Franzosen gewähren. Am 4. Juni 1803 zogen die französischen Truppen, zur Feier des Geburtstages Georgs III., in die Stadt Hannover ein. Mortier sperrte die Elbe und Weser, erhob Contributionen im Gebiete der Hansestädte. Zwei Jahre lang währte die Besetzung und Aussaugung des hannoverschen Landes; Bonaparte gab eigenhändig Anweisungen, wie der königliche Marstall nach Paris geschafft, die Forsten zum Besten der fran- zösischen Flotte verwüstet werden sollten. Eine zweite noch schimpflichere Capitulation führte sodann zur Entwaffnung der kleinen Armee. Den Tod im Herzen, fluchend auf die Hundsvötter von der Regierung und den Land- ständen, ließen die verrathenen Soldaten die Schande über sich ergehen. Hunderte entkamen einzeln an Bord englischer Schiffe und traten in die deutsche Legion des Königs von Großbritannien. Jedermann im Lande unterstützte die Flüchtigen und half ihnen weiter; das Volk hielt zusammen wie in einer großen Verschwörung. Die unglücklichen Capitulanten von Suhlingen bildeten den Kern jener glorreichen Regimenter, welche nachher in Spanien den Kampf gegen Frankreich wieder aufnahmen und das stolze Peninsula auf ihre Fahnen schrieben. So unverwüstlich dauerte die alte Treue im deutschen Volke; nur der große Wille fehlte, der solche herrliche Kräfte würdig zu benutzen verstand.
Als es zu spät war erkannte Czar Alexander den begangenen Fehler. Das Berliner Cabinet aber bemühte sich in vergeblichen Unterhandlungen den ersten Consul zur Räumung des hannoverschen Landes zu bewegen. Die holden Täuschungen, welche der leichtgläubige Lombard von einer Unter- redung mit Bonaparte aus Brüssel heimbrachte, verflogen schnell. Bald erfuhr man, daß Frankreich die preußische Allianz verlangte, ohne irgend eine ernste Gegenleistung zu versprechen. Der König fühlte, daß er einen solchen Schritt vor seinem Lande nicht verantworten könne, und wendete sich wieder an Rußland um seinen Staat aus einer unerträglichen Pressung zu befreien. Es war sein Verdienst, daß am 4. Mai 1804 Preußen und Rußland sich zu gegenseitiger Hilfe verpflichteten, falls Bonaparte noch in andere deutsche Reichslande übergreifen sollte. Aber zugleich unterhandelte man mit Frankreich, erhielt die unbestimmte Zusage, daß die französischen Truppen nicht über die hannoverschen Grenzen hinausschreiten würden, und verbürgte sich für die Neutralität Norddeutschlands. Noch immer fehlte es in Berlin nicht an guten Einfällen und Absichten. Man ließ in Weimar wegen einer Erneuerung des Fürstenbundes anfragen, und Hardenberg, der seit April 1804 dem Ministerium angehörte, sprach bereits die Idee aus, welche nachher in der zweiten Hälfte seines öffentlichen Lebens den Grundgedanken seiner deutschen Politik gebildet hat: den Plan, ganz Deutschland zu einem Staatenbunde unter der gemeinsamen Führung Oesterreichs und Preußens zu vereinigen. Doch jedem guten Einfall brach die friedensselige Aengstlichkeit des Cabinets die Spitze ab. Alle preußischen Staatsmänner schmeichelten sich mit dem Wahne, der durch
Beſetzung von Hannover.
Franzoſen gewähren. Am 4. Juni 1803 zogen die franzöſiſchen Truppen, zur Feier des Geburtstages Georgs III., in die Stadt Hannover ein. Mortier ſperrte die Elbe und Weſer, erhob Contributionen im Gebiete der Hanſeſtädte. Zwei Jahre lang währte die Beſetzung und Ausſaugung des hannoverſchen Landes; Bonaparte gab eigenhändig Anweiſungen, wie der königliche Marſtall nach Paris geſchafft, die Forſten zum Beſten der fran- zöſiſchen Flotte verwüſtet werden ſollten. Eine zweite noch ſchimpflichere Capitulation führte ſodann zur Entwaffnung der kleinen Armee. Den Tod im Herzen, fluchend auf die Hundsvötter von der Regierung und den Land- ſtänden, ließen die verrathenen Soldaten die Schande über ſich ergehen. Hunderte entkamen einzeln an Bord engliſcher Schiffe und traten in die deutſche Legion des Königs von Großbritannien. Jedermann im Lande unterſtützte die Flüchtigen und half ihnen weiter; das Volk hielt zuſammen wie in einer großen Verſchwörung. Die unglücklichen Capitulanten von Suhlingen bildeten den Kern jener glorreichen Regimenter, welche nachher in Spanien den Kampf gegen Frankreich wieder aufnahmen und das ſtolze Peninsula auf ihre Fahnen ſchrieben. So unverwüſtlich dauerte die alte Treue im deutſchen Volke; nur der große Wille fehlte, der ſolche herrliche Kräfte würdig zu benutzen verſtand.
Als es zu ſpät war erkannte Czar Alexander den begangenen Fehler. Das Berliner Cabinet aber bemühte ſich in vergeblichen Unterhandlungen den erſten Conſul zur Räumung des hannoverſchen Landes zu bewegen. Die holden Täuſchungen, welche der leichtgläubige Lombard von einer Unter- redung mit Bonaparte aus Brüſſel heimbrachte, verflogen ſchnell. Bald erfuhr man, daß Frankreich die preußiſche Allianz verlangte, ohne irgend eine ernſte Gegenleiſtung zu verſprechen. Der König fühlte, daß er einen ſolchen Schritt vor ſeinem Lande nicht verantworten könne, und wendete ſich wieder an Rußland um ſeinen Staat aus einer unerträglichen Preſſung zu befreien. Es war ſein Verdienſt, daß am 4. Mai 1804 Preußen und Rußland ſich zu gegenſeitiger Hilfe verpflichteten, falls Bonaparte noch in andere deutſche Reichslande übergreifen ſollte. Aber zugleich unterhandelte man mit Frankreich, erhielt die unbeſtimmte Zuſage, daß die franzöſiſchen Truppen nicht über die hannoverſchen Grenzen hinausſchreiten würden, und verbürgte ſich für die Neutralität Norddeutſchlands. Noch immer fehlte es in Berlin nicht an guten Einfällen und Abſichten. Man ließ in Weimar wegen einer Erneuerung des Fürſtenbundes anfragen, und Hardenberg, der ſeit April 1804 dem Miniſterium angehörte, ſprach bereits die Idee aus, welche nachher in der zweiten Hälfte ſeines öffentlichen Lebens den Grundgedanken ſeiner deutſchen Politik gebildet hat: den Plan, ganz Deutſchland zu einem Staatenbunde unter der gemeinſamen Führung Oeſterreichs und Preußens zu vereinigen. Doch jedem guten Einfall brach die friedensſelige Aengſtlichkeit des Cabinets die Spitze ab. Alle preußiſchen Staatsmänner ſchmeichelten ſich mit dem Wahne, der durch
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Beſetzung von Hannover.
Franzoſen gewähren. Am 4. Juni 1803 zogen die franzöſiſchen Truppen,
zur Feier des Geburtstages Georgs III., in die Stadt Hannover ein.
Mortier ſperrte die Elbe und Weſer, erhob Contributionen im Gebiete der
Hanſeſtädte. Zwei Jahre lang währte die Beſetzung und Ausſaugung des
hannoverſchen Landes; Bonaparte gab eigenhändig Anweiſungen, wie der
königliche Marſtall nach Paris geſchafft, die Forſten zum Beſten der fran-
zöſiſchen Flotte verwüſtet werden ſollten. Eine zweite noch ſchimpflichere
Capitulation führte ſodann zur Entwaffnung der kleinen Armee. Den Tod
im Herzen, fluchend auf die Hundsvötter von der Regierung und den Land-
ſtänden, ließen die verrathenen Soldaten die Schande über ſich ergehen.
Hunderte entkamen einzeln an Bord engliſcher Schiffe und traten in die
deutſche Legion des Königs von Großbritannien. Jedermann im Lande
unterſtützte die Flüchtigen und half ihnen weiter; das Volk hielt zuſammen
wie in einer großen Verſchwörung. Die unglücklichen Capitulanten von
Suhlingen bildeten den Kern jener glorreichen Regimenter, welche nachher
in Spanien den Kampf gegen Frankreich wieder aufnahmen und das
ſtolze Peninsula auf ihre Fahnen ſchrieben. So unverwüſtlich dauerte
die alte Treue im deutſchen Volke; nur der große Wille fehlte, der ſolche
herrliche Kräfte würdig zu benutzen verſtand.
Als es zu ſpät war erkannte Czar Alexander den begangenen Fehler.
Das Berliner Cabinet aber bemühte ſich in vergeblichen Unterhandlungen
den erſten Conſul zur Räumung des hannoverſchen Landes zu bewegen. Die
holden Täuſchungen, welche der leichtgläubige Lombard von einer Unter-
redung mit Bonaparte aus Brüſſel heimbrachte, verflogen ſchnell. Bald
erfuhr man, daß Frankreich die preußiſche Allianz verlangte, ohne irgend
eine ernſte Gegenleiſtung zu verſprechen. Der König fühlte, daß er einen
ſolchen Schritt vor ſeinem Lande nicht verantworten könne, und wendete
ſich wieder an Rußland um ſeinen Staat aus einer unerträglichen Preſſung
zu befreien. Es war ſein Verdienſt, daß am 4. Mai 1804 Preußen und
Rußland ſich zu gegenſeitiger Hilfe verpflichteten, falls Bonaparte noch in
andere deutſche Reichslande übergreifen ſollte. Aber zugleich unterhandelte
man mit Frankreich, erhielt die unbeſtimmte Zuſage, daß die franzöſiſchen
Truppen nicht über die hannoverſchen Grenzen hinausſchreiten würden,
und verbürgte ſich für die Neutralität Norddeutſchlands. Noch immer
fehlte es in Berlin nicht an guten Einfällen und Abſichten. Man ließ
in Weimar wegen einer Erneuerung des Fürſtenbundes anfragen, und
Hardenberg, der ſeit April 1804 dem Miniſterium angehörte, ſprach bereits
die Idee aus, welche nachher in der zweiten Hälfte ſeines öffentlichen Lebens
den Grundgedanken ſeiner deutſchen Politik gebildet hat: den Plan, ganz
Deutſchland zu einem Staatenbunde unter der gemeinſamen Führung
Oeſterreichs und Preußens zu vereinigen. Doch jedem guten Einfall
brach die friedensſelige Aengſtlichkeit des Cabinets die Spitze ab. Alle
preußiſchen Staatsmänner ſchmeichelten ſich mit dem Wahne, der durch
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/231>, abgerufen am 23.07.2024.
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