nach der Schlacht wurden die preußischen Gebiete links der Elbe, sowie die Besitzungen der Oranier und des hessischen Kurhauses vorläufig dem französischen Kaiserreiche einverleibt. Das System zweideutiger Neutra- lität, das der Kurfürst von Hessen mit Napoleons Zustimmung einge- halten, fand jetzt seine Strafe: der Sieger wollte den geheimen Feind in seinem Rücken nicht mehr dulden. In Münster feierte die altständische Libertät jubelnd die Erlösung vom preußischen Joche; man riß die schwarz- weißen Schlagbäume nieder, französische und münsterländische Fahnen ver- herrlichten den Einzug der napoleonischen Truppen. Auch in Hannover wurden die schwarzen Adler eilfertig abgenommen und die Entfernung der preußischen Beamten mit unverhohlener Schadenfreude begrüßt.
Während also die neuen Provinzen verloren gingen, erlitt die Reserve- armee bei Halle eine Niederlage, und da sie nach Magdeburg zurückwich statt die Hauptstadt zu sichern, so konnte Napoleon ungehindert auf der Sehne des weiten Bogens, den die Besiegten beschrieben, seinen Siegeszug nach Berlin fortsetzen. Furchtbar rächte sich nun der selbstgefällige Hochmuth der bequemen Friedenszeiten. Keiner der festen Plätze war gerüstet; denn Niemand hatte das Vordringen des Feindes bis in das Herz der Mo- narchie für denkbar gehalten; der schwerfällige Staatshaushalt, der nach der Weise eines guten Hausvaters die Ausgaben nach den Einnahmen bemaß, gebot auch gar nicht über die Mittel für außerordentliche Fälle. Mancher der abgelebten alten Festungscommandanten war in jungen Jahren ein wackerer Offizier gewesen, doch ihr Pflichtgefühl entsprang nicht der Vaterlandsliebe, sondern dem Standesstolze; das Heer war ihnen Alles, erfroren in steifem Dünkel erwarteten sie gelassen den un- fehlbaren Sieg der fridericianischen Regimenter. Als nun die sinnver- wirrende Kunde von der Niederlage durch das Land flog, als die elenden Trümmer dieses unüberwindlichen Heeres in Magdeburg anlangten, die ganze Stadt mit Schrecken und Verwirrung füllend, da ward den alten Herren zu Muthe, als ginge die Welt unter; jeder Widerstand schien ihnen nutzlos, was ihrem Leben Halt gegeben war zerbrochen. Nach dem Falle von Erfurt, das sogleich nach der Schlacht schimpflich capitulirte, öffneten bald auch die Hauptfestungen des alten Staates, Magdeburg, Küstrin, Stettin, und mehrere kleinere Plätze ihre Thore.
Mit richtigem Gefühle warf das treue Volk seinen Zorn zumeist auf "die Federbüsche", die Generale; denn wie der Verlust der Doppelschlacht wesent- lich durch die Führung verschuldet war, so auch diese letzte Schmach. Ueberall zeigte die Haltung der Besatzungen, daß sie eines besseren Looses würdig waren. Junge Offiziere zerbrachen in wilder Verzweiflung ihre Degen, gemeine Soldaten setzten einander die Muskete auf die Brust und feuerten ab um nur den Schimpf der Capitulation nicht zu erleben; in Küstrin meuterten mehrere Bataillone gegen den ehrlosen Commandanten. Aber so machtlos war noch das öffentliche Urtheil: keiner dieser pflichtvergesse-
Die Capitulationen.
nach der Schlacht wurden die preußiſchen Gebiete links der Elbe, ſowie die Beſitzungen der Oranier und des heſſiſchen Kurhauſes vorläufig dem franzöſiſchen Kaiſerreiche einverleibt. Das Syſtem zweideutiger Neutra- lität, das der Kurfürſt von Heſſen mit Napoleons Zuſtimmung einge- halten, fand jetzt ſeine Strafe: der Sieger wollte den geheimen Feind in ſeinem Rücken nicht mehr dulden. In Münſter feierte die altſtändiſche Libertät jubelnd die Erlöſung vom preußiſchen Joche; man riß die ſchwarz- weißen Schlagbäume nieder, franzöſiſche und münſterländiſche Fahnen ver- herrlichten den Einzug der napoleoniſchen Truppen. Auch in Hannover wurden die ſchwarzen Adler eilfertig abgenommen und die Entfernung der preußiſchen Beamten mit unverhohlener Schadenfreude begrüßt.
Während alſo die neuen Provinzen verloren gingen, erlitt die Reſerve- armee bei Halle eine Niederlage, und da ſie nach Magdeburg zurückwich ſtatt die Hauptſtadt zu ſichern, ſo konnte Napoleon ungehindert auf der Sehne des weiten Bogens, den die Beſiegten beſchrieben, ſeinen Siegeszug nach Berlin fortſetzen. Furchtbar rächte ſich nun der ſelbſtgefällige Hochmuth der bequemen Friedenszeiten. Keiner der feſten Plätze war gerüſtet; denn Niemand hatte das Vordringen des Feindes bis in das Herz der Mo- narchie für denkbar gehalten; der ſchwerfällige Staatshaushalt, der nach der Weiſe eines guten Hausvaters die Ausgaben nach den Einnahmen bemaß, gebot auch gar nicht über die Mittel für außerordentliche Fälle. Mancher der abgelebten alten Feſtungscommandanten war in jungen Jahren ein wackerer Offizier geweſen, doch ihr Pflichtgefühl entſprang nicht der Vaterlandsliebe, ſondern dem Standesſtolze; das Heer war ihnen Alles, erfroren in ſteifem Dünkel erwarteten ſie gelaſſen den un- fehlbaren Sieg der fridericianiſchen Regimenter. Als nun die ſinnver- wirrende Kunde von der Niederlage durch das Land flog, als die elenden Trümmer dieſes unüberwindlichen Heeres in Magdeburg anlangten, die ganze Stadt mit Schrecken und Verwirrung füllend, da ward den alten Herren zu Muthe, als ginge die Welt unter; jeder Widerſtand ſchien ihnen nutzlos, was ihrem Leben Halt gegeben war zerbrochen. Nach dem Falle von Erfurt, das ſogleich nach der Schlacht ſchimpflich capitulirte, öffneten bald auch die Hauptfeſtungen des alten Staates, Magdeburg, Küſtrin, Stettin, und mehrere kleinere Plätze ihre Thore.
Mit richtigem Gefühle warf das treue Volk ſeinen Zorn zumeiſt auf „die Federbüſche“, die Generale; denn wie der Verluſt der Doppelſchlacht weſent- lich durch die Führung verſchuldet war, ſo auch dieſe letzte Schmach. Ueberall zeigte die Haltung der Beſatzungen, daß ſie eines beſſeren Looſes würdig waren. Junge Offiziere zerbrachen in wilder Verzweiflung ihre Degen, gemeine Soldaten ſetzten einander die Muskete auf die Bruſt und feuerten ab um nur den Schimpf der Capitulation nicht zu erleben; in Küſtrin meuterten mehrere Bataillone gegen den ehrloſen Commandanten. Aber ſo machtlos war noch das öffentliche Urtheil: keiner dieſer pflichtvergeſſe-
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Die Capitulationen.
nach der Schlacht wurden die preußiſchen Gebiete links der Elbe, ſowie
die Beſitzungen der Oranier und des heſſiſchen Kurhauſes vorläufig dem
franzöſiſchen Kaiſerreiche einverleibt. Das Syſtem zweideutiger Neutra-
lität, das der Kurfürſt von Heſſen mit Napoleons Zuſtimmung einge-
halten, fand jetzt ſeine Strafe: der Sieger wollte den geheimen Feind in
ſeinem Rücken nicht mehr dulden. In Münſter feierte die altſtändiſche
Libertät jubelnd die Erlöſung vom preußiſchen Joche; man riß die ſchwarz-
weißen Schlagbäume nieder, franzöſiſche und münſterländiſche Fahnen ver-
herrlichten den Einzug der napoleoniſchen Truppen. Auch in Hannover
wurden die ſchwarzen Adler eilfertig abgenommen und die Entfernung der
preußiſchen Beamten mit unverhohlener Schadenfreude begrüßt.
Während alſo die neuen Provinzen verloren gingen, erlitt die Reſerve-
armee bei Halle eine Niederlage, und da ſie nach Magdeburg zurückwich ſtatt
die Hauptſtadt zu ſichern, ſo konnte Napoleon ungehindert auf der Sehne
des weiten Bogens, den die Beſiegten beſchrieben, ſeinen Siegeszug nach
Berlin fortſetzen. Furchtbar rächte ſich nun der ſelbſtgefällige Hochmuth
der bequemen Friedenszeiten. Keiner der feſten Plätze war gerüſtet; denn
Niemand hatte das Vordringen des Feindes bis in das Herz der Mo-
narchie für denkbar gehalten; der ſchwerfällige Staatshaushalt, der nach
der Weiſe eines guten Hausvaters die Ausgaben nach den Einnahmen
bemaß, gebot auch gar nicht über die Mittel für außerordentliche Fälle.
Mancher der abgelebten alten Feſtungscommandanten war in jungen
Jahren ein wackerer Offizier geweſen, doch ihr Pflichtgefühl entſprang
nicht der Vaterlandsliebe, ſondern dem Standesſtolze; das Heer war
ihnen Alles, erfroren in ſteifem Dünkel erwarteten ſie gelaſſen den un-
fehlbaren Sieg der fridericianiſchen Regimenter. Als nun die ſinnver-
wirrende Kunde von der Niederlage durch das Land flog, als die elenden
Trümmer dieſes unüberwindlichen Heeres in Magdeburg anlangten, die
ganze Stadt mit Schrecken und Verwirrung füllend, da ward den alten
Herren zu Muthe, als ginge die Welt unter; jeder Widerſtand ſchien
ihnen nutzlos, was ihrem Leben Halt gegeben war zerbrochen. Nach dem
Falle von Erfurt, das ſogleich nach der Schlacht ſchimpflich capitulirte,
öffneten bald auch die Hauptfeſtungen des alten Staates, Magdeburg,
Küſtrin, Stettin, und mehrere kleinere Plätze ihre Thore.
Mit richtigem Gefühle warf das treue Volk ſeinen Zorn zumeiſt auf „die
Federbüſche“, die Generale; denn wie der Verluſt der Doppelſchlacht weſent-
lich durch die Führung verſchuldet war, ſo auch dieſe letzte Schmach. Ueberall
zeigte die Haltung der Beſatzungen, daß ſie eines beſſeren Looſes würdig waren.
Junge Offiziere zerbrachen in wilder Verzweiflung ihre Degen, gemeine
Soldaten ſetzten einander die Muskete auf die Bruſt und feuerten ab
um nur den Schimpf der Capitulation nicht zu erleben; in Küſtrin
meuterten mehrere Bataillone gegen den ehrloſen Commandanten. Aber
ſo machtlos war noch das öffentliche Urtheil: keiner dieſer pflichtvergeſſe-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/265>, abgerufen am 25.11.2024.
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