Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.I. 2. Revolution und Fremdherrschaft. reichs Niederlagen, und wieder, heuchlerischer denn je zuvor, erklangenam Reichstage jene weihevollen reichsväterlichen Phrasen, womit die un- deutsche Kaisermacht ihre Hauspolitik zu bemänteln pflegte. Während in den geheimen Artikeln von Campo Formio die Verstümmelung der deut- schen Westgrenze, die Secularisation geistlichen Gebietes, die Entschädigung ausländischer Fürsten auf Kosten des Reiches ausbedungen war, sprach der veröffentlichte Wortlaut des Friedensschlusses von der unangetasteten Integrität des Reichs. Ein kaiserliches Hofdecret lud die Reichsstände zu einem Congresse nach Rastatt, damit dort "auf der Basis der Integrität Deutschlands Verfassung und Wohlfahrt zur bleibenden Wonne der fried- liebenden Menschheit auf Jahrhunderte befestigt werde". Auf dem Rastatter Congresse traten die Gesandten der Republik als die herrischen Schieds- richter der deutschen Händel auf. An dreihundert deutsche Diplomaten waren versammelt; viele Gelehrte darunter, begierig, die große Räthsel- sammlung des Reichsrechts durch einige neue Ungeheuerlichkeiten zu be- reichern. Man warb wetteifernd durch Schmeichelei und Bestechung um die Gnade der hochmüthigen Fremden. Französische Sprache und Sitte herrschten vor; allabendlich rief das amtliche Deutschland den französischen Schauspielern Beifall, wenn sie ihre Witze über die betes allemandes zum Besten gaben. Den österreichischen Staatsmännern fiel die Aufgabe zu, die Verabredungen von Campo Formio vor den Gesandten der Reichs- stände geheim zu halten. Das unwahre Spiel glückte eine Zeit lang, da der Kaiser durch drei Gesandtschaften, als Kaiser, als Erzherzog von Oesterreich, als König von Ungarn, vertreten war und immer der eine seiner Gesandten sich gemächlich hinter den beiden anderen verstecken konnte. Endlich mußte das unselige Geheimniß doch kund werden. Auf Weih- I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. reichs Niederlagen, und wieder, heuchleriſcher denn je zuvor, erklangenam Reichstage jene weihevollen reichsväterlichen Phraſen, womit die un- deutſche Kaiſermacht ihre Hauspolitik zu bemänteln pflegte. Während in den geheimen Artikeln von Campo Formio die Verſtümmelung der deut- ſchen Weſtgrenze, die Seculariſation geiſtlichen Gebietes, die Entſchädigung ausländiſcher Fürſten auf Koſten des Reiches ausbedungen war, ſprach der veröffentlichte Wortlaut des Friedensſchluſſes von der unangetaſteten Integrität des Reichs. Ein kaiſerliches Hofdecret lud die Reichsſtände zu einem Congreſſe nach Raſtatt, damit dort „auf der Baſis der Integrität Deutſchlands Verfaſſung und Wohlfahrt zur bleibenden Wonne der fried- liebenden Menſchheit auf Jahrhunderte befeſtigt werde“. Auf dem Raſtatter Congreſſe traten die Geſandten der Republik als die herriſchen Schieds- richter der deutſchen Händel auf. An dreihundert deutſche Diplomaten waren verſammelt; viele Gelehrte darunter, begierig, die große Räthſel- ſammlung des Reichsrechts durch einige neue Ungeheuerlichkeiten zu be- reichern. Man warb wetteifernd durch Schmeichelei und Beſtechung um die Gnade der hochmüthigen Fremden. Franzöſiſche Sprache und Sitte herrſchten vor; allabendlich rief das amtliche Deutſchland den franzöſiſchen Schauſpielern Beifall, wenn ſie ihre Witze über die bêtes allemandes zum Beſten gaben. Den öſterreichiſchen Staatsmännern fiel die Aufgabe zu, die Verabredungen von Campo Formio vor den Geſandten der Reichs- ſtände geheim zu halten. Das unwahre Spiel glückte eine Zeit lang, da der Kaiſer durch drei Geſandtſchaften, als Kaiſer, als Erzherzog von Oeſterreich, als König von Ungarn, vertreten war und immer der eine ſeiner Geſandten ſich gemächlich hinter den beiden anderen verſtecken konnte. Endlich mußte das unſelige Geheimniß doch kund werden. Auf Weih- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0182" n="166"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> 2. Revolution und Fremdherrſchaft.</fw><lb/> reichs Niederlagen, und wieder, heuchleriſcher denn je zuvor, erklangen<lb/> am Reichstage jene weihevollen reichsväterlichen Phraſen, womit die un-<lb/> deutſche Kaiſermacht ihre Hauspolitik zu bemänteln pflegte. 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I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
reichs Niederlagen, und wieder, heuchleriſcher denn je zuvor, erklangen
am Reichstage jene weihevollen reichsväterlichen Phraſen, womit die un-
deutſche Kaiſermacht ihre Hauspolitik zu bemänteln pflegte. Während in
den geheimen Artikeln von Campo Formio die Verſtümmelung der deut-
ſchen Weſtgrenze, die Seculariſation geiſtlichen Gebietes, die Entſchädigung
ausländiſcher Fürſten auf Koſten des Reiches ausbedungen war, ſprach
der veröffentlichte Wortlaut des Friedensſchluſſes von der unangetaſteten
Integrität des Reichs. Ein kaiſerliches Hofdecret lud die Reichsſtände zu
einem Congreſſe nach Raſtatt, damit dort „auf der Baſis der Integrität
Deutſchlands Verfaſſung und Wohlfahrt zur bleibenden Wonne der fried-
liebenden Menſchheit auf Jahrhunderte befeſtigt werde“. Auf dem Raſtatter
Congreſſe traten die Geſandten der Republik als die herriſchen Schieds-
richter der deutſchen Händel auf. An dreihundert deutſche Diplomaten
waren verſammelt; viele Gelehrte darunter, begierig, die große Räthſel-
ſammlung des Reichsrechts durch einige neue Ungeheuerlichkeiten zu be-
reichern. Man warb wetteifernd durch Schmeichelei und Beſtechung um
die Gnade der hochmüthigen Fremden. Franzöſiſche Sprache und Sitte
herrſchten vor; allabendlich rief das amtliche Deutſchland den franzöſiſchen
Schauſpielern Beifall, wenn ſie ihre Witze über die bêtes allemandes
zum Beſten gaben. Den öſterreichiſchen Staatsmännern fiel die Aufgabe
zu, die Verabredungen von Campo Formio vor den Geſandten der Reichs-
ſtände geheim zu halten. Das unwahre Spiel glückte eine Zeit lang, da
der Kaiſer durch drei Geſandtſchaften, als Kaiſer, als Erzherzog von
Oeſterreich, als König von Ungarn, vertreten war und immer der eine
ſeiner Geſandten ſich gemächlich hinter den beiden anderen verſtecken konnte.
Endlich mußte das unſelige Geheimniß doch kund werden. Auf Weih-
nachten 1797 wurde Mainz von den kaiſerlichen Truppen geräumt. Die
ganze hoffnungslos verworrene Lage der beiden ſchickſalsverwandten Na-
tionen Mitteleuropas kam an den Tag, da zur nämlichen Zeit die Franzoſen
das unbeſiegte Bollwerk des Rheinlandes beſetzten und die beſiegten Oeſter-
reicher in der Stadt des heiligen Marcus einrückten. Bald darauf traten
Frankreichs Bevollmächtigte in Raſtatt offen mit der Forderung des linken
Rheinufers heraus. Es war die erſte amtliche Ankündigung der Vernich-
tung des heiligen Reichs. Denn nach der patrimonialen Staatsauffaſſung
des Reichsrechts verſtand es ſich von ſelbſt, daß die Häuſer der weltlichen
Erbfürſten für ihre linksrheiniſchen Verluſte entſchädigt werden mußten,
während man die geiſtlichen Wahlfürſten — in den franzöſiſchen Staats-
ſchriften erhielten ſie den bezeichnenden Namen: princes usufruitiers —
für ihre Nutznießungsrechte durch Penſionen abfinden konnte. Der Ge-
danke einer allgemeinen Seculariſation, der ſich ſeit Jahren immer un-
abwendbarer aufgedrängt hatte, erſchien jetzt als das letzte Mittel die
dynaſtiſchen Wünſche des deutſchen Fürſtenſtandes zu befriedigen. Der
große Beutezug des hohen Adels gegen das Kirchengut begann. Der Kaiſer
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