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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Folgen der Secularisationen.
monarchischen Formen, sondern zogen sich verdrossen, grollend zurück von
dem Leben der Nation; nur dem Erzhause Oesterreich gaben sie noch nach
altem Brauche ihre Söhne in den Dienst. Aus den Kreisen dieses katho-
lischen Adels erwuchs dem neuen weltlichen Deutschland eine tief verbitterte
Opposition, die, im Stillen einflußreich, bis zum heutigen Tage den inneren
Frieden oft gestört, doch am letzten Ende durch unfruchtbares Verneinen
nur den demokratischen Zug unserer jüngsten Geschichte gefördert hat.

Am Leichtesten fügten sich die mediatisirten Reichsstädte in die neue
Ordnung der Dinge. Wohl stieß da und dort der schwerfällige Stolz
der ehrenfesten Patricier mit der durchfahrenden Willkür der mittelstaat-
lichen Bureaukratie hart zusammen, und Mancher selbst aus dem jüngeren
Geschlechte bewahrte sich, wie Friedrich List, sein Leben lang das trotzige
Selbstgefühl des alten Reichsbürgers; indeß das Bewußtsein hilfloser Ohn-
macht ließ nirgends einen ernsten Widerstand aufkommen. Am Reichs-
tage bemerkte man kaum die Zerstörung des dritten Collegiums, das vor
Zeiten so mächtig gewesen war wie die beiden oberen zusammen. Die
wenigen Reichsstädte, welche der Vernichtung vorläufig noch entgangen
waren, bedeuteten nichts mehr neben der Uebermacht der Fürsten, ja sie
wurden durch den Reichsdeputationshauptschluß von der großen Politik
geradezu ausgeschlossen: an den Berathungen über Krieg und Frieden sollten
sie nicht theilnehmen und im Reichskriege einer unbedingten Neutralität
genießen. Das friedensselige Geschlecht fand an dieser ungeheuerlichen
Bestimmung kein Arg. Den Hamburger Rhedern ging ein alter Herzens-
wunsch in Erfüllung, den der wackere Büsch oftmals unbefangen ausge-
sprochen hatte; auch die Presse im Binnenlande rief Beifall: solche weise
Begünstigung des Handels gereiche der Aufklärung unserer Tage zur Ehre.

So ging denn aus den vielhundertjährigen Kämpfen der politischen
Kräfte im Reiche die fürstliche Gewalt als die einzige Siegerin hervor.
Die hierarchischen, die communalen, die aristokratischen Staatsbildungen
des alten Deutschlands waren bis auf wenige Trümmer vernichtet. Was
nicht fürstlichen Blutes war sank in die Masse der Unterthanen hinab;
der Abstand zwischen den Fürsten und dem Volke, der in dem Zeitalter
der absoluten Monarchie immer größer geworden, erweiterte sich jetzt noch
mehr. Und wie ungeheuer stark zeigte sich wieder die Einwirkung des
Fürstenstandes auf unser nationales Leben! Wie einst die kirchliche Re-
formation bei den Landesherren ihren Schutz und ihre Rettung gefunden
hatte, so wurde nun die politische Revolution von oben her einem gelassen
schweigenden Volke auferlegt. Nicht die Propaganda der überrheinischen
Republikaner, sondern die dynastische Politik der deutschen Höfe hat die
Grundsätze des revolutionären Frankreichs auf unserem Boden eingebürgert;
und sie schritt vorwärts mit derselben durchgreifenden Rücksichtslosigkeit
wie die Parteien des Convents, im Namen des salut public zerstörte sie
achtlos das historische Recht.

Folgen der Seculariſationen.
monarchiſchen Formen, ſondern zogen ſich verdroſſen, grollend zurück von
dem Leben der Nation; nur dem Erzhauſe Oeſterreich gaben ſie noch nach
altem Brauche ihre Söhne in den Dienſt. Aus den Kreiſen dieſes katho-
liſchen Adels erwuchs dem neuen weltlichen Deutſchland eine tief verbitterte
Oppoſition, die, im Stillen einflußreich, bis zum heutigen Tage den inneren
Frieden oft geſtört, doch am letzten Ende durch unfruchtbares Verneinen
nur den demokratiſchen Zug unſerer jüngſten Geſchichte gefördert hat.

Am Leichteſten fügten ſich die mediatiſirten Reichsſtädte in die neue
Ordnung der Dinge. Wohl ſtieß da und dort der ſchwerfällige Stolz
der ehrenfeſten Patricier mit der durchfahrenden Willkür der mittelſtaat-
lichen Bureaukratie hart zuſammen, und Mancher ſelbſt aus dem jüngeren
Geſchlechte bewahrte ſich, wie Friedrich Liſt, ſein Leben lang das trotzige
Selbſtgefühl des alten Reichsbürgers; indeß das Bewußtſein hilfloſer Ohn-
macht ließ nirgends einen ernſten Widerſtand aufkommen. Am Reichs-
tage bemerkte man kaum die Zerſtörung des dritten Collegiums, das vor
Zeiten ſo mächtig geweſen war wie die beiden oberen zuſammen. Die
wenigen Reichsſtädte, welche der Vernichtung vorläufig noch entgangen
waren, bedeuteten nichts mehr neben der Uebermacht der Fürſten, ja ſie
wurden durch den Reichsdeputationshauptſchluß von der großen Politik
geradezu ausgeſchloſſen: an den Berathungen über Krieg und Frieden ſollten
ſie nicht theilnehmen und im Reichskriege einer unbedingten Neutralität
genießen. Das friedensſelige Geſchlecht fand an dieſer ungeheuerlichen
Beſtimmung kein Arg. Den Hamburger Rhedern ging ein alter Herzens-
wunſch in Erfüllung, den der wackere Büſch oftmals unbefangen ausge-
ſprochen hatte; auch die Preſſe im Binnenlande rief Beifall: ſolche weiſe
Begünſtigung des Handels gereiche der Aufklärung unſerer Tage zur Ehre.

So ging denn aus den vielhundertjährigen Kämpfen der politiſchen
Kräfte im Reiche die fürſtliche Gewalt als die einzige Siegerin hervor.
Die hierarchiſchen, die communalen, die ariſtokratiſchen Staatsbildungen
des alten Deutſchlands waren bis auf wenige Trümmer vernichtet. Was
nicht fürſtlichen Blutes war ſank in die Maſſe der Unterthanen hinab;
der Abſtand zwiſchen den Fürſten und dem Volke, der in dem Zeitalter
der abſoluten Monarchie immer größer geworden, erweiterte ſich jetzt noch
mehr. Und wie ungeheuer ſtark zeigte ſich wieder die Einwirkung des
Fürſtenſtandes auf unſer nationales Leben! Wie einſt die kirchliche Re-
formation bei den Landesherren ihren Schutz und ihre Rettung gefunden
hatte, ſo wurde nun die politiſche Revolution von oben her einem gelaſſen
ſchweigenden Volke auferlegt. Nicht die Propaganda der überrheiniſchen
Republikaner, ſondern die dynaſtiſche Politik der deutſchen Höfe hat die
Grundſätze des revolutionären Frankreichs auf unſerem Boden eingebürgert;
und ſie ſchritt vorwärts mit derſelben durchgreifenden Rückſichtsloſigkeit
wie die Parteien des Convents, im Namen des salut public zerſtörte ſie
achtlos das hiſtoriſche Recht.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/205>, abgerufen am 24.11.2024.