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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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danken, uns gegenwärtig Lebenden, gleich allen anderen
Genussmitteln der Welt, in der vollkommensten Weise zu-
bereitet und dargeboten wird: wie die Küche des Hotels die
Stoffe zum Essen und Trinken in beliebigen Formen und
beliebigen Mengen vorsetzt. So ist die "Presse" das eigent-
liche Mittel ("Organ") der öffentlichen Meinung, eine Waffe
und Werkzeug in den Händen Aller, die es zu gebrauchen
wissen, es gebrauchen müssen, von einer universalen Macht
als gefürchtete Kritik von Vorgängen und Veränderungen
der gesellschaftlichen Zustände, der materiellen Macht, welche
die Staaten haben durch Heere, Finanzen und "organisirte"
Beamtenschaften, wohl vergleichbar, in mancher Hinsicht
überlegen; nicht wie diese auf nationale Grenzen beschränkt,
sondern der Tendenz und Möglichkeit nach durchaus inter-
national, also vielmehr mit der Macht, welche die dauernde
oder vorübergehende Einigkeit und Alliance der Staaten
haben mag, sich messend. Daher denn auch als ihr letztes
Ziel angegeben werden kann, die Vielheit der Staaten auf-
zuheben und zu ersetzen, eine einzige Welt-Republik
von gleicher Ausdehnung mit dem Welt-Markte zu stiften,
welche von den Denkenden, Wissenden und Schreiben-
den dirigirt werde und der Zwangsmittel von anderer als
psychologischer Art entbehren könne. Solche Tendenzen und
Absichten gelangen vielleicht niemals zu einem klaren und
reinen Ausdrucke, geschweige denn zu einer Verwirk-
lichung; aber ihre Auffassung dient zum Verständnisse vieler
wirklicher Erscheinungen und zu der wichtigen Einsicht,
dass die Ausbildung nationaler Staaten nur eine vorläufige
Beschränkung der schrankenlosen Gesellschaft ist. Wie
denn der am meisten moderne und gesellschaftliche Staat,
die nordamerikanische Union, am wenigsten so etwas wie
einen nationalen Charakter in Anspruch nehmen kann oder
will. -- Ueberhaupt aber gilt die Bemerkung, dass das
Künstliche, ja Gewaltsame in diesen Abstractionen fortwäh-
rend in Erinnerung bleiben muss und der tiefe Zusammen-
hang, in welchem alle diese gesellschaftlichen Mächte mit
ihrer gemeinschaftlichen Basis, den ursprünglichen und
natürlichen, den "historischen" Gestaltungen des Zu-
sammen-Lebens und -Wollens, verharren. Denn gleichwie

danken, uns gegenwärtig Lebenden, gleich allen anderen
Genussmitteln der Welt, in der vollkommensten Weise zu-
bereitet und dargeboten wird: wie die Küche des Hôtels die
Stoffe zum Essen und Trinken in beliebigen Formen und
beliebigen Mengen vorsetzt. So ist die »Presse« das eigent-
liche Mittel (»Organ«) der öffentlichen Meinung, eine Waffe
und Werkzeug in den Händen Aller, die es zu gebrauchen
wissen, es gebrauchen müssen, von einer universalen Macht
als gefürchtete Kritik von Vorgängen und Veränderungen
der gesellschaftlichen Zustände, der materiellen Macht, welche
die Staaten haben durch Heere, Finanzen und »organisirte«
Beamtenschaften, wohl vergleichbar, in mancher Hinsicht
überlegen; nicht wie diese auf nationale Grenzen beschränkt,
sondern der Tendenz und Möglichkeit nach durchaus inter-
national, also vielmehr mit der Macht, welche die dauernde
oder vorübergehende Einigkeit und Alliance der Staaten
haben mag, sich messend. Daher denn auch als ihr letztes
Ziel angegeben werden kann, die Vielheit der Staaten auf-
zuheben und zu ersetzen, eine einzige Welt-Republik
von gleicher Ausdehnung mit dem Welt-Markte zu stiften,
welche von den Denkenden, Wissenden und Schreiben-
den dirigirt werde und der Zwangsmittel von anderer als
psychologischer Art entbehren könne. Solche Tendenzen und
Absichten gelangen vielleicht niemals zu einem klaren und
reinen Ausdrucke, geschweige denn zu einer Verwirk-
lichung; aber ihre Auffassung dient zum Verständnisse vieler
wirklicher Erscheinungen und zu der wichtigen Einsicht,
dass die Ausbildung nationaler Staaten nur eine vorläufige
Beschränkung der schrankenlosen Gesellschaft ist. Wie
denn der am meisten moderne und gesellschaftliche Staat,
die nordamerikanische Union, am wenigsten so etwas wie
einen nationalen Charakter in Anspruch nehmen kann oder
will. — Ueberhaupt aber gilt die Bemerkung, dass das
Künstliche, ja Gewaltsame in diesen Abstractionen fortwäh-
rend in Erinnerung bleiben muss und der tiefe Zusammen-
hang, in welchem alle diese gesellschaftlichen Mächte mit
ihrer gemeinschaftlichen Basis, den ursprünglichen und
natürlichen, den »historischen« Gestaltungen des Zu-
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[272/0308] danken, uns gegenwärtig Lebenden, gleich allen anderen Genussmitteln der Welt, in der vollkommensten Weise zu- bereitet und dargeboten wird: wie die Küche des Hôtels die Stoffe zum Essen und Trinken in beliebigen Formen und beliebigen Mengen vorsetzt. So ist die »Presse« das eigent- liche Mittel (»Organ«) der öffentlichen Meinung, eine Waffe und Werkzeug in den Händen Aller, die es zu gebrauchen wissen, es gebrauchen müssen, von einer universalen Macht als gefürchtete Kritik von Vorgängen und Veränderungen der gesellschaftlichen Zustände, der materiellen Macht, welche die Staaten haben durch Heere, Finanzen und »organisirte« Beamtenschaften, wohl vergleichbar, in mancher Hinsicht überlegen; nicht wie diese auf nationale Grenzen beschränkt, sondern der Tendenz und Möglichkeit nach durchaus inter- national, also vielmehr mit der Macht, welche die dauernde oder vorübergehende Einigkeit und Alliance der Staaten haben mag, sich messend. Daher denn auch als ihr letztes Ziel angegeben werden kann, die Vielheit der Staaten auf- zuheben und zu ersetzen, eine einzige Welt-Republik von gleicher Ausdehnung mit dem Welt-Markte zu stiften, welche von den Denkenden, Wissenden und Schreiben- den dirigirt werde und der Zwangsmittel von anderer als psychologischer Art entbehren könne. Solche Tendenzen und Absichten gelangen vielleicht niemals zu einem klaren und reinen Ausdrucke, geschweige denn zu einer Verwirk- lichung; aber ihre Auffassung dient zum Verständnisse vieler wirklicher Erscheinungen und zu der wichtigen Einsicht, dass die Ausbildung nationaler Staaten nur eine vorläufige Beschränkung der schrankenlosen Gesellschaft ist. Wie denn der am meisten moderne und gesellschaftliche Staat, die nordamerikanische Union, am wenigsten so etwas wie einen nationalen Charakter in Anspruch nehmen kann oder will. — Ueberhaupt aber gilt die Bemerkung, dass das Künstliche, ja Gewaltsame in diesen Abstractionen fortwäh- rend in Erinnerung bleiben muss und der tiefe Zusammen- hang, in welchem alle diese gesellschaftlichen Mächte mit ihrer gemeinschaftlichen Basis, den ursprünglichen und natürlichen, den »historischen« Gestaltungen des Zu- sammen-Lebens und -Wollens, verharren. Denn gleichwie

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/308>, abgerufen am 22.11.2024.