Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.I. 2. Revolution und Fremdherrschaft. das Ansehen des Hauses Oranien wieder her. Jetzt galt es den Siegauszubeuten, dies blutsverwandte, durch Preußens Waffen wieder ein- gesetzte Herrscherhaus fest an das preußische System anzuschließen. Karl August rieth, die Republik solle dem Fürstenbunde beitreten und durch regelmäßige Soldzahlungen den Kleinfürsten den Unterhalt eines stehen- den Heeres ermöglichen. Doch hier zuerst zeigte sich die verhängnißvolle Unbeständigkeit des Königs, der keinen seiner guten Gedanken bis zum Ende verfolgen mochte. Der Eifer für den Fürstenbund war längst im Erkalten; Friedrich Wilhelms weiches Gemüth verehrte die altheiligen Formen der deutschen Verfassung mit reichsfürstlicher Devotion, eine Re- form an Haupt und Gliedern widerstrebte seiner Pietät. Die Berliner Staatsmänner verhehlten kaum ihre Geringschätzung gegen den Bund der deutschen Kleinfürsten, Graf Hertzberg nannte ihn oft das Kreuz der großen Politik. Die Berufung des Bundestags nach Mainz unterblieb, da Sachsen und Hannover bösen Willen zeigten; von den Entwürfen Karl Augusts kam keiner zur Reife, und schon zwei Jahre nach Friedrichs Tode war von der Ausbildung und Befestigung des Fürstenbundes kaum noch die Rede. Die preußische Armee räumte die Niederlande, und die leicht- sinnige Großmuth des Königs erließ dem reichen Nachbarvolke den Ersatz der Kriegskosten. Das so glänzend begonnene Unternehmen schloß mit einer diplomatischen Niederlage. Nicht Preußen, sondern England gewann im Haag die Oberhand, das alte Bündniß der beiden Seemächte stellte sich wieder her. Mehr als sechs Millionen Thaler waren zwecklos ver- schleudert; seitdem begannen die verderblichen Geldverlegenheiten dieser Regierung. Im Heere aber nahm nach den unblutigen holländischen Triumphen ein gefährlicher Dünkel überhand; mit grenzenloser Verachtung sah der Berufssoldat auf jede Volksbewaffnung herab. Noch war die wunderbare Gunst des Glückes nicht erschöpft. Aber- I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. das Anſehen des Hauſes Oranien wieder her. Jetzt galt es den Siegauszubeuten, dies blutsverwandte, durch Preußens Waffen wieder ein- geſetzte Herrſcherhaus feſt an das preußiſche Syſtem anzuſchließen. Karl Auguſt rieth, die Republik ſolle dem Fürſtenbunde beitreten und durch regelmäßige Soldzahlungen den Kleinfürſten den Unterhalt eines ſtehen- den Heeres ermöglichen. Doch hier zuerſt zeigte ſich die verhängnißvolle Unbeſtändigkeit des Königs, der keinen ſeiner guten Gedanken bis zum Ende verfolgen mochte. Der Eifer für den Fürſtenbund war längſt im Erkalten; Friedrich Wilhelms weiches Gemüth verehrte die altheiligen Formen der deutſchen Verfaſſung mit reichsfürſtlicher Devotion, eine Re- form an Haupt und Gliedern widerſtrebte ſeiner Pietät. Die Berliner Staatsmänner verhehlten kaum ihre Geringſchätzung gegen den Bund der deutſchen Kleinfürſten, Graf Hertzberg nannte ihn oft das Kreuz der großen Politik. Die Berufung des Bundestags nach Mainz unterblieb, da Sachſen und Hannover böſen Willen zeigten; von den Entwürfen Karl Auguſts kam keiner zur Reife, und ſchon zwei Jahre nach Friedrichs Tode war von der Ausbildung und Befeſtigung des Fürſtenbundes kaum noch die Rede. Die preußiſche Armee räumte die Niederlande, und die leicht- ſinnige Großmuth des Königs erließ dem reichen Nachbarvolke den Erſatz der Kriegskoſten. Das ſo glänzend begonnene Unternehmen ſchloß mit einer diplomatiſchen Niederlage. Nicht Preußen, ſondern England gewann im Haag die Oberhand, das alte Bündniß der beiden Seemächte ſtellte ſich wieder her. Mehr als ſechs Millionen Thaler waren zwecklos ver- ſchleudert; ſeitdem begannen die verderblichen Geldverlegenheiten dieſer Regierung. Im Heere aber nahm nach den unblutigen holländiſchen Triumphen ein gefährlicher Dünkel überhand; mit grenzenloſer Verachtung ſah der Berufsſoldat auf jede Volksbewaffnung herab. Noch war die wunderbare Gunſt des Glückes nicht erſchöpft. Aber- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0124" n="108"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> 2. Revolution und Fremdherrſchaft.</fw><lb/> das Anſehen des Hauſes Oranien wieder her. Jetzt galt es den Sieg<lb/> auszubeuten, dies blutsverwandte, durch Preußens Waffen wieder ein-<lb/> geſetzte Herrſcherhaus feſt an das preußiſche Syſtem anzuſchließen. 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I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
das Anſehen des Hauſes Oranien wieder her. Jetzt galt es den Sieg
auszubeuten, dies blutsverwandte, durch Preußens Waffen wieder ein-
geſetzte Herrſcherhaus feſt an das preußiſche Syſtem anzuſchließen. Karl
Auguſt rieth, die Republik ſolle dem Fürſtenbunde beitreten und durch
regelmäßige Soldzahlungen den Kleinfürſten den Unterhalt eines ſtehen-
den Heeres ermöglichen. Doch hier zuerſt zeigte ſich die verhängnißvolle
Unbeſtändigkeit des Königs, der keinen ſeiner guten Gedanken bis zum
Ende verfolgen mochte. Der Eifer für den Fürſtenbund war längſt im
Erkalten; Friedrich Wilhelms weiches Gemüth verehrte die altheiligen
Formen der deutſchen Verfaſſung mit reichsfürſtlicher Devotion, eine Re-
form an Haupt und Gliedern widerſtrebte ſeiner Pietät. Die Berliner
Staatsmänner verhehlten kaum ihre Geringſchätzung gegen den Bund der
deutſchen Kleinfürſten, Graf Hertzberg nannte ihn oft das Kreuz der
großen Politik. Die Berufung des Bundestags nach Mainz unterblieb,
da Sachſen und Hannover böſen Willen zeigten; von den Entwürfen Karl
Auguſts kam keiner zur Reife, und ſchon zwei Jahre nach Friedrichs Tode
war von der Ausbildung und Befeſtigung des Fürſtenbundes kaum noch
die Rede. Die preußiſche Armee räumte die Niederlande, und die leicht-
ſinnige Großmuth des Königs erließ dem reichen Nachbarvolke den Erſatz
der Kriegskoſten. Das ſo glänzend begonnene Unternehmen ſchloß mit
einer diplomatiſchen Niederlage. Nicht Preußen, ſondern England gewann
im Haag die Oberhand, das alte Bündniß der beiden Seemächte ſtellte
ſich wieder her. Mehr als ſechs Millionen Thaler waren zwecklos ver-
ſchleudert; ſeitdem begannen die verderblichen Geldverlegenheiten dieſer
Regierung. Im Heere aber nahm nach den unblutigen holländiſchen
Triumphen ein gefährlicher Dünkel überhand; mit grenzenloſer Verachtung
ſah der Berufsſoldat auf jede Volksbewaffnung herab.
Noch war die wunderbare Gunſt des Glückes nicht erſchöpft. Aber-
mals bot ſich dem Könige die Gelegenheit, ſeine Machtſtellung in Deutſch-
land und Europa zugleich zu verſtärken. Kaiſer Joſeph konnte die Nieder-
lagen der ſchleſiſchen und bairiſchen Kriege nicht verwinden. Beherrſcht
von dem leidenſchaftlichen Verlangen die Ehre ſeines Hauſes an dem
preußiſchen Gegner zu rächen, ſeine Uebermacht im Reiche wiederherzu-
ſtellen, gab er die Intereſſen Oeſterreichs im Oriente preis; er verſtän-
digte ſich mit Rußland und ging auf die byzantiniſchen Pläne Katharinas
ein, gegen die Zuſage großer Gebietserweiterungen in Baiern, in Italien,
in den türkiſchen Grenzlanden. Während nun die Heere der beiden Kaiſer-
mächte an der Donau einen mühſeligen Feldzug gegen die Osmanen be-
gannen, erwachte in den öſterreichiſchen Erblanden überall der Widerſtand
gegen die haſtigen Reformen, die gewaltſamen Centraliſationsverſuche des
Kaiſers: Belgien war in offenem Aufſtande, die Magyaren ſo tief ver-
ſtimmt, daß bereits Sendboten des unzufriedenen Adels den König von
Preußen baten ihnen einen neuen Ungarnkönig vorzuſchlagen. Alle Cabi-
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