Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.Schlacht von Austerlitz. seine Niederlage unausbleiblich: er stand über hundert Meilen von Frank-reichs Grenzen entfernt, konnte keine Verstärkungen erwarten, und sein Heer war schon jetzt kaum so stark wie der Feind gegenüber. Aber auch dies- mal sollten ihn die Fehler seiner Gegner retten. Bei den Unterhand- lungen, die er angeknüpft hatte, stellte er sich nachgiebig und friedfertig um den Glauben zu erwecken, als ob er sich fürchte. Alexander durch- schaute das Spiel, betheuerte wiederholt, keine List des Feindes solle ihn zu vorzeitigem Losschlagen verlocken; alle kriegserfahrenen Offiziere riethen ihm zur Vorsicht. Da brachte eine glänzende Heerschau den Czaren um alle seine guten Vorsätze; sein Uebermuth erwachte bei dem Anblick dieser schönen Regimenter, die noch die Lorbeeren der Suworowschen Feldzüge an den Fahnen trugen. Den jungen Heißsporn durchzuckte der Gedanke, die Welt durch einen entscheidenden Sieg zu überraschen noch bevor Preußen am Kriege theilnahm; jene eleganten jungen Generale vom Hofe, die so oft in der russischen Geschichte leichtfertige Entschließungen verschuldet haben, stimmten dem unbesonnenen Einfall lärmend zu. Man beschloß zum Angriff auf Napoleons wohlgesicherte Stellung vorzugehen, in der Richtung von Osten nach Westen, dergestalt daß die Armee, wenn sie ge- schlagen wurde, nach Ungarn zurückweichen mußte und die Verbindung mit Schlesien verlor, wo 40,000 Preußen bei Neiße zur Aufnahme bereit standen. Am Jahrestage der napoleonischen Kaiserkrönung empfing Alexander durch die Schlacht von Austerlitz den Lohn für die größte Thorheit seines Lebens. Und nun verlor auch Kaiser Franz die Besinnung, bat den Sieger um einen Waffenstillstand. Napoleon gewährte die Bitte unter der Bedingung, daß die Hofburg das Bündniß mit dem Czaren aufgab, die russischen Truppen durch Ungarn heimzogen und kein fremdes Heer den Boden Oesterreichs betreten durfte. So wurde der große europäische Kriegsbund durch die Mißgriffe Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 15
Schlacht von Auſterlitz. ſeine Niederlage unausbleiblich: er ſtand über hundert Meilen von Frank-reichs Grenzen entfernt, konnte keine Verſtärkungen erwarten, und ſein Heer war ſchon jetzt kaum ſo ſtark wie der Feind gegenüber. Aber auch dies- mal ſollten ihn die Fehler ſeiner Gegner retten. Bei den Unterhand- lungen, die er angeknüpft hatte, ſtellte er ſich nachgiebig und friedfertig um den Glauben zu erwecken, als ob er ſich fürchte. Alexander durch- ſchaute das Spiel, betheuerte wiederholt, keine Liſt des Feindes ſolle ihn zu vorzeitigem Losſchlagen verlocken; alle kriegserfahrenen Offiziere riethen ihm zur Vorſicht. Da brachte eine glänzende Heerſchau den Czaren um alle ſeine guten Vorſätze; ſein Uebermuth erwachte bei dem Anblick dieſer ſchönen Regimenter, die noch die Lorbeeren der Suworowſchen Feldzüge an den Fahnen trugen. Den jungen Heißſporn durchzuckte der Gedanke, die Welt durch einen entſcheidenden Sieg zu überraſchen noch bevor Preußen am Kriege theilnahm; jene eleganten jungen Generale vom Hofe, die ſo oft in der ruſſiſchen Geſchichte leichtfertige Entſchließungen verſchuldet haben, ſtimmten dem unbeſonnenen Einfall lärmend zu. Man beſchloß zum Angriff auf Napoleons wohlgeſicherte Stellung vorzugehen, in der Richtung von Oſten nach Weſten, dergeſtalt daß die Armee, wenn ſie ge- ſchlagen wurde, nach Ungarn zurückweichen mußte und die Verbindung mit Schleſien verlor, wo 40,000 Preußen bei Neiße zur Aufnahme bereit ſtanden. Am Jahrestage der napoleoniſchen Kaiſerkrönung empfing Alexander durch die Schlacht von Auſterlitz den Lohn für die größte Thorheit ſeines Lebens. Und nun verlor auch Kaiſer Franz die Beſinnung, bat den Sieger um einen Waffenſtillſtand. Napoleon gewährte die Bitte unter der Bedingung, daß die Hofburg das Bündniß mit dem Czaren aufgab, die ruſſiſchen Truppen durch Ungarn heimzogen und kein fremdes Heer den Boden Oeſterreichs betreten durfte. So wurde der große europäiſche Kriegsbund durch die Mißgriffe Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 15
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Schlacht von Auſterlitz.
ſeine Niederlage unausbleiblich: er ſtand über hundert Meilen von Frank-
reichs Grenzen entfernt, konnte keine Verſtärkungen erwarten, und ſein Heer
war ſchon jetzt kaum ſo ſtark wie der Feind gegenüber. Aber auch dies-
mal ſollten ihn die Fehler ſeiner Gegner retten. Bei den Unterhand-
lungen, die er angeknüpft hatte, ſtellte er ſich nachgiebig und friedfertig
um den Glauben zu erwecken, als ob er ſich fürchte. Alexander durch-
ſchaute das Spiel, betheuerte wiederholt, keine Liſt des Feindes ſolle ihn
zu vorzeitigem Losſchlagen verlocken; alle kriegserfahrenen Offiziere riethen
ihm zur Vorſicht. Da brachte eine glänzende Heerſchau den Czaren um
alle ſeine guten Vorſätze; ſein Uebermuth erwachte bei dem Anblick dieſer
ſchönen Regimenter, die noch die Lorbeeren der Suworowſchen Feldzüge
an den Fahnen trugen. Den jungen Heißſporn durchzuckte der Gedanke,
die Welt durch einen entſcheidenden Sieg zu überraſchen noch bevor Preußen
am Kriege theilnahm; jene eleganten jungen Generale vom Hofe, die ſo
oft in der ruſſiſchen Geſchichte leichtfertige Entſchließungen verſchuldet
haben, ſtimmten dem unbeſonnenen Einfall lärmend zu. Man beſchloß
zum Angriff auf Napoleons wohlgeſicherte Stellung vorzugehen, in der
Richtung von Oſten nach Weſten, dergeſtalt daß die Armee, wenn ſie ge-
ſchlagen wurde, nach Ungarn zurückweichen mußte und die Verbindung
mit Schleſien verlor, wo 40,000 Preußen bei Neiße zur Aufnahme bereit
ſtanden. Am Jahrestage der napoleoniſchen Kaiſerkrönung empfing Alexander
durch die Schlacht von Auſterlitz den Lohn für die größte Thorheit ſeines
Lebens. Und nun verlor auch Kaiſer Franz die Beſinnung, bat den
Sieger um einen Waffenſtillſtand. Napoleon gewährte die Bitte unter
der Bedingung, daß die Hofburg das Bündniß mit dem Czaren aufgab,
die ruſſiſchen Truppen durch Ungarn heimzogen und kein fremdes Heer
den Boden Oeſterreichs betreten durfte.
So wurde der große europäiſche Kriegsbund durch die Mißgriffe
der beiden Kaiſer ſchon im Entſtehen zerſprengt. Preußens militäriſche
Lage blieb indeß noch immer vortheilhaft. Der Czar gab den Krieg noch
nicht gänzlich auf, ſondern ſtellte ſeine Armeecorps, die in Schleſien und
Preußiſch-Polen ſtanden, unter die Befehle des Königs. Friedrich Wilhelm
gebot mithin über 300,000 Mann kriegsbereiter friſcher Truppen; mit
einer ſolchen Macht durfte er wohl hoffen die Freiheit Norddeutſchlands
zu ſchützen und dem bedrängten Oeſterreich zu einem leidlichen Frieden
zu verhelfen. Daß auch dieſe Hoffnung trog, war die Schuld des preu-
ßiſchen Unterhändlers, des Grafen Haugwitz. Der charakterloſe Mann
hatte während der jüngſten Jahre manchen Beweis diplomatiſchen Scharf-
ſinns gegeben und die feindſeligen Abſichten Napoleons mehrmals richtiger
beurtheilt als ſein Amtsgenoſſe Hardenberg, doch in der gegenwärtigen
Verwicklung ſchien ihm die Neutralität allein geboten. Als er nun in
das franzöſiſche Hauptquartier geſendet wurde um im Namen ſeines
Königs ein kurzes Entweder — Oder auszuſprechen, um dem Eroberer
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