Steuerprivilegien des Adels regte sogleich die Frage an, ob die weit schwerer drückende Ungleichheit der directen Besteuerung noch fortdauern dürfe. Im Jahre 1806 zahlten in der Kurmark die Städte fast 21/2 Millionen, die Bauern 644,000, die sämmtlichen Rittergutsbesitzer nur 21,000 Thaler an Staatssteuern. Aber die Zeit für eine radikale Umgestaltung der Staats- wirthschaft war noch nicht gekommen. Die nationalökonomischen Ansichten gährten wirr durcheinander; die meisten guten Köpfe unter den jüngeren Beamten schwärmten mit Vincke für "den göttlichen Smith", die Grund- besitzer neigten zur physiokratischen Lehre.
Das stärkste Hinderniß jeder Reform lag jedoch in der Opposition der Landtage. Der zähe passive Widerstand der alten Stände hatte schon den agrarischen Gesetzen des achtzehnten Jahrhunderts immer wieder die Spitze abgebrochen; jetzt, unter einer nur allzu milden Regierung, zeigte er eine ganz unerwartete Stärke. Es war einer der ersten Schritte des Königs, daß er einem Theile des Bauernstandes, den Köllmern, das Recht der Vertretung unter den ostpreußischen Ständen gewährte. Also verjüngt wurde der Königsberger Landtag die einzige leidlich gesunde unter den verfallenen ständischen Körperschaften der Monarchie; er nannte sich mit einigem Rechte die "Vertretung der Nation". Als aber der König nun- mehr die Beseitigung der Patrimonialgerichte vorschlug, da widersprach selbst der ostpreußische Landtag wiederholt und nachdrücklich. Auch ein anderer Lieblingsplan des bauernfreundlichen Fürsten, die Aufhebung der bäuerlichen Dienste und die Verwandlung aller unterthänigen Bauern- güter in freies Eigenthum, stieß auf den Widerstand des Adels. Der Gedanke war keineswegs durch die französische Revolution angeregt, son- dern ergab sich nothwendig aus der alten Gesetzgebung der Hohenzollern, die seit hundert Jahren auf die Befreiung des Landvolks lossteuerte; gleichzeitig und ganz unabhängig von einander empfahlen Beamte wie Stein und Hippel, Schriftsteller wie Leopold Krug die Aufhebung der Erb- unterthänigkeit. Auf den Domänen in West- und Ostpreußen gelang dem wackeren Präsidenten Auerswald die Beseitigung des Scharwerks, und wo ein Edelmann freiwillig zu der gleichen Reform bereit war, da ermunterte ihn der König in jeder Weise; doch ein umfassendes Gesetz für die ganze Monarchie wagte man nicht zu erlassen. Der Widerspruch ging nicht blos von den Grundherren aus, sondern auch von den rohen Bauern, welche jede Aenderung des Bestehenden mit zähem Mißtrauen ansahen; sogar die Baumpflanzungen an den neuen Landstraßen waren vor den Fäusten dieser Barbaren nicht sicher.
Derselbe unbelehrbare Trotz zeigte sich auch, als der König, ganz aus dem freien Antriebe seines guten Herzens, die Verbesserung der Elementar- schulen in Angriff nahm und die allgemeine Schulpflicht in vollem Ernst zu verwirklichen suchte. Die Regierung stand noch immer sehr hoch über ihrem Volke. Während die gehässigen Schmähschriften der Opposition sich
Widerſtand der alten Stände.
Steuerprivilegien des Adels regte ſogleich die Frage an, ob die weit ſchwerer drückende Ungleichheit der directen Beſteuerung noch fortdauern dürfe. Im Jahre 1806 zahlten in der Kurmark die Städte faſt 2½ Millionen, die Bauern 644,000, die ſämmtlichen Rittergutsbeſitzer nur 21,000 Thaler an Staatsſteuern. Aber die Zeit für eine radikale Umgeſtaltung der Staats- wirthſchaft war noch nicht gekommen. Die nationalökonomiſchen Anſichten gährten wirr durcheinander; die meiſten guten Köpfe unter den jüngeren Beamten ſchwärmten mit Vincke für „den göttlichen Smith“, die Grund- beſitzer neigten zur phyſiokratiſchen Lehre.
Das ſtärkſte Hinderniß jeder Reform lag jedoch in der Oppoſition der Landtage. Der zähe paſſive Widerſtand der alten Stände hatte ſchon den agrariſchen Geſetzen des achtzehnten Jahrhunderts immer wieder die Spitze abgebrochen; jetzt, unter einer nur allzu milden Regierung, zeigte er eine ganz unerwartete Stärke. Es war einer der erſten Schritte des Königs, daß er einem Theile des Bauernſtandes, den Köllmern, das Recht der Vertretung unter den oſtpreußiſchen Ständen gewährte. Alſo verjüngt wurde der Königsberger Landtag die einzige leidlich geſunde unter den verfallenen ſtändiſchen Körperſchaften der Monarchie; er nannte ſich mit einigem Rechte die „Vertretung der Nation“. Als aber der König nun- mehr die Beſeitigung der Patrimonialgerichte vorſchlug, da widerſprach ſelbſt der oſtpreußiſche Landtag wiederholt und nachdrücklich. Auch ein anderer Lieblingsplan des bauernfreundlichen Fürſten, die Aufhebung der bäuerlichen Dienſte und die Verwandlung aller unterthänigen Bauern- güter in freies Eigenthum, ſtieß auf den Widerſtand des Adels. Der Gedanke war keineswegs durch die franzöſiſche Revolution angeregt, ſon- dern ergab ſich nothwendig aus der alten Geſetzgebung der Hohenzollern, die ſeit hundert Jahren auf die Befreiung des Landvolks losſteuerte; gleichzeitig und ganz unabhängig von einander empfahlen Beamte wie Stein und Hippel, Schriftſteller wie Leopold Krug die Aufhebung der Erb- unterthänigkeit. Auf den Domänen in Weſt- und Oſtpreußen gelang dem wackeren Präſidenten Auerswald die Beſeitigung des Scharwerks, und wo ein Edelmann freiwillig zu der gleichen Reform bereit war, da ermunterte ihn der König in jeder Weiſe; doch ein umfaſſendes Geſetz für die ganze Monarchie wagte man nicht zu erlaſſen. Der Widerſpruch ging nicht blos von den Grundherren aus, ſondern auch von den rohen Bauern, welche jede Aenderung des Beſtehenden mit zähem Mißtrauen anſahen; ſogar die Baumpflanzungen an den neuen Landſtraßen waren vor den Fäuſten dieſer Barbaren nicht ſicher.
Derſelbe unbelehrbare Trotz zeigte ſich auch, als der König, ganz aus dem freien Antriebe ſeines guten Herzens, die Verbeſſerung der Elementar- ſchulen in Angriff nahm und die allgemeine Schulpflicht in vollem Ernſt zu verwirklichen ſuchte. Die Regierung ſtand noch immer ſehr hoch über ihrem Volke. Während die gehäſſigen Schmähſchriften der Oppoſition ſich
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Widerſtand der alten Stände.
Steuerprivilegien des Adels regte ſogleich die Frage an, ob die weit ſchwerer
drückende Ungleichheit der directen Beſteuerung noch fortdauern dürfe. Im
Jahre 1806 zahlten in der Kurmark die Städte faſt 2½ Millionen, die
Bauern 644,000, die ſämmtlichen Rittergutsbeſitzer nur 21,000 Thaler an
Staatsſteuern. Aber die Zeit für eine radikale Umgeſtaltung der Staats-
wirthſchaft war noch nicht gekommen. Die nationalökonomiſchen Anſichten
gährten wirr durcheinander; die meiſten guten Köpfe unter den jüngeren
Beamten ſchwärmten mit Vincke für „den göttlichen Smith“, die Grund-
beſitzer neigten zur phyſiokratiſchen Lehre.
Das ſtärkſte Hinderniß jeder Reform lag jedoch in der Oppoſition
der Landtage. Der zähe paſſive Widerſtand der alten Stände hatte ſchon
den agrariſchen Geſetzen des achtzehnten Jahrhunderts immer wieder die
Spitze abgebrochen; jetzt, unter einer nur allzu milden Regierung, zeigte
er eine ganz unerwartete Stärke. Es war einer der erſten Schritte des
Königs, daß er einem Theile des Bauernſtandes, den Köllmern, das Recht
der Vertretung unter den oſtpreußiſchen Ständen gewährte. Alſo verjüngt
wurde der Königsberger Landtag die einzige leidlich geſunde unter den
verfallenen ſtändiſchen Körperſchaften der Monarchie; er nannte ſich mit
einigem Rechte die „Vertretung der Nation“. Als aber der König nun-
mehr die Beſeitigung der Patrimonialgerichte vorſchlug, da widerſprach
ſelbſt der oſtpreußiſche Landtag wiederholt und nachdrücklich. Auch ein
anderer Lieblingsplan des bauernfreundlichen Fürſten, die Aufhebung der
bäuerlichen Dienſte und die Verwandlung aller unterthänigen Bauern-
güter in freies Eigenthum, ſtieß auf den Widerſtand des Adels. Der
Gedanke war keineswegs durch die franzöſiſche Revolution angeregt, ſon-
dern ergab ſich nothwendig aus der alten Geſetzgebung der Hohenzollern,
die ſeit hundert Jahren auf die Befreiung des Landvolks losſteuerte;
gleichzeitig und ganz unabhängig von einander empfahlen Beamte wie
Stein und Hippel, Schriftſteller wie Leopold Krug die Aufhebung der Erb-
unterthänigkeit. Auf den Domänen in Weſt- und Oſtpreußen gelang dem
wackeren Präſidenten Auerswald die Beſeitigung des Scharwerks, und wo
ein Edelmann freiwillig zu der gleichen Reform bereit war, da ermunterte
ihn der König in jeder Weiſe; doch ein umfaſſendes Geſetz für die ganze
Monarchie wagte man nicht zu erlaſſen. Der Widerſpruch ging nicht blos
von den Grundherren aus, ſondern auch von den rohen Bauern, welche
jede Aenderung des Beſtehenden mit zähem Mißtrauen anſahen; ſogar
die Baumpflanzungen an den neuen Landſtraßen waren vor den Fäuſten
dieſer Barbaren nicht ſicher.
Derſelbe unbelehrbare Trotz zeigte ſich auch, als der König, ganz aus
dem freien Antriebe ſeines guten Herzens, die Verbeſſerung der Elementar-
ſchulen in Angriff nahm und die allgemeine Schulpflicht in vollem Ernſt
zu verwirklichen ſuchte. Die Regierung ſtand noch immer ſehr hoch über
ihrem Volke. Während die gehäſſigen Schmähſchriften der Oppoſition ſich
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/173>, abgerufen am 26.11.2024.
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