Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite
Ulm und Ansbach.

In dieser unhaltbaren Stellung, mit Frankreich nicht im Reinen,
mit Rußland gespannt und fast verfeindet, von allen Seiten beargwohnt
und mißachtet, sah der preußische Hof dem Ausbruche des Titanenkrieges
zu, wie der Feigling Lombard in seiner Seelenangst zu sagen pflegte.
Mit zermalmenden Schlägen traf Napoleon das österreichische Heer an
der oberen Donau, noch bevor die Russen herankamen; die Welt erfuhr
zum ersten male, was es bedeutete, daß die französische Militärmacht jetzt
durch die kriegerische Kraft der rheinischen Lande und des deutschen Südens
verstärkt war. Die Glorie des großen Tages von Trafalgar, der die
Flotte Napoleons vernichtete, verschwand fast neben den Schreckensnach-
richten, die aus Oberdeutschland kamen: wie die einzelnen Corps der
österreichischen Armee in einer Reihe glänzender Gefechte geschlagen, das
Hauptheer unter Mack bei Ulm zu schimpflicher Capitulation gezwungen
wurde, wie die Raserei der verzweifelnden Angst durch die Reihen der
Kaiserlichen flog, überall im Heer und Beamtenthum Kopflosigkeit, Schwäche
und Feigheit, alle Sünden eines tiefverderbten Staatswesens heraustraten,
wie die große Armee endlich in unaufhaltsamem Vormarsch bis zur Haupt-
stadt Oesterreichs vordrang.

Aber zum Glücke für die Verbündeten hatte der Sieger schon bei
Beginn des Feldzugs eine That des Uebermuths sich erlaubt, welche,
recht benutzt, dem aussichtslosen Kriege der Coalition eine andere Wen-
dung geben, der unhaltbaren Neutralität Preußens ein Ende bereiten
mußte. Um das Corps Bernadottes bei Ulm rechtzeitig zur Stelle zu
bringen, that Napoleon unbedenklich was der Czar nur angedroht hatte,
ließ die Truppen durch das neutrale preußische Gebiet in Franken mar-
schiren. Diesem Staate glaubte er Alles bieten zu dürfen, denn Preu-
ßen -- so schrieb er schon früher -- "Preußen ist, was es auch sagen
mag, in die Reihe der Mächte zweiten Ranges hinabgesunken". Auf diese
Nachricht flammte der König auf, sein hohenzollernsches Blut gerieth in
Wallung. Er verwahrte sein Recht durch eine muthige Erklärung, sagte
sich los von allen Verbindlichkeiten gegen Napoleon, gestattete den Russen
den Durchzug durch Schlesien, befahl die Mobilmachung der gesammten
Armee; sein gerader Sinn hielt für selbstverständlich, daß der diplomatische
Verkehr mit Frankreich sofort aufzuhören habe. Auch das Volk empfand
die erlittene Beleidigung lebhaft. Die Berliner stimmten im Theater
jubelnd mit ein in die kriegerischen Klänge des Reiterliedes der Wallen-
steiner, lärmten übermüthig vor den Fenstern des Gesandten Laforest; die
märkischen Stände erklärten sich bereit zu unentgeltlichen Lieferungen für
die Armee; die jungen Offiziere zogen mit der Zuversicht fridericianischer Un-
besiegbarkeit den Grenzen zu. Lombard und die französische Partei wagten
den gewohnten Verkehr mit Laforest nur noch insgeheim fortzuführen.

Auch Hardenberg erkannte jetzt die Nothwendigkeit entschlossener Ab-
wehr, doch die ganze drängende Gefahr des Augenblicks ermaß er nicht.

Ulm und Ansbach.

In dieſer unhaltbaren Stellung, mit Frankreich nicht im Reinen,
mit Rußland geſpannt und faſt verfeindet, von allen Seiten beargwohnt
und mißachtet, ſah der preußiſche Hof dem Ausbruche des Titanenkrieges
zu, wie der Feigling Lombard in ſeiner Seelenangſt zu ſagen pflegte.
Mit zermalmenden Schlägen traf Napoleon das öſterreichiſche Heer an
der oberen Donau, noch bevor die Ruſſen herankamen; die Welt erfuhr
zum erſten male, was es bedeutete, daß die franzöſiſche Militärmacht jetzt
durch die kriegeriſche Kraft der rheiniſchen Lande und des deutſchen Südens
verſtärkt war. Die Glorie des großen Tages von Trafalgar, der die
Flotte Napoleons vernichtete, verſchwand faſt neben den Schreckensnach-
richten, die aus Oberdeutſchland kamen: wie die einzelnen Corps der
öſterreichiſchen Armee in einer Reihe glänzender Gefechte geſchlagen, das
Hauptheer unter Mack bei Ulm zu ſchimpflicher Capitulation gezwungen
wurde, wie die Raſerei der verzweifelnden Angſt durch die Reihen der
Kaiſerlichen flog, überall im Heer und Beamtenthum Kopfloſigkeit, Schwäche
und Feigheit, alle Sünden eines tiefverderbten Staatsweſens heraustraten,
wie die große Armee endlich in unaufhaltſamem Vormarſch bis zur Haupt-
ſtadt Oeſterreichs vordrang.

Aber zum Glücke für die Verbündeten hatte der Sieger ſchon bei
Beginn des Feldzugs eine That des Uebermuths ſich erlaubt, welche,
recht benutzt, dem ausſichtsloſen Kriege der Coalition eine andere Wen-
dung geben, der unhaltbaren Neutralität Preußens ein Ende bereiten
mußte. Um das Corps Bernadottes bei Ulm rechtzeitig zur Stelle zu
bringen, that Napoleon unbedenklich was der Czar nur angedroht hatte,
ließ die Truppen durch das neutrale preußiſche Gebiet in Franken mar-
ſchiren. Dieſem Staate glaubte er Alles bieten zu dürfen, denn Preu-
ßen — ſo ſchrieb er ſchon früher — „Preußen iſt, was es auch ſagen
mag, in die Reihe der Mächte zweiten Ranges hinabgeſunken“. Auf dieſe
Nachricht flammte der König auf, ſein hohenzollernſches Blut gerieth in
Wallung. Er verwahrte ſein Recht durch eine muthige Erklärung, ſagte
ſich los von allen Verbindlichkeiten gegen Napoleon, geſtattete den Ruſſen
den Durchzug durch Schleſien, befahl die Mobilmachung der geſammten
Armee; ſein gerader Sinn hielt für ſelbſtverſtändlich, daß der diplomatiſche
Verkehr mit Frankreich ſofort aufzuhören habe. Auch das Volk empfand
die erlittene Beleidigung lebhaft. Die Berliner ſtimmten im Theater
jubelnd mit ein in die kriegeriſchen Klänge des Reiterliedes der Wallen-
ſteiner, lärmten übermüthig vor den Fenſtern des Geſandten Laforeſt; die
märkiſchen Stände erklärten ſich bereit zu unentgeltlichen Lieferungen für
die Armee; die jungen Offiziere zogen mit der Zuverſicht fridericianiſcher Un-
beſiegbarkeit den Grenzen zu. Lombard und die franzöſiſche Partei wagten
den gewohnten Verkehr mit Laforeſt nur noch insgeheim fortzuführen.

Auch Hardenberg erkannte jetzt die Nothwendigkeit entſchloſſener Ab-
wehr, doch die ganze drängende Gefahr des Augenblicks ermaß er nicht.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0239" n="223"/>
            <fw place="top" type="header">Ulm und Ansbach.</fw><lb/>
            <p>In die&#x017F;er unhaltbaren Stellung, mit Frankreich nicht im Reinen,<lb/>
mit Rußland ge&#x017F;pannt und fa&#x017F;t verfeindet, von allen Seiten beargwohnt<lb/>
und mißachtet, &#x017F;ah der preußi&#x017F;che Hof dem Ausbruche des Titanenkrieges<lb/>
zu, wie der Feigling Lombard in &#x017F;einer Seelenang&#x017F;t zu &#x017F;agen pflegte.<lb/>
Mit zermalmenden Schlägen traf Napoleon das ö&#x017F;terreichi&#x017F;che Heer an<lb/>
der oberen Donau, noch bevor die Ru&#x017F;&#x017F;en herankamen; die Welt erfuhr<lb/>
zum er&#x017F;ten male, was es bedeutete, daß die franzö&#x017F;i&#x017F;che Militärmacht jetzt<lb/>
durch die kriegeri&#x017F;che Kraft der rheini&#x017F;chen Lande und des deut&#x017F;chen Südens<lb/>
ver&#x017F;tärkt war. Die Glorie des großen Tages von Trafalgar, der die<lb/>
Flotte Napoleons vernichtete, ver&#x017F;chwand fa&#x017F;t neben den Schreckensnach-<lb/>
richten, die aus Oberdeut&#x017F;chland kamen: wie die einzelnen Corps der<lb/>
ö&#x017F;terreichi&#x017F;chen Armee in einer Reihe glänzender Gefechte ge&#x017F;chlagen, das<lb/>
Hauptheer unter Mack bei Ulm zu &#x017F;chimpflicher Capitulation gezwungen<lb/>
wurde, wie die Ra&#x017F;erei der verzweifelnden Ang&#x017F;t durch die Reihen der<lb/>
Kai&#x017F;erlichen flog, überall im Heer und Beamtenthum Kopflo&#x017F;igkeit, Schwäche<lb/>
und Feigheit, alle Sünden eines tiefverderbten Staatswe&#x017F;ens heraustraten,<lb/>
wie die große Armee endlich in unaufhalt&#x017F;amem Vormar&#x017F;ch bis zur Haupt-<lb/>
&#x017F;tadt Oe&#x017F;terreichs vordrang.</p><lb/>
            <p>Aber zum Glücke für die Verbündeten hatte der Sieger &#x017F;chon bei<lb/>
Beginn des Feldzugs eine That des Uebermuths &#x017F;ich erlaubt, welche,<lb/>
recht benutzt, dem aus&#x017F;ichtslo&#x017F;en Kriege der Coalition eine andere Wen-<lb/>
dung geben, der unhaltbaren Neutralität Preußens ein Ende bereiten<lb/>
mußte. Um das Corps Bernadottes bei Ulm rechtzeitig zur Stelle zu<lb/>
bringen, that Napoleon unbedenklich was der Czar nur angedroht hatte,<lb/>
ließ die Truppen durch das neutrale preußi&#x017F;che Gebiet in Franken mar-<lb/>
&#x017F;chiren. Die&#x017F;em Staate glaubte er Alles bieten zu dürfen, denn Preu-<lb/>
ßen &#x2014; &#x017F;o &#x017F;chrieb er &#x017F;chon früher &#x2014; &#x201E;Preußen i&#x017F;t, was es auch &#x017F;agen<lb/>
mag, in die Reihe der Mächte zweiten Ranges hinabge&#x017F;unken&#x201C;. Auf die&#x017F;e<lb/>
Nachricht flammte der König auf, &#x017F;ein hohenzollern&#x017F;ches Blut gerieth in<lb/>
Wallung. Er verwahrte &#x017F;ein Recht durch eine muthige Erklärung, &#x017F;agte<lb/>
&#x017F;ich los von allen Verbindlichkeiten gegen Napoleon, ge&#x017F;tattete den Ru&#x017F;&#x017F;en<lb/>
den Durchzug durch Schle&#x017F;ien, befahl die Mobilmachung der ge&#x017F;ammten<lb/>
Armee; &#x017F;ein gerader Sinn hielt für &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich, daß der diplomati&#x017F;che<lb/>
Verkehr mit Frankreich &#x017F;ofort aufzuhören habe. Auch das Volk empfand<lb/>
die erlittene Beleidigung lebhaft. Die Berliner &#x017F;timmten im Theater<lb/>
jubelnd mit ein in die kriegeri&#x017F;chen Klänge des Reiterliedes der Wallen-<lb/>
&#x017F;teiner, lärmten übermüthig vor den Fen&#x017F;tern des Ge&#x017F;andten Lafore&#x017F;t; die<lb/>
märki&#x017F;chen Stände erklärten &#x017F;ich bereit zu unentgeltlichen Lieferungen für<lb/>
die Armee; die jungen Offiziere zogen mit der Zuver&#x017F;icht fridericiani&#x017F;cher Un-<lb/>
be&#x017F;iegbarkeit den Grenzen zu. Lombard und die franzö&#x017F;i&#x017F;che Partei wagten<lb/>
den gewohnten Verkehr mit Lafore&#x017F;t nur noch insgeheim fortzuführen.</p><lb/>
            <p>Auch Hardenberg erkannte jetzt die Nothwendigkeit ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ener Ab-<lb/>
wehr, doch die ganze drängende Gefahr des Augenblicks ermaß er nicht.<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[223/0239] Ulm und Ansbach. In dieſer unhaltbaren Stellung, mit Frankreich nicht im Reinen, mit Rußland geſpannt und faſt verfeindet, von allen Seiten beargwohnt und mißachtet, ſah der preußiſche Hof dem Ausbruche des Titanenkrieges zu, wie der Feigling Lombard in ſeiner Seelenangſt zu ſagen pflegte. Mit zermalmenden Schlägen traf Napoleon das öſterreichiſche Heer an der oberen Donau, noch bevor die Ruſſen herankamen; die Welt erfuhr zum erſten male, was es bedeutete, daß die franzöſiſche Militärmacht jetzt durch die kriegeriſche Kraft der rheiniſchen Lande und des deutſchen Südens verſtärkt war. Die Glorie des großen Tages von Trafalgar, der die Flotte Napoleons vernichtete, verſchwand faſt neben den Schreckensnach- richten, die aus Oberdeutſchland kamen: wie die einzelnen Corps der öſterreichiſchen Armee in einer Reihe glänzender Gefechte geſchlagen, das Hauptheer unter Mack bei Ulm zu ſchimpflicher Capitulation gezwungen wurde, wie die Raſerei der verzweifelnden Angſt durch die Reihen der Kaiſerlichen flog, überall im Heer und Beamtenthum Kopfloſigkeit, Schwäche und Feigheit, alle Sünden eines tiefverderbten Staatsweſens heraustraten, wie die große Armee endlich in unaufhaltſamem Vormarſch bis zur Haupt- ſtadt Oeſterreichs vordrang. Aber zum Glücke für die Verbündeten hatte der Sieger ſchon bei Beginn des Feldzugs eine That des Uebermuths ſich erlaubt, welche, recht benutzt, dem ausſichtsloſen Kriege der Coalition eine andere Wen- dung geben, der unhaltbaren Neutralität Preußens ein Ende bereiten mußte. Um das Corps Bernadottes bei Ulm rechtzeitig zur Stelle zu bringen, that Napoleon unbedenklich was der Czar nur angedroht hatte, ließ die Truppen durch das neutrale preußiſche Gebiet in Franken mar- ſchiren. Dieſem Staate glaubte er Alles bieten zu dürfen, denn Preu- ßen — ſo ſchrieb er ſchon früher — „Preußen iſt, was es auch ſagen mag, in die Reihe der Mächte zweiten Ranges hinabgeſunken“. Auf dieſe Nachricht flammte der König auf, ſein hohenzollernſches Blut gerieth in Wallung. Er verwahrte ſein Recht durch eine muthige Erklärung, ſagte ſich los von allen Verbindlichkeiten gegen Napoleon, geſtattete den Ruſſen den Durchzug durch Schleſien, befahl die Mobilmachung der geſammten Armee; ſein gerader Sinn hielt für ſelbſtverſtändlich, daß der diplomatiſche Verkehr mit Frankreich ſofort aufzuhören habe. Auch das Volk empfand die erlittene Beleidigung lebhaft. Die Berliner ſtimmten im Theater jubelnd mit ein in die kriegeriſchen Klänge des Reiterliedes der Wallen- ſteiner, lärmten übermüthig vor den Fenſtern des Geſandten Laforeſt; die märkiſchen Stände erklärten ſich bereit zu unentgeltlichen Lieferungen für die Armee; die jungen Offiziere zogen mit der Zuverſicht fridericianiſcher Un- beſiegbarkeit den Grenzen zu. Lombard und die franzöſiſche Partei wagten den gewohnten Verkehr mit Laforeſt nur noch insgeheim fortzuführen. Auch Hardenberg erkannte jetzt die Nothwendigkeit entſchloſſener Ab- wehr, doch die ganze drängende Gefahr des Augenblicks ermaß er nicht.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/239
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/239>, abgerufen am 24.11.2024.