über das adliche Vorurtheil;<lb/>
der Haß des Volkes gegen den Uebermuth der Offiziere bekundete ſich in<lb/>
einigen empörenden Auftritten roher Spötterei. Auch die ſchwerfällige<lb/>
Pedanterei und die gedankenloſe Pünktlichkeit des Beamtenthums lähmten<lb/>
dem Staate die Widerſtandskraft; alle Behörden beſorgten in der wilden<lb/>
Zeit ruhig ihr gewohntes Tagewerk, alſo daß die einrückenden Sieger<lb/>
überall einen geordneten Verwaltungsapparat zu ihren Dienſten vorfanden<lb/>
und mancher wohlmeinende alte Kriegsrath, ohne es ſelber recht zu merken,<lb/>
ein Werkzeug des Feindes wurde. Unter den Fällen offenbaren Verrathes<lb/>
erſchien keiner ſo ſchmählich wie der Abfall Johannes Müllers. Den pathe-<lb/>
tiſchen Lobredner altdeutſcher und ſchweizeriſcher Freiheit riſſen die Triumphe<lb/>
des Imperators zu knechtiſcher Bewunderung hin; er hielt es an der Zeit<lb/>ſich gänzlich umzudenken, feierte in ſchwülſtigen Perioden Napoleon und<lb/>
Friedrich als die Heroen der modernen Welt. Da ſagte ihm ſein alter<lb/>
Genoſſe Gentz empört die Freundſchaft auf und wünſchte ihm nur die<lb/>
eine Strafe von allmächtigem Gewicht: daß er den Uſurpator geſtürzt und<lb/>
Deutſchland wieder frei und glücklich ſehen möge! Minder unwürdig, doch<lb/>
ebenſo krankhaft war die wiſſenſchaftliche Gelaſſenheit, womit Hegel ſich<lb/>
den Untergang ſeines Vaterlandes zurechtlegte: der meinte die Weltſeele zu<lb/>ſehen, als Napoleon über das Feld von Jena ſprengte, und zog aus dem<lb/>
Falle des alten Preußens die kluge Lehre, daß der Geiſt immer über geiſt-<lb/>
loſen Verſtand und Klügelei den Sieg davontrage. Ueberhaupt wurde<lb/>
dort in Thüringen der erſte betäubende Eindruck des Unglücks raſch ver-<lb/>
wunden; erſt unter dem unbarmherzigen Drucke der folgenden Jahre lernte<lb/>
das mitteldeutſche Volk, wie feſt ſein eigenes Leben mit dem Schickſale des<lb/>
preußiſchen Staates verwachſen war.</p><lb/><p>In den alten preußiſchen Provinzen begann der Umſchwung der<lb/>
Stimmungen ſchon früher, unmittelbar nach den erſten Niederlagen.<lb/>
Napoleons zügelloſer, beſtändig wachſender Haß gegen Preußen nährte ſich<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[251/0267]
Napoleon in Berlin.
rettet hatte. Bald wurde verboten, daß irgend eine preußiſche Uniform
ſich in Berlin blicken laſſe; auch die penſionirten alten Offiziere ſollten den
blauen Rock ausziehen. Dazu die unerſchwinglichen Contributionen, dazu
der Uebermuth, die Völlerei, die Erpreſſungen der Einquartierung. Am
21. November erließ Napoleon aus Berlin jenes unerhörte Decret, das
allen Handel mit England verbot, alle engliſchen Waaren zur Confis-
cation verurtheilte: das Syſtem der Continentalſperre ward begründet,
Deutſchlands Wohlſtand auf Jahre hinaus gewaltſam unterbunden.
Es fehlte nicht an Zügen ehrloſer Unterwürfigkeit; die Niedertracht,
die in keinem Volke mangelt, erſchien hier häßlicher als anderswo, denn
deutſche Formloſigkeit verſteht ſich nicht, wie die feinere Bildung der Ro-
manen, auf die zweifelhafte Kunſt den äußeren Anſtand mitten in der
Gemeinheit zu wahren. Mancher ſchlechte Geſell bot dem Eroberer kriechend
ſeine Dienſte an. Lange, Buchholz und andere Chorführer der Berliner Auf-
klärung verherrlichten den Sieg der Vernunft über das adliche Vorurtheil;
der Haß des Volkes gegen den Uebermuth der Offiziere bekundete ſich in
einigen empörenden Auftritten roher Spötterei. Auch die ſchwerfällige
Pedanterei und die gedankenloſe Pünktlichkeit des Beamtenthums lähmten
dem Staate die Widerſtandskraft; alle Behörden beſorgten in der wilden
Zeit ruhig ihr gewohntes Tagewerk, alſo daß die einrückenden Sieger
überall einen geordneten Verwaltungsapparat zu ihren Dienſten vorfanden
und mancher wohlmeinende alte Kriegsrath, ohne es ſelber recht zu merken,
ein Werkzeug des Feindes wurde. Unter den Fällen offenbaren Verrathes
erſchien keiner ſo ſchmählich wie der Abfall Johannes Müllers. Den pathe-
tiſchen Lobredner altdeutſcher und ſchweizeriſcher Freiheit riſſen die Triumphe
des Imperators zu knechtiſcher Bewunderung hin; er hielt es an der Zeit
ſich gänzlich umzudenken, feierte in ſchwülſtigen Perioden Napoleon und
Friedrich als die Heroen der modernen Welt. Da ſagte ihm ſein alter
Genoſſe Gentz empört die Freundſchaft auf und wünſchte ihm nur die
eine Strafe von allmächtigem Gewicht: daß er den Uſurpator geſtürzt und
Deutſchland wieder frei und glücklich ſehen möge! Minder unwürdig, doch
ebenſo krankhaft war die wiſſenſchaftliche Gelaſſenheit, womit Hegel ſich
den Untergang ſeines Vaterlandes zurechtlegte: der meinte die Weltſeele zu
ſehen, als Napoleon über das Feld von Jena ſprengte, und zog aus dem
Falle des alten Preußens die kluge Lehre, daß der Geiſt immer über geiſt-
loſen Verſtand und Klügelei den Sieg davontrage. Ueberhaupt wurde
dort in Thüringen der erſte betäubende Eindruck des Unglücks raſch ver-
wunden; erſt unter dem unbarmherzigen Drucke der folgenden Jahre lernte
das mitteldeutſche Volk, wie feſt ſein eigenes Leben mit dem Schickſale des
preußiſchen Staates verwachſen war.
In den alten preußiſchen Provinzen begann der Umſchwung der
Stimmungen ſchon früher, unmittelbar nach den erſten Niederlagen.
Napoleons zügelloſer, beſtändig wachſender Haß gegen Preußen nährte ſich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/267>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.