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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Geistiges Leben in Berlin.
unter der polnischen Herrschaft ganz verfallen waren. Der Bergbau, der
schon durch Heynitz, den Lehrer Steins, erheblich gewonnen hatte, nahm
einen neuen Aufschwung als Graf Redern die großen Grubenwerke in
Oberschlesien einrichtete. In dem neugegründeten statistischen Bureau
waren Krug und Hoffmann thätig, für die Leitung der Bank ward Nie-
buhr aus Dänemark berufen.

In der öffentlichen Meinung wurde der neuen Regierung nichts so
hoch angerechnet wie die Entlassung des verhaßten Wöllner und die that-
sächliche Beseitigung seines harten Religions-Edictes. Die Versicherung
des jungen Fürsten, Vernunft und Philosophie seien die unzertrennlichen
Begleiter der Religion, war der aufgeklärten Welt recht aus dem Herzen
gesprochen, weil sich Jeder etwas Anderes dabei denken konnte. Als der
König aber den von seinem Lehrer Sack entworfenen Vorschlag zu einer
gemeinsamen evangelischen Agende den Kirchenbehörden empfahl, da zeigte
sich wieder, daß die Krone ihrem Volke um eine gute Strecke voraus war.
Er mußte seine Unionspläne auf bessere Zeiten vertagen, denn in den zarten
kirchlichen Fragen wollte er noch bedachtsamer und rücksichtsvoller vorgehen
als in der Politik. Dieselbe Bedächtigkeit verschuldete auch, daß die in
unzähligen Denkschriften und Abhandlungen erwogene Reform des Schul-
wesens vorläufig unterblieb; man wurde nicht schlüssig zwischen all den
verschiedenen Erziehungsmethoden, welche das Zeitalter Pestalozzis uner-
müdlich zu Tage förderte. Für die Gelehrsamkeit wurde mit einem in
Preußen unerhörten Eifer gesorgt; die Scheidewand, welche den alten
Staat so lange von der deutschen Wissenschaft getrennt hatte, brach end-
lich zusammen. Alexander Humboldt, Johannes Müller, Hufeland und
eine lange Reihe namhafter Gelehrten wurden nach Berlin gerufen; auch
Fichte, durch den Glaubenseifer der kursächsischen Lutheraner aus Jena
vertrieben, fand eine Zuflucht an der Spree. Das wissenschaftliche Leben
der Hauptstadt fing an in einem großen Zuge sich zu bewegen. Schon
im Winter 1786 wurden dort einundzwanzig Curse öffentlicher Vorlesungen
angekündigt, seitdem gewannen sie noch an Zahl und Bedeutung; in
Berlin hielt A. W. Schlegel jene literarhistorischen Vorträge, welche das
wissenschaftliche Programm der romantischen Schule aussprachen. Die
Sammlungen des königlichen Hauses, die der junge König zuerst dem Publi-
cum öffnete, und vor Allem das Theater, damals unter Ifflands Leitung
noch eine große nationale Bildungsanstalt, beförderten einen bewegten
Gedankenaustausch; und so wurde ganz von selber die Frage laut, ob
dieser Reichthum geistigen Lebens nicht in einer Hochschule einen wissen-
schaftlichen Mittelpunkt finden solle. Keine der deutschen Universitäten
ist so naturgemäß entstanden wie die Berliner; sie war im Grunde schon
vorhanden bevor sie förmlich eingerichtet wurde. Doch auch dieser Plan
gelangte für jetzt nicht über Berathungen im Cabinet hinaus. Die ganze
Zeit schien wie verwunschen, nichts Wesentliches wollte zu Ende kommen.

Geiſtiges Leben in Berlin.
unter der polniſchen Herrſchaft ganz verfallen waren. Der Bergbau, der
ſchon durch Heynitz, den Lehrer Steins, erheblich gewonnen hatte, nahm
einen neuen Aufſchwung als Graf Redern die großen Grubenwerke in
Oberſchleſien einrichtete. In dem neugegründeten ſtatiſtiſchen Bureau
waren Krug und Hoffmann thätig, für die Leitung der Bank ward Nie-
buhr aus Dänemark berufen.

In der öffentlichen Meinung wurde der neuen Regierung nichts ſo
hoch angerechnet wie die Entlaſſung des verhaßten Wöllner und die that-
ſächliche Beſeitigung ſeines harten Religions-Edictes. Die Verſicherung
des jungen Fürſten, Vernunft und Philoſophie ſeien die unzertrennlichen
Begleiter der Religion, war der aufgeklärten Welt recht aus dem Herzen
geſprochen, weil ſich Jeder etwas Anderes dabei denken konnte. Als der
König aber den von ſeinem Lehrer Sack entworfenen Vorſchlag zu einer
gemeinſamen evangeliſchen Agende den Kirchenbehörden empfahl, da zeigte
ſich wieder, daß die Krone ihrem Volke um eine gute Strecke voraus war.
Er mußte ſeine Unionspläne auf beſſere Zeiten vertagen, denn in den zarten
kirchlichen Fragen wollte er noch bedachtſamer und rückſichtsvoller vorgehen
als in der Politik. Dieſelbe Bedächtigkeit verſchuldete auch, daß die in
unzähligen Denkſchriften und Abhandlungen erwogene Reform des Schul-
weſens vorläufig unterblieb; man wurde nicht ſchlüſſig zwiſchen all den
verſchiedenen Erziehungsmethoden, welche das Zeitalter Peſtalozzis uner-
müdlich zu Tage förderte. Für die Gelehrſamkeit wurde mit einem in
Preußen unerhörten Eifer geſorgt; die Scheidewand, welche den alten
Staat ſo lange von der deutſchen Wiſſenſchaft getrennt hatte, brach end-
lich zuſammen. Alexander Humboldt, Johannes Müller, Hufeland und
eine lange Reihe namhafter Gelehrten wurden nach Berlin gerufen; auch
Fichte, durch den Glaubenseifer der kurſächſiſchen Lutheraner aus Jena
vertrieben, fand eine Zuflucht an der Spree. Das wiſſenſchaftliche Leben
der Hauptſtadt fing an in einem großen Zuge ſich zu bewegen. Schon
im Winter 1786 wurden dort einundzwanzig Curſe öffentlicher Vorleſungen
angekündigt, ſeitdem gewannen ſie noch an Zahl und Bedeutung; in
Berlin hielt A. W. Schlegel jene literarhiſtoriſchen Vorträge, welche das
wiſſenſchaftliche Programm der romantiſchen Schule ausſprachen. Die
Sammlungen des königlichen Hauſes, die der junge König zuerſt dem Publi-
cum öffnete, und vor Allem das Theater, damals unter Ifflands Leitung
noch eine große nationale Bildungsanſtalt, beförderten einen bewegten
Gedankenaustauſch; und ſo wurde ganz von ſelber die Frage laut, ob
dieſer Reichthum geiſtigen Lebens nicht in einer Hochſchule einen wiſſen-
ſchaftlichen Mittelpunkt finden ſolle. Keine der deutſchen Univerſitäten
iſt ſo naturgemäß entſtanden wie die Berliner; ſie war im Grunde ſchon
vorhanden bevor ſie förmlich eingerichtet wurde. Doch auch dieſer Plan
gelangte für jetzt nicht über Berathungen im Cabinet hinaus. Die ganze
Zeit ſchien wie verwunſchen, nichts Weſentliches wollte zu Ende kommen.

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[159/0175] Geiſtiges Leben in Berlin. unter der polniſchen Herrſchaft ganz verfallen waren. Der Bergbau, der ſchon durch Heynitz, den Lehrer Steins, erheblich gewonnen hatte, nahm einen neuen Aufſchwung als Graf Redern die großen Grubenwerke in Oberſchleſien einrichtete. In dem neugegründeten ſtatiſtiſchen Bureau waren Krug und Hoffmann thätig, für die Leitung der Bank ward Nie- buhr aus Dänemark berufen. In der öffentlichen Meinung wurde der neuen Regierung nichts ſo hoch angerechnet wie die Entlaſſung des verhaßten Wöllner und die that- ſächliche Beſeitigung ſeines harten Religions-Edictes. Die Verſicherung des jungen Fürſten, Vernunft und Philoſophie ſeien die unzertrennlichen Begleiter der Religion, war der aufgeklärten Welt recht aus dem Herzen geſprochen, weil ſich Jeder etwas Anderes dabei denken konnte. Als der König aber den von ſeinem Lehrer Sack entworfenen Vorſchlag zu einer gemeinſamen evangeliſchen Agende den Kirchenbehörden empfahl, da zeigte ſich wieder, daß die Krone ihrem Volke um eine gute Strecke voraus war. Er mußte ſeine Unionspläne auf beſſere Zeiten vertagen, denn in den zarten kirchlichen Fragen wollte er noch bedachtſamer und rückſichtsvoller vorgehen als in der Politik. Dieſelbe Bedächtigkeit verſchuldete auch, daß die in unzähligen Denkſchriften und Abhandlungen erwogene Reform des Schul- weſens vorläufig unterblieb; man wurde nicht ſchlüſſig zwiſchen all den verſchiedenen Erziehungsmethoden, welche das Zeitalter Peſtalozzis uner- müdlich zu Tage förderte. Für die Gelehrſamkeit wurde mit einem in Preußen unerhörten Eifer geſorgt; die Scheidewand, welche den alten Staat ſo lange von der deutſchen Wiſſenſchaft getrennt hatte, brach end- lich zuſammen. Alexander Humboldt, Johannes Müller, Hufeland und eine lange Reihe namhafter Gelehrten wurden nach Berlin gerufen; auch Fichte, durch den Glaubenseifer der kurſächſiſchen Lutheraner aus Jena vertrieben, fand eine Zuflucht an der Spree. Das wiſſenſchaftliche Leben der Hauptſtadt fing an in einem großen Zuge ſich zu bewegen. Schon im Winter 1786 wurden dort einundzwanzig Curſe öffentlicher Vorleſungen angekündigt, ſeitdem gewannen ſie noch an Zahl und Bedeutung; in Berlin hielt A. W. Schlegel jene literarhiſtoriſchen Vorträge, welche das wiſſenſchaftliche Programm der romantiſchen Schule ausſprachen. Die Sammlungen des königlichen Hauſes, die der junge König zuerſt dem Publi- cum öffnete, und vor Allem das Theater, damals unter Ifflands Leitung noch eine große nationale Bildungsanſtalt, beförderten einen bewegten Gedankenaustauſch; und ſo wurde ganz von ſelber die Frage laut, ob dieſer Reichthum geiſtigen Lebens nicht in einer Hochſchule einen wiſſen- ſchaftlichen Mittelpunkt finden ſolle. Keine der deutſchen Univerſitäten iſt ſo naturgemäß entſtanden wie die Berliner; ſie war im Grunde ſchon vorhanden bevor ſie förmlich eingerichtet wurde. Doch auch dieſer Plan gelangte für jetzt nicht über Berathungen im Cabinet hinaus. Die ganze Zeit ſchien wie verwunſchen, nichts Weſentliches wollte zu Ende kommen.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/175>, abgerufen am 26.11.2024.