das Staatsthum (in welchem Begriffe der gesellschaftliche Zustand zusammengefasst werden möge), mit einem freilich oft verhüllten, öfter verheucheltem Hasse und verachtendem Sinne entgegen ist; in dem Maasse, in welchem es von jenem abgelöst und entfremdet ist. Also stehen auch im socialen und historischen Leben der Menschheit Wesenwille und Willkür theils im tiefsten Zusammenhange, theils neben und wider einander.
§ 3.
Sowie ein individueller Wesenwille das nackte Denken und die Willkür aus sich evolvirt, welche ihn aufzulösen und von sich abhängig zu machen tendirt -- so beobachten wir bei den historischen Völkern aus ursprünglichen gemeinschaftlichen Lebensformen und Willensgestalten den Entwicklungsprocess der Gesellschaft und gesellschaftlichen Willkürgebilde, aus der Cultur des Volksthums die Civilisation des Staats- thums. -- Dieser Process kann auch auf folgende Weise nach seinen Grundzügen geschildert werden. Die Substanz des Volkes bildet als ursprüngliche und beherrschende Kraft die Häuser, die Dörfer, die Städte des Landes. Sie bringt dann auch die mächtigen und willkürlichen Individuen hervor, in vielen verschiedenen Erscheinungen: in den Ge- stalten der Fürsten, Feudalherren, Ritter, aber auch als Geistliche, Künstler, Gelehrte. Alle diese bleiben jedoch im socialen Sinne bedingt und bestimmt, so lange als sie es im ökonomischen Sinne sind, durch die Gesammtheit des Volkes, wie sie sich in der Gliederung desselben darstellt, durch seinen Willen und seine Kraft. Ihre nationale Einigung, durch welche allein sie als Einheit übermächtig werden können, ist selber an ökonomische Bedingungen gebunden. Und ihre eigentliche und wesentliche Herrschaft ist die ökonomische Herrschaft, welche vor ihnen und mit ihnen die Kaufherren erobern, indem sie die Arbeitskraft der Nation sich unterwerfen, in mannigfachen Formen, deren höchste die planmässige kapitalistische Production oder die grosse Industrie ist. Herstellung der Verkehrsbedingungen für die nationale Einigung der Willkürlich-Freien, und Her-
das Staatsthum (in welchem Begriffe der gesellschaftliche Zustand zusammengefasst werden möge), mit einem freilich oft verhüllten, öfter verheucheltem Hasse und verachtendem Sinne entgegen ist; in dem Maasse, in welchem es von jenem abgelöst und entfremdet ist. Also stehen auch im socialen und historischen Leben der Menschheit Wesenwille und Willkür theils im tiefsten Zusammenhange, theils neben und wider einander.
§ 3.
Sowie ein individueller Wesenwille das nackte Denken und die Willkür aus sich evolvirt, welche ihn aufzulösen und von sich abhängig zu machen tendirt — so beobachten wir bei den historischen Völkern aus ursprünglichen gemeinschaftlichen Lebensformen und Willensgestalten den Entwicklungsprocess der Gesellschaft und gesellschaftlichen Willkürgebilde, aus der Cultur des Volksthums die Civilisation des Staats- thums. — Dieser Process kann auch auf folgende Weise nach seinen Grundzügen geschildert werden. Die Substanz des Volkes bildet als ursprüngliche und beherrschende Kraft die Häuser, die Dörfer, die Städte des Landes. Sie bringt dann auch die mächtigen und willkürlichen Individuen hervor, in vielen verschiedenen Erscheinungen: in den Ge- stalten der Fürsten, Feudalherren, Ritter, aber auch als Geistliche, Künstler, Gelehrte. Alle diese bleiben jedoch im socialen Sinne bedingt und bestimmt, so lange als sie es im ökonomischen Sinne sind, durch die Gesammtheit des Volkes, wie sie sich in der Gliederung desselben darstellt, durch seinen Willen und seine Kraft. Ihre nationale Einigung, durch welche allein sie als Einheit übermächtig werden können, ist selber an ökonomische Bedingungen gebunden. Und ihre eigentliche und wesentliche Herrschaft ist die ökonomische Herrschaft, welche vor ihnen und mit ihnen die Kaufherren erobern, indem sie die Arbeitskraft der Nation sich unterwerfen, in mannigfachen Formen, deren höchste die planmässige kapitalistische Production oder die grosse Industrie ist. Herstellung der Verkehrsbedingungen für die nationale Einigung der Willkürlich-Freien, und Her-
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das Staatsthum (in welchem Begriffe der gesellschaftliche
Zustand zusammengefasst werden möge), mit einem freilich
oft verhüllten, öfter verheucheltem Hasse und verachtendem
Sinne entgegen ist; in dem Maasse, in welchem es von
jenem abgelöst und entfremdet ist. Also stehen auch im
socialen und historischen Leben der Menschheit Wesenwille
und Willkür theils im tiefsten Zusammenhange, theils neben
und wider einander.
§ 3.
Sowie ein individueller Wesenwille das nackte Denken
und die Willkür aus sich evolvirt, welche ihn aufzulösen und von
sich abhängig zu machen tendirt — so beobachten wir bei den
historischen Völkern aus ursprünglichen gemeinschaftlichen
Lebensformen und Willensgestalten den Entwicklungsprocess
der Gesellschaft und gesellschaftlichen Willkürgebilde, aus
der Cultur des Volksthums die Civilisation des Staats-
thums. — Dieser Process kann auch auf folgende Weise
nach seinen Grundzügen geschildert werden. Die Substanz
des Volkes bildet als ursprüngliche und beherrschende
Kraft die Häuser, die Dörfer, die Städte des Landes. Sie
bringt dann auch die mächtigen und willkürlichen Individuen
hervor, in vielen verschiedenen Erscheinungen: in den Ge-
stalten der Fürsten, Feudalherren, Ritter, aber auch als
Geistliche, Künstler, Gelehrte. Alle diese bleiben jedoch
im socialen Sinne bedingt und bestimmt, so lange als sie
es im ökonomischen Sinne sind, durch die Gesammtheit des
Volkes, wie sie sich in der Gliederung desselben darstellt,
durch seinen Willen und seine Kraft. Ihre nationale
Einigung, durch welche allein sie als Einheit übermächtig
werden können, ist selber an ökonomische Bedingungen
gebunden. Und ihre eigentliche und wesentliche Herrschaft
ist die ökonomische Herrschaft, welche vor ihnen und mit
ihnen die Kaufherren erobern, indem sie die Arbeitskraft
der Nation sich unterwerfen, in mannigfachen Formen, deren
höchste die planmässige kapitalistische Production oder die
grosse Industrie ist. Herstellung der Verkehrsbedingungen
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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/316>, abgerufen am 19.11.2024.
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