Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

Vermehrung der agendi potentia, sich ausbildet und wächst,
durch das agere selbst, durch die Function (und jede Ver-
minderung, Rückbildung, Tod eintritt durch Nichtgebrauch,
d. i. Nichtleben und Nichtwollen, unterbleibende Erneuerung
der Zellsubstanz und der Gewebe). Denn dieses wird er-
weitert zu dem Satze: dass auch durch die Thätigkeit in
Bezug
auf etwas Aeusseres, d. i. durch Richtung des
eigenen Willens darauf, Verwendung der eigenen Kraft zu
seiner Bearbeitung und Cultur, so etwas wie ein besonderes
Organ = besonderer Wille und (durch Uebung) besondere
Fähigkeit sich gestalten müsse. Wie denn das Sehen eine
solche (allgemein-animalische) Thätigkeit in Bezug auf Licht
und beleuchtete Gegenstände, und durch Sehen das Auge
geworden ist. Und wie dieses nur ein Organ ist im voll-
kommenen Zusammenhange mit dem Centralorgan, von dem
aus es innervirt und mit dem Lebensherde, dem Herzen,
von dem es ernährt wird -- welche Ernährung selbst
durch seine eigenthümliche Thätigkeit bedingt ist --,
also können wir auch durch Lieben, Hegen und Pflegen
(amplecti) von Wesen und Dingen uns besondere, obgleich
nur psychologisch-reale Organe entwickeln, erhalten, er-
nähren; oder vielmehr: unsere allgemeine organische
Liebeskraft specialisirend ausbilden. Und ferner: durch
Liebe, durch Mittheilung unserer Wesens-Energie nach
aussen, im Maasse ihrer Intensität und Dauer, und je nach-
dem das Aeussere uns nahe ist, von uns empfunden und
erkannt, gleichsam durch den Intellect festgehalten wird,
also fortwährend von dem Strome des Lebens einen meta-
physischen Antheil empfangend -- so ist und wird und
bleibt es selber, als ein Lebendig-Thätiges, von mir aus
und durch mich Thätiges, gleich einem Organe, mein
organisches und echtes Eigen, eine nicht einmalige,
sondern dauernde Emanation meines Seins, meiner Substanz.
So ist Alles, was athmet und wirkt als meine Creatur:
was ich erzeugt oder geboren habe, was durch Zucht und
Pflege, Nahrung und Schutz, sich von mir entlehnt und
derivirt hat; endlich was ich geschaffen und gearbeitet, ge-
wirkt und gestaltet habe, durch meinen Geist und meine
Kunst. Dem Allen aber bin ich in irgendwelchem Maasse

Vermehrung der agendi potentia, sich ausbildet und wächst,
durch das agere selbst, durch die Function (und jede Ver-
minderung, Rückbildung, Tod eintritt durch Nichtgebrauch,
d. i. Nichtleben und Nichtwollen, unterbleibende Erneuerung
der Zellsubstanz und der Gewebe). Denn dieses wird er-
weitert zu dem Satze: dass auch durch die Thätigkeit in
Bezug
auf etwas Aeusseres, d. i. durch Richtung des
eigenen Willens darauf, Verwendung der eigenen Kraft zu
seiner Bearbeitung und Cultur, so etwas wie ein besonderes
Organ = besonderer Wille und (durch Uebung) besondere
Fähigkeit sich gestalten müsse. Wie denn das Sehen eine
solche (allgemein-animalische) Thätigkeit in Bezug auf Licht
und beleuchtete Gegenstände, und durch Sehen das Auge
geworden ist. Und wie dieses nur ein Organ ist im voll-
kommenen Zusammenhange mit dem Centralorgan, von dem
aus es innervirt und mit dem Lebensherde, dem Herzen,
von dem es ernährt wird — welche Ernährung selbst
durch seine eigenthümliche Thätigkeit bedingt ist —,
also können wir auch durch Lieben, Hegen und Pflegen
(amplecti) von Wesen und Dingen uns besondere, obgleich
nur psychologisch-reale Organe entwickeln, erhalten, er-
nähren; oder vielmehr: unsere allgemeine organische
Liebeskraft specialisirend ausbilden. Und ferner: durch
Liebe, durch Mittheilung unserer Wesens-Energie nach
aussen, im Maasse ihrer Intensität und Dauer, und je nach-
dem das Aeussere uns nahe ist, von uns empfunden und
erkannt, gleichsam durch den Intellect festgehalten wird,
also fortwährend von dem Strome des Lebens einen meta-
physischen Antheil empfangend — so ist und wird und
bleibt es selber, als ein Lebendig-Thätiges, von mir aus
und durch mich Thätiges, gleich einem Organe, mein
organisches und echtes Eigen, eine nicht einmalige,
sondern dauernde Emanation meines Seins, meiner Substanz.
So ist Alles, was athmet und wirkt als meine Creatur:
was ich erzeugt oder geboren habe, was durch Zucht und
Pflege, Nahrung und Schutz, sich von mir entlehnt und
derivirt hat; endlich was ich geschaffen und gearbeitet, ge-
wirkt und gestaltet habe, durch meinen Geist und meine
Kunst. Dem Allen aber bin ich in irgendwelchem Maasse

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0185" n="149"/>
Vermehrung der <hi rendition="#i">agendi potentia</hi>, sich ausbildet und wächst,<lb/>
durch das <hi rendition="#i">agere</hi> selbst, durch die Function (und jede Ver-<lb/>
minderung, Rückbildung, Tod eintritt durch Nichtgebrauch,<lb/>
d. i. Nichtleben und Nichtwollen, unterbleibende Erneuerung<lb/>
der Zellsubstanz und der Gewebe). Denn dieses wird er-<lb/>
weitert zu dem Satze: dass auch durch die Thätigkeit <hi rendition="#g">in<lb/>
Bezug</hi> auf etwas Aeusseres, d. i. durch Richtung des<lb/>
eigenen Willens darauf, Verwendung der eigenen Kraft zu<lb/>
seiner Bearbeitung und Cultur, so etwas wie ein besonderes<lb/>
Organ = besonderer Wille und (durch Uebung) besondere<lb/>
Fähigkeit sich gestalten müsse. Wie denn das Sehen eine<lb/>
solche (allgemein-animalische) Thätigkeit in Bezug auf Licht<lb/>
und beleuchtete Gegenstände, und durch Sehen das Auge<lb/>
geworden ist. Und wie dieses nur ein Organ ist im voll-<lb/>
kommenen Zusammenhange mit dem Centralorgan, von dem<lb/>
aus es innervirt und mit dem Lebensherde, dem Herzen,<lb/>
von dem es ernährt wird &#x2014; welche Ernährung selbst<lb/><hi rendition="#g">durch</hi> seine eigenthümliche Thätigkeit <hi rendition="#g">bedingt</hi> ist &#x2014;,<lb/>
also können wir auch durch Lieben, Hegen und Pflegen<lb/><hi rendition="#i">(amplecti)</hi> von Wesen und Dingen uns besondere, obgleich<lb/>
nur psychologisch-reale Organe entwickeln, erhalten, er-<lb/>
nähren; oder vielmehr: unsere allgemeine organische<lb/><hi rendition="#g">Liebeskraft</hi> specialisirend ausbilden. Und ferner: <hi rendition="#g">durch</hi><lb/>
Liebe, durch Mittheilung unserer Wesens-Energie nach<lb/>
aussen, im Maasse ihrer Intensität und Dauer, und je nach-<lb/>
dem das Aeussere uns nahe ist, von uns empfunden und<lb/>
erkannt, gleichsam durch den Intellect festgehalten wird,<lb/>
also fortwährend von dem Strome des Lebens einen meta-<lb/>
physischen Antheil empfangend &#x2014; so ist und wird und<lb/>
bleibt es selber, als ein Lebendig-Thätiges, von mir aus<lb/>
und <hi rendition="#g">durch mich</hi> Thätiges, gleich einem Organe, mein<lb/>
organisches und <hi rendition="#g">echtes Eigen</hi>, eine nicht einmalige,<lb/>
sondern dauernde Emanation meines Seins, meiner Substanz.<lb/>
So ist Alles, was athmet und wirkt als <hi rendition="#g">meine</hi> Creatur:<lb/>
was ich erzeugt oder geboren habe, was durch Zucht und<lb/>
Pflege, Nahrung und Schutz, sich von mir entlehnt und<lb/>
derivirt hat; endlich was ich geschaffen und gearbeitet, ge-<lb/>
wirkt und gestaltet habe, durch meinen Geist und meine<lb/>
Kunst. Dem Allen aber bin ich in irgendwelchem Maasse<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[149/0185] Vermehrung der agendi potentia, sich ausbildet und wächst, durch das agere selbst, durch die Function (und jede Ver- minderung, Rückbildung, Tod eintritt durch Nichtgebrauch, d. i. Nichtleben und Nichtwollen, unterbleibende Erneuerung der Zellsubstanz und der Gewebe). Denn dieses wird er- weitert zu dem Satze: dass auch durch die Thätigkeit in Bezug auf etwas Aeusseres, d. i. durch Richtung des eigenen Willens darauf, Verwendung der eigenen Kraft zu seiner Bearbeitung und Cultur, so etwas wie ein besonderes Organ = besonderer Wille und (durch Uebung) besondere Fähigkeit sich gestalten müsse. Wie denn das Sehen eine solche (allgemein-animalische) Thätigkeit in Bezug auf Licht und beleuchtete Gegenstände, und durch Sehen das Auge geworden ist. Und wie dieses nur ein Organ ist im voll- kommenen Zusammenhange mit dem Centralorgan, von dem aus es innervirt und mit dem Lebensherde, dem Herzen, von dem es ernährt wird — welche Ernährung selbst durch seine eigenthümliche Thätigkeit bedingt ist —, also können wir auch durch Lieben, Hegen und Pflegen (amplecti) von Wesen und Dingen uns besondere, obgleich nur psychologisch-reale Organe entwickeln, erhalten, er- nähren; oder vielmehr: unsere allgemeine organische Liebeskraft specialisirend ausbilden. Und ferner: durch Liebe, durch Mittheilung unserer Wesens-Energie nach aussen, im Maasse ihrer Intensität und Dauer, und je nach- dem das Aeussere uns nahe ist, von uns empfunden und erkannt, gleichsam durch den Intellect festgehalten wird, also fortwährend von dem Strome des Lebens einen meta- physischen Antheil empfangend — so ist und wird und bleibt es selber, als ein Lebendig-Thätiges, von mir aus und durch mich Thätiges, gleich einem Organe, mein organisches und echtes Eigen, eine nicht einmalige, sondern dauernde Emanation meines Seins, meiner Substanz. So ist Alles, was athmet und wirkt als meine Creatur: was ich erzeugt oder geboren habe, was durch Zucht und Pflege, Nahrung und Schutz, sich von mir entlehnt und derivirt hat; endlich was ich geschaffen und gearbeitet, ge- wirkt und gestaltet habe, durch meinen Geist und meine Kunst. Dem Allen aber bin ich in irgendwelchem Maasse

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/185
Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/185>, abgerufen am 28.11.2024.