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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
nach Abschluß der drei Rheinfeldzüge sein Campagne-Journal heraus und
schilderte bescheiden doch mit herzhaftem Selbstgefühl, wie oft er die Feinde
"geschmissen" habe; die Offiziere zogen aus dem Kampfe heim mit dem
Bewußtsein rühmlicher Pflichterfüllung. Und doch führten diese drei Feld-
züge, die den preußischen Fahnen so viele stattliche Einzel-Erfolge brachten,
zu einem schmachvollen Frieden. Der Charakter der Kriegführung wird
überall und zu allermeist in Coalitionskriegen bedingt durch die Ziele der
Staatskunst, welcher sie dient; eine Politik, die sich vor dem Siege fürchtet,
kann große Feldherren nicht ertragen. Die schwankende Rathlosigkeit der
preußischen Politik fand in der Willensschwäche, in dem bedachtsamen
Zaudern des Herzogs von Braunschweig ihren getreuen Ausdruck. König
Friedrich war in den letzten Zeiten des siebenjährigen Krieges durch die
erdrückende Uebermacht der Feinde zu einer Behutsamkeit gezwungen
worden, die seinen Neigungen und Grundsätzen widersprach. Was ihm
allein die Noth auferlegte, erschien den Generalen der Friedensjahre als
die Blüthe militärischer Weisheit. Sie hielten für die Aufgabe des Feld-
herrn, die Truppen in einen weiten Cordon auseinanderzuziehen, jeden
irgend bedrohten Punkt zu decken, den Berg durch das Bataillon und
das Bataillon durch den Berg zu sichern; jener Geist der Initiative, den
Friedrich so oft für den Nerv des Kriegshandwerks erklärt hatte, ging
dem friedensfrohen Geschlechte verloren. Die Künstelei dieser bedacht-
samen Kriegsmethode entsprach zugleich dem Temperament des Braun-
schweigers und seinen politischen Ansichten; denn er allein unter den
Generalen des verbündeten Heeres fürchtete die dämonischen Kräfte der
Revolution, er scheute das Wagniß der offenen Feldschlacht.

Nach altösterreichischem Brauche kam von den zugesagten kaiserlichen
Hilfsvölkern nur der kleinste Theil zur Stelle. Der Oberfeldherr eroberte
zunächst die Festungen der Maaslinie und rückte dann, widerwillig dem
Befehle des Königs gehorchend, westwärts gegen Paris vor, obgleich sein
Heer viel zu schwach war um die Eroberung der feindlichen Hauptstadt
versuchen zu können. Schon am 20. September fiel die Entscheidung des
Feldzugs. Der Herzog wagte nicht, die Franzosen auf den Höhen von
Valmy anzugreifen, sondern gab den sicheren Sieg aus der Hand und räumte
darauf den französischen Boden vor den anrückenden Verstärkungen des
Feindes. Mit dem Seherblick des Dichters durchschaute Goethe die Folgen
dieser großen Wendung; er sagte zu den preußischen Offizieren: "Am
heutigen Tage beginnt eine neue Epoche der Weltgeschichte." Inzwischen
war die Krone der Capetinger durch den Aufstand des zehnten August
zerbrochen worden; aus dem gräßlichen Blutbade der Septembermorde
stieg die französische Republik empor, und triumphirend konnten die Gewalt-
haber des neuen Frankreichs dem Convente als Brautgabe die große Kunde
bringen, daß die fridericianische Armee den Heerschaaren der Freiheit un-
rühmlich den Rücken gekehrt habe.

I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
nach Abſchluß der drei Rheinfeldzüge ſein Campagne-Journal heraus und
ſchilderte beſcheiden doch mit herzhaftem Selbſtgefühl, wie oft er die Feinde
„geſchmiſſen“ habe; die Offiziere zogen aus dem Kampfe heim mit dem
Bewußtſein rühmlicher Pflichterfüllung. Und doch führten dieſe drei Feld-
züge, die den preußiſchen Fahnen ſo viele ſtattliche Einzel-Erfolge brachten,
zu einem ſchmachvollen Frieden. Der Charakter der Kriegführung wird
überall und zu allermeiſt in Coalitionskriegen bedingt durch die Ziele der
Staatskunſt, welcher ſie dient; eine Politik, die ſich vor dem Siege fürchtet,
kann große Feldherren nicht ertragen. Die ſchwankende Rathloſigkeit der
preußiſchen Politik fand in der Willensſchwäche, in dem bedachtſamen
Zaudern des Herzogs von Braunſchweig ihren getreuen Ausdruck. König
Friedrich war in den letzten Zeiten des ſiebenjährigen Krieges durch die
erdrückende Uebermacht der Feinde zu einer Behutſamkeit gezwungen
worden, die ſeinen Neigungen und Grundſätzen widerſprach. Was ihm
allein die Noth auferlegte, erſchien den Generalen der Friedensjahre als
die Blüthe militäriſcher Weisheit. Sie hielten für die Aufgabe des Feld-
herrn, die Truppen in einen weiten Cordon auseinanderzuziehen, jeden
irgend bedrohten Punkt zu decken, den Berg durch das Bataillon und
das Bataillon durch den Berg zu ſichern; jener Geiſt der Initiative, den
Friedrich ſo oft für den Nerv des Kriegshandwerks erklärt hatte, ging
dem friedensfrohen Geſchlechte verloren. Die Künſtelei dieſer bedacht-
ſamen Kriegsmethode entſprach zugleich dem Temperament des Braun-
ſchweigers und ſeinen politiſchen Anſichten; denn er allein unter den
Generalen des verbündeten Heeres fürchtete die dämoniſchen Kräfte der
Revolution, er ſcheute das Wagniß der offenen Feldſchlacht.

Nach altöſterreichiſchem Brauche kam von den zugeſagten kaiſerlichen
Hilfsvölkern nur der kleinſte Theil zur Stelle. Der Oberfeldherr eroberte
zunächſt die Feſtungen der Maaslinie und rückte dann, widerwillig dem
Befehle des Königs gehorchend, weſtwärts gegen Paris vor, obgleich ſein
Heer viel zu ſchwach war um die Eroberung der feindlichen Hauptſtadt
verſuchen zu können. Schon am 20. September fiel die Entſcheidung des
Feldzugs. Der Herzog wagte nicht, die Franzoſen auf den Höhen von
Valmy anzugreifen, ſondern gab den ſicheren Sieg aus der Hand und räumte
darauf den franzöſiſchen Boden vor den anrückenden Verſtärkungen des
Feindes. Mit dem Seherblick des Dichters durchſchaute Goethe die Folgen
dieſer großen Wendung; er ſagte zu den preußiſchen Offizieren: „Am
heutigen Tage beginnt eine neue Epoche der Weltgeſchichte.“ Inzwiſchen
war die Krone der Capetinger durch den Aufſtand des zehnten Auguſt
zerbrochen worden; aus dem gräßlichen Blutbade der Septembermorde
ſtieg die franzöſiſche Republik empor, und triumphirend konnten die Gewalt-
haber des neuen Frankreichs dem Convente als Brautgabe die große Kunde
bringen, daß die fridericianiſche Armee den Heerſchaaren der Freiheit un-
rühmlich den Rücken gekehrt habe.

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[128/0144] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. nach Abſchluß der drei Rheinfeldzüge ſein Campagne-Journal heraus und ſchilderte beſcheiden doch mit herzhaftem Selbſtgefühl, wie oft er die Feinde „geſchmiſſen“ habe; die Offiziere zogen aus dem Kampfe heim mit dem Bewußtſein rühmlicher Pflichterfüllung. Und doch führten dieſe drei Feld- züge, die den preußiſchen Fahnen ſo viele ſtattliche Einzel-Erfolge brachten, zu einem ſchmachvollen Frieden. Der Charakter der Kriegführung wird überall und zu allermeiſt in Coalitionskriegen bedingt durch die Ziele der Staatskunſt, welcher ſie dient; eine Politik, die ſich vor dem Siege fürchtet, kann große Feldherren nicht ertragen. Die ſchwankende Rathloſigkeit der preußiſchen Politik fand in der Willensſchwäche, in dem bedachtſamen Zaudern des Herzogs von Braunſchweig ihren getreuen Ausdruck. König Friedrich war in den letzten Zeiten des ſiebenjährigen Krieges durch die erdrückende Uebermacht der Feinde zu einer Behutſamkeit gezwungen worden, die ſeinen Neigungen und Grundſätzen widerſprach. Was ihm allein die Noth auferlegte, erſchien den Generalen der Friedensjahre als die Blüthe militäriſcher Weisheit. Sie hielten für die Aufgabe des Feld- herrn, die Truppen in einen weiten Cordon auseinanderzuziehen, jeden irgend bedrohten Punkt zu decken, den Berg durch das Bataillon und das Bataillon durch den Berg zu ſichern; jener Geiſt der Initiative, den Friedrich ſo oft für den Nerv des Kriegshandwerks erklärt hatte, ging dem friedensfrohen Geſchlechte verloren. Die Künſtelei dieſer bedacht- ſamen Kriegsmethode entſprach zugleich dem Temperament des Braun- ſchweigers und ſeinen politiſchen Anſichten; denn er allein unter den Generalen des verbündeten Heeres fürchtete die dämoniſchen Kräfte der Revolution, er ſcheute das Wagniß der offenen Feldſchlacht. Nach altöſterreichiſchem Brauche kam von den zugeſagten kaiſerlichen Hilfsvölkern nur der kleinſte Theil zur Stelle. Der Oberfeldherr eroberte zunächſt die Feſtungen der Maaslinie und rückte dann, widerwillig dem Befehle des Königs gehorchend, weſtwärts gegen Paris vor, obgleich ſein Heer viel zu ſchwach war um die Eroberung der feindlichen Hauptſtadt verſuchen zu können. Schon am 20. September fiel die Entſcheidung des Feldzugs. Der Herzog wagte nicht, die Franzoſen auf den Höhen von Valmy anzugreifen, ſondern gab den ſicheren Sieg aus der Hand und räumte darauf den franzöſiſchen Boden vor den anrückenden Verſtärkungen des Feindes. Mit dem Seherblick des Dichters durchſchaute Goethe die Folgen dieſer großen Wendung; er ſagte zu den preußiſchen Offizieren: „Am heutigen Tage beginnt eine neue Epoche der Weltgeſchichte.“ Inzwiſchen war die Krone der Capetinger durch den Aufſtand des zehnten Auguſt zerbrochen worden; aus dem gräßlichen Blutbade der Septembermorde ſtieg die franzöſiſche Republik empor, und triumphirend konnten die Gewalt- haber des neuen Frankreichs dem Convente als Brautgabe die große Kunde bringen, daß die fridericianiſche Armee den Heerſchaaren der Freiheit un- rühmlich den Rücken gekehrt habe.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/144>, abgerufen am 24.11.2024.