dass dieser innere Widerstand überwunden wird, und das Ergebniss wird dann nie, gegenüber der Vorstellung einer bestimmten proponirten Handlung, = 0 sein, sondern ent- weder Bejahung oder Verneinung. Hingegen eine Menge ist in diesem Sinne nur dann fortwährend beschlussfähig, wenn ihre Anzahl eine ungerade ist: dass dieses der Fall sei, darum eine nothwendige Forderung an ihren Begriff, wenn sie insoweit einem Einzigen gleich sein soll. Eine solche Menge nun, welche willens und fähig ist, als eine Einheit zu beschliessen, heisst eine Versammlung. Sie kann auch, nach Art des einzelnen Menschen, ein dauern- des Dasein haben, sofern sie: 1) ideell immer zusammen- bleibt, für ihre wirklichen Berathungen aber nach bestimm- ten (und bekannten) Regeln zusammenkommt oder zusammen- gerufen wird; 2) wenn es nöthig ist, sich ergänzt oder ergänzt wird. -- Nun ist jeder einzelne Mensch der natür- liche Repräsentant seiner eigenen Person. Der Begriff der Person kann von keinen anderen empirischen Subjecten ab- gezogen werden, ausser von den einzelnen Menschen, welche begriffen werden, insofern als jeder ein Denkender und in Gedanken Wollender in Wahrheit ist, und folglich gibt es insoweit wirkliche und natürliche Personen, als Menschen vorhanden sind, welche sich als solche vorstellen, diese "Rolle" übernehmen und spielen, oder den "Charakter" einer Person wie eine Maske vor ihr Antlitz halten. Und als natürliche Personen sind alle Menschen einander gleich. Jeder ist mit unbeschränkter Freiheit ausgestattet, beliebige Zwecke sich zu setzen, beliebige Mittel anzuwenden. Jeder ist sein eigener Herr. Keiner des Anderen Herr. Sie sind unabhängig von einander.
§ 3.
Auch eine Versammlung repräsentirt ihre eigene Person. Aber dieser ihr Dasein ist keineswegs ein empirisch gegebenes in dem Sinne, wie es von den Personen der einzelnen, sinn- lich wahrnehmbaren Menschen mit Grund gesagt werden kann. Die Wirklichkeit der Versammlung setzt die Wirk- lichkeit der von ihr dargestellten Person voraus, während im Gegentheil aus der Wirklichkeit des Menschen die Vor-
dass dieser innere Widerstand überwunden wird, und das Ergebniss wird dann nie, gegenüber der Vorstellung einer bestimmten proponirten Handlung, = 0 sein, sondern ent- weder Bejahung oder Verneinung. Hingegen eine Menge ist in diesem Sinne nur dann fortwährend beschlussfähig, wenn ihre Anzahl eine ungerade ist: dass dieses der Fall sei, darum eine nothwendige Forderung an ihren Begriff, wenn sie insoweit einem Einzigen gleich sein soll. Eine solche Menge nun, welche willens und fähig ist, als eine Einheit zu beschliessen, heisst eine Versammlung. Sie kann auch, nach Art des einzelnen Menschen, ein dauern- des Dasein haben, sofern sie: 1) ideell immer zusammen- bleibt, für ihre wirklichen Berathungen aber nach bestimm- ten (und bekannten) Regeln zusammenkommt oder zusammen- gerufen wird; 2) wenn es nöthig ist, sich ergänzt oder ergänzt wird. — Nun ist jeder einzelne Mensch der natür- liche Repräsentant seiner eigenen Person. Der Begriff der Person kann von keinen anderen empirischen Subjecten ab- gezogen werden, ausser von den einzelnen Menschen, welche begriffen werden, insofern als jeder ein Denkender und in Gedanken Wollender in Wahrheit ist, und folglich gibt es insoweit wirkliche und natürliche Personen, als Menschen vorhanden sind, welche sich als solche vorstellen, diese »Rolle« übernehmen und spielen, oder den »Charakter« einer Person wie eine Maske vor ihr Antlitz halten. Und als natürliche Personen sind alle Menschen einander gleich. Jeder ist mit unbeschränkter Freiheit ausgestattet, beliebige Zwecke sich zu setzen, beliebige Mittel anzuwenden. Jeder ist sein eigener Herr. Keiner des Anderen Herr. Sie sind unabhängig von einander.
§ 3.
Auch eine Versammlung repräsentirt ihre eigene Person. Aber dieser ihr Dasein ist keineswegs ein empirisch gegebenes in dem Sinne, wie es von den Personen der einzelnen, sinn- lich wahrnehmbaren Menschen mit Grund gesagt werden kann. Die Wirklichkeit der Versammlung setzt die Wirk- lichkeit der von ihr dargestellten Person voraus, während im Gegentheil aus der Wirklichkeit des Menschen die Vor-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0239"n="203"/>
dass dieser <hirendition="#g">innere</hi> Widerstand überwunden wird, und das<lb/>
Ergebniss wird dann nie, gegenüber der Vorstellung einer<lb/>
bestimmten proponirten Handlung, = 0 sein, sondern ent-<lb/>
weder Bejahung oder Verneinung. Hingegen eine <hirendition="#g">Menge</hi><lb/>
ist in diesem Sinne nur dann fortwährend beschlussfähig,<lb/>
wenn ihre Anzahl eine ungerade ist: dass dieses der Fall<lb/>
sei, darum eine nothwendige Forderung an ihren Begriff,<lb/>
wenn sie insoweit einem Einzigen gleich sein soll. Eine<lb/>
solche Menge nun, welche willens und fähig ist, als eine<lb/>
Einheit zu beschliessen, heisst eine <hirendition="#g">Versammlung</hi>. Sie<lb/>
kann auch, nach Art des einzelnen Menschen, ein dauern-<lb/>
des Dasein haben, sofern sie: 1) ideell immer zusammen-<lb/>
bleibt, für ihre wirklichen Berathungen aber nach bestimm-<lb/>
ten (und bekannten) Regeln zusammenkommt oder zusammen-<lb/>
gerufen wird; 2) wenn es nöthig ist, sich ergänzt oder<lb/>
ergänzt wird. — Nun ist jeder einzelne Mensch der natür-<lb/>
liche Repräsentant seiner eigenen Person. Der Begriff der<lb/>
Person kann von keinen anderen empirischen Subjecten ab-<lb/>
gezogen werden, ausser von den einzelnen Menschen, welche<lb/>
begriffen werden, insofern als jeder ein Denkender und in<lb/>
Gedanken Wollender in Wahrheit <hirendition="#g">ist,</hi> und folglich gibt es<lb/>
insoweit wirkliche und natürliche Personen, als Menschen<lb/>
vorhanden sind, welche sich als solche <hirendition="#g">vorstellen,</hi> diese<lb/>
»Rolle« übernehmen und spielen, oder den »Charakter« einer<lb/>
Person wie eine Maske vor ihr Antlitz halten. Und als<lb/>
natürliche Personen sind alle Menschen einander <hirendition="#g">gleich</hi>.<lb/>
Jeder ist mit unbeschränkter Freiheit ausgestattet, beliebige<lb/>
Zwecke sich zu setzen, beliebige Mittel anzuwenden. Jeder<lb/>
ist sein eigener Herr. Keiner des Anderen Herr. Sie sind<lb/>
unabhängig von einander.</p></div><lb/><divn="3"><head>§ 3.</head><lb/><p>Auch eine Versammlung repräsentirt ihre eigene Person.<lb/>
Aber dieser ihr Dasein ist keineswegs ein empirisch gegebenes<lb/>
in dem Sinne, wie es von den Personen der einzelnen, sinn-<lb/>
lich wahrnehmbaren Menschen mit Grund gesagt werden<lb/>
kann. Die Wirklichkeit der Versammlung setzt die Wirk-<lb/>
lichkeit der von ihr dargestellten Person voraus, während<lb/>
im Gegentheil aus der Wirklichkeit des Menschen die Vor-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[203/0239]
dass dieser innere Widerstand überwunden wird, und das
Ergebniss wird dann nie, gegenüber der Vorstellung einer
bestimmten proponirten Handlung, = 0 sein, sondern ent-
weder Bejahung oder Verneinung. Hingegen eine Menge
ist in diesem Sinne nur dann fortwährend beschlussfähig,
wenn ihre Anzahl eine ungerade ist: dass dieses der Fall
sei, darum eine nothwendige Forderung an ihren Begriff,
wenn sie insoweit einem Einzigen gleich sein soll. Eine
solche Menge nun, welche willens und fähig ist, als eine
Einheit zu beschliessen, heisst eine Versammlung. Sie
kann auch, nach Art des einzelnen Menschen, ein dauern-
des Dasein haben, sofern sie: 1) ideell immer zusammen-
bleibt, für ihre wirklichen Berathungen aber nach bestimm-
ten (und bekannten) Regeln zusammenkommt oder zusammen-
gerufen wird; 2) wenn es nöthig ist, sich ergänzt oder
ergänzt wird. — Nun ist jeder einzelne Mensch der natür-
liche Repräsentant seiner eigenen Person. Der Begriff der
Person kann von keinen anderen empirischen Subjecten ab-
gezogen werden, ausser von den einzelnen Menschen, welche
begriffen werden, insofern als jeder ein Denkender und in
Gedanken Wollender in Wahrheit ist, und folglich gibt es
insoweit wirkliche und natürliche Personen, als Menschen
vorhanden sind, welche sich als solche vorstellen, diese
»Rolle« übernehmen und spielen, oder den »Charakter« einer
Person wie eine Maske vor ihr Antlitz halten. Und als
natürliche Personen sind alle Menschen einander gleich.
Jeder ist mit unbeschränkter Freiheit ausgestattet, beliebige
Zwecke sich zu setzen, beliebige Mittel anzuwenden. Jeder
ist sein eigener Herr. Keiner des Anderen Herr. Sie sind
unabhängig von einander.
§ 3.
Auch eine Versammlung repräsentirt ihre eigene Person.
Aber dieser ihr Dasein ist keineswegs ein empirisch gegebenes
in dem Sinne, wie es von den Personen der einzelnen, sinn-
lich wahrnehmbaren Menschen mit Grund gesagt werden
kann. Die Wirklichkeit der Versammlung setzt die Wirk-
lichkeit der von ihr dargestellten Person voraus, während
im Gegentheil aus der Wirklichkeit des Menschen die Vor-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/239>, abgerufen am 19.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.