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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
die Erfahrungen der jüngsten fünfzehn Jahre bestätigt zu werden schien:
als ob der Staat durch friedliche Verhandlungen einen Gewinn, eine
Verstärkung seines unhaltbaren Besitzstandes erlangen könne. Auch der
gewandte neue Minister des Auswärtigen war noch weit entfernt von der
Einsicht, daß allein ein europäischer Bund gegen Frankreich die Rettung
bringen konnte, sondern erhoffte von Frankreichs Freundschaft eine Ver-
größerung des preußischen Gebiets.

Indessen mußte das heilige Reich den Becher der Schande bis zur
Hefe leeren. Als Bonaparte den Herzog von Enghien auf badischem Ge-
biete aufheben und zum Tode führen ließ, da wagten in Regensburg nur
die fremden Mächte Rußland, Schweden und England Genugthuung zu
fordern für die frevelhafte Verletzung des Reichsfriedens. Baden dagegen
ersuchte, auf Napoleons Befehl, inständig, die peinliche Angelegenheit nicht
zu verfolgen, die übrigen Gesandten aber traten vor der Zeit ihre Ferien
an, schnitten durch die Flucht jede weitere Verhandlung ab. Im Mai 1804
wurde das napoleonische Kaiserthum gegründet; und es lag vor Augen:
die Krone, womit dieser Usurpator unter dem Segen des Papstes seinen
Scheitel schmückte, war das Diadem der Caesaren und der Karolinger.
Das römische Kaiserthum ging von den Habsburg-Lothringern auf die
Napoleons über. Unverhohlen sprach der Gewaltige schon von dem Kaiser-
thum des Abendlandes; alle die altrömischen Erinnerungen, die in der
gallischen Mischcultur sich erhalten hatten, rief er wach; die Adler des
kaiserlichen Roms prangten auf den Feldzeichen seiner Legionen. Und schon
fragte er drohend in seinen Briefen: ob wohl Oesterreich oder Rußland
die Narrheit begehen würden die Fahne der Empörung zu erheben?

Vergeblich beschwor Gentz den Wiener Hof: die Anerkennung dieser
angemaßten Krone werde den Unersättlichen, der nur groß sei durch die
Kleinheit seiner Knechte, zu neuen Uebergriffen ermuthigen. Der geistvolle
Anwalt der alten Staatengesellschaft erfand bereits die vieldeutige Formel,
welche nachher den Höfen bei der Bekämpfung des Bonapartismus zur
Richtschnur gedient hat; es gelte, so schrieb er, das historische Recht zu
behaupten gegen das Recht der Empörung, gegen die Idee der Volks-
souveränität. Die ermüdete österreichische Politik blieb für solche Ideen
vorderhand noch ganz unempfänglich. Die Krone Karls des Großen war
ihrem rechtmäßigen Träger längst verleidet, zumal da das Haus Lothringen
auf die Stimmen der Kurfürsten nicht mehr sicher rechnen konnte. Kaiser
Franz benutzte also die Aufrichtung der napoleonischen Monarchie um
den hohen Rang seines Hauses für alle Zukunft sicher zu stellen. Mit
Zustimmung Napoleons nahm er den Namen eines Kaisers von Oester-
reich an, und zum Danke erhielt der Usurpator die Anerkennung des
alten Kaiserhauses. So wurde das Kaiserthum Oesterreich, das in Wahr-
heit schon seit Leopold I. bestand, förmlich begründet; die Hauspolitik der
Habsburg-Lothringer, die seit drei Jahrhunderten allein auf die Wahrung

I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
die Erfahrungen der jüngſten fünfzehn Jahre beſtätigt zu werden ſchien:
als ob der Staat durch friedliche Verhandlungen einen Gewinn, eine
Verſtärkung ſeines unhaltbaren Beſitzſtandes erlangen könne. Auch der
gewandte neue Miniſter des Auswärtigen war noch weit entfernt von der
Einſicht, daß allein ein europäiſcher Bund gegen Frankreich die Rettung
bringen konnte, ſondern erhoffte von Frankreichs Freundſchaft eine Ver-
größerung des preußiſchen Gebiets.

Indeſſen mußte das heilige Reich den Becher der Schande bis zur
Hefe leeren. Als Bonaparte den Herzog von Enghien auf badiſchem Ge-
biete aufheben und zum Tode führen ließ, da wagten in Regensburg nur
die fremden Mächte Rußland, Schweden und England Genugthuung zu
fordern für die frevelhafte Verletzung des Reichsfriedens. Baden dagegen
erſuchte, auf Napoleons Befehl, inſtändig, die peinliche Angelegenheit nicht
zu verfolgen, die übrigen Geſandten aber traten vor der Zeit ihre Ferien
an, ſchnitten durch die Flucht jede weitere Verhandlung ab. Im Mai 1804
wurde das napoleoniſche Kaiſerthum gegründet; und es lag vor Augen:
die Krone, womit dieſer Uſurpator unter dem Segen des Papſtes ſeinen
Scheitel ſchmückte, war das Diadem der Caeſaren und der Karolinger.
Das römiſche Kaiſerthum ging von den Habsburg-Lothringern auf die
Napoleons über. Unverhohlen ſprach der Gewaltige ſchon von dem Kaiſer-
thum des Abendlandes; alle die altrömiſchen Erinnerungen, die in der
galliſchen Miſchcultur ſich erhalten hatten, rief er wach; die Adler des
kaiſerlichen Roms prangten auf den Feldzeichen ſeiner Legionen. Und ſchon
fragte er drohend in ſeinen Briefen: ob wohl Oeſterreich oder Rußland
die Narrheit begehen würden die Fahne der Empörung zu erheben?

Vergeblich beſchwor Gentz den Wiener Hof: die Anerkennung dieſer
angemaßten Krone werde den Unerſättlichen, der nur groß ſei durch die
Kleinheit ſeiner Knechte, zu neuen Uebergriffen ermuthigen. Der geiſtvolle
Anwalt der alten Staatengeſellſchaft erfand bereits die vieldeutige Formel,
welche nachher den Höfen bei der Bekämpfung des Bonapartismus zur
Richtſchnur gedient hat; es gelte, ſo ſchrieb er, das hiſtoriſche Recht zu
behaupten gegen das Recht der Empörung, gegen die Idee der Volks-
ſouveränität. Die ermüdete öſterreichiſche Politik blieb für ſolche Ideen
vorderhand noch ganz unempfänglich. Die Krone Karls des Großen war
ihrem rechtmäßigen Träger längſt verleidet, zumal da das Haus Lothringen
auf die Stimmen der Kurfürſten nicht mehr ſicher rechnen konnte. Kaiſer
Franz benutzte alſo die Aufrichtung der napoleoniſchen Monarchie um
den hohen Rang ſeines Hauſes für alle Zukunft ſicher zu ſtellen. Mit
Zuſtimmung Napoleons nahm er den Namen eines Kaiſers von Oeſter-
reich an, und zum Danke erhielt der Uſurpator die Anerkennung des
alten Kaiſerhauſes. So wurde das Kaiſerthum Oeſterreich, das in Wahr-
heit ſchon ſeit Leopold I. beſtand, förmlich begründet; die Hauspolitik der
Habsburg-Lothringer, die ſeit drei Jahrhunderten allein auf die Wahrung

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[216/0232] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. die Erfahrungen der jüngſten fünfzehn Jahre beſtätigt zu werden ſchien: als ob der Staat durch friedliche Verhandlungen einen Gewinn, eine Verſtärkung ſeines unhaltbaren Beſitzſtandes erlangen könne. Auch der gewandte neue Miniſter des Auswärtigen war noch weit entfernt von der Einſicht, daß allein ein europäiſcher Bund gegen Frankreich die Rettung bringen konnte, ſondern erhoffte von Frankreichs Freundſchaft eine Ver- größerung des preußiſchen Gebiets. Indeſſen mußte das heilige Reich den Becher der Schande bis zur Hefe leeren. Als Bonaparte den Herzog von Enghien auf badiſchem Ge- biete aufheben und zum Tode führen ließ, da wagten in Regensburg nur die fremden Mächte Rußland, Schweden und England Genugthuung zu fordern für die frevelhafte Verletzung des Reichsfriedens. Baden dagegen erſuchte, auf Napoleons Befehl, inſtändig, die peinliche Angelegenheit nicht zu verfolgen, die übrigen Geſandten aber traten vor der Zeit ihre Ferien an, ſchnitten durch die Flucht jede weitere Verhandlung ab. Im Mai 1804 wurde das napoleoniſche Kaiſerthum gegründet; und es lag vor Augen: die Krone, womit dieſer Uſurpator unter dem Segen des Papſtes ſeinen Scheitel ſchmückte, war das Diadem der Caeſaren und der Karolinger. Das römiſche Kaiſerthum ging von den Habsburg-Lothringern auf die Napoleons über. Unverhohlen ſprach der Gewaltige ſchon von dem Kaiſer- thum des Abendlandes; alle die altrömiſchen Erinnerungen, die in der galliſchen Miſchcultur ſich erhalten hatten, rief er wach; die Adler des kaiſerlichen Roms prangten auf den Feldzeichen ſeiner Legionen. Und ſchon fragte er drohend in ſeinen Briefen: ob wohl Oeſterreich oder Rußland die Narrheit begehen würden die Fahne der Empörung zu erheben? Vergeblich beſchwor Gentz den Wiener Hof: die Anerkennung dieſer angemaßten Krone werde den Unerſättlichen, der nur groß ſei durch die Kleinheit ſeiner Knechte, zu neuen Uebergriffen ermuthigen. Der geiſtvolle Anwalt der alten Staatengeſellſchaft erfand bereits die vieldeutige Formel, welche nachher den Höfen bei der Bekämpfung des Bonapartismus zur Richtſchnur gedient hat; es gelte, ſo ſchrieb er, das hiſtoriſche Recht zu behaupten gegen das Recht der Empörung, gegen die Idee der Volks- ſouveränität. Die ermüdete öſterreichiſche Politik blieb für ſolche Ideen vorderhand noch ganz unempfänglich. Die Krone Karls des Großen war ihrem rechtmäßigen Träger längſt verleidet, zumal da das Haus Lothringen auf die Stimmen der Kurfürſten nicht mehr ſicher rechnen konnte. Kaiſer Franz benutzte alſo die Aufrichtung der napoleoniſchen Monarchie um den hohen Rang ſeines Hauſes für alle Zukunft ſicher zu ſtellen. Mit Zuſtimmung Napoleons nahm er den Namen eines Kaiſers von Oeſter- reich an, und zum Danke erhielt der Uſurpator die Anerkennung des alten Kaiſerhauſes. So wurde das Kaiſerthum Oeſterreich, das in Wahr- heit ſchon ſeit Leopold I. beſtand, förmlich begründet; die Hauspolitik der Habsburg-Lothringer, die ſeit drei Jahrhunderten allein auf die Wahrung

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/232>, abgerufen am 24.11.2024.