stellung der Person entnommen wird. Eine Versammlung, insofern sie sich selber repräsentirt, ist eine künstliche Person. Sie kann als einheitliches Subject einer Willkür nur dadurch agiren, dass die Menschen, welche als natür- liche Personen in ihr enthalten sind, selber die überein- stimmende Bejahung oder Verneinung ihrer Mehrzahl als die Willkür -- nicht etwa dieser Uebereinstimmenden, auch nicht ihrer Aller, denn beides würde immer nur viele Willküren ergeben, sondern dieses ausser und über sich vorgestellten einheitlichen, persönlichen Wesens (der Ver- sammlung) setzen und fingiren. Und durch solchen Act ist sie allerdings den natürlichen Personen gleichgesetzt; sie existirt für die einzelnen Personen, wie diese für einander existiren, nämlich durch gegenseitige Kenntniss und Aner- kennung, dadurch, dass sie einander als Personen begreifen. Die Theorie kann noch aus vielen Gründen andere Per- sonificationen unternehmen, und diese ihre Geschöpfe durch eine natürliche oder durch eine constituirte künstliche Person repräsentiren lassen; aber jede Person ist für die übrigen und in ihrem System nur durch so gemachte "An- erkennung" ihrer Personen-Qualität und damit ihrer Gleich- heit vorhanden. In der eigenen Setzung ist die Anerken- nung als secundäres Element nothwendiger Weise enthalten. Wiederum: allgemeine Anerkennung involvirt die besondere der Gültigkeit einer gegebenen Vertretung, wo dieselbe zwar nicht von selbst sich zu verstehen (wie jene des ein- zelnen vernünftigen Menschen und einer constituirten Ver- sammlung), aber auf zureichendem Grunde zu beruhen ge- dacht wird. Dieser Grund ist immer, wo eine wirkliche Person durch eine wirkliche vertreten wird, Uebertragung ihrer Vollmacht (Autorität) von jener auf diese, welche, un- denkbar, wo eine fingirte Person vertreten wird (weil diese ohne Vertretung auch des Actes der Uebertragung nicht fähig ist) doch als der Form nach gültiges Schema solches zu- reichenden Grundes vorgestellt werden kann, da die That- sache einer Wirkung aus dieser normalen und deutlichen Ursache gleichkommt. Aus einem System von wirklichen einzelnen Personen (Menschen) kann aber eine fingirte Per- son (sei es durch ein Individuum oder durch eine Versamm-
stellung der Person entnommen wird. Eine Versammlung, insofern sie sich selber repräsentirt, ist eine künstliche Person. Sie kann als einheitliches Subject einer Willkür nur dadurch agiren, dass die Menschen, welche als natür- liche Personen in ihr enthalten sind, selber die überein- stimmende Bejahung oder Verneinung ihrer Mehrzahl als die Willkür — nicht etwa dieser Uebereinstimmenden, auch nicht ihrer Aller, denn beides würde immer nur viele Willküren ergeben, sondern dieses ausser und über sich vorgestellten einheitlichen, persönlichen Wesens (der Ver- sammlung) setzen und fingiren. Und durch solchen Act ist sie allerdings den natürlichen Personen gleichgesetzt; sie existirt für die einzelnen Personen, wie diese für einander existiren, nämlich durch gegenseitige Kenntniss und Aner- kennung, dadurch, dass sie einander als Personen begreifen. Die Theorie kann noch aus vielen Gründen andere Per- sonificationen unternehmen, und diese ihre Geschöpfe durch eine natürliche oder durch eine constituirte künstliche Person repräsentiren lassen; aber jede Person ist für die übrigen und in ihrem System nur durch so gemachte »An- erkennung« ihrer Personen-Qualität und damit ihrer Gleich- heit vorhanden. In der eigenen Setzung ist die Anerken- nung als secundäres Element nothwendiger Weise enthalten. Wiederum: allgemeine Anerkennung involvirt die besondere der Gültigkeit einer gegebenen Vertretung, wo dieselbe zwar nicht von selbst sich zu verstehen (wie jene des ein- zelnen vernünftigen Menschen und einer constituirten Ver- sammlung), aber auf zureichendem Grunde zu beruhen ge- dacht wird. Dieser Grund ist immer, wo eine wirkliche Person durch eine wirkliche vertreten wird, Uebertragung ihrer Vollmacht (Autorität) von jener auf diese, welche, un- denkbar, wo eine fingirte Person vertreten wird (weil diese ohne Vertretung auch des Actes der Uebertragung nicht fähig ist) doch als der Form nach gültiges Schema solches zu- reichenden Grundes vorgestellt werden kann, da die That- sache einer Wirkung aus dieser normalen und deutlichen Ursache gleichkommt. Aus einem System von wirklichen einzelnen Personen (Menschen) kann aber eine fingirte Per- son (sei es durch ein Individuum oder durch eine Versamm-
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stellung der Person entnommen wird. Eine Versammlung,
insofern sie sich selber repräsentirt, ist eine künstliche
Person. Sie kann als einheitliches Subject einer Willkür
nur dadurch agiren, dass die Menschen, welche als natür-
liche Personen in ihr enthalten sind, selber die überein-
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die Willkür — nicht etwa dieser Uebereinstimmenden, auch
nicht ihrer Aller, denn beides würde immer nur viele
Willküren ergeben, sondern dieses ausser und über sich
vorgestellten einheitlichen, persönlichen Wesens (der Ver-
sammlung) setzen und fingiren. Und durch solchen Act ist
sie allerdings den natürlichen Personen gleichgesetzt; sie
existirt für die einzelnen Personen, wie diese für einander
existiren, nämlich durch gegenseitige Kenntniss und Aner-
kennung, dadurch, dass sie einander als Personen begreifen.
Die Theorie kann noch aus vielen Gründen andere Per-
sonificationen unternehmen, und diese ihre Geschöpfe
durch eine natürliche oder durch eine constituirte künstliche
Person repräsentiren lassen; aber jede Person ist für die
übrigen und in ihrem System nur durch so gemachte »An-
erkennung« ihrer Personen-Qualität und damit ihrer Gleich-
heit vorhanden. In der eigenen Setzung ist die Anerken-
nung als secundäres Element nothwendiger Weise enthalten.
Wiederum: allgemeine Anerkennung involvirt die besondere
der Gültigkeit einer gegebenen Vertretung, wo dieselbe
zwar nicht von selbst sich zu verstehen (wie jene des ein-
zelnen vernünftigen Menschen und einer constituirten Ver-
sammlung), aber auf zureichendem Grunde zu beruhen ge-
dacht wird. Dieser Grund ist immer, wo eine wirkliche
Person durch eine wirkliche vertreten wird, Uebertragung
ihrer Vollmacht (Autorität) von jener auf diese, welche, un-
denkbar, wo eine fingirte Person vertreten wird (weil diese
ohne Vertretung auch des Actes der Uebertragung nicht
fähig ist) doch als der Form nach gültiges Schema solches zu-
reichenden Grundes vorgestellt werden kann, da die That-
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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/240>, abgerufen am 28.11.2024.
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