Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.Vertrag von Reichenbach. Politik ebenso unheilvoll wie einst der Tod Karls VII. Josephs klugerNachfolger rettete die Machtstellung Oesterreichs im Reiche, indem er die orientalischen Pläne seines Bruders aufgab; er empfing -- so gestand er selber -- die Kaiserkrone ohne jede Bedingung als ein großmüthiges Geschenk aus der Hand des Königs von Preußen. Oesterreichs diplo- matische Niederlage gereichte allein der Türkei und den Seemächten zum Vortheil; die Pforte wurde durch Preußens Dazwischentreten von einem gefährlichen Gegner befreit, die hartconservative orientalische Politik Eng- lands verdankte der Ueberklugheit Hertzbergs einen leichten Triumph. Der Berliner Hof aber sah binnen Kurzem die Lage der Welt zu seinem Nach- theil verändert. Die aufsässigen Kronlande wurden durch Leopolds ge- wandte Nachgiebigkeit zum Gehorsam zurückgeführt, durch seine floren- tinische Geheimpolizei in Ruhe gehalten; in Polen errang Oesterreich bald beherrschenden Einfluß; Schweden schloß einen nachtheiligen Frieden mit Rußland; England versagte offen seine Mitwirkung zu Hertzbergs polni- schen Plänen. Und vor Allem, der Reichenbacher Vertrag war der Tod des Fürstenbundes, war das Ende der deutschen Politik des großen Königs. Die kleinen Fürsten traten jetzt, da sie in Berlin den stolzen, gebieterischen Willen vermißten und von Leopolds Mäßigung nichts mehr zu fürchten hatten, einer nach dem andern in ihre natürliche Parteistellung zurück; sie versöhnten sich mit Oesterreich, der Fürstenbund verschwand spurlos, nicht einmal eine ernstliche Reform der Wahlcapitulation ließ sich erreichen. Die letzte günstige Stunde, da Preußen die heillose Wirrniß der Vertrag von Reichenbach. Politik ebenſo unheilvoll wie einſt der Tod Karls VII. Joſephs klugerNachfolger rettete die Machtſtellung Oeſterreichs im Reiche, indem er die orientaliſchen Pläne ſeines Bruders aufgab; er empfing — ſo geſtand er ſelber — die Kaiſerkrone ohne jede Bedingung als ein großmüthiges Geſchenk aus der Hand des Königs von Preußen. Oeſterreichs diplo- matiſche Niederlage gereichte allein der Türkei und den Seemächten zum Vortheil; die Pforte wurde durch Preußens Dazwiſchentreten von einem gefährlichen Gegner befreit, die hartconſervative orientaliſche Politik Eng- lands verdankte der Ueberklugheit Hertzbergs einen leichten Triumph. Der Berliner Hof aber ſah binnen Kurzem die Lage der Welt zu ſeinem Nach- theil verändert. Die aufſäſſigen Kronlande wurden durch Leopolds ge- wandte Nachgiebigkeit zum Gehorſam zurückgeführt, durch ſeine floren- tiniſche Geheimpolizei in Ruhe gehalten; in Polen errang Oeſterreich bald beherrſchenden Einfluß; Schweden ſchloß einen nachtheiligen Frieden mit Rußland; England verſagte offen ſeine Mitwirkung zu Hertzbergs polni- ſchen Plänen. Und vor Allem, der Reichenbacher Vertrag war der Tod des Fürſtenbundes, war das Ende der deutſchen Politik des großen Königs. Die kleinen Fürſten traten jetzt, da ſie in Berlin den ſtolzen, gebieteriſchen Willen vermißten und von Leopolds Mäßigung nichts mehr zu fürchten hatten, einer nach dem andern in ihre natürliche Parteiſtellung zurück; ſie verſöhnten ſich mit Oeſterreich, der Fürſtenbund verſchwand ſpurlos, nicht einmal eine ernſtliche Reform der Wahlcapitulation ließ ſich erreichen. Die letzte günſtige Stunde, da Preußen die heilloſe Wirrniß der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0127" n="111"/><fw place="top" type="header">Vertrag von Reichenbach.</fw><lb/> Politik ebenſo unheilvoll wie einſt der Tod Karls <hi rendition="#aq">VII.</hi> Joſephs kluger<lb/> Nachfolger rettete die Machtſtellung Oeſterreichs im Reiche, indem er die<lb/> orientaliſchen Pläne ſeines Bruders aufgab; er empfing — ſo geſtand<lb/> er ſelber — die Kaiſerkrone ohne jede Bedingung als ein großmüthiges<lb/> Geſchenk aus der Hand des Königs von Preußen. Oeſterreichs diplo-<lb/> matiſche Niederlage gereichte allein der Türkei und den Seemächten zum<lb/> Vortheil; die Pforte wurde durch Preußens Dazwiſchentreten von einem<lb/> gefährlichen Gegner befreit, die hartconſervative orientaliſche Politik Eng-<lb/> lands verdankte der Ueberklugheit Hertzbergs einen leichten Triumph. Der<lb/> Berliner Hof aber ſah binnen Kurzem die Lage der Welt zu ſeinem Nach-<lb/> theil verändert. Die aufſäſſigen Kronlande wurden durch Leopolds ge-<lb/> wandte Nachgiebigkeit zum Gehorſam zurückgeführt, durch ſeine floren-<lb/> tiniſche Geheimpolizei in Ruhe gehalten; in Polen errang Oeſterreich bald<lb/> beherrſchenden Einfluß; Schweden ſchloß einen nachtheiligen Frieden mit<lb/> Rußland; England verſagte offen ſeine Mitwirkung zu Hertzbergs polni-<lb/> ſchen Plänen. Und vor Allem, der Reichenbacher Vertrag war der Tod<lb/> des Fürſtenbundes, war das Ende der deutſchen Politik des großen Königs.<lb/> Die kleinen Fürſten traten jetzt, da ſie in Berlin den ſtolzen, gebieteriſchen<lb/> Willen vermißten und von Leopolds Mäßigung nichts mehr zu fürchten<lb/> hatten, einer nach dem andern in ihre natürliche Parteiſtellung zurück;<lb/> ſie verſöhnten ſich mit Oeſterreich, der Fürſtenbund verſchwand ſpurlos,<lb/> nicht einmal eine ernſtliche Reform der Wahlcapitulation ließ ſich erreichen.</p><lb/> <p>Die letzte günſtige Stunde, da Preußen die heilloſe Wirrniß der<lb/> Reichspolitik vielleicht noch lichten konnte, war unwiederbringlich verloren;<lb/> führerlos ſchwankte das unförmliche deutſche Gemeinweſen der Vernich-<lb/> tung durch fremde Gewalt entgegen. Karl Auguſt klagte bitter über den<lb/> Schlummergeiſt der Deutſchen, der dies Chaos für das unantaſtbare Ideal<lb/> einer guten Verfaſſung halte; und derweil im Weſten ſchon das Unwetter<lb/> heraufzog, das die geſammten alten Formen der europäiſchen Welt zu<lb/> zerſtören drohte, faßte der wohlmeinende Kurfürſt von Köln die Herzens-<lb/> wünſche des deutſchen hohen Adels für die Zukunft des Vaterlandes in<lb/> den Worten zuſammen: „Wir brauchen einen friedlichen Kaiſer, der das<lb/> deutſche Weſen nothdürftig zuſammenhält; aber den Kleinen muß man<lb/> die Illuſion laſſen, als ob ſie auch an der Maſchine mitzögen.“ Auch<lb/> dem Volke fehlte jedes Verſtändniß für den Ernſt der Zeit. Einzelne<lb/> geiſtreiche Publiciſten, wie Georg Forſter, prieſen den Triumph der preu-<lb/> ßiſchen Staatskunſt, ihre Unterlaſſungsſünden bemerkte Niemand. Die<lb/> Maſſe der Nation freute ſich harmlos des wiederhergeſtellten Friedens;<lb/> als der König während der Reichenbacher Verhandlungen einmal der<lb/> modiſchen Naturſchwärmerei ſeinen Zoll zahlte und den Gipfel der Heu-<lb/> ſcheuer erkletterte, da errichteten ihm die treuen Schleſier droben auf dem<lb/> Grenzgebirge ein Denkmal voll warmer Dankesworte: „Den Frieden wahrt<lb/> ſein ſichrer Schild!“</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [111/0127]
Vertrag von Reichenbach.
Politik ebenſo unheilvoll wie einſt der Tod Karls VII. Joſephs kluger
Nachfolger rettete die Machtſtellung Oeſterreichs im Reiche, indem er die
orientaliſchen Pläne ſeines Bruders aufgab; er empfing — ſo geſtand
er ſelber — die Kaiſerkrone ohne jede Bedingung als ein großmüthiges
Geſchenk aus der Hand des Königs von Preußen. Oeſterreichs diplo-
matiſche Niederlage gereichte allein der Türkei und den Seemächten zum
Vortheil; die Pforte wurde durch Preußens Dazwiſchentreten von einem
gefährlichen Gegner befreit, die hartconſervative orientaliſche Politik Eng-
lands verdankte der Ueberklugheit Hertzbergs einen leichten Triumph. Der
Berliner Hof aber ſah binnen Kurzem die Lage der Welt zu ſeinem Nach-
theil verändert. Die aufſäſſigen Kronlande wurden durch Leopolds ge-
wandte Nachgiebigkeit zum Gehorſam zurückgeführt, durch ſeine floren-
tiniſche Geheimpolizei in Ruhe gehalten; in Polen errang Oeſterreich bald
beherrſchenden Einfluß; Schweden ſchloß einen nachtheiligen Frieden mit
Rußland; England verſagte offen ſeine Mitwirkung zu Hertzbergs polni-
ſchen Plänen. Und vor Allem, der Reichenbacher Vertrag war der Tod
des Fürſtenbundes, war das Ende der deutſchen Politik des großen Königs.
Die kleinen Fürſten traten jetzt, da ſie in Berlin den ſtolzen, gebieteriſchen
Willen vermißten und von Leopolds Mäßigung nichts mehr zu fürchten
hatten, einer nach dem andern in ihre natürliche Parteiſtellung zurück;
ſie verſöhnten ſich mit Oeſterreich, der Fürſtenbund verſchwand ſpurlos,
nicht einmal eine ernſtliche Reform der Wahlcapitulation ließ ſich erreichen.
Die letzte günſtige Stunde, da Preußen die heilloſe Wirrniß der
Reichspolitik vielleicht noch lichten konnte, war unwiederbringlich verloren;
führerlos ſchwankte das unförmliche deutſche Gemeinweſen der Vernich-
tung durch fremde Gewalt entgegen. Karl Auguſt klagte bitter über den
Schlummergeiſt der Deutſchen, der dies Chaos für das unantaſtbare Ideal
einer guten Verfaſſung halte; und derweil im Weſten ſchon das Unwetter
heraufzog, das die geſammten alten Formen der europäiſchen Welt zu
zerſtören drohte, faßte der wohlmeinende Kurfürſt von Köln die Herzens-
wünſche des deutſchen hohen Adels für die Zukunft des Vaterlandes in
den Worten zuſammen: „Wir brauchen einen friedlichen Kaiſer, der das
deutſche Weſen nothdürftig zuſammenhält; aber den Kleinen muß man
die Illuſion laſſen, als ob ſie auch an der Maſchine mitzögen.“ Auch
dem Volke fehlte jedes Verſtändniß für den Ernſt der Zeit. Einzelne
geiſtreiche Publiciſten, wie Georg Forſter, prieſen den Triumph der preu-
ßiſchen Staatskunſt, ihre Unterlaſſungsſünden bemerkte Niemand. Die
Maſſe der Nation freute ſich harmlos des wiederhergeſtellten Friedens;
als der König während der Reichenbacher Verhandlungen einmal der
modiſchen Naturſchwärmerei ſeinen Zoll zahlte und den Gipfel der Heu-
ſcheuer erkletterte, da errichteten ihm die treuen Schleſier droben auf dem
Grenzgebirge ein Denkmal voll warmer Dankesworte: „Den Frieden wahrt
ſein ſichrer Schild!“
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |