sitzes und Genusses das Dorf und die Stadt betrachtet. Vor der Zweiheit von Haus und Dorf ist der Clan, und ist schon bezeichnet worden als Familie vor der Familie, ebenso aber, wenn auch in viel weniger deutlicher Ausprägung, als Dorf vor dem Dorfe begreifbar. Denn allerdings enthält er die Möglichkeiten beider Haupt-Formen in sich. Daher ist in ihm der patriarchalische Charakter (um hierin alle Würde zusammenzufassen, welche durch Erzeugung begründet ist) mit dem fraternalen (geschwisterlich-gleichen) vermischt. Und wie in der Haus-Gemeinde vorzugsweise der erstere, so kommt dieser am meisten in der Dorf-Gemeinde zur Geltung. Doch fehlt der brüderliche Geist so wenig dort, wie hier das väterliche Walten. Aber nur das letztere, wie es in einem Systeme von Dorfverfassungen mächtig bleibt, ist für die begriffliche Ansicht der Historie wichtig: nämlich als die Grundlage des Feudalismus. Als worin der Glaube an die natürliche Würde eines hervorragenden Hauses als des edlen, adlichen, sich erhält, auch wenn solches Glaubens Wurzeln absterben: die Ehrfurcht vor dem Alter und erhabener Abstammung, welche den Clan-Chef wirklicher oder eingebildeter Maassen mit dem gemein- samen Ahnherren des ganzen Clans auf directeste Weise (in gerader und ungebrochener Linie) verbindet und also ihm eine göttliche Herkunft, folglich auch leicht gött- liche Würde zu verbürgen scheint. Aber auch in Hinsicht auf die Ausübung der Häuptlingschaft kömmt Ehre und Dank dem Vornehmen zu. So ist es natürlich, wenn ihm die Erstlinge des Feldes und der Hausthiere dar- gebracht werden, und wenn bei Besetzung und Theilung der Mark, welche unter seiner Führung geschieht, ihm auch, zuerst zum wechselnden, endlich zu dauerndem Besitze, die nächsten und besten Stücke des Ackerlandes, vor der Ausloosung, durch allgemeinen Willen zu seiner Hufe geschlagen werden. Wohl auch ein mehrfacher An- theil; oder aber, wenn der Clan in mehrere Dörfer sich gespalten hat, ein gleicher Antheil in jedem (und dies ist im germanischen Agrarsystem das Gewöhnliche gewesen). So bleibt auch sein Haus und Hof und Salgut in der Mitte des Dorfes (der Dörfer) oder (in Berglanden) über dem-
sitzes und Genusses das Dorf und die Stadt betrachtet. Vor der Zweiheit von Haus und Dorf ist der Clan, und ist schon bezeichnet worden als Familie vor der Familie, ebenso aber, wenn auch in viel weniger deutlicher Ausprägung, als Dorf vor dem Dorfe begreifbar. Denn allerdings enthält er die Möglichkeiten beider Haupt-Formen in sich. Daher ist in ihm der patriarchalische Charakter (um hierin alle Würde zusammenzufassen, welche durch Erzeugung begründet ist) mit dem fraternalen (geschwisterlich-gleichen) vermischt. Und wie in der Haus-Gemeinde vorzugsweise der erstere, so kommt dieser am meisten in der Dorf-Gemeinde zur Geltung. Doch fehlt der brüderliche Geist so wenig dort, wie hier das väterliche Walten. Aber nur das letztere, wie es in einem Systeme von Dorfverfassungen mächtig bleibt, ist für die begriffliche Ansicht der Historie wichtig: nämlich als die Grundlage des Feudalismus. Als worin der Glaube an die natürliche Würde eines hervorragenden Hauses als des edlen, adlichen, sich erhält, auch wenn solches Glaubens Wurzeln absterben: die Ehrfurcht vor dem Alter und erhabener Abstammung, welche den Clan-Chef wirklicher oder eingebildeter Maassen mit dem gemein- samen Ahnherren des ganzen Clans auf directeste Weise (in gerader und ungebrochener Linie) verbindet und also ihm eine göttliche Herkunft, folglich auch leicht gött- liche Würde zu verbürgen scheint. Aber auch in Hinsicht auf die Ausübung der Häuptlingschaft kömmt Ehre und Dank dem Vornehmen zu. So ist es natürlich, wenn ihm die Erstlinge des Feldes und der Hausthiere dar- gebracht werden, und wenn bei Besetzung und Theilung der Mark, welche unter seiner Führung geschieht, ihm auch, zuerst zum wechselnden, endlich zu dauerndem Besitze, die nächsten und besten Stücke des Ackerlandes, vor der Ausloosung, durch allgemeinen Willen zu seiner Hufe geschlagen werden. Wohl auch ein mehrfacher An- theil; oder aber, wenn der Clan in mehrere Dörfer sich gespalten hat, ein gleicher Antheil in jedem (und dies ist im germanischen Agrarsystem das Gewöhnliche gewesen). So bleibt auch sein Haus und Hof und Salgut in der Mitte des Dorfes (der Dörfer) oder (in Berglanden) über dem-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0072"n="36"/>
sitzes und Genusses das Dorf und die Stadt betrachtet. Vor<lb/>
der Zweiheit von Haus und Dorf ist der <hirendition="#g">Clan</hi>, und ist schon<lb/>
bezeichnet worden als Familie vor der Familie, ebenso aber,<lb/>
wenn auch in viel weniger deutlicher Ausprägung, als Dorf<lb/>
vor dem Dorfe begreifbar. Denn allerdings enthält er die<lb/>
Möglichkeiten beider Haupt-Formen in sich. Daher ist in<lb/>
ihm der patriarchalische Charakter (um hierin alle Würde<lb/>
zusammenzufassen, welche durch Erzeugung begründet ist)<lb/>
mit dem fraternalen (geschwisterlich-gleichen) vermischt.<lb/>
Und wie in der Haus-Gemeinde vorzugsweise der erstere,<lb/>
so kommt dieser am meisten in der Dorf-Gemeinde zur<lb/>
Geltung. Doch fehlt der brüderliche Geist so wenig dort,<lb/>
wie hier das väterliche Walten. Aber nur das letztere, wie<lb/>
es in einem Systeme von Dorfverfassungen mächtig bleibt,<lb/>
ist für die begriffliche Ansicht der <hirendition="#g">Historie</hi> wichtig:<lb/>
nämlich als die Grundlage des Feudalismus. Als worin der<lb/>
Glaube an die natürliche Würde eines hervorragenden<lb/>
Hauses als des edlen, adlichen, sich erhält, auch wenn<lb/>
solches Glaubens Wurzeln absterben: die Ehrfurcht vor dem<lb/>
Alter und erhabener Abstammung, welche den Clan-Chef<lb/>
wirklicher oder eingebildeter Maassen mit dem <hirendition="#g">gemein-<lb/>
samen</hi> Ahnherren des ganzen Clans auf <hirendition="#g">directeste</hi><lb/>
Weise (in gerader und ungebrochener Linie) verbindet und<lb/>
also ihm eine göttliche Herkunft, folglich auch leicht gött-<lb/>
liche Würde zu verbürgen scheint. Aber auch in Hinsicht<lb/>
auf die Ausübung der Häuptlingschaft kömmt Ehre und<lb/>
Dank dem Vornehmen zu. So ist es natürlich, wenn<lb/>
ihm die Erstlinge des Feldes und der Hausthiere dar-<lb/>
gebracht werden, und wenn bei Besetzung und Theilung<lb/>
der Mark, welche unter seiner Führung geschieht, ihm<lb/>
auch, zuerst zum wechselnden, endlich zu dauerndem<lb/>
Besitze, die nächsten und besten Stücke des Ackerlandes,<lb/>
vor der Ausloosung, durch allgemeinen Willen zu seiner<lb/>
Hufe geschlagen werden. Wohl auch ein mehrfacher An-<lb/>
theil; oder aber, wenn der Clan in mehrere Dörfer sich<lb/>
gespalten hat, ein gleicher Antheil in jedem (und dies ist<lb/>
im germanischen Agrarsystem das Gewöhnliche gewesen).<lb/>
So bleibt auch sein Haus und Hof und Salgut in der Mitte<lb/>
des Dorfes (der Dörfer) oder (in Berglanden) über dem-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[36/0072]
sitzes und Genusses das Dorf und die Stadt betrachtet. Vor
der Zweiheit von Haus und Dorf ist der Clan, und ist schon
bezeichnet worden als Familie vor der Familie, ebenso aber,
wenn auch in viel weniger deutlicher Ausprägung, als Dorf
vor dem Dorfe begreifbar. Denn allerdings enthält er die
Möglichkeiten beider Haupt-Formen in sich. Daher ist in
ihm der patriarchalische Charakter (um hierin alle Würde
zusammenzufassen, welche durch Erzeugung begründet ist)
mit dem fraternalen (geschwisterlich-gleichen) vermischt.
Und wie in der Haus-Gemeinde vorzugsweise der erstere,
so kommt dieser am meisten in der Dorf-Gemeinde zur
Geltung. Doch fehlt der brüderliche Geist so wenig dort,
wie hier das väterliche Walten. Aber nur das letztere, wie
es in einem Systeme von Dorfverfassungen mächtig bleibt,
ist für die begriffliche Ansicht der Historie wichtig:
nämlich als die Grundlage des Feudalismus. Als worin der
Glaube an die natürliche Würde eines hervorragenden
Hauses als des edlen, adlichen, sich erhält, auch wenn
solches Glaubens Wurzeln absterben: die Ehrfurcht vor dem
Alter und erhabener Abstammung, welche den Clan-Chef
wirklicher oder eingebildeter Maassen mit dem gemein-
samen Ahnherren des ganzen Clans auf directeste
Weise (in gerader und ungebrochener Linie) verbindet und
also ihm eine göttliche Herkunft, folglich auch leicht gött-
liche Würde zu verbürgen scheint. Aber auch in Hinsicht
auf die Ausübung der Häuptlingschaft kömmt Ehre und
Dank dem Vornehmen zu. So ist es natürlich, wenn
ihm die Erstlinge des Feldes und der Hausthiere dar-
gebracht werden, und wenn bei Besetzung und Theilung
der Mark, welche unter seiner Führung geschieht, ihm
auch, zuerst zum wechselnden, endlich zu dauerndem
Besitze, die nächsten und besten Stücke des Ackerlandes,
vor der Ausloosung, durch allgemeinen Willen zu seiner
Hufe geschlagen werden. Wohl auch ein mehrfacher An-
theil; oder aber, wenn der Clan in mehrere Dörfer sich
gespalten hat, ein gleicher Antheil in jedem (und dies ist
im germanischen Agrarsystem das Gewöhnliche gewesen).
So bleibt auch sein Haus und Hof und Salgut in der Mitte
des Dorfes (der Dörfer) oder (in Berglanden) über dem-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/72>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.