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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
zurück! Laß uns sein der Franken Brüder, so gebeut es das Geschick."
Auch im Reiche rief Alles nach Frieden; so allgemein war die Ermattung,
daß sogar Karl August von Weimar lebhaft zur Beendigung des Krieges
rieth. Thugut andrerseits drohte in leidenschaftlicher Erbitterung, er
werde sich mit Frankreich vertragen, wenn man ihm Krakau vorenthalte;
der übereilte Abzug der Oesterreicher aus den Niederlanden und manche
bedenkliche Nachrichten, die über das Treiben des toscanischen Gesandten
Carletti in Paris umliefen, bestärkten den preußischen Hof in seinem Ver-
dachte gegen die Hofburg.

Kaum minder dringend war das Friedensbedürfniß in dem tief er-
schöpften Frankreich; man wünschte sehnlich, mindestens mit Preußen ins
Reine zu kommen. Da die Schreckensherrschaft gestürzt, die gemäßigten
Parteien in Paris zur Herrschaft gelangt waren, so schmeichelten sich die
Berliner Staatsmänner mit der Erwartung, ein preußischer Sonderfriede
werde den allgemeinen Frieden einleiten, den alten Besitzstand des Reiches
wiederherstellen. Widerstrebend ließ sich der König endlich die Erlaub-
niß zur Eröffnung der Friedensverhandlungen abdringen; im Stillen
wünschte er noch immer als getreuer Reichsfürst einen neuen Rheinkrieg
zu führen. Die Baseler Unterhandlungen verliefen unglücklich, trotz
Hardenbergs diplomatischer Gewandtheit, weil die Minister in Berlin
nicht den Muth hatten den Gegnern mit der Wiederaufnahme der Feind-
seligkeiten zu drohen. Auch dem Gedanken der Secularisation, der von
den Franzosen wieder aufgegriffen wurde und vielleicht noch einen leid-
lichen Ausweg eröffnen konnte, wagten die preußischen Diplomaten nicht
ernsthaft ins Gesicht zu sehen. Sie begnügten sich mit einer armseligen
Halbheit und schlossen am 5. April 1795 den Frieden von Basel, kraft
dessen Preußen einfach aus dem Coalitionskriege ausschied; gelang den
Franzosen sich auf dem linken Ufer zu behaupten, so sollte der König
für seinen überrheinischen Besitz entschädigt werden -- durch secularisirtes
geistliches Land, wie beide Theile stillschweigend voraussetzten.

Der Friedensschluß war, wie die Menschen und die Dinge in Preußen
augenblicklich standen, das letzte verzweifelte Mittel um den Staat aus
einer unhaltbaren Lage zu retten. Er war die nothwendige Folge viel-
jähriger Fehler und Mißgeschicke, eines unwahren Bündnisses, das den
Keim des Verrathes in sich trug, einer kraftlosen Politik, die sich zwischen
Polen und dem Rheine unstet hin und her warf ohne jemals einen ent-
scheidenden Schlag zu führen. Er war die Schuld nicht einzelner Männer,
sondern des gesammten Volkes, das, einmal durch einen großen Mann
aus seinem politischen Schlummer aufgerüttelt, sich wieder in ein waches
Traumleben verlor und wieder lernte mit gelassenem Wohlgefallen an
seiner politischen Zukunft zu verzweifeln. Er war, trotz aller zwingenden
Gründe, die ihn entschuldigten oder erklärten, der schwerste politische Fehler
unserer neuen Geschichte, eine Untreue des preußischen Staates gegen sich

I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
zurück! Laß uns ſein der Franken Brüder, ſo gebeut es das Geſchick.“
Auch im Reiche rief Alles nach Frieden; ſo allgemein war die Ermattung,
daß ſogar Karl Auguſt von Weimar lebhaft zur Beendigung des Krieges
rieth. Thugut andrerſeits drohte in leidenſchaftlicher Erbitterung, er
werde ſich mit Frankreich vertragen, wenn man ihm Krakau vorenthalte;
der übereilte Abzug der Oeſterreicher aus den Niederlanden und manche
bedenkliche Nachrichten, die über das Treiben des toscaniſchen Geſandten
Carletti in Paris umliefen, beſtärkten den preußiſchen Hof in ſeinem Ver-
dachte gegen die Hofburg.

Kaum minder dringend war das Friedensbedürfniß in dem tief er-
ſchöpften Frankreich; man wünſchte ſehnlich, mindeſtens mit Preußen ins
Reine zu kommen. Da die Schreckensherrſchaft geſtürzt, die gemäßigten
Parteien in Paris zur Herrſchaft gelangt waren, ſo ſchmeichelten ſich die
Berliner Staatsmänner mit der Erwartung, ein preußiſcher Sonderfriede
werde den allgemeinen Frieden einleiten, den alten Beſitzſtand des Reiches
wiederherſtellen. Widerſtrebend ließ ſich der König endlich die Erlaub-
niß zur Eröffnung der Friedensverhandlungen abdringen; im Stillen
wünſchte er noch immer als getreuer Reichsfürſt einen neuen Rheinkrieg
zu führen. Die Baſeler Unterhandlungen verliefen unglücklich, trotz
Hardenbergs diplomatiſcher Gewandtheit, weil die Miniſter in Berlin
nicht den Muth hatten den Gegnern mit der Wiederaufnahme der Feind-
ſeligkeiten zu drohen. Auch dem Gedanken der Seculariſation, der von
den Franzoſen wieder aufgegriffen wurde und vielleicht noch einen leid-
lichen Ausweg eröffnen konnte, wagten die preußiſchen Diplomaten nicht
ernſthaft ins Geſicht zu ſehen. Sie begnügten ſich mit einer armſeligen
Halbheit und ſchloſſen am 5. April 1795 den Frieden von Baſel, kraft
deſſen Preußen einfach aus dem Coalitionskriege ausſchied; gelang den
Franzoſen ſich auf dem linken Ufer zu behaupten, ſo ſollte der König
für ſeinen überrheiniſchen Beſitz entſchädigt werden — durch ſeculariſirtes
geiſtliches Land, wie beide Theile ſtillſchweigend vorausſetzten.

Der Friedensſchluß war, wie die Menſchen und die Dinge in Preußen
augenblicklich ſtanden, das letzte verzweifelte Mittel um den Staat aus
einer unhaltbaren Lage zu retten. Er war die nothwendige Folge viel-
jähriger Fehler und Mißgeſchicke, eines unwahren Bündniſſes, das den
Keim des Verrathes in ſich trug, einer kraftloſen Politik, die ſich zwiſchen
Polen und dem Rheine unſtet hin und her warf ohne jemals einen ent-
ſcheidenden Schlag zu führen. Er war die Schuld nicht einzelner Männer,
ſondern des geſammten Volkes, das, einmal durch einen großen Mann
aus ſeinem politiſchen Schlummer aufgerüttelt, ſich wieder in ein waches
Traumleben verlor und wieder lernte mit gelaſſenem Wohlgefallen an
ſeiner politiſchen Zukunft zu verzweifeln. Er war, trotz aller zwingenden
Gründe, die ihn entſchuldigten oder erklärten, der ſchwerſte politiſche Fehler
unſerer neuen Geſchichte, eine Untreue des preußiſchen Staates gegen ſich

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[138/0154] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. zurück! Laß uns ſein der Franken Brüder, ſo gebeut es das Geſchick.“ Auch im Reiche rief Alles nach Frieden; ſo allgemein war die Ermattung, daß ſogar Karl Auguſt von Weimar lebhaft zur Beendigung des Krieges rieth. Thugut andrerſeits drohte in leidenſchaftlicher Erbitterung, er werde ſich mit Frankreich vertragen, wenn man ihm Krakau vorenthalte; der übereilte Abzug der Oeſterreicher aus den Niederlanden und manche bedenkliche Nachrichten, die über das Treiben des toscaniſchen Geſandten Carletti in Paris umliefen, beſtärkten den preußiſchen Hof in ſeinem Ver- dachte gegen die Hofburg. Kaum minder dringend war das Friedensbedürfniß in dem tief er- ſchöpften Frankreich; man wünſchte ſehnlich, mindeſtens mit Preußen ins Reine zu kommen. Da die Schreckensherrſchaft geſtürzt, die gemäßigten Parteien in Paris zur Herrſchaft gelangt waren, ſo ſchmeichelten ſich die Berliner Staatsmänner mit der Erwartung, ein preußiſcher Sonderfriede werde den allgemeinen Frieden einleiten, den alten Beſitzſtand des Reiches wiederherſtellen. Widerſtrebend ließ ſich der König endlich die Erlaub- niß zur Eröffnung der Friedensverhandlungen abdringen; im Stillen wünſchte er noch immer als getreuer Reichsfürſt einen neuen Rheinkrieg zu führen. Die Baſeler Unterhandlungen verliefen unglücklich, trotz Hardenbergs diplomatiſcher Gewandtheit, weil die Miniſter in Berlin nicht den Muth hatten den Gegnern mit der Wiederaufnahme der Feind- ſeligkeiten zu drohen. Auch dem Gedanken der Seculariſation, der von den Franzoſen wieder aufgegriffen wurde und vielleicht noch einen leid- lichen Ausweg eröffnen konnte, wagten die preußiſchen Diplomaten nicht ernſthaft ins Geſicht zu ſehen. Sie begnügten ſich mit einer armſeligen Halbheit und ſchloſſen am 5. April 1795 den Frieden von Baſel, kraft deſſen Preußen einfach aus dem Coalitionskriege ausſchied; gelang den Franzoſen ſich auf dem linken Ufer zu behaupten, ſo ſollte der König für ſeinen überrheiniſchen Beſitz entſchädigt werden — durch ſeculariſirtes geiſtliches Land, wie beide Theile ſtillſchweigend vorausſetzten. Der Friedensſchluß war, wie die Menſchen und die Dinge in Preußen augenblicklich ſtanden, das letzte verzweifelte Mittel um den Staat aus einer unhaltbaren Lage zu retten. Er war die nothwendige Folge viel- jähriger Fehler und Mißgeſchicke, eines unwahren Bündniſſes, das den Keim des Verrathes in ſich trug, einer kraftloſen Politik, die ſich zwiſchen Polen und dem Rheine unſtet hin und her warf ohne jemals einen ent- ſcheidenden Schlag zu führen. Er war die Schuld nicht einzelner Männer, ſondern des geſammten Volkes, das, einmal durch einen großen Mann aus ſeinem politiſchen Schlummer aufgerüttelt, ſich wieder in ein waches Traumleben verlor und wieder lernte mit gelaſſenem Wohlgefallen an ſeiner politiſchen Zukunft zu verzweifeln. Er war, trotz aller zwingenden Gründe, die ihn entſchuldigten oder erklärten, der ſchwerſte politiſche Fehler unſerer neuen Geſchichte, eine Untreue des preußiſchen Staates gegen ſich

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/154>, abgerufen am 26.12.2024.