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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.

Es war die nothwendige Folge dieser kleinmüthigen Friedenswahrung,
daß Hertzberg schon im nächsten Jahre entlassen wurde; wenig glücklich in
der Wahl der Mittel, hatte er doch den Grundgedanken der fridericianischen
Staatskunst niemals aufgegeben, die stolze Unabhängigkeit der preußischen
Politik von den Befehlen der Hofburg immer zu behaupten gesucht. Mit
Bischoffswerder, der nunmehr das Ohr des Königs gewann, kam eine völlig
neue Richtung ans Regiment: die Politik des friedlichen Dualismus. Sie
hoffte, in schroffem Gegensatze zu den Anschauungen der jüngsten glorreichen
fünfzig Jahre, durch ein österreichisches Bündniß den Bestand des Staates,
vornehmlich gegen Rußland, zu sichern; sie verzichtete auf jeden Gedanken
der Reichsreform und dachte in treuem Einvernehmen mit dem Kaiser-
hause die deutschen Dinge zu leiten. Im Frühjahr 1791 begann Bischoffs-
werder die Verhandlungen über das österreichisch-preußische Bündniß.
Unklarer, unglücklicher konnten sich Deutschlands Geschicke nicht gestalten.
Der Bund der beiden unversöhnten Feinde war von Haus aus eine Un-
wahrheit; es fehlte hüben wie drüben das rückhaltlose Vertrauen. Die
große Mehrzahl der preußischen Staatsmänner hing noch fest an den
fridericianischen Ueberlieferungen, verfolgte mit wachem Argwohn jeden
Schritt des Wiener Cabinets; in der Hofburg hatte man weder die Er-
oberung Schlesiens noch die Reichenbacher Demüthigung verziehen und
war keineswegs gesonnen, den nordischen Emporkömmling als einen gleich-
berechtigten Genossen zu behandeln. Von allen den großen Machtfragen,
welche sich trennend zwischen die beiden Nebenbuhler stellten, war keine
einzige gelöst. Das Bündniß zwischen Oesterreich und Rußland blieb
vorderhand noch aufrecht, zum Trotz den Reichenbacher Zusagen. Die
reichsfürstliche Ergebenheit des Königs beirrte den Kaiser nicht in der alten
Ueberzeugung, daß jede Erweiterung der preußischen Macht im Reiche ein
Unheil für Oesterreich sei; der Wiener Hof sah mit schwerer Besorgniß,
wie Preußen die alten Stammlande Ansbach-Baireuth mit der Monarchie
vereinigte und also zum ersten male im Süden Deutschlands festen Fuß
faßte, die gefährliche Position in der Flanke Böhmens gewann. Noch
greller zeigte sich der Gegensatz der Interessen der beiden Bundesgenossen
in der polnischen Frage.

Beide Mächte wünschten die polnische Adelsrepublik aufrecht zu halten
als ein Bollwerk gegen Katharinas rastlos ausgreifende Eroberungspolitik.
Die mechanische Staatsauffassung der Zeit gefiel sich in Künsteleien; durch
ein erklügeltes System des Gleichgewichts, durch willkürlich gebildete Klein-
staaten, die man als Polsterkissen zwischen die großen Mächte einschob,
meinte sie den Frieden zu sichern, den nur die innere Gesundheit lebens-
kräftiger nationaler Staaten verbürgen konnte. Weder in Wien noch in
Berlin war man zu der Erkenntniß gelangt, daß dieser Staat des zucht-
losen Junkerthums nicht mehr leben konnte, daß die polnische Freiheit
nichts anderes war als die Fremdherrschaft sarmatischer Magnaten und

I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.

Es war die nothwendige Folge dieſer kleinmüthigen Friedenswahrung,
daß Hertzberg ſchon im nächſten Jahre entlaſſen wurde; wenig glücklich in
der Wahl der Mittel, hatte er doch den Grundgedanken der fridericianiſchen
Staatskunſt niemals aufgegeben, die ſtolze Unabhängigkeit der preußiſchen
Politik von den Befehlen der Hofburg immer zu behaupten geſucht. Mit
Biſchoffswerder, der nunmehr das Ohr des Königs gewann, kam eine völlig
neue Richtung ans Regiment: die Politik des friedlichen Dualismus. Sie
hoffte, in ſchroffem Gegenſatze zu den Anſchauungen der jüngſten glorreichen
fünfzig Jahre, durch ein öſterreichiſches Bündniß den Beſtand des Staates,
vornehmlich gegen Rußland, zu ſichern; ſie verzichtete auf jeden Gedanken
der Reichsreform und dachte in treuem Einvernehmen mit dem Kaiſer-
hauſe die deutſchen Dinge zu leiten. Im Frühjahr 1791 begann Biſchoffs-
werder die Verhandlungen über das öſterreichiſch-preußiſche Bündniß.
Unklarer, unglücklicher konnten ſich Deutſchlands Geſchicke nicht geſtalten.
Der Bund der beiden unverſöhnten Feinde war von Haus aus eine Un-
wahrheit; es fehlte hüben wie drüben das rückhaltloſe Vertrauen. Die
große Mehrzahl der preußiſchen Staatsmänner hing noch feſt an den
fridericianiſchen Ueberlieferungen, verfolgte mit wachem Argwohn jeden
Schritt des Wiener Cabinets; in der Hofburg hatte man weder die Er-
oberung Schleſiens noch die Reichenbacher Demüthigung verziehen und
war keineswegs geſonnen, den nordiſchen Emporkömmling als einen gleich-
berechtigten Genoſſen zu behandeln. Von allen den großen Machtfragen,
welche ſich trennend zwiſchen die beiden Nebenbuhler ſtellten, war keine
einzige gelöſt. Das Bündniß zwiſchen Oeſterreich und Rußland blieb
vorderhand noch aufrecht, zum Trotz den Reichenbacher Zuſagen. Die
reichsfürſtliche Ergebenheit des Königs beirrte den Kaiſer nicht in der alten
Ueberzeugung, daß jede Erweiterung der preußiſchen Macht im Reiche ein
Unheil für Oeſterreich ſei; der Wiener Hof ſah mit ſchwerer Beſorgniß,
wie Preußen die alten Stammlande Ansbach-Baireuth mit der Monarchie
vereinigte und alſo zum erſten male im Süden Deutſchlands feſten Fuß
faßte, die gefährliche Poſition in der Flanke Böhmens gewann. Noch
greller zeigte ſich der Gegenſatz der Intereſſen der beiden Bundesgenoſſen
in der polniſchen Frage.

Beide Mächte wünſchten die polniſche Adelsrepublik aufrecht zu halten
als ein Bollwerk gegen Katharinas raſtlos ausgreifende Eroberungspolitik.
Die mechaniſche Staatsauffaſſung der Zeit gefiel ſich in Künſteleien; durch
ein erklügeltes Syſtem des Gleichgewichts, durch willkürlich gebildete Klein-
ſtaaten, die man als Polſterkiſſen zwiſchen die großen Mächte einſchob,
meinte ſie den Frieden zu ſichern, den nur die innere Geſundheit lebens-
kräftiger nationaler Staaten verbürgen konnte. Weder in Wien noch in
Berlin war man zu der Erkenntniß gelangt, daß dieſer Staat des zucht-
loſen Junkerthums nicht mehr leben konnte, daß die polniſche Freiheit
nichts anderes war als die Fremdherrſchaft ſarmatiſcher Magnaten und

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[112/0128] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. Es war die nothwendige Folge dieſer kleinmüthigen Friedenswahrung, daß Hertzberg ſchon im nächſten Jahre entlaſſen wurde; wenig glücklich in der Wahl der Mittel, hatte er doch den Grundgedanken der fridericianiſchen Staatskunſt niemals aufgegeben, die ſtolze Unabhängigkeit der preußiſchen Politik von den Befehlen der Hofburg immer zu behaupten geſucht. Mit Biſchoffswerder, der nunmehr das Ohr des Königs gewann, kam eine völlig neue Richtung ans Regiment: die Politik des friedlichen Dualismus. Sie hoffte, in ſchroffem Gegenſatze zu den Anſchauungen der jüngſten glorreichen fünfzig Jahre, durch ein öſterreichiſches Bündniß den Beſtand des Staates, vornehmlich gegen Rußland, zu ſichern; ſie verzichtete auf jeden Gedanken der Reichsreform und dachte in treuem Einvernehmen mit dem Kaiſer- hauſe die deutſchen Dinge zu leiten. Im Frühjahr 1791 begann Biſchoffs- werder die Verhandlungen über das öſterreichiſch-preußiſche Bündniß. Unklarer, unglücklicher konnten ſich Deutſchlands Geſchicke nicht geſtalten. Der Bund der beiden unverſöhnten Feinde war von Haus aus eine Un- wahrheit; es fehlte hüben wie drüben das rückhaltloſe Vertrauen. Die große Mehrzahl der preußiſchen Staatsmänner hing noch feſt an den fridericianiſchen Ueberlieferungen, verfolgte mit wachem Argwohn jeden Schritt des Wiener Cabinets; in der Hofburg hatte man weder die Er- oberung Schleſiens noch die Reichenbacher Demüthigung verziehen und war keineswegs geſonnen, den nordiſchen Emporkömmling als einen gleich- berechtigten Genoſſen zu behandeln. Von allen den großen Machtfragen, welche ſich trennend zwiſchen die beiden Nebenbuhler ſtellten, war keine einzige gelöſt. Das Bündniß zwiſchen Oeſterreich und Rußland blieb vorderhand noch aufrecht, zum Trotz den Reichenbacher Zuſagen. Die reichsfürſtliche Ergebenheit des Königs beirrte den Kaiſer nicht in der alten Ueberzeugung, daß jede Erweiterung der preußiſchen Macht im Reiche ein Unheil für Oeſterreich ſei; der Wiener Hof ſah mit ſchwerer Beſorgniß, wie Preußen die alten Stammlande Ansbach-Baireuth mit der Monarchie vereinigte und alſo zum erſten male im Süden Deutſchlands feſten Fuß faßte, die gefährliche Poſition in der Flanke Böhmens gewann. Noch greller zeigte ſich der Gegenſatz der Intereſſen der beiden Bundesgenoſſen in der polniſchen Frage. Beide Mächte wünſchten die polniſche Adelsrepublik aufrecht zu halten als ein Bollwerk gegen Katharinas raſtlos ausgreifende Eroberungspolitik. Die mechaniſche Staatsauffaſſung der Zeit gefiel ſich in Künſteleien; durch ein erklügeltes Syſtem des Gleichgewichts, durch willkürlich gebildete Klein- ſtaaten, die man als Polſterkiſſen zwiſchen die großen Mächte einſchob, meinte ſie den Frieden zu ſichern, den nur die innere Geſundheit lebens- kräftiger nationaler Staaten verbürgen konnte. Weder in Wien noch in Berlin war man zu der Erkenntniß gelangt, daß dieſer Staat des zucht- loſen Junkerthums nicht mehr leben konnte, daß die polniſche Freiheit nichts anderes war als die Fremdherrſchaft ſarmatiſcher Magnaten und

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/128>, abgerufen am 27.11.2024.