Sein Vater war dem alten Widerwillen gegen die Republik immer treu geblieben, hatte noch als sterbender Mann das Anerbieten eines fran- zösischen Bündnisses zurückgewiesen und sich nicht beirren lassen, als Caillard ihm die Erwerbung der deutschen Kaiserkrone in Aussicht stellte. Auch Graf Haugwitz war jetzt voll Mißtrauens gegen die Pariser Macht- haber. So blieb das Verhältniß zwischen den beiden Mächten sehr kühl, und der junge König gestand zuweilen: er wolle die Kräfte seines Staates sammeln und aufsparen für den Augenblick, da vielleicht einmal ein ent- scheidender Kampf mit dieser räuberischen Macht nothwendig würde. Ver- muthlich wußte er selbst nicht recht, ob er solche Aeußerungen ernstlich meinte oder nur nach einem Vorwande für seine Friedfertigkeit suchte. Als guter Deutscher wünschte er die Befriedung des gesammten Reichs und die Wiederherstellung der alten Grenzen; den Franzosen gönnte er weder das durch seine Truppen eroberte Mainz noch seine niederrheinischen Erblande.
Der Fürst, unter dessen Herrschaft die größten Gebietsveränderungen der preußischen Geschichte erfolgen sollten, verabscheute von jeher das Ver- handeln von Land und Leuten; selbst kleine Grenzberichtigungen waren seiner Gewissenhaftigkeit widerwärtig. Zu der Abtretung von Cleve und Geldern hat er sich schließlich nur darum verstanden, weil diese vorläufig von den Franzosen besetzten Lande ihm persönlich noch nicht gehuldigt hatten. Denn noch wurde das Verhältniß zwischen Fürst und Unterthan überall in Deutschland als eine persönliche Verpflichtung angesehen; sobald ein Herrscher starb, schloß man eiligst die Thore der Städte und ver- eidigte die Truppen sofort für den neuen Herrn. Die romantische Ver- ehrung, welche sein Vater für die altehrwürdigen Formen der Reichs- verfassung gehegt, beirrte den nüchternen Kopf des Sohnes nicht; er erkannte den unaufhaltsamen Zerfall des Reichs und empfand als ein treuer Protestant wenig Mitleid mit dem Jammer der geistlichen Staaten. Aber da er über die Möglichkeit einer Reichsreform noch nicht ernstlich nachgedacht hatte, so wäre die einfache Wiederherstellung der alten Besitz- verhältnisse in Deutschland seinem Rechtsgefühle und seiner Friedensliebe das Willkommenste gewesen. Gelang dies nicht, so wollte er mindestens das Gleichgewicht zwischen Oesterreich und Preußen wahren, jede Er- weiterung der österreichischen Macht durch eine Vergrößerung seines eigenen Staates ausgleichen. Ohne Groll gegen die Hofburg, nahm er doch die bairische Politik seines Großoheims wieder auf und trat für die Rechte der Wittelsbacher gegen die kaiserlichen Eroberungspläne ein. Der leitende Gedanke seiner deutschen Politik blieb freilich die Erhaltung des Friedens für den Norden: nur diplomatische Mittel sollten die Machtstellung der Monarchie gegen Frankreich wie gegen Oesterreich sichern.
So, mit der Gesinnung eines rechtschaffenen Hausvaters trat der unerfahrene junge Fürst jenen dämonischen Mächten entgegen, welche wäh- rend der jüngsten Monate das Ansehen der Welt verwandelt hatten. Die
I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
Sein Vater war dem alten Widerwillen gegen die Republik immer treu geblieben, hatte noch als ſterbender Mann das Anerbieten eines fran- zöſiſchen Bündniſſes zurückgewieſen und ſich nicht beirren laſſen, als Caillard ihm die Erwerbung der deutſchen Kaiſerkrone in Ausſicht ſtellte. Auch Graf Haugwitz war jetzt voll Mißtrauens gegen die Pariſer Macht- haber. So blieb das Verhältniß zwiſchen den beiden Mächten ſehr kühl, und der junge König geſtand zuweilen: er wolle die Kräfte ſeines Staates ſammeln und aufſparen für den Augenblick, da vielleicht einmal ein ent- ſcheidender Kampf mit dieſer räuberiſchen Macht nothwendig würde. Ver- muthlich wußte er ſelbſt nicht recht, ob er ſolche Aeußerungen ernſtlich meinte oder nur nach einem Vorwande für ſeine Friedfertigkeit ſuchte. Als guter Deutſcher wünſchte er die Befriedung des geſammten Reichs und die Wiederherſtellung der alten Grenzen; den Franzoſen gönnte er weder das durch ſeine Truppen eroberte Mainz noch ſeine niederrheiniſchen Erblande.
Der Fürſt, unter deſſen Herrſchaft die größten Gebietsveränderungen der preußiſchen Geſchichte erfolgen ſollten, verabſcheute von jeher das Ver- handeln von Land und Leuten; ſelbſt kleine Grenzberichtigungen waren ſeiner Gewiſſenhaftigkeit widerwärtig. Zu der Abtretung von Cleve und Geldern hat er ſich ſchließlich nur darum verſtanden, weil dieſe vorläufig von den Franzoſen beſetzten Lande ihm perſönlich noch nicht gehuldigt hatten. Denn noch wurde das Verhältniß zwiſchen Fürſt und Unterthan überall in Deutſchland als eine perſönliche Verpflichtung angeſehen; ſobald ein Herrſcher ſtarb, ſchloß man eiligſt die Thore der Städte und ver- eidigte die Truppen ſofort für den neuen Herrn. Die romantiſche Ver- ehrung, welche ſein Vater für die altehrwürdigen Formen der Reichs- verfaſſung gehegt, beirrte den nüchternen Kopf des Sohnes nicht; er erkannte den unaufhaltſamen Zerfall des Reichs und empfand als ein treuer Proteſtant wenig Mitleid mit dem Jammer der geiſtlichen Staaten. Aber da er über die Möglichkeit einer Reichsreform noch nicht ernſtlich nachgedacht hatte, ſo wäre die einfache Wiederherſtellung der alten Beſitz- verhältniſſe in Deutſchland ſeinem Rechtsgefühle und ſeiner Friedensliebe das Willkommenſte geweſen. Gelang dies nicht, ſo wollte er mindeſtens das Gleichgewicht zwiſchen Oeſterreich und Preußen wahren, jede Er- weiterung der öſterreichiſchen Macht durch eine Vergrößerung ſeines eigenen Staates ausgleichen. Ohne Groll gegen die Hofburg, nahm er doch die bairiſche Politik ſeines Großoheims wieder auf und trat für die Rechte der Wittelsbacher gegen die kaiſerlichen Eroberungspläne ein. Der leitende Gedanke ſeiner deutſchen Politik blieb freilich die Erhaltung des Friedens für den Norden: nur diplomatiſche Mittel ſollten die Machtſtellung der Monarchie gegen Frankreich wie gegen Oeſterreich ſichern.
So, mit der Geſinnung eines rechtſchaffenen Hausvaters trat der unerfahrene junge Fürſt jenen dämoniſchen Mächten entgegen, welche wäh- rend der jüngſten Monate das Anſehen der Welt verwandelt hatten. Die
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I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
Sein Vater war dem alten Widerwillen gegen die Republik immer treu
geblieben, hatte noch als ſterbender Mann das Anerbieten eines fran-
zöſiſchen Bündniſſes zurückgewieſen und ſich nicht beirren laſſen, als
Caillard ihm die Erwerbung der deutſchen Kaiſerkrone in Ausſicht ſtellte.
Auch Graf Haugwitz war jetzt voll Mißtrauens gegen die Pariſer Macht-
haber. So blieb das Verhältniß zwiſchen den beiden Mächten ſehr kühl,
und der junge König geſtand zuweilen: er wolle die Kräfte ſeines Staates
ſammeln und aufſparen für den Augenblick, da vielleicht einmal ein ent-
ſcheidender Kampf mit dieſer räuberiſchen Macht nothwendig würde. Ver-
muthlich wußte er ſelbſt nicht recht, ob er ſolche Aeußerungen ernſtlich
meinte oder nur nach einem Vorwande für ſeine Friedfertigkeit ſuchte. Als
guter Deutſcher wünſchte er die Befriedung des geſammten Reichs und die
Wiederherſtellung der alten Grenzen; den Franzoſen gönnte er weder das
durch ſeine Truppen eroberte Mainz noch ſeine niederrheiniſchen Erblande.
Der Fürſt, unter deſſen Herrſchaft die größten Gebietsveränderungen
der preußiſchen Geſchichte erfolgen ſollten, verabſcheute von jeher das Ver-
handeln von Land und Leuten; ſelbſt kleine Grenzberichtigungen waren
ſeiner Gewiſſenhaftigkeit widerwärtig. Zu der Abtretung von Cleve und
Geldern hat er ſich ſchließlich nur darum verſtanden, weil dieſe vorläufig
von den Franzoſen beſetzten Lande ihm perſönlich noch nicht gehuldigt
hatten. Denn noch wurde das Verhältniß zwiſchen Fürſt und Unterthan
überall in Deutſchland als eine perſönliche Verpflichtung angeſehen; ſobald
ein Herrſcher ſtarb, ſchloß man eiligſt die Thore der Städte und ver-
eidigte die Truppen ſofort für den neuen Herrn. Die romantiſche Ver-
ehrung, welche ſein Vater für die altehrwürdigen Formen der Reichs-
verfaſſung gehegt, beirrte den nüchternen Kopf des Sohnes nicht; er
erkannte den unaufhaltſamen Zerfall des Reichs und empfand als ein
treuer Proteſtant wenig Mitleid mit dem Jammer der geiſtlichen Staaten.
Aber da er über die Möglichkeit einer Reichsreform noch nicht ernſtlich
nachgedacht hatte, ſo wäre die einfache Wiederherſtellung der alten Beſitz-
verhältniſſe in Deutſchland ſeinem Rechtsgefühle und ſeiner Friedensliebe
das Willkommenſte geweſen. Gelang dies nicht, ſo wollte er mindeſtens
das Gleichgewicht zwiſchen Oeſterreich und Preußen wahren, jede Er-
weiterung der öſterreichiſchen Macht durch eine Vergrößerung ſeines eigenen
Staates ausgleichen. Ohne Groll gegen die Hofburg, nahm er doch die
bairiſche Politik ſeines Großoheims wieder auf und trat für die Rechte
der Wittelsbacher gegen die kaiſerlichen Eroberungspläne ein. Der leitende
Gedanke ſeiner deutſchen Politik blieb freilich die Erhaltung des Friedens
für den Norden: nur diplomatiſche Mittel ſollten die Machtſtellung der
Monarchie gegen Frankreich wie gegen Oeſterreich ſichern.
So, mit der Geſinnung eines rechtſchaffenen Hausvaters trat der
unerfahrene junge Fürſt jenen dämoniſchen Mächten entgegen, welche wäh-
rend der jüngſten Monate das Anſehen der Welt verwandelt hatten. Die
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/178>, abgerufen am 26.11.2024.
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