Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

zeichen operirenden Erinnerung wahrnehmbar sind, ihre
Auflösung und Zusammensetzung, macht das eigentliche
(oder abstracte) Denken aus; und macht Willkür aus, wenn
die Daten wollbare Handlungen und deren, wahrscheinliche
oder gewisse, Wirkungen sind, und der Gedanke eines be-
stimmten Wollens gewählt (ergriffen) oder gebildet wird,
als reine Folge des Denkens an eine (davon total verschie-
dene) solche erwünschte Wirkung. Je mehr nun ein des-
gleichen Erfolg in der Zukunft verborgen liegt, desto mehr
gehört eine geistige Fernsicht, in die Zeit vorausgehend
anstatt in den Raum, dazu um anderes Gedachte daran
zu messen, danach zu richten. Und diese Fernsicht muss
der Mann schon üben, weil ihm die Führung und Leitung
wenigstens in allem nach aussen gehenden gemeinsamen
Wirken obliegt: als welche ihm zunächst als Stärkerem
und Kämpfer natürlich ist, auch als dem Beweglicheren,
Hurtigen, denn das Weib ist dagegen sesshaft und schwer-
fällig zu nennen. Aber ein Wanderer, und besonders der
vorausgehend Lenkende, bedarf der Fernsicht: Umsicht und
Vorsicht, in jedem Sinne, er muss endlich zu urtheilen
sich gewöhnen und lernen: entscheidend was, im Hinblick
auf gegebene Umstände, zu thun das Richtige sei. Aus
dem Vorgefühl nahenden Uebels entwickelt sich Ver-
muthung, aus Zeichen werden Argumente, Kenntniss gleicher
Gefahren bestimmt Pläne. Ebenso muss der Führer den-
ken, wie er die Ordnung im Inneren seiner Gruppe, seines
Zuges, erhalten soll. Streit-Entscheidung fordert und züchtet
die Eigenschaften, welche den Richter auszeichnen: die
Wage ist das Symbol der Gerechtigkeit, als die objectiven,
wahren und wirklichen Verhältnisse von Thun und Leiden,
Haben und Schulden, Rechten und Pflichten ergebend.
Denn insonderheit auch, wofern es gilt, dass Jedem das
Seine zukomme, zu geniessen und zu ertragen, da ist Ver-
gleichung
von Grösse, Schwere, Nützlichkeit, Schönheit,
einzelner oder zu einzelnen gemachter Dinge, von erbeuteten
Thieren oder Menschen, von Grundstücken oder Geräthen,
nothwendig. Und aus allgemeiner Vergleichung gehen die
besonderen formalen Thätigkeiten: Messen, Wägen, Rech-
nung aller Art hervor; welche alle mit der Bestimmung

zeichen operirenden Erinnerung wahrnehmbar sind, ihre
Auflösung und Zusammensetzung, macht das eigentliche
(oder abstracte) Denken aus; und macht Willkür aus, wenn
die Daten wollbare Handlungen und deren, wahrscheinliche
oder gewisse, Wirkungen sind, und der Gedanke eines be-
stimmten Wollens gewählt (ergriffen) oder gebildet wird,
als reine Folge des Denkens an eine (davon total verschie-
dene) solche erwünschte Wirkung. Je mehr nun ein des-
gleichen Erfolg in der Zukunft verborgen liegt, desto mehr
gehört eine geistige Fernsicht, in die Zeit vorausgehend
anstatt in den Raum, dazu um anderes Gedachte daran
zu messen, danach zu richten. Und diese Fernsicht muss
der Mann schon üben, weil ihm die Führung und Leitung
wenigstens in allem nach aussen gehenden gemeinsamen
Wirken obliegt: als welche ihm zunächst als Stärkerem
und Kämpfer natürlich ist, auch als dem Beweglicheren,
Hurtigen, denn das Weib ist dagegen sesshaft und schwer-
fällig zu nennen. Aber ein Wanderer, und besonders der
vorausgehend Lenkende, bedarf der Fernsicht: Umsicht und
Vorsicht, in jedem Sinne, er muss endlich zu urtheilen
sich gewöhnen und lernen: entscheidend was, im Hinblick
auf gegebene Umstände, zu thun das Richtige sei. Aus
dem Vorgefühl nahenden Uebels entwickelt sich Ver-
muthung, aus Zeichen werden Argumente, Kenntniss gleicher
Gefahren bestimmt Pläne. Ebenso muss der Führer den-
ken, wie er die Ordnung im Inneren seiner Gruppe, seines
Zuges, erhalten soll. Streit-Entscheidung fordert und züchtet
die Eigenschaften, welche den Richter auszeichnen: die
Wage ist das Symbol der Gerechtigkeit, als die objectiven,
wahren und wirklichen Verhältnisse von Thun und Leiden,
Haben und Schulden, Rechten und Pflichten ergebend.
Denn insonderheit auch, wofern es gilt, dass Jedem das
Seine zukomme, zu geniessen und zu ertragen, da ist Ver-
gleichung
von Grösse, Schwere, Nützlichkeit, Schönheit,
einzelner oder zu einzelnen gemachter Dinge, von erbeuteten
Thieren oder Menschen, von Grundstücken oder Geräthen,
nothwendig. Und aus allgemeiner Vergleichung gehen die
besonderen formalen Thätigkeiten: Messen, Wägen, Rech-
nung aller Art hervor; welche alle mit der Bestimmung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0205" n="169"/>
zeichen operirenden Erinnerung wahrnehmbar sind, ihre<lb/>
Auflösung und Zusammensetzung, macht das eigentliche<lb/>
(oder abstracte) Denken aus; und macht Willkür aus, wenn<lb/>
die Daten wollbare Handlungen und deren, wahrscheinliche<lb/>
oder gewisse, Wirkungen sind, und der Gedanke eines be-<lb/>
stimmten Wollens gewählt (ergriffen) oder gebildet wird,<lb/>
als reine Folge des Denkens an eine (davon total verschie-<lb/>
dene) solche erwünschte Wirkung. Je mehr nun ein des-<lb/>
gleichen Erfolg in der Zukunft verborgen liegt, desto mehr<lb/>
gehört eine geistige Fernsicht, in die Zeit vorausgehend<lb/>
anstatt in den Raum, dazu um anderes Gedachte daran<lb/>
zu messen, danach zu richten. Und diese Fernsicht muss<lb/>
der Mann schon üben, weil ihm die Führung und Leitung<lb/>
wenigstens in allem nach aussen gehenden gemeinsamen<lb/>
Wirken obliegt: als welche ihm zunächst als Stärkerem<lb/>
und Kämpfer natürlich ist, auch als dem Beweglicheren,<lb/>
Hurtigen, denn das Weib ist dagegen sesshaft und schwer-<lb/>
fällig zu nennen. Aber ein Wanderer, und besonders der<lb/>
vorausgehend Lenkende, bedarf der Fernsicht: Umsicht und<lb/>
Vorsicht, in jedem Sinne, er muss endlich zu <hi rendition="#g">urtheilen</hi><lb/>
sich gewöhnen und lernen: entscheidend was, im Hinblick<lb/>
auf gegebene Umstände, zu thun das Richtige sei. Aus<lb/>
dem <hi rendition="#g">Vorgefühl</hi> nahenden Uebels entwickelt sich Ver-<lb/>
muthung, aus Zeichen werden Argumente, Kenntniss gleicher<lb/>
Gefahren bestimmt Pläne. Ebenso muss der Führer den-<lb/>
ken, wie er die Ordnung im <hi rendition="#g">Inneren</hi> seiner Gruppe, seines<lb/>
Zuges, erhalten soll. Streit-Entscheidung fordert und züchtet<lb/>
die Eigenschaften, welche den <hi rendition="#g">Richter</hi> auszeichnen: die<lb/>
Wage ist das Symbol der Gerechtigkeit, als die objectiven,<lb/>
wahren und wirklichen Verhältnisse von Thun und Leiden,<lb/>
Haben und Schulden, Rechten und Pflichten ergebend.<lb/>
Denn insonderheit auch, wofern es gilt, dass Jedem das<lb/>
Seine zukomme, zu geniessen und zu ertragen, da ist <hi rendition="#g">Ver-<lb/>
gleichung</hi> von Grösse, Schwere, Nützlichkeit, Schönheit,<lb/>
einzelner oder zu einzelnen gemachter Dinge, von erbeuteten<lb/>
Thieren oder Menschen, von Grundstücken oder Geräthen,<lb/>
nothwendig. Und aus allgemeiner Vergleichung gehen die<lb/>
besonderen formalen Thätigkeiten: Messen, Wägen, Rech-<lb/>
nung aller Art hervor; welche alle mit der Bestimmung<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[169/0205] zeichen operirenden Erinnerung wahrnehmbar sind, ihre Auflösung und Zusammensetzung, macht das eigentliche (oder abstracte) Denken aus; und macht Willkür aus, wenn die Daten wollbare Handlungen und deren, wahrscheinliche oder gewisse, Wirkungen sind, und der Gedanke eines be- stimmten Wollens gewählt (ergriffen) oder gebildet wird, als reine Folge des Denkens an eine (davon total verschie- dene) solche erwünschte Wirkung. Je mehr nun ein des- gleichen Erfolg in der Zukunft verborgen liegt, desto mehr gehört eine geistige Fernsicht, in die Zeit vorausgehend anstatt in den Raum, dazu um anderes Gedachte daran zu messen, danach zu richten. Und diese Fernsicht muss der Mann schon üben, weil ihm die Führung und Leitung wenigstens in allem nach aussen gehenden gemeinsamen Wirken obliegt: als welche ihm zunächst als Stärkerem und Kämpfer natürlich ist, auch als dem Beweglicheren, Hurtigen, denn das Weib ist dagegen sesshaft und schwer- fällig zu nennen. Aber ein Wanderer, und besonders der vorausgehend Lenkende, bedarf der Fernsicht: Umsicht und Vorsicht, in jedem Sinne, er muss endlich zu urtheilen sich gewöhnen und lernen: entscheidend was, im Hinblick auf gegebene Umstände, zu thun das Richtige sei. Aus dem Vorgefühl nahenden Uebels entwickelt sich Ver- muthung, aus Zeichen werden Argumente, Kenntniss gleicher Gefahren bestimmt Pläne. Ebenso muss der Führer den- ken, wie er die Ordnung im Inneren seiner Gruppe, seines Zuges, erhalten soll. Streit-Entscheidung fordert und züchtet die Eigenschaften, welche den Richter auszeichnen: die Wage ist das Symbol der Gerechtigkeit, als die objectiven, wahren und wirklichen Verhältnisse von Thun und Leiden, Haben und Schulden, Rechten und Pflichten ergebend. Denn insonderheit auch, wofern es gilt, dass Jedem das Seine zukomme, zu geniessen und zu ertragen, da ist Ver- gleichung von Grösse, Schwere, Nützlichkeit, Schönheit, einzelner oder zu einzelnen gemachter Dinge, von erbeuteten Thieren oder Menschen, von Grundstücken oder Geräthen, nothwendig. Und aus allgemeiner Vergleichung gehen die besonderen formalen Thätigkeiten: Messen, Wägen, Rech- nung aller Art hervor; welche alle mit der Bestimmung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/205
Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/205>, abgerufen am 28.11.2024.