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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
nur im Kriege konnte die siegreiche Minderheit hoffen sich im Besitze der
Gewalt zu befestigen.

Mit dem italienischen Feldzuge des Jahres 1796 begann die zweite,
die für den Welttheil fruchtbarere Epoche des Zeitalters der Revolution.
Die revolutionäre Propaganda wurde jetzt erst wahrhaft wirksam; eine
neue Ordnung der Dinge verdrängte die alte Ländervertheilung, die über-
lieferten Formen von Staat und Gesellschaft in Mitteleuropa. Erst durch
Bonapartes Siege erlangten Frankreichs Waffen ein unbestreitbares Ueber-
gewicht. Als der junge Held, die Alpen umgehend, vom Süden her in
Oberitalien einbrach, erwies er sich sofort als Meister einer neuen,
kühneren Kriegsweise, die ohne Magazine den Krieg durch den Krieg, durch
die Hilfsquellen des eroberten Landes zu ernähren verstand und sich nicht
scheute, auf die Gefahr der Vernichtung hin, mit verwandter Front dem
Feinde den Kampf anzubieten. Die Schlachten waren nicht mehr, wie
zur Zeit der alten Lineartaktik, ein einfaches Ringen zweier festgeschlossenen
Linien, die einander zu durchbrechen versuchten. Bonaparte gab ihrem
Verlaufe dramatische Bewegung und Steigerung; durch die überwältigen-
den Massenschläge seiner aufgesparten Reservetruppen erzwang er die Ent-
scheidung, wenn die Kraft der vorderen Treffen vernutzt war, und Keiner
wußte wie er, die Gunst des Glückes bis zum Letzten auszubeuten. Nicht
die Schonung der eigenen Truppen galt ihm als die erste Aufgabe des
Heerführers, wie einst den Feldherren der kostbaren alten Söldnerheere
-- denn jeden Verlust konnte die Conscription leicht ersetzen: -- sondern
die Zertrümmerung der feindlichen Macht. In raschem Zuge durch die
Länder dahinfegend strebte er dem Gegner ins Herz zu stoßen, ihm seine
Hauptstadt zu entreißen. Begeistert für sich selber und den Glanz seiner
Fahnen, ganz durchglüht von der finsteren, majestätischen Poesie des
Krieges, erzog er seine Truppen zu blinder Zuversicht auf seinen Stern,
wies ihnen "Ehre, Ruhm und Reichthümer" als des Krieges höchste Ziele
und erfüllte sie bis ins Mark mit einer rastlosen, abenteuerlichen Lands-
knechtsgesinnung, die alles Reden von Völkerglück und Völkerfreiheit als
hohles Geschwätz verachtete. Er taufte die Franzosen mit dem klug er-
fundenen Namen der großen Nation und riß das an den Parteikämpfen
verekelte Volk in einen Rausch der Selbstüberhebung und der Kriegslust
hinein, der sich stärker und nachhaltiger zeigte als die Freiheitsbegeisterung
der ersten Tage der Revolution.

Wie die Kriegsweise so erhielt auch die europäische Politik Frankreichs
durch den Sieger von Montenotte und Rivoli einen veränderten Charakter.
Die Pläne der Republik waren, trotz der kosmopolitischen Schlagworte,
womit sie zu prunken liebte, doch nicht wesentlich hinausgegangen über die
alten Ziele, welche das bourbonische Haus der nationalen Politik gewiesen
hatte: sie wollte ihre Grenzen gegen Osten erweitern, durch die Schwächung
Deutschlands dem französischen Staate das Uebergewicht im Rathe Europas

I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
nur im Kriege konnte die ſiegreiche Minderheit hoffen ſich im Beſitze der
Gewalt zu befeſtigen.

Mit dem italieniſchen Feldzuge des Jahres 1796 begann die zweite,
die für den Welttheil fruchtbarere Epoche des Zeitalters der Revolution.
Die revolutionäre Propaganda wurde jetzt erſt wahrhaft wirkſam; eine
neue Ordnung der Dinge verdrängte die alte Ländervertheilung, die über-
lieferten Formen von Staat und Geſellſchaft in Mitteleuropa. Erſt durch
Bonapartes Siege erlangten Frankreichs Waffen ein unbeſtreitbares Ueber-
gewicht. Als der junge Held, die Alpen umgehend, vom Süden her in
Oberitalien einbrach, erwies er ſich ſofort als Meiſter einer neuen,
kühneren Kriegsweiſe, die ohne Magazine den Krieg durch den Krieg, durch
die Hilfsquellen des eroberten Landes zu ernähren verſtand und ſich nicht
ſcheute, auf die Gefahr der Vernichtung hin, mit verwandter Front dem
Feinde den Kampf anzubieten. Die Schlachten waren nicht mehr, wie
zur Zeit der alten Lineartaktik, ein einfaches Ringen zweier feſtgeſchloſſenen
Linien, die einander zu durchbrechen verſuchten. Bonaparte gab ihrem
Verlaufe dramatiſche Bewegung und Steigerung; durch die überwältigen-
den Maſſenſchläge ſeiner aufgeſparten Reſervetruppen erzwang er die Ent-
ſcheidung, wenn die Kraft der vorderen Treffen vernutzt war, und Keiner
wußte wie er, die Gunſt des Glückes bis zum Letzten auszubeuten. Nicht
die Schonung der eigenen Truppen galt ihm als die erſte Aufgabe des
Heerführers, wie einſt den Feldherren der koſtbaren alten Söldnerheere
— denn jeden Verluſt konnte die Conſcription leicht erſetzen: — ſondern
die Zertrümmerung der feindlichen Macht. In raſchem Zuge durch die
Länder dahinfegend ſtrebte er dem Gegner ins Herz zu ſtoßen, ihm ſeine
Hauptſtadt zu entreißen. Begeiſtert für ſich ſelber und den Glanz ſeiner
Fahnen, ganz durchglüht von der finſteren, majeſtätiſchen Poeſie des
Krieges, erzog er ſeine Truppen zu blinder Zuverſicht auf ſeinen Stern,
wies ihnen „Ehre, Ruhm und Reichthümer“ als des Krieges höchſte Ziele
und erfüllte ſie bis ins Mark mit einer raſtloſen, abenteuerlichen Lands-
knechtsgeſinnung, die alles Reden von Völkerglück und Völkerfreiheit als
hohles Geſchwätz verachtete. Er taufte die Franzoſen mit dem klug er-
fundenen Namen der großen Nation und riß das an den Parteikämpfen
verekelte Volk in einen Rauſch der Selbſtüberhebung und der Kriegsluſt
hinein, der ſich ſtärker und nachhaltiger zeigte als die Freiheitsbegeiſterung
der erſten Tage der Revolution.

Wie die Kriegsweiſe ſo erhielt auch die europäiſche Politik Frankreichs
durch den Sieger von Montenotte und Rivoli einen veränderten Charakter.
Die Pläne der Republik waren, trotz der kosmopolitiſchen Schlagworte,
womit ſie zu prunken liebte, doch nicht weſentlich hinausgegangen über die
alten Ziele, welche das bourboniſche Haus der nationalen Politik gewieſen
hatte: ſie wollte ihre Grenzen gegen Oſten erweitern, durch die Schwächung
Deutſchlands dem franzöſiſchen Staate das Uebergewicht im Rathe Europas

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[164/0180] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. nur im Kriege konnte die ſiegreiche Minderheit hoffen ſich im Beſitze der Gewalt zu befeſtigen. Mit dem italieniſchen Feldzuge des Jahres 1796 begann die zweite, die für den Welttheil fruchtbarere Epoche des Zeitalters der Revolution. Die revolutionäre Propaganda wurde jetzt erſt wahrhaft wirkſam; eine neue Ordnung der Dinge verdrängte die alte Ländervertheilung, die über- lieferten Formen von Staat und Geſellſchaft in Mitteleuropa. Erſt durch Bonapartes Siege erlangten Frankreichs Waffen ein unbeſtreitbares Ueber- gewicht. Als der junge Held, die Alpen umgehend, vom Süden her in Oberitalien einbrach, erwies er ſich ſofort als Meiſter einer neuen, kühneren Kriegsweiſe, die ohne Magazine den Krieg durch den Krieg, durch die Hilfsquellen des eroberten Landes zu ernähren verſtand und ſich nicht ſcheute, auf die Gefahr der Vernichtung hin, mit verwandter Front dem Feinde den Kampf anzubieten. Die Schlachten waren nicht mehr, wie zur Zeit der alten Lineartaktik, ein einfaches Ringen zweier feſtgeſchloſſenen Linien, die einander zu durchbrechen verſuchten. Bonaparte gab ihrem Verlaufe dramatiſche Bewegung und Steigerung; durch die überwältigen- den Maſſenſchläge ſeiner aufgeſparten Reſervetruppen erzwang er die Ent- ſcheidung, wenn die Kraft der vorderen Treffen vernutzt war, und Keiner wußte wie er, die Gunſt des Glückes bis zum Letzten auszubeuten. Nicht die Schonung der eigenen Truppen galt ihm als die erſte Aufgabe des Heerführers, wie einſt den Feldherren der koſtbaren alten Söldnerheere — denn jeden Verluſt konnte die Conſcription leicht erſetzen: — ſondern die Zertrümmerung der feindlichen Macht. In raſchem Zuge durch die Länder dahinfegend ſtrebte er dem Gegner ins Herz zu ſtoßen, ihm ſeine Hauptſtadt zu entreißen. Begeiſtert für ſich ſelber und den Glanz ſeiner Fahnen, ganz durchglüht von der finſteren, majeſtätiſchen Poeſie des Krieges, erzog er ſeine Truppen zu blinder Zuverſicht auf ſeinen Stern, wies ihnen „Ehre, Ruhm und Reichthümer“ als des Krieges höchſte Ziele und erfüllte ſie bis ins Mark mit einer raſtloſen, abenteuerlichen Lands- knechtsgeſinnung, die alles Reden von Völkerglück und Völkerfreiheit als hohles Geſchwätz verachtete. Er taufte die Franzoſen mit dem klug er- fundenen Namen der großen Nation und riß das an den Parteikämpfen verekelte Volk in einen Rauſch der Selbſtüberhebung und der Kriegsluſt hinein, der ſich ſtärker und nachhaltiger zeigte als die Freiheitsbegeiſterung der erſten Tage der Revolution. Wie die Kriegsweiſe ſo erhielt auch die europäiſche Politik Frankreichs durch den Sieger von Montenotte und Rivoli einen veränderten Charakter. Die Pläne der Republik waren, trotz der kosmopolitiſchen Schlagworte, womit ſie zu prunken liebte, doch nicht weſentlich hinausgegangen über die alten Ziele, welche das bourboniſche Haus der nationalen Politik gewieſen hatte: ſie wollte ihre Grenzen gegen Oſten erweitern, durch die Schwächung Deutſchlands dem franzöſiſchen Staate das Uebergewicht im Rathe Europas

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/180>, abgerufen am 26.11.2024.