die Reihen der Sensenmänner ritt. In Rußland dagegen flammte der alte Haß der Byzantiner gegen die Lateiner, der Westslaven gegen die Ostslaven drohend auf; wie ein Mann forderte das weite Czarenreich die Vernichtung Polens zur Sühne für die erlittene Schmach. Nie war ein Krieg dem russischen Volke heiliger. Es lag am Tage, in der blutigen Woche von Warschau hatte Polens letzte Stunde geschlagen. Da war es Preußens Pflicht, sogleich, ehe noch die russischen Heersäulen aus dem entlegenen Innern des Reichs heranrücken konnten, selber den Aufstand niederzuwerfen um nachher bei der unvermeidlichen letzten Theilung in unangreifbarer Stellung das entscheidende Wort zu sprechen.
Der König erkannte was auf dem Spiele stand. Er ließ sein Heer einrücken, schlug die Polen bei Rawka, eroberte Krakau und wendete sich dann gegen Warschau, das mangelhaft gerüstet, von Parteikämpfen erfüllt, einem Sturmangriffe der Preußen nicht gewachsen war. Aber jene un- glückliche Bedachtsamkeit und Ueberfeinheit, welche den rheinischen Krieg verdorben hatte, betrog den König auch um die Früchte seiner polnischen Siege. Der ritterliche Fürst wollte Praga mit Sturm nehmen und dann, wie sein Ahnherr der große Kurfürst, als Sieger in der polnischen Haupt- stadt einziehen. Da mahnte ihn Bischoffswerder seine Kräfte zu schonen für die Abrechnung mit Rußland; ein Agent Katharinas, der Prinz von Nassau-Siegen, stimmte dem kleinmüthigen Rathe eifrig zu; man begann eine regelmäßige Belagerung, die schon nach wenigen Tagen abgebrochen wurde. Während das preußische Heer verstimmt und erbittert von War- schau abzog, rückte Suworow mit der Hauptmacht Katharinas heran, der geniale Barbar, in dem die wilde nationale Leidenschaft der Moskowiter Fleisch und Blut gewann: dem weißen Czaren und der orthodoxen Kirche blind ergeben wie ein großrussischer Bauer, und doch ein Meister in der Kriegskunst der Abendländer, ein großer Feldherr, zum Befehlen geboren, gewohnt das Ungeheure von dem Todesmuthe seiner Soldaten zu fordern, gewohnt zu handeln nach seinem Lieblingsworte: die Kugel ist eine Närrin, das Bajonett ein ganzer Mann. Er vollführte was die preußischen Feld- herren versäumt, schlug das Heer Kosciuszkos aufs Haupt, erstürmte Praga nach mörderischem Kampfe. Warschau lag zu den Füßen Katha- rinas, ihre Truppen behaupteten die beherrschende Stellung zwischen Bug und Weichsel. Nicht Preußen, sondern Rußland hatte den Aufstand ge- bändigt, und prahlend verkündete der Petersburger Hof: "Polen ist gänz- lich unterworfen und erobert durch die Waffen der Kaiserin."
Die Unterlassungssünden der preußischen Heeresleitung bestraften sich sofort, als die drei Ostmächte zu Petersburg über die letzte Theilung ver- handelten. Preußen verlangte die Weichsellinie mit Warschau, Sandomierz und Krakau. Da Oesterreich, das zur Dämpfung des Aufstandes sehr wenig gethan, diese letzteren zwei Bezirke für sich begehrte, gab General Tauentzien eine Antwort, die schon den gänzlichen Zerfall der Coalition
I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
die Reihen der Senſenmänner ritt. In Rußland dagegen flammte der alte Haß der Byzantiner gegen die Lateiner, der Weſtſlaven gegen die Oſtſlaven drohend auf; wie ein Mann forderte das weite Czarenreich die Vernichtung Polens zur Sühne für die erlittene Schmach. Nie war ein Krieg dem ruſſiſchen Volke heiliger. Es lag am Tage, in der blutigen Woche von Warſchau hatte Polens letzte Stunde geſchlagen. Da war es Preußens Pflicht, ſogleich, ehe noch die ruſſiſchen Heerſäulen aus dem entlegenen Innern des Reichs heranrücken konnten, ſelber den Aufſtand niederzuwerfen um nachher bei der unvermeidlichen letzten Theilung in unangreifbarer Stellung das entſcheidende Wort zu ſprechen.
Der König erkannte was auf dem Spiele ſtand. Er ließ ſein Heer einrücken, ſchlug die Polen bei Rawka, eroberte Krakau und wendete ſich dann gegen Warſchau, das mangelhaft gerüſtet, von Parteikämpfen erfüllt, einem Sturmangriffe der Preußen nicht gewachſen war. Aber jene un- glückliche Bedachtſamkeit und Ueberfeinheit, welche den rheiniſchen Krieg verdorben hatte, betrog den König auch um die Früchte ſeiner polniſchen Siege. Der ritterliche Fürſt wollte Praga mit Sturm nehmen und dann, wie ſein Ahnherr der große Kurfürſt, als Sieger in der polniſchen Haupt- ſtadt einziehen. Da mahnte ihn Biſchoffswerder ſeine Kräfte zu ſchonen für die Abrechnung mit Rußland; ein Agent Katharinas, der Prinz von Naſſau-Siegen, ſtimmte dem kleinmüthigen Rathe eifrig zu; man begann eine regelmäßige Belagerung, die ſchon nach wenigen Tagen abgebrochen wurde. Während das preußiſche Heer verſtimmt und erbittert von War- ſchau abzog, rückte Suworow mit der Hauptmacht Katharinas heran, der geniale Barbar, in dem die wilde nationale Leidenſchaft der Moskowiter Fleiſch und Blut gewann: dem weißen Czaren und der orthodoxen Kirche blind ergeben wie ein großruſſiſcher Bauer, und doch ein Meiſter in der Kriegskunſt der Abendländer, ein großer Feldherr, zum Befehlen geboren, gewohnt das Ungeheure von dem Todesmuthe ſeiner Soldaten zu fordern, gewohnt zu handeln nach ſeinem Lieblingsworte: die Kugel iſt eine Närrin, das Bajonett ein ganzer Mann. Er vollführte was die preußiſchen Feld- herren verſäumt, ſchlug das Heer Kosciuszkos aufs Haupt, erſtürmte Praga nach mörderiſchem Kampfe. Warſchau lag zu den Füßen Katha- rinas, ihre Truppen behaupteten die beherrſchende Stellung zwiſchen Bug und Weichſel. Nicht Preußen, ſondern Rußland hatte den Aufſtand ge- bändigt, und prahlend verkündete der Petersburger Hof: „Polen iſt gänz- lich unterworfen und erobert durch die Waffen der Kaiſerin.“
Die Unterlaſſungsſünden der preußiſchen Heeresleitung beſtraften ſich ſofort, als die drei Oſtmächte zu Petersburg über die letzte Theilung ver- handelten. Preußen verlangte die Weichſellinie mit Warſchau, Sandomierz und Krakau. Da Oeſterreich, das zur Dämpfung des Aufſtandes ſehr wenig gethan, dieſe letzteren zwei Bezirke für ſich begehrte, gab General Tauentzien eine Antwort, die ſchon den gänzlichen Zerfall der Coalition
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I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
die Reihen der Senſenmänner ritt. In Rußland dagegen flammte der
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Oſtſlaven drohend auf; wie ein Mann forderte das weite Czarenreich die
Vernichtung Polens zur Sühne für die erlittene Schmach. Nie war ein
Krieg dem ruſſiſchen Volke heiliger. Es lag am Tage, in der blutigen
Woche von Warſchau hatte Polens letzte Stunde geſchlagen. Da war
es Preußens Pflicht, ſogleich, ehe noch die ruſſiſchen Heerſäulen aus dem
entlegenen Innern des Reichs heranrücken konnten, ſelber den Aufſtand
niederzuwerfen um nachher bei der unvermeidlichen letzten Theilung in
unangreifbarer Stellung das entſcheidende Wort zu ſprechen.
Der König erkannte was auf dem Spiele ſtand. Er ließ ſein Heer
einrücken, ſchlug die Polen bei Rawka, eroberte Krakau und wendete ſich
dann gegen Warſchau, das mangelhaft gerüſtet, von Parteikämpfen erfüllt,
einem Sturmangriffe der Preußen nicht gewachſen war. Aber jene un-
glückliche Bedachtſamkeit und Ueberfeinheit, welche den rheiniſchen Krieg
verdorben hatte, betrog den König auch um die Früchte ſeiner polniſchen
Siege. Der ritterliche Fürſt wollte Praga mit Sturm nehmen und dann,
wie ſein Ahnherr der große Kurfürſt, als Sieger in der polniſchen Haupt-
ſtadt einziehen. Da mahnte ihn Biſchoffswerder ſeine Kräfte zu ſchonen
für die Abrechnung mit Rußland; ein Agent Katharinas, der Prinz von
Naſſau-Siegen, ſtimmte dem kleinmüthigen Rathe eifrig zu; man begann
eine regelmäßige Belagerung, die ſchon nach wenigen Tagen abgebrochen
wurde. Während das preußiſche Heer verſtimmt und erbittert von War-
ſchau abzog, rückte Suworow mit der Hauptmacht Katharinas heran, der
geniale Barbar, in dem die wilde nationale Leidenſchaft der Moskowiter
Fleiſch und Blut gewann: dem weißen Czaren und der orthodoxen Kirche
blind ergeben wie ein großruſſiſcher Bauer, und doch ein Meiſter in der
Kriegskunſt der Abendländer, ein großer Feldherr, zum Befehlen geboren,
gewohnt das Ungeheure von dem Todesmuthe ſeiner Soldaten zu fordern,
gewohnt zu handeln nach ſeinem Lieblingsworte: die Kugel iſt eine Närrin,
das Bajonett ein ganzer Mann. Er vollführte was die preußiſchen Feld-
herren verſäumt, ſchlug das Heer Kosciuszkos aufs Haupt, erſtürmte
Praga nach mörderiſchem Kampfe. Warſchau lag zu den Füßen Katha-
rinas, ihre Truppen behaupteten die beherrſchende Stellung zwiſchen Bug
und Weichſel. Nicht Preußen, ſondern Rußland hatte den Aufſtand ge-
bändigt, und prahlend verkündete der Petersburger Hof: „Polen iſt gänz-
lich unterworfen und erobert durch die Waffen der Kaiſerin.“
Die Unterlaſſungsſünden der preußiſchen Heeresleitung beſtraften ſich
ſofort, als die drei Oſtmächte zu Petersburg über die letzte Theilung ver-
handelten. Preußen verlangte die Weichſellinie mit Warſchau, Sandomierz
und Krakau. Da Oeſterreich, das zur Dämpfung des Aufſtandes ſehr
wenig gethan, dieſe letzteren zwei Bezirke für ſich begehrte, gab General
Tauentzien eine Antwort, die ſchon den gänzlichen Zerfall der Coalition
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/152>, abgerufen am 27.12.2024.
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