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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
Staatsmann, wollte sich rächen für die Verlegenheiten des vergangenen
Herbstes, überhäufte den Minister mit öffentlichen Schmähungen, die der
Angegriffene freimüthig beantwortete, und forderte endlich die Entlassung
des Verhaßten. Diesen Angriffen Napoleons verdankte Hardenberg einen
Ruf, den seine Thaten noch nicht verdienten; alle Guten blickten hoffend
zu ihm auf, der tapfere Patriot v. d. Marwitz, der stolze Führer des
märkischen Adels, verehrte ihn "seit dem Herbst 1805 wie das Ideal des
Mannes, der den Staat retten sollte" *). Doch erst in diesen furcht-
baren Frühlingswochen von 1806 wurde Hardenberg wirklich wofür die
Welt ihn hielt. Mit Entsetzen sah er, an welchem Abgrunde Preußen
dahinschwankte; Alles was edel und hochherzig war in dieser reichbegabten
Natur, wurde lebendig, und fortan ist er bis zum Ende der unermüdliche
Feind des napoleonischen Weltreichs geblieben.

Der letzte Trost des Grafen Haugwitz beim Abschlusse des Pariser
Vertrages war die Hoffnung auf die baldige Heimkehr der französischen
Truppen. Aber auch diese Erwartung erwies sich eitel. Die große Armee
blieb in Deutschland, bedrohte vom Inn her Oesterreichs, vom Rhein und
Main her Preußens Grenzen. Sie sollte die Hofburg zwingen, die förm-
liche Aufhebung des heiligen Reichs, welche der Imperator plante, gut zu
heißen; und zugleich war Napoleon entschlossen, den Frieden mit England
nöthigenfalls durch die Preisgabe des soeben erst an Preußen abgetretenen
hannoverschen Landes herbeizuführen. Widersetzte sich der preußische Hof
dieser neuen Beleidigung, so stand das französische Heer zum Einbruch
bereit. Indessen wurden die festen Plätze Kehl, Kastel, Wesel von Frank-
reich in Besitz genommen; die niederrheinische Festung war bestimmt einem
Angriffskriege gegen Preußen als Stützpunkt zu dienen.

Also gerüstet schritt Napoleon daran, den Gedanken der deutschen
Trias, womit Hardenberg soeben noch gespielt hatte, nach seiner Weise zu
verwirklichen. Nicht im Bunde mit Oesterreich und Preußen, sondern
unabhängig von beiden und im Gegensatze zu ihnen sollte Frankreichs
alter Schützling, la troisieme Allemagne sich politisch gestalten. Eine
phantastische Denkschrift Dalbergs, die von der Wiederherstellung des
Karolingerreichs, von der Verjüngung der ehrenwerthen deutschen Nation
redete, und eine kurze ergebnißlose Vorverhandlung mit den größeren
süddeutschen Staaten in München überzeugten den Imperator, wie schwer
es hielt diese deutschen Köpfe unter einen Hut zu bringen; darum be-
schloß er ihnen die neue Ordnung kurzerhand aufzuerlegen, wie einst
Karl V. die Fürsten Italiens durch halb erzwungene Verträge an sich ge-
kettet hatte. Er wußte, daß er den Höfen der Mittelstaaten Alles zumuthen
durfte, wenn er ihnen einen neuen Beutezug gegen ihre kleinen Mitstände
gestattete. An Unterwürfigkeit hatten es diese kleinen Herren des Südens

*) So gesteht Marwitz in einem Briefe an Hardenberg vom 11. Febr. 1811.

I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
Staatsmann, wollte ſich rächen für die Verlegenheiten des vergangenen
Herbſtes, überhäufte den Miniſter mit öffentlichen Schmähungen, die der
Angegriffene freimüthig beantwortete, und forderte endlich die Entlaſſung
des Verhaßten. Dieſen Angriffen Napoleons verdankte Hardenberg einen
Ruf, den ſeine Thaten noch nicht verdienten; alle Guten blickten hoffend
zu ihm auf, der tapfere Patriot v. d. Marwitz, der ſtolze Führer des
märkiſchen Adels, verehrte ihn „ſeit dem Herbſt 1805 wie das Ideal des
Mannes, der den Staat retten ſollte“ *). Doch erſt in dieſen furcht-
baren Frühlingswochen von 1806 wurde Hardenberg wirklich wofür die
Welt ihn hielt. Mit Entſetzen ſah er, an welchem Abgrunde Preußen
dahinſchwankte; Alles was edel und hochherzig war in dieſer reichbegabten
Natur, wurde lebendig, und fortan iſt er bis zum Ende der unermüdliche
Feind des napoleoniſchen Weltreichs geblieben.

Der letzte Troſt des Grafen Haugwitz beim Abſchluſſe des Pariſer
Vertrages war die Hoffnung auf die baldige Heimkehr der franzöſiſchen
Truppen. Aber auch dieſe Erwartung erwies ſich eitel. Die große Armee
blieb in Deutſchland, bedrohte vom Inn her Oeſterreichs, vom Rhein und
Main her Preußens Grenzen. Sie ſollte die Hofburg zwingen, die förm-
liche Aufhebung des heiligen Reichs, welche der Imperator plante, gut zu
heißen; und zugleich war Napoleon entſchloſſen, den Frieden mit England
nöthigenfalls durch die Preisgabe des ſoeben erſt an Preußen abgetretenen
hannoverſchen Landes herbeizuführen. Widerſetzte ſich der preußiſche Hof
dieſer neuen Beleidigung, ſo ſtand das franzöſiſche Heer zum Einbruch
bereit. Indeſſen wurden die feſten Plätze Kehl, Kaſtel, Weſel von Frank-
reich in Beſitz genommen; die niederrheiniſche Feſtung war beſtimmt einem
Angriffskriege gegen Preußen als Stützpunkt zu dienen.

Alſo gerüſtet ſchritt Napoleon daran, den Gedanken der deutſchen
Trias, womit Hardenberg ſoeben noch geſpielt hatte, nach ſeiner Weiſe zu
verwirklichen. Nicht im Bunde mit Oeſterreich und Preußen, ſondern
unabhängig von beiden und im Gegenſatze zu ihnen ſollte Frankreichs
alter Schützling, la troisième Allemagne ſich politiſch geſtalten. Eine
phantaſtiſche Denkſchrift Dalbergs, die von der Wiederherſtellung des
Karolingerreichs, von der Verjüngung der ehrenwerthen deutſchen Nation
redete, und eine kurze ergebnißloſe Vorverhandlung mit den größeren
ſüddeutſchen Staaten in München überzeugten den Imperator, wie ſchwer
es hielt dieſe deutſchen Köpfe unter einen Hut zu bringen; darum be-
ſchloß er ihnen die neue Ordnung kurzerhand aufzuerlegen, wie einſt
Karl V. die Fürſten Italiens durch halb erzwungene Verträge an ſich ge-
kettet hatte. Er wußte, daß er den Höfen der Mittelſtaaten Alles zumuthen
durfte, wenn er ihnen einen neuen Beutezug gegen ihre kleinen Mitſtände
geſtattete. An Unterwürfigkeit hatten es dieſe kleinen Herren des Südens

*) So geſteht Marwitz in einem Briefe an Hardenberg vom 11. Febr. 1811.
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[230/0246] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. Staatsmann, wollte ſich rächen für die Verlegenheiten des vergangenen Herbſtes, überhäufte den Miniſter mit öffentlichen Schmähungen, die der Angegriffene freimüthig beantwortete, und forderte endlich die Entlaſſung des Verhaßten. Dieſen Angriffen Napoleons verdankte Hardenberg einen Ruf, den ſeine Thaten noch nicht verdienten; alle Guten blickten hoffend zu ihm auf, der tapfere Patriot v. d. Marwitz, der ſtolze Führer des märkiſchen Adels, verehrte ihn „ſeit dem Herbſt 1805 wie das Ideal des Mannes, der den Staat retten ſollte“ *). Doch erſt in dieſen furcht- baren Frühlingswochen von 1806 wurde Hardenberg wirklich wofür die Welt ihn hielt. Mit Entſetzen ſah er, an welchem Abgrunde Preußen dahinſchwankte; Alles was edel und hochherzig war in dieſer reichbegabten Natur, wurde lebendig, und fortan iſt er bis zum Ende der unermüdliche Feind des napoleoniſchen Weltreichs geblieben. Der letzte Troſt des Grafen Haugwitz beim Abſchluſſe des Pariſer Vertrages war die Hoffnung auf die baldige Heimkehr der franzöſiſchen Truppen. Aber auch dieſe Erwartung erwies ſich eitel. Die große Armee blieb in Deutſchland, bedrohte vom Inn her Oeſterreichs, vom Rhein und Main her Preußens Grenzen. Sie ſollte die Hofburg zwingen, die förm- liche Aufhebung des heiligen Reichs, welche der Imperator plante, gut zu heißen; und zugleich war Napoleon entſchloſſen, den Frieden mit England nöthigenfalls durch die Preisgabe des ſoeben erſt an Preußen abgetretenen hannoverſchen Landes herbeizuführen. Widerſetzte ſich der preußiſche Hof dieſer neuen Beleidigung, ſo ſtand das franzöſiſche Heer zum Einbruch bereit. Indeſſen wurden die feſten Plätze Kehl, Kaſtel, Weſel von Frank- reich in Beſitz genommen; die niederrheiniſche Feſtung war beſtimmt einem Angriffskriege gegen Preußen als Stützpunkt zu dienen. Alſo gerüſtet ſchritt Napoleon daran, den Gedanken der deutſchen Trias, womit Hardenberg ſoeben noch geſpielt hatte, nach ſeiner Weiſe zu verwirklichen. Nicht im Bunde mit Oeſterreich und Preußen, ſondern unabhängig von beiden und im Gegenſatze zu ihnen ſollte Frankreichs alter Schützling, la troisième Allemagne ſich politiſch geſtalten. Eine phantaſtiſche Denkſchrift Dalbergs, die von der Wiederherſtellung des Karolingerreichs, von der Verjüngung der ehrenwerthen deutſchen Nation redete, und eine kurze ergebnißloſe Vorverhandlung mit den größeren ſüddeutſchen Staaten in München überzeugten den Imperator, wie ſchwer es hielt dieſe deutſchen Köpfe unter einen Hut zu bringen; darum be- ſchloß er ihnen die neue Ordnung kurzerhand aufzuerlegen, wie einſt Karl V. die Fürſten Italiens durch halb erzwungene Verträge an ſich ge- kettet hatte. Er wußte, daß er den Höfen der Mittelſtaaten Alles zumuthen durfte, wenn er ihnen einen neuen Beutezug gegen ihre kleinen Mitſtände geſtattete. An Unterwürfigkeit hatten es dieſe kleinen Herren des Südens *) So geſteht Marwitz in einem Briefe an Hardenberg vom 11. Febr. 1811.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/246>, abgerufen am 23.11.2024.