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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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seine Theile, und ist nur Herrschaft des Theiles über Theile,
z. E. des Vaters, Hausherrn über Söhne und Knechte, in-
sofern als ein Theil die Fülle des unsichtbaren Ganzen in
seinem Selbste sichtbarlich darstellt. Dasselbe gilt von
allem gemeinschaftlichen Eigenthum, insonderheit vom Be-
sitze an Grund und Boden. Hingegen gesellschaftliche
Herrschaft wie Eigenthum ist a priori der individuellen
Person gehörig; jedoch, insofern als in der Obligation wirk-
lich eine andere Person vorausgesetzt wird, so ist diese
Mitsubject an ihrer eigenen abgetretenen Handlung, so lange
als dieselbe sich noch in ihrer Freiheit befindet, und hat
ein Miteigenthum an dem Gegenstande oder Geldwerthe,
worauf die Obligation gerichtet ist, so lange, bis sie durch
ihre Erfüllung erlischt oder bis dasselbe durch ihre Fällig-
keit unrechtmässig -- im Rechte als Eigenthum nicht mehr
vorhanden gedacht -- wird, wenn es auch als possessio
oder thatsächliche Inhaberschaft im Rechte fortdauern und
besonderen Regeln unterliegen mag. Mithin ist ebenso die
Handlung, Thätigkeit, Arbeit, als veräusserte, von dem Augen-
blicke an, auf welchen ihr Beginn ist festgesetzt, verabredet wor-
den, im Rechte seine, des Empfängers, Handlung, Thätigkeit,
Arbeit. Nun ist es allerdings richtig, was die Naturrechts-
theorie lehrt, dass eine Person nicht sich selbst verkaufen
könne, da das Empfangen eines (vermeintlichen) Aequiva-
lents und also das Beharren einer Willkürsphäre, in welche
dasselbe eingeht, Voraussetzung jedes Tausches ist. Hin-
gegen ist allerdings denkbar, dass ein Mensch seine Ar-
beitskraft für Lebensdauer verkaufe, im Uebrigen frei und
des Eigenthums fähig bleibend. Und ferner gibt es kein
begriffliches Hinderniss, warum der Mensch selber nicht
als eine Waare im Eigenthum sich befinden oder als ein
Gebrauchsgegenstand verzehrt werden könne. Vielmehr
sind die absolute Bejahung und die absolute Verneinung
der Personenqualität reciprok. Daher ist die reine Skla-
verei keineswegs im rechtlichen Widerspruch mit einem
gesellschaftlichen System, wenn auch eine durchaus künst-
liche und positive Einrichtung, da die Voraussetzung, dass
alle (erwachsenen oder wirklichen) Menschen durch Will-
kürfähigkeit gleich seien, von der Natur dargeboten wird

seine Theile, und ist nur Herrschaft des Theiles über Theile,
z. E. des Vaters, Hausherrn über Söhne und Knechte, in-
sofern als ein Theil die Fülle des unsichtbaren Ganzen in
seinem Selbste sichtbarlich darstellt. Dasselbe gilt von
allem gemeinschaftlichen Eigenthum, insonderheit vom Be-
sitze an Grund und Boden. Hingegen gesellschaftliche
Herrschaft wie Eigenthum ist a priori der individuellen
Person gehörig; jedoch, insofern als in der Obligation wirk-
lich eine andere Person vorausgesetzt wird, so ist diese
Mitsubject an ihrer eigenen abgetretenen Handlung, so lange
als dieselbe sich noch in ihrer Freiheit befindet, und hat
ein Miteigenthum an dem Gegenstande oder Geldwerthe,
worauf die Obligation gerichtet ist, so lange, bis sie durch
ihre Erfüllung erlischt oder bis dasselbe durch ihre Fällig-
keit unrechtmässig — im Rechte als Eigenthum nicht mehr
vorhanden gedacht — wird, wenn es auch als possessio
oder thatsächliche Inhaberschaft im Rechte fortdauern und
besonderen Regeln unterliegen mag. Mithin ist ebenso die
Handlung, Thätigkeit, Arbeit, als veräusserte, von dem Augen-
blicke an, auf welchen ihr Beginn ist festgesetzt, verabredet wor-
den, im Rechte seine, des Empfängers, Handlung, Thätigkeit,
Arbeit. Nun ist es allerdings richtig, was die Naturrechts-
theorie lehrt, dass eine Person nicht sich selbst verkaufen
könne, da das Empfangen eines (vermeintlichen) Aequiva-
lents und also das Beharren einer Willkürsphäre, in welche
dasselbe eingeht, Voraussetzung jedes Tausches ist. Hin-
gegen ist allerdings denkbar, dass ein Mensch seine Ar-
beitskraft für Lebensdauer verkaufe, im Uebrigen frei und
des Eigenthums fähig bleibend. Und ferner gibt es kein
begriffliches Hinderniss, warum der Mensch selber nicht
als eine Waare im Eigenthum sich befinden oder als ein
Gebrauchsgegenstand verzehrt werden könne. Vielmehr
sind die absolute Bejahung und die absolute Verneinung
der Personenqualität reciprok. Daher ist die reine Skla-
verei keineswegs im rechtlichen Widerspruch mit einem
gesellschaftlichen System, wenn auch eine durchaus künst-
liche und positive Einrichtung, da die Voraussetzung, dass
alle (erwachsenen oder wirklichen) Menschen durch Will-
kürfähigkeit gleich seien, von der Natur dargeboten wird

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[215/0251] seine Theile, und ist nur Herrschaft des Theiles über Theile, z. E. des Vaters, Hausherrn über Söhne und Knechte, in- sofern als ein Theil die Fülle des unsichtbaren Ganzen in seinem Selbste sichtbarlich darstellt. Dasselbe gilt von allem gemeinschaftlichen Eigenthum, insonderheit vom Be- sitze an Grund und Boden. Hingegen gesellschaftliche Herrschaft wie Eigenthum ist a priori der individuellen Person gehörig; jedoch, insofern als in der Obligation wirk- lich eine andere Person vorausgesetzt wird, so ist diese Mitsubject an ihrer eigenen abgetretenen Handlung, so lange als dieselbe sich noch in ihrer Freiheit befindet, und hat ein Miteigenthum an dem Gegenstande oder Geldwerthe, worauf die Obligation gerichtet ist, so lange, bis sie durch ihre Erfüllung erlischt oder bis dasselbe durch ihre Fällig- keit unrechtmässig — im Rechte als Eigenthum nicht mehr vorhanden gedacht — wird, wenn es auch als possessio oder thatsächliche Inhaberschaft im Rechte fortdauern und besonderen Regeln unterliegen mag. Mithin ist ebenso die Handlung, Thätigkeit, Arbeit, als veräusserte, von dem Augen- blicke an, auf welchen ihr Beginn ist festgesetzt, verabredet wor- den, im Rechte seine, des Empfängers, Handlung, Thätigkeit, Arbeit. Nun ist es allerdings richtig, was die Naturrechts- theorie lehrt, dass eine Person nicht sich selbst verkaufen könne, da das Empfangen eines (vermeintlichen) Aequiva- lents und also das Beharren einer Willkürsphäre, in welche dasselbe eingeht, Voraussetzung jedes Tausches ist. Hin- gegen ist allerdings denkbar, dass ein Mensch seine Ar- beitskraft für Lebensdauer verkaufe, im Uebrigen frei und des Eigenthums fähig bleibend. Und ferner gibt es kein begriffliches Hinderniss, warum der Mensch selber nicht als eine Waare im Eigenthum sich befinden oder als ein Gebrauchsgegenstand verzehrt werden könne. Vielmehr sind die absolute Bejahung und die absolute Verneinung der Personenqualität reciprok. Daher ist die reine Skla- verei keineswegs im rechtlichen Widerspruch mit einem gesellschaftlichen System, wenn auch eine durchaus künst- liche und positive Einrichtung, da die Voraussetzung, dass alle (erwachsenen oder wirklichen) Menschen durch Will- kürfähigkeit gleich seien, von der Natur dargeboten wird

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/251>, abgerufen am 24.11.2024.