trägt und der Geniessenden frommen Dank für sich verlangt. Das metaphysische Wesen der Sippe, des Stammes, oder auch der Dorf-, der Mark- oder Stadt-Genossen, ist seinem Boden, so zu sagen, vermählt, es lebt in gesetzmässi- ger Dauer, wie im Ehebunde mit ihm. Was in der Ehe Ge- wohnheit, das ist hier Sitte.
§ 23.
So gestaltete sich auch, in altem Glauben und Mythus, die Anschauung des Gleichnisses der Arbeit des Pflügers, Säemannes mit dem Gatten, der des rechten Bundes Pflicht vollzieht; die echten Kinder, welche solchem Bunde ent- spriessen, sind so der Frucht des gepflegten Feldes ähnlich, wie die blossen Muttersöhne dem Schilfhalm, der im Sumpfe ohne Samen zu wachsen scheint. Und hierauf: auf die Ord- nung, Befestigung, Heiligung der rechten Ehe (zumal wo sie sich zur reiner Monogamie gestaltet) ebenso entschieden wie auf Eintheilung, Befriedigung, Nutzung der Aecker, und worin beide Sphären verknüpft werden, Besitz und Ge- rechtsame der einzelnen Familien und Familienglieder, Mit- gift, Erbgang, bezieht sich in seinen bedeutendsten Wirkun- gen der Inhalt der Sitte und des durch Sitte gegebenen Rechtes als Gewohnheits-Rechtes. -- Unsere Sitte, Sitte der Väter, Sitte des Landes und des Volkes ist einerlei. Sitte besteht mehr in Uebung als, in Empfindung und Meinung; sie thut sich in der Empfindung lebhafter als Schmerz und Unwille kund, wenn sie verletzt, gebrochen wird, und dem gemäss erfolgt ihre Reaction, in That und Urtheil; und die Meinung tritt um so stärker für sie ein, je mehr sie in merkbarer Weise sich verändert, die Meinung der Alten eher als die der Jungen. -- In der Dorfgemeinde vor Allem und die Dörfer umfassender Landschaft herrschet Sitte und Gewohnheitsrecht; nach ihm als dem allgemeinen und gemeinsamen, gültigen Willen richten sich die also ver- bundenen Menschen in weiteren oder engeren Bezirken ihres Thuns und Treibens, die Herrschenden in ihrem Herrschen, die Dienenden in ihrem Dienen, und glauben, dass sie es also müssen, weil Alle es thun und die Väter es gethan haben, und dass es so richtig sei, weil es immer
trägt und der Geniessenden frommen Dank für sich verlangt. Das metaphysische Wesen der Sippe, des Stammes, oder auch der Dorf-, der Mark- oder Stadt-Genossen, ist seinem Boden, so zu sagen, vermählt, es lebt in gesetzmässi- ger Dauer, wie im Ehebunde mit ihm. Was in der Ehe Ge- wohnheit, das ist hier Sitte.
§ 23.
So gestaltete sich auch, in altem Glauben und Mythus, die Anschauung des Gleichnisses der Arbeit des Pflügers, Säemannes mit dem Gatten, der des rechten Bundes Pflicht vollzieht; die echten Kinder, welche solchem Bunde ent- spriessen, sind so der Frucht des gepflegten Feldes ähnlich, wie die blossen Muttersöhne dem Schilfhalm, der im Sumpfe ohne Samen zu wachsen scheint. Und hierauf: auf die Ord- nung, Befestigung, Heiligung der rechten Ehe (zumal wo sie sich zur reiner Monogamie gestaltet) ebenso entschieden wie auf Eintheilung, Befriedigung, Nutzung der Aecker, und worin beide Sphären verknüpft werden, Besitz und Ge- rechtsame der einzelnen Familien und Familienglieder, Mit- gift, Erbgang, bezieht sich in seinen bedeutendsten Wirkun- gen der Inhalt der Sitte und des durch Sitte gegebenen Rechtes als Gewohnheits-Rechtes. — Unsere Sitte, Sitte der Väter, Sitte des Landes und des Volkes ist einerlei. Sitte besteht mehr in Uebung als, in Empfindung und Meinung; sie thut sich in der Empfindung lebhafter als Schmerz und Unwille kund, wenn sie verletzt, gebrochen wird, und dem gemäss erfolgt ihre Reaction, in That und Urtheil; und die Meinung tritt um so stärker für sie ein, je mehr sie in merkbarer Weise sich verändert, die Meinung der Alten eher als die der Jungen. — In der Dorfgemeinde vor Allem und die Dörfer umfassender Landschaft herrschet Sitte und Gewohnheitsrecht; nach ihm als dem allgemeinen und gemeinsamen, gültigen Willen richten sich die also ver- bundenen Menschen in weiteren oder engeren Bezirken ihres Thuns und Treibens, die Herrschenden in ihrem Herrschen, die Dienenden in ihrem Dienen, und glauben, dass sie es also müssen, weil Alle es thun und die Väter es gethan haben, und dass es so richtig sei, weil es immer
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trägt und der Geniessenden frommen Dank für sich verlangt.
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oder auch der Dorf-, der Mark- oder Stadt-Genossen, ist
seinem Boden, so zu sagen, vermählt, es lebt in gesetzmässi-
ger Dauer, wie im Ehebunde mit ihm. Was in der Ehe Ge-
wohnheit, das ist hier Sitte.
§ 23.
So gestaltete sich auch, in altem Glauben und Mythus,
die Anschauung des Gleichnisses der Arbeit des Pflügers,
Säemannes mit dem Gatten, der des rechten Bundes Pflicht
vollzieht; die echten Kinder, welche solchem Bunde ent-
spriessen, sind so der Frucht des gepflegten Feldes ähnlich,
wie die blossen Muttersöhne dem Schilfhalm, der im Sumpfe
ohne Samen zu wachsen scheint. Und hierauf: auf die Ord-
nung, Befestigung, Heiligung der rechten Ehe (zumal wo
sie sich zur reiner Monogamie gestaltet) ebenso entschieden
wie auf Eintheilung, Befriedigung, Nutzung der Aecker,
und worin beide Sphären verknüpft werden, Besitz und Ge-
rechtsame der einzelnen Familien und Familienglieder, Mit-
gift, Erbgang, bezieht sich in seinen bedeutendsten Wirkun-
gen der Inhalt der Sitte und des durch Sitte gegebenen
Rechtes als Gewohnheits-Rechtes. — Unsere Sitte, Sitte
der Väter, Sitte des Landes und des Volkes ist einerlei. Sitte
besteht mehr in Uebung als, in Empfindung und Meinung;
sie thut sich in der Empfindung lebhafter als Schmerz und
Unwille kund, wenn sie verletzt, gebrochen wird, und dem
gemäss erfolgt ihre Reaction, in That und Urtheil; und die
Meinung tritt um so stärker für sie ein, je mehr sie in
merkbarer Weise sich verändert, die Meinung der Alten
eher als die der Jungen. — In der Dorfgemeinde vor Allem
und die Dörfer umfassender Landschaft herrschet Sitte
und Gewohnheitsrecht; nach ihm als dem allgemeinen und
gemeinsamen, gültigen Willen richten sich die also ver-
bundenen Menschen in weiteren oder engeren Bezirken
ihres Thuns und Treibens, die Herrschenden in ihrem
Herrschen, die Dienenden in ihrem Dienen, und glauben,
dass sie es also müssen, weil Alle es thun und die Väter
es gethan haben, und dass es so richtig sei, weil es immer
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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/287>, abgerufen am 19.11.2024.
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