In dieser unhaltbaren Stellung, mit Frankreich nicht im Reinen, mit Rußland gespannt und fast verfeindet, von allen Seiten beargwohnt und mißachtet, sah der preußische Hof dem Ausbruche des Titanenkrieges zu, wie der Feigling Lombard in seiner Seelenangst zu sagen pflegte. Mit zermalmenden Schlägen traf Napoleon das österreichische Heer an der oberen Donau, noch bevor die Russen herankamen; die Welt erfuhr zum ersten male, was es bedeutete, daß die französische Militärmacht jetzt durch die kriegerische Kraft der rheinischen Lande und des deutschen Südens verstärkt war. Die Glorie des großen Tages von Trafalgar, der die Flotte Napoleons vernichtete, verschwand fast neben den Schreckensnach- richten, die aus Oberdeutschland kamen: wie die einzelnen Corps der österreichischen Armee in einer Reihe glänzender Gefechte geschlagen, das Hauptheer unter Mack bei Ulm zu schimpflicher Capitulation gezwungen wurde, wie die Raserei der verzweifelnden Angst durch die Reihen der Kaiserlichen flog, überall im Heer und Beamtenthum Kopflosigkeit, Schwäche und Feigheit, alle Sünden eines tiefverderbten Staatswesens heraustraten, wie die große Armee endlich in unaufhaltsamem Vormarsch bis zur Haupt- stadt Oesterreichs vordrang.
Aber zum Glücke für die Verbündeten hatte der Sieger schon bei Beginn des Feldzugs eine That des Uebermuths sich erlaubt, welche, recht benutzt, dem aussichtslosen Kriege der Coalition eine andere Wen- dung geben, der unhaltbaren Neutralität Preußens ein Ende bereiten mußte. Um das Corps Bernadottes bei Ulm rechtzeitig zur Stelle zu bringen, that Napoleon unbedenklich was der Czar nur angedroht hatte, ließ die Truppen durch das neutrale preußische Gebiet in Franken mar- schiren. Diesem Staate glaubte er Alles bieten zu dürfen, denn Preu- ßen -- so schrieb er schon früher -- "Preußen ist, was es auch sagen mag, in die Reihe der Mächte zweiten Ranges hinabgesunken". Auf diese Nachricht flammte der König auf, sein hohenzollernsches Blut gerieth in Wallung. Er verwahrte sein Recht durch eine muthige Erklärung, sagte sich los von allen Verbindlichkeiten gegen Napoleon, gestattete den Russen den Durchzug durch Schlesien, befahl die Mobilmachung der gesammten Armee; sein gerader Sinn hielt für selbstverständlich, daß der diplomatische Verkehr mit Frankreich sofort aufzuhören habe. Auch das Volk empfand die erlittene Beleidigung lebhaft. Die Berliner stimmten im Theater jubelnd mit ein in die kriegerischen Klänge des Reiterliedes der Wallen- steiner, lärmten übermüthig vor den Fenstern des Gesandten Laforest; die märkischen Stände erklärten sich bereit zu unentgeltlichen Lieferungen für die Armee; die jungen Offiziere zogen mit der Zuversicht fridericianischer Un- besiegbarkeit den Grenzen zu. Lombard und die französische Partei wagten den gewohnten Verkehr mit Laforest nur noch insgeheim fortzuführen.
Auch Hardenberg erkannte jetzt die Nothwendigkeit entschlossener Ab- wehr, doch die ganze drängende Gefahr des Augenblicks ermaß er nicht.
Ulm und Ansbach.
In dieſer unhaltbaren Stellung, mit Frankreich nicht im Reinen, mit Rußland geſpannt und faſt verfeindet, von allen Seiten beargwohnt und mißachtet, ſah der preußiſche Hof dem Ausbruche des Titanenkrieges zu, wie der Feigling Lombard in ſeiner Seelenangſt zu ſagen pflegte. Mit zermalmenden Schlägen traf Napoleon das öſterreichiſche Heer an der oberen Donau, noch bevor die Ruſſen herankamen; die Welt erfuhr zum erſten male, was es bedeutete, daß die franzöſiſche Militärmacht jetzt durch die kriegeriſche Kraft der rheiniſchen Lande und des deutſchen Südens verſtärkt war. Die Glorie des großen Tages von Trafalgar, der die Flotte Napoleons vernichtete, verſchwand faſt neben den Schreckensnach- richten, die aus Oberdeutſchland kamen: wie die einzelnen Corps der öſterreichiſchen Armee in einer Reihe glänzender Gefechte geſchlagen, das Hauptheer unter Mack bei Ulm zu ſchimpflicher Capitulation gezwungen wurde, wie die Raſerei der verzweifelnden Angſt durch die Reihen der Kaiſerlichen flog, überall im Heer und Beamtenthum Kopfloſigkeit, Schwäche und Feigheit, alle Sünden eines tiefverderbten Staatsweſens heraustraten, wie die große Armee endlich in unaufhaltſamem Vormarſch bis zur Haupt- ſtadt Oeſterreichs vordrang.
Aber zum Glücke für die Verbündeten hatte der Sieger ſchon bei Beginn des Feldzugs eine That des Uebermuths ſich erlaubt, welche, recht benutzt, dem ausſichtsloſen Kriege der Coalition eine andere Wen- dung geben, der unhaltbaren Neutralität Preußens ein Ende bereiten mußte. Um das Corps Bernadottes bei Ulm rechtzeitig zur Stelle zu bringen, that Napoleon unbedenklich was der Czar nur angedroht hatte, ließ die Truppen durch das neutrale preußiſche Gebiet in Franken mar- ſchiren. Dieſem Staate glaubte er Alles bieten zu dürfen, denn Preu- ßen — ſo ſchrieb er ſchon früher — „Preußen iſt, was es auch ſagen mag, in die Reihe der Mächte zweiten Ranges hinabgeſunken“. Auf dieſe Nachricht flammte der König auf, ſein hohenzollernſches Blut gerieth in Wallung. Er verwahrte ſein Recht durch eine muthige Erklärung, ſagte ſich los von allen Verbindlichkeiten gegen Napoleon, geſtattete den Ruſſen den Durchzug durch Schleſien, befahl die Mobilmachung der geſammten Armee; ſein gerader Sinn hielt für ſelbſtverſtändlich, daß der diplomatiſche Verkehr mit Frankreich ſofort aufzuhören habe. Auch das Volk empfand die erlittene Beleidigung lebhaft. Die Berliner ſtimmten im Theater jubelnd mit ein in die kriegeriſchen Klänge des Reiterliedes der Wallen- ſteiner, lärmten übermüthig vor den Fenſtern des Geſandten Laforeſt; die märkiſchen Stände erklärten ſich bereit zu unentgeltlichen Lieferungen für die Armee; die jungen Offiziere zogen mit der Zuverſicht fridericianiſcher Un- beſiegbarkeit den Grenzen zu. Lombard und die franzöſiſche Partei wagten den gewohnten Verkehr mit Laforeſt nur noch insgeheim fortzuführen.
Auch Hardenberg erkannte jetzt die Nothwendigkeit entſchloſſener Ab- wehr, doch die ganze drängende Gefahr des Augenblicks ermaß er nicht.
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Ulm und Ansbach.
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mit Rußland geſpannt und faſt verfeindet, von allen Seiten beargwohnt
und mißachtet, ſah der preußiſche Hof dem Ausbruche des Titanenkrieges
zu, wie der Feigling Lombard in ſeiner Seelenangſt zu ſagen pflegte.
Mit zermalmenden Schlägen traf Napoleon das öſterreichiſche Heer an
der oberen Donau, noch bevor die Ruſſen herankamen; die Welt erfuhr
zum erſten male, was es bedeutete, daß die franzöſiſche Militärmacht jetzt
durch die kriegeriſche Kraft der rheiniſchen Lande und des deutſchen Südens
verſtärkt war. Die Glorie des großen Tages von Trafalgar, der die
Flotte Napoleons vernichtete, verſchwand faſt neben den Schreckensnach-
richten, die aus Oberdeutſchland kamen: wie die einzelnen Corps der
öſterreichiſchen Armee in einer Reihe glänzender Gefechte geſchlagen, das
Hauptheer unter Mack bei Ulm zu ſchimpflicher Capitulation gezwungen
wurde, wie die Raſerei der verzweifelnden Angſt durch die Reihen der
Kaiſerlichen flog, überall im Heer und Beamtenthum Kopfloſigkeit, Schwäche
und Feigheit, alle Sünden eines tiefverderbten Staatsweſens heraustraten,
wie die große Armee endlich in unaufhaltſamem Vormarſch bis zur Haupt-
ſtadt Oeſterreichs vordrang.
Aber zum Glücke für die Verbündeten hatte der Sieger ſchon bei
Beginn des Feldzugs eine That des Uebermuths ſich erlaubt, welche,
recht benutzt, dem ausſichtsloſen Kriege der Coalition eine andere Wen-
dung geben, der unhaltbaren Neutralität Preußens ein Ende bereiten
mußte. Um das Corps Bernadottes bei Ulm rechtzeitig zur Stelle zu
bringen, that Napoleon unbedenklich was der Czar nur angedroht hatte,
ließ die Truppen durch das neutrale preußiſche Gebiet in Franken mar-
ſchiren. Dieſem Staate glaubte er Alles bieten zu dürfen, denn Preu-
ßen — ſo ſchrieb er ſchon früher — „Preußen iſt, was es auch ſagen
mag, in die Reihe der Mächte zweiten Ranges hinabgeſunken“. Auf dieſe
Nachricht flammte der König auf, ſein hohenzollernſches Blut gerieth in
Wallung. Er verwahrte ſein Recht durch eine muthige Erklärung, ſagte
ſich los von allen Verbindlichkeiten gegen Napoleon, geſtattete den Ruſſen
den Durchzug durch Schleſien, befahl die Mobilmachung der geſammten
Armee; ſein gerader Sinn hielt für ſelbſtverſtändlich, daß der diplomatiſche
Verkehr mit Frankreich ſofort aufzuhören habe. Auch das Volk empfand
die erlittene Beleidigung lebhaft. Die Berliner ſtimmten im Theater
jubelnd mit ein in die kriegeriſchen Klänge des Reiterliedes der Wallen-
ſteiner, lärmten übermüthig vor den Fenſtern des Geſandten Laforeſt; die
märkiſchen Stände erklärten ſich bereit zu unentgeltlichen Lieferungen für
die Armee; die jungen Offiziere zogen mit der Zuverſicht fridericianiſcher Un-
beſiegbarkeit den Grenzen zu. Lombard und die franzöſiſche Partei wagten
den gewohnten Verkehr mit Laforeſt nur noch insgeheim fortzuführen.
Auch Hardenberg erkannte jetzt die Nothwendigkeit entſchloſſener Ab-
wehr, doch die ganze drängende Gefahr des Augenblicks ermaß er nicht.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/239>, abgerufen am 24.11.2024.
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