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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.

Die banausische Gleichgiltigkeit des Staates gegen die bildende Kunst
war endlich überwunden. Er veranstaltete jetzt öffentliche Gemäldeaus-
stellungen und besaß in Berlin bereits eine Schule aufstrebender Künstler
von selbständiger Eigenart. Neben Langhans, dem streng antikisirenden Er-
bauer des Brandenburger Thores, kam Schadows derber Realismus empor;
und wenn der Wagen der schönen Königin vorfuhr, dann stand am Schlage
mit dem Hute in der Hand der junge Lakai Christian Rauch, der einst
die Andern alle überflügeln sollte als seine gütige Herrin ihm den Weg
zu großem Schaffen geebnet hatte. Aber auch hier wieder die gleiche un-
heimliche Erscheinung: köstliche Kräfte, die nicht benutzt, vielverheißende
Entwürfe, die nicht vollendet wurden. Nachdem man eine Menge ver-
schiedener Pläne berathen und wieder fallen gelassen, kam nur ein ein-
ziges größeres öffentliches Bauwerk zu Stande: die Neue Münze, von
Schadow mit lebenswahren, trefflichen Reliefs geschmückt, doch das Ge-
bäude selber abschreckend kahl und nüchtern, ein getreues Sinnbild dieser
schwunglosen Zeit.

Dergestalt war auf allen Gebieten des politischen Lebens das Alte
noch nicht zerstört, das Neue noch nicht entwickelt. Der Staat hatte an
Charakter verloren was er an humaner Milde gewonnen, er erschien wie
ein noch im Verfalle mächtiger gothischer Bau, dem zaghafte Hände da
und dort ein niedliches zopfiges Thürmchen aufgesetzt hatten. Und in
diesen unhaltbaren Zuständen fühlte sich das treue Volk unzweifelhaft
glücklich; die kindlichen Aeußerungen der Freude, welche auf den Reisen
des Landesvaters und der Landesmutter überall, am Lautesten unter
den warmblütigen Franken, erklangen, kamen ebenso gewiß aus ehrlichem
Herzen, wie nachher die traurigen Abschiedsbriefe der verlorenen Pro-
vinzen.

Die Reformgedanken des Königs gingen über sociale Verbesserungen
nicht hinaus; auch Hardenberg wünschte damals nur die Durchführung
der bürgerlichen Rechtsgleichheit nach dem Vorbilde Frankreichs. Eigentlich
politische Reformpläne hegte nur ein einziger Mann, der Freiherr vom
Stein. Der hatte als Kammerpräsident in Westphalen die alte Gemeinde-
freiheit der Grafschaft Mark kennen gelernt, aus solchen Erfahrungen und
aus dem Studium der englischen Geschichte sich die Ansicht gebildet, daß
eine gesunde politische Ordnung nur da bestehe, wo das Volk selber hand-
anlegend das Regieren lerne. Als die altständische Verfassung in dem
neu erworbenen Münsterlande aufgehoben wurde, schrieb er dem Könige*):
diese Landtage, die bisher bei dem Beamtenthum nur als die Feinde jeder
Reform verrufen gewesen, könnten, zweckmäßig eingerichtet, vielmehr die
Stützen der Rechtsordnung werden: "Sie verhindern die willkürlichen Ab-
weichungen von Verfassung und gesetzlicher Ordnung, die sich die Landes-

*) Bericht an den König, Münster 30. Oct. 1804.
I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.

Die banauſiſche Gleichgiltigkeit des Staates gegen die bildende Kunſt
war endlich überwunden. Er veranſtaltete jetzt öffentliche Gemäldeaus-
ſtellungen und beſaß in Berlin bereits eine Schule aufſtrebender Künſtler
von ſelbſtändiger Eigenart. Neben Langhans, dem ſtreng antikiſirenden Er-
bauer des Brandenburger Thores, kam Schadows derber Realismus empor;
und wenn der Wagen der ſchönen Königin vorfuhr, dann ſtand am Schlage
mit dem Hute in der Hand der junge Lakai Chriſtian Rauch, der einſt
die Andern alle überflügeln ſollte als ſeine gütige Herrin ihm den Weg
zu großem Schaffen geebnet hatte. Aber auch hier wieder die gleiche un-
heimliche Erſcheinung: köſtliche Kräfte, die nicht benutzt, vielverheißende
Entwürfe, die nicht vollendet wurden. Nachdem man eine Menge ver-
ſchiedener Pläne berathen und wieder fallen gelaſſen, kam nur ein ein-
ziges größeres öffentliches Bauwerk zu Stande: die Neue Münze, von
Schadow mit lebenswahren, trefflichen Reliefs geſchmückt, doch das Ge-
bäude ſelber abſchreckend kahl und nüchtern, ein getreues Sinnbild dieſer
ſchwungloſen Zeit.

Dergeſtalt war auf allen Gebieten des politiſchen Lebens das Alte
noch nicht zerſtört, das Neue noch nicht entwickelt. Der Staat hatte an
Charakter verloren was er an humaner Milde gewonnen, er erſchien wie
ein noch im Verfalle mächtiger gothiſcher Bau, dem zaghafte Hände da
und dort ein niedliches zopfiges Thürmchen aufgeſetzt hatten. Und in
dieſen unhaltbaren Zuſtänden fühlte ſich das treue Volk unzweifelhaft
glücklich; die kindlichen Aeußerungen der Freude, welche auf den Reiſen
des Landesvaters und der Landesmutter überall, am Lauteſten unter
den warmblütigen Franken, erklangen, kamen ebenſo gewiß aus ehrlichem
Herzen, wie nachher die traurigen Abſchiedsbriefe der verlorenen Pro-
vinzen.

Die Reformgedanken des Königs gingen über ſociale Verbeſſerungen
nicht hinaus; auch Hardenberg wünſchte damals nur die Durchführung
der bürgerlichen Rechtsgleichheit nach dem Vorbilde Frankreichs. Eigentlich
politiſche Reformpläne hegte nur ein einziger Mann, der Freiherr vom
Stein. Der hatte als Kammerpräſident in Weſtphalen die alte Gemeinde-
freiheit der Grafſchaft Mark kennen gelernt, aus ſolchen Erfahrungen und
aus dem Studium der engliſchen Geſchichte ſich die Anſicht gebildet, daß
eine geſunde politiſche Ordnung nur da beſtehe, wo das Volk ſelber hand-
anlegend das Regieren lerne. Als die altſtändiſche Verfaſſung in dem
neu erworbenen Münſterlande aufgehoben wurde, ſchrieb er dem Könige*):
dieſe Landtage, die bisher bei dem Beamtenthum nur als die Feinde jeder
Reform verrufen geweſen, könnten, zweckmäßig eingerichtet, vielmehr die
Stützen der Rechtsordnung werden: „Sie verhindern die willkürlichen Ab-
weichungen von Verfaſſung und geſetzlicher Ordnung, die ſich die Landes-

*) Bericht an den König, Münſter 30. Oct. 1804.
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[160/0176] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. Die banauſiſche Gleichgiltigkeit des Staates gegen die bildende Kunſt war endlich überwunden. Er veranſtaltete jetzt öffentliche Gemäldeaus- ſtellungen und beſaß in Berlin bereits eine Schule aufſtrebender Künſtler von ſelbſtändiger Eigenart. Neben Langhans, dem ſtreng antikiſirenden Er- bauer des Brandenburger Thores, kam Schadows derber Realismus empor; und wenn der Wagen der ſchönen Königin vorfuhr, dann ſtand am Schlage mit dem Hute in der Hand der junge Lakai Chriſtian Rauch, der einſt die Andern alle überflügeln ſollte als ſeine gütige Herrin ihm den Weg zu großem Schaffen geebnet hatte. Aber auch hier wieder die gleiche un- heimliche Erſcheinung: köſtliche Kräfte, die nicht benutzt, vielverheißende Entwürfe, die nicht vollendet wurden. Nachdem man eine Menge ver- ſchiedener Pläne berathen und wieder fallen gelaſſen, kam nur ein ein- ziges größeres öffentliches Bauwerk zu Stande: die Neue Münze, von Schadow mit lebenswahren, trefflichen Reliefs geſchmückt, doch das Ge- bäude ſelber abſchreckend kahl und nüchtern, ein getreues Sinnbild dieſer ſchwungloſen Zeit. Dergeſtalt war auf allen Gebieten des politiſchen Lebens das Alte noch nicht zerſtört, das Neue noch nicht entwickelt. Der Staat hatte an Charakter verloren was er an humaner Milde gewonnen, er erſchien wie ein noch im Verfalle mächtiger gothiſcher Bau, dem zaghafte Hände da und dort ein niedliches zopfiges Thürmchen aufgeſetzt hatten. Und in dieſen unhaltbaren Zuſtänden fühlte ſich das treue Volk unzweifelhaft glücklich; die kindlichen Aeußerungen der Freude, welche auf den Reiſen des Landesvaters und der Landesmutter überall, am Lauteſten unter den warmblütigen Franken, erklangen, kamen ebenſo gewiß aus ehrlichem Herzen, wie nachher die traurigen Abſchiedsbriefe der verlorenen Pro- vinzen. Die Reformgedanken des Königs gingen über ſociale Verbeſſerungen nicht hinaus; auch Hardenberg wünſchte damals nur die Durchführung der bürgerlichen Rechtsgleichheit nach dem Vorbilde Frankreichs. Eigentlich politiſche Reformpläne hegte nur ein einziger Mann, der Freiherr vom Stein. Der hatte als Kammerpräſident in Weſtphalen die alte Gemeinde- freiheit der Grafſchaft Mark kennen gelernt, aus ſolchen Erfahrungen und aus dem Studium der engliſchen Geſchichte ſich die Anſicht gebildet, daß eine geſunde politiſche Ordnung nur da beſtehe, wo das Volk ſelber hand- anlegend das Regieren lerne. Als die altſtändiſche Verfaſſung in dem neu erworbenen Münſterlande aufgehoben wurde, ſchrieb er dem Könige *): dieſe Landtage, die bisher bei dem Beamtenthum nur als die Feinde jeder Reform verrufen geweſen, könnten, zweckmäßig eingerichtet, vielmehr die Stützen der Rechtsordnung werden: „Sie verhindern die willkürlichen Ab- weichungen von Verfaſſung und geſetzlicher Ordnung, die ſich die Landes- *) Bericht an den König, Münſter 30. Oct. 1804.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/176>, abgerufen am 26.11.2024.