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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Scheitern des Norddeutschen Bundes.
hielt und in seinen Rheinfestungen unablässig rüstete, auf der Spitze seines
Degens dem Könige einen neuen noch schimpflicheren Unterwerfungsantrag
entgegenreichte? "Napoleon greift uns an das Herz", so schrieb General
Rüchel, "er bedroht Sachsen und Hessen wider die heiligsten seiner
Versicherungen." Nur das Schwert bot noch einen Ausweg aus der
völlig unhaltbaren Lage. Schon seit dem Winter ahnten die einsichtigen
Patrioten am Hofe, daß der Entscheidungskampf unaufhaltsam heran-
nahe. Im Vorgefühle der nahen Katastrophe versuchte der Finanzminister
Stein während des Frühjahrs den König von dem Einfluß seiner sub-
alternen Rathgeber zu befreien. Er entwarf eine Denkschrift über die
Gebrechen der Staatsregierung, das erste Programm seiner großen Re-
formpolitik: da Preußen keine Staatsverfassung hat und die oberste Ge-
walt nicht zwischen dem Oberhaupt und den Stellvertretern der Nation
getheilt ist, so scheint die Regierungsverfassung um so wichtiger; die Ge-
walt ist der Raub einer untergeordneten Influenz geworden; darum Auf-
hebung der geheimen Cabinetsregierung, und statt ihrer ein Staatsrath
und fünf Fachminister, in unmittelbarem Verkehre mit dem Könige; dazu
neue kräftige Männer, denn man muß die Personen ändern, wenn man
Maßregeln ändern will. Auch Blücher schalt mit seinem kühnen Frei-
muth laut wider die Rotte niederer Faulthiere, die den edlen König um-
lagere. Im September, kurz bevor die Würfel fielen, brachten dann
mehrere Prinzen des königlichen Hauses, Stein, Blücher und Rüchel eine
gemeinsame Vorstellung vor den Thron: sie sagten dem Könige "was ganz
Preußen, ganz Deutschland und Europa weiß", beschworen ihn, Haugwitz,
Beyme und Lombard zu entlassen. Wie tief mußte das feste Gefüge des
alten Absolutismus erschüttert sein, wenn königliche Prinzen einen solchen
Schritt wagen durften! Friedrich Wilhelm aber war nicht gesonnen das
Ansehen seiner Krone gefährden zu lassen, er nannte das Unterfangen
eine Meuterei, gab den Bittenden einen ungnädigen Bescheid. So blieben
denn die alte und die neue Zeit in den entscheidenden Aemtern unver-
mittelt neben einander: im Heere stand der Generalquartiermeister Scharn-
horst neben dem Oberfeldherrn, dem Herzog von Braunschweig, im Mini-
sterium saß Stein neben Haugwitz, im Cabinet trieb Lombard sein Wesen,
während Hardenberg dem Monarchen vertraulichen Rath ertheilte. Unter
solcher Leitung nahm die unförmliche alte Monarchie den Kampf auf wider
den Gewaltigen, von dem die Franzosen mit scheuer Bewunderung sagten:
er weiß Alles, er will Alles, er kann Alles!

Eine neue Verrätherei Napoleons führte endlich den Ausbruch des
unvermeidlichen Krieges herbei. Wie oft und feierlich hatte Frankreich
seinem preußischen Verbündeten den Besitz von Hannover gewährleistet;
nun erfuhr man plötzlich in Berlin, daß der Imperator, der den Sommer
über eine große Friedensverhandlung mit England und Rußland führte,
sich unbedenklich erboten habe den Welfen ihr Stammland wieder auszu-

Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 16

Scheitern des Norddeutſchen Bundes.
hielt und in ſeinen Rheinfeſtungen unabläſſig rüſtete, auf der Spitze ſeines
Degens dem Könige einen neuen noch ſchimpflicheren Unterwerfungsantrag
entgegenreichte? „Napoleon greift uns an das Herz“, ſo ſchrieb General
Rüchel, „er bedroht Sachſen und Heſſen wider die heiligſten ſeiner
Verſicherungen.“ Nur das Schwert bot noch einen Ausweg aus der
völlig unhaltbaren Lage. Schon ſeit dem Winter ahnten die einſichtigen
Patrioten am Hofe, daß der Entſcheidungskampf unaufhaltſam heran-
nahe. Im Vorgefühle der nahen Kataſtrophe verſuchte der Finanzminiſter
Stein während des Frühjahrs den König von dem Einfluß ſeiner ſub-
alternen Rathgeber zu befreien. Er entwarf eine Denkſchrift über die
Gebrechen der Staatsregierung, das erſte Programm ſeiner großen Re-
formpolitik: da Preußen keine Staatsverfaſſung hat und die oberſte Ge-
walt nicht zwiſchen dem Oberhaupt und den Stellvertretern der Nation
getheilt iſt, ſo ſcheint die Regierungsverfaſſung um ſo wichtiger; die Ge-
walt iſt der Raub einer untergeordneten Influenz geworden; darum Auf-
hebung der geheimen Cabinetsregierung, und ſtatt ihrer ein Staatsrath
und fünf Fachminiſter, in unmittelbarem Verkehre mit dem Könige; dazu
neue kräftige Männer, denn man muß die Perſonen ändern, wenn man
Maßregeln ändern will. Auch Blücher ſchalt mit ſeinem kühnen Frei-
muth laut wider die Rotte niederer Faulthiere, die den edlen König um-
lagere. Im September, kurz bevor die Würfel fielen, brachten dann
mehrere Prinzen des königlichen Hauſes, Stein, Blücher und Rüchel eine
gemeinſame Vorſtellung vor den Thron: ſie ſagten dem Könige „was ganz
Preußen, ganz Deutſchland und Europa weiß“, beſchworen ihn, Haugwitz,
Beyme und Lombard zu entlaſſen. Wie tief mußte das feſte Gefüge des
alten Abſolutismus erſchüttert ſein, wenn königliche Prinzen einen ſolchen
Schritt wagen durften! Friedrich Wilhelm aber war nicht geſonnen das
Anſehen ſeiner Krone gefährden zu laſſen, er nannte das Unterfangen
eine Meuterei, gab den Bittenden einen ungnädigen Beſcheid. So blieben
denn die alte und die neue Zeit in den entſcheidenden Aemtern unver-
mittelt neben einander: im Heere ſtand der Generalquartiermeiſter Scharn-
horſt neben dem Oberfeldherrn, dem Herzog von Braunſchweig, im Mini-
ſterium ſaß Stein neben Haugwitz, im Cabinet trieb Lombard ſein Weſen,
während Hardenberg dem Monarchen vertraulichen Rath ertheilte. Unter
ſolcher Leitung nahm die unförmliche alte Monarchie den Kampf auf wider
den Gewaltigen, von dem die Franzoſen mit ſcheuer Bewunderung ſagten:
er weiß Alles, er will Alles, er kann Alles!

Eine neue Verrätherei Napoleons führte endlich den Ausbruch des
unvermeidlichen Krieges herbei. Wie oft und feierlich hatte Frankreich
ſeinem preußiſchen Verbündeten den Beſitz von Hannover gewährleiſtet;
nun erfuhr man plötzlich in Berlin, daß der Imperator, der den Sommer
über eine große Friedensverhandlung mit England und Rußland führte,
ſich unbedenklich erboten habe den Welfen ihr Stammland wieder auszu-

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[241/0257] Scheitern des Norddeutſchen Bundes. hielt und in ſeinen Rheinfeſtungen unabläſſig rüſtete, auf der Spitze ſeines Degens dem Könige einen neuen noch ſchimpflicheren Unterwerfungsantrag entgegenreichte? „Napoleon greift uns an das Herz“, ſo ſchrieb General Rüchel, „er bedroht Sachſen und Heſſen wider die heiligſten ſeiner Verſicherungen.“ Nur das Schwert bot noch einen Ausweg aus der völlig unhaltbaren Lage. Schon ſeit dem Winter ahnten die einſichtigen Patrioten am Hofe, daß der Entſcheidungskampf unaufhaltſam heran- nahe. Im Vorgefühle der nahen Kataſtrophe verſuchte der Finanzminiſter Stein während des Frühjahrs den König von dem Einfluß ſeiner ſub- alternen Rathgeber zu befreien. Er entwarf eine Denkſchrift über die Gebrechen der Staatsregierung, das erſte Programm ſeiner großen Re- formpolitik: da Preußen keine Staatsverfaſſung hat und die oberſte Ge- walt nicht zwiſchen dem Oberhaupt und den Stellvertretern der Nation getheilt iſt, ſo ſcheint die Regierungsverfaſſung um ſo wichtiger; die Ge- walt iſt der Raub einer untergeordneten Influenz geworden; darum Auf- hebung der geheimen Cabinetsregierung, und ſtatt ihrer ein Staatsrath und fünf Fachminiſter, in unmittelbarem Verkehre mit dem Könige; dazu neue kräftige Männer, denn man muß die Perſonen ändern, wenn man Maßregeln ändern will. Auch Blücher ſchalt mit ſeinem kühnen Frei- muth laut wider die Rotte niederer Faulthiere, die den edlen König um- lagere. Im September, kurz bevor die Würfel fielen, brachten dann mehrere Prinzen des königlichen Hauſes, Stein, Blücher und Rüchel eine gemeinſame Vorſtellung vor den Thron: ſie ſagten dem Könige „was ganz Preußen, ganz Deutſchland und Europa weiß“, beſchworen ihn, Haugwitz, Beyme und Lombard zu entlaſſen. Wie tief mußte das feſte Gefüge des alten Abſolutismus erſchüttert ſein, wenn königliche Prinzen einen ſolchen Schritt wagen durften! Friedrich Wilhelm aber war nicht geſonnen das Anſehen ſeiner Krone gefährden zu laſſen, er nannte das Unterfangen eine Meuterei, gab den Bittenden einen ungnädigen Beſcheid. So blieben denn die alte und die neue Zeit in den entſcheidenden Aemtern unver- mittelt neben einander: im Heere ſtand der Generalquartiermeiſter Scharn- horſt neben dem Oberfeldherrn, dem Herzog von Braunſchweig, im Mini- ſterium ſaß Stein neben Haugwitz, im Cabinet trieb Lombard ſein Weſen, während Hardenberg dem Monarchen vertraulichen Rath ertheilte. Unter ſolcher Leitung nahm die unförmliche alte Monarchie den Kampf auf wider den Gewaltigen, von dem die Franzoſen mit ſcheuer Bewunderung ſagten: er weiß Alles, er will Alles, er kann Alles! Eine neue Verrätherei Napoleons führte endlich den Ausbruch des unvermeidlichen Krieges herbei. Wie oft und feierlich hatte Frankreich ſeinem preußiſchen Verbündeten den Beſitz von Hannover gewährleiſtet; nun erfuhr man plötzlich in Berlin, daß der Imperator, der den Sommer über eine große Friedensverhandlung mit England und Rußland führte, ſich unbedenklich erboten habe den Welfen ihr Stammland wieder auszu- Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 16

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/257>, abgerufen am 25.11.2024.