Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

Organe aus -- welche auch das vollendete leistet und zu
leisten hat, bildet sich in grösserer oder geringerer Voll-
kommenheit die vermehrte und besonderte Kraft dazu aus.
Ein Geräth wird gemacht von menschlicher Hand, welche
sich eines ausser ihr liegenden Stoffes bemächtigt und
ihm eine besondere Einheit und Form verleiht, gemäss
der in Gedanken festgehaltenen Vorstellung oder Idee des
Zweckes, welchem dieses neue Ding dienen soll (nach dem
Willen des Urhebers), und (nach seiner Meinung und Er-
wartung) dienen wird, so dass es als vollendetes Ding
geeignet ist, besondere Arten von Arbeit zu leisten. --
Durch ihre Beschaffenheit: ein Organ ist als Einheit
nur vorhanden in Bezug auf die Einheit eines Organismus
und kann nicht von demselben getrennt werden, ohne seine
eigenthümlichen Qualitäten und Kräfte zu verlieren; daher
ist seine Individualität nur derivativ oder secundär; es ist
nichts Anderes als der Gesammtleib, auf eine besondere
Weise ausgedrückt oder differenzirt: dieser aber, und also
durch ihn auch das Organ, ist das alleinige seiner Materie
nach und insofern das einzige realiter Individuelle, oder
doch nach Individualität fortwährend Tendirende, was in
aller Erfahrung vorkömmt und vorkommen kann. Hingegen
ein Geräth ist seiner Materie nach allem übrigen Stoffe
gleich und nur eine bestimmte Masse davon, welche auf
fictive Einheiten von Atomen zurückgeführt und als daraus
zusammengesetzt gedacht werden kann. Seine eigene Ein-
heit besteht nur in der Form, welche blos durch Denken
erkannt wird, nämlich als die Richtung und Hinweisung
auf einen Zweck oder Gebrauch. Aber als ein solches
Ding kann es aus der Hand und Macht eines Menschen
in die des anderen übergehen, und kann von jedem an-
gewandt werden, der die Regeln seiner Anwendung kennt.
Seine individuelle und abgesonderte Existenz ist insoweit
vollkommen; aber es ist todt, da es nicht sich erhält und
nicht sich reproducirt; sondern wird abgenutzt, und seines
Gleichen kann nur dieselbe ihm fremde Arbeit und Geist
herstellen, durch welche es selber hervorgebracht wurde;
herstellen nach seinem Bilde oder nach dem Bilde, welches vor
ihm war.

Organe aus — welche auch das vollendete leistet und zu
leisten hat, bildet sich in grösserer oder geringerer Voll-
kommenheit die vermehrte und besonderte Kraft dazu aus.
Ein Geräth wird gemacht von menschlicher Hand, welche
sich eines ausser ihr liegenden Stoffes bemächtigt und
ihm eine besondere Einheit und Form verleiht, gemäss
der in Gedanken festgehaltenen Vorstellung oder Idee des
Zweckes, welchem dieses neue Ding dienen soll (nach dem
Willen des Urhebers), und (nach seiner Meinung und Er-
wartung) dienen wird, so dass es als vollendetes Ding
geeignet ist, besondere Arten von Arbeit zu leisten. —
Durch ihre Beschaffenheit: ein Organ ist als Einheit
nur vorhanden in Bezug auf die Einheit eines Organismus
und kann nicht von demselben getrennt werden, ohne seine
eigenthümlichen Qualitäten und Kräfte zu verlieren; daher
ist seine Individualität nur derivativ oder secundär; es ist
nichts Anderes als der Gesammtleib, auf eine besondere
Weise ausgedrückt oder differenzirt: dieser aber, und also
durch ihn auch das Organ, ist das alleinige seiner Materie
nach und insofern das einzige realiter Individuelle, oder
doch nach Individualität fortwährend Tendirende, was in
aller Erfahrung vorkömmt und vorkommen kann. Hingegen
ein Geräth ist seiner Materie nach allem übrigen Stoffe
gleich und nur eine bestimmte Masse davon, welche auf
fictive Einheiten von Atomen zurückgeführt und als daraus
zusammengesetzt gedacht werden kann. Seine eigene Ein-
heit besteht nur in der Form, welche blos durch Denken
erkannt wird, nämlich als die Richtung und Hinweisung
auf einen Zweck oder Gebrauch. Aber als ein solches
Ding kann es aus der Hand und Macht eines Menschen
in die des anderen übergehen, und kann von jedem an-
gewandt werden, der die Regeln seiner Anwendung kennt.
Seine individuelle und abgesonderte Existenz ist insoweit
vollkommen; aber es ist todt, da es nicht sich erhält und
nicht sich reproducirt; sondern wird abgenutzt, und seines
Gleichen kann nur dieselbe ihm fremde Arbeit und Geist
herstellen, durch welche es selber hervorgebracht wurde;
herstellen nach seinem Bilde oder nach dem Bilde, welches vor
ihm war.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0180" n="144"/>
Organe aus &#x2014; welche auch das vollendete leistet und zu<lb/>
leisten hat, bildet sich in grösserer oder geringerer Voll-<lb/>
kommenheit die vermehrte und besonderte Kraft dazu aus.<lb/>
Ein <hi rendition="#g">Geräth</hi> wird gemacht von menschlicher Hand, welche<lb/>
sich eines ausser ihr liegenden <hi rendition="#g">Stoffes</hi> bemächtigt und<lb/>
ihm eine besondere Einheit und <hi rendition="#g">Form</hi> verleiht, gemäss<lb/>
der in Gedanken festgehaltenen Vorstellung oder Idee des<lb/>
Zweckes, welchem dieses neue Ding dienen <hi rendition="#g">soll</hi> (nach dem<lb/>
Willen des Urhebers), und (nach seiner Meinung und Er-<lb/>
wartung) dienen <hi rendition="#g">wird</hi>, so dass es als vollendetes Ding<lb/>
geeignet ist, besondere Arten von Arbeit zu leisten. &#x2014;<lb/><hi rendition="#g">Durch ihre Beschaffenheit</hi>: ein Organ ist als Einheit<lb/>
nur vorhanden in Bezug auf die Einheit eines Organismus<lb/>
und kann nicht von demselben getrennt werden, ohne seine<lb/>
eigenthümlichen Qualitäten und Kräfte zu verlieren; daher<lb/>
ist seine Individualität nur derivativ oder secundär; es <hi rendition="#g">ist</hi><lb/>
nichts Anderes als der Gesammtleib, auf eine besondere<lb/>
Weise ausgedrückt oder differenzirt: dieser aber, und also<lb/>
durch ihn auch das Organ, ist das alleinige seiner <hi rendition="#g">Materie</hi><lb/>
nach und insofern das einzige realiter Individuelle, oder<lb/>
doch nach Individualität fortwährend Tendirende, was in<lb/>
aller Erfahrung vorkömmt und vorkommen kann. Hingegen<lb/>
ein Geräth ist seiner Materie nach allem übrigen Stoffe<lb/>
gleich und nur eine bestimmte Masse davon, welche auf<lb/>
fictive Einheiten von Atomen zurückgeführt und als daraus<lb/>
zusammengesetzt gedacht werden kann. Seine eigene Ein-<lb/>
heit besteht nur in der <hi rendition="#g">Form</hi>, welche blos durch Denken<lb/>
erkannt wird, nämlich als die Richtung und Hinweisung<lb/>
auf einen Zweck oder Gebrauch. Aber als ein solches<lb/>
Ding kann es aus der Hand und Macht <hi rendition="#g">eines</hi> Menschen<lb/>
in die des anderen übergehen, und kann von jedem an-<lb/>
gewandt werden, der die Regeln seiner Anwendung kennt.<lb/>
Seine individuelle und abgesonderte Existenz ist insoweit<lb/>
vollkommen; aber es ist todt, da es nicht sich erhält und<lb/>
nicht sich reproducirt; sondern wird abgenutzt, und seines<lb/>
Gleichen kann nur dieselbe ihm fremde Arbeit und Geist<lb/>
herstellen, durch welche es selber hervorgebracht wurde;<lb/>
herstellen nach seinem Bilde oder nach dem Bilde, welches vor<lb/>
ihm war.</p>
          </div><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0180] Organe aus — welche auch das vollendete leistet und zu leisten hat, bildet sich in grösserer oder geringerer Voll- kommenheit die vermehrte und besonderte Kraft dazu aus. Ein Geräth wird gemacht von menschlicher Hand, welche sich eines ausser ihr liegenden Stoffes bemächtigt und ihm eine besondere Einheit und Form verleiht, gemäss der in Gedanken festgehaltenen Vorstellung oder Idee des Zweckes, welchem dieses neue Ding dienen soll (nach dem Willen des Urhebers), und (nach seiner Meinung und Er- wartung) dienen wird, so dass es als vollendetes Ding geeignet ist, besondere Arten von Arbeit zu leisten. — Durch ihre Beschaffenheit: ein Organ ist als Einheit nur vorhanden in Bezug auf die Einheit eines Organismus und kann nicht von demselben getrennt werden, ohne seine eigenthümlichen Qualitäten und Kräfte zu verlieren; daher ist seine Individualität nur derivativ oder secundär; es ist nichts Anderes als der Gesammtleib, auf eine besondere Weise ausgedrückt oder differenzirt: dieser aber, und also durch ihn auch das Organ, ist das alleinige seiner Materie nach und insofern das einzige realiter Individuelle, oder doch nach Individualität fortwährend Tendirende, was in aller Erfahrung vorkömmt und vorkommen kann. Hingegen ein Geräth ist seiner Materie nach allem übrigen Stoffe gleich und nur eine bestimmte Masse davon, welche auf fictive Einheiten von Atomen zurückgeführt und als daraus zusammengesetzt gedacht werden kann. Seine eigene Ein- heit besteht nur in der Form, welche blos durch Denken erkannt wird, nämlich als die Richtung und Hinweisung auf einen Zweck oder Gebrauch. Aber als ein solches Ding kann es aus der Hand und Macht eines Menschen in die des anderen übergehen, und kann von jedem an- gewandt werden, der die Regeln seiner Anwendung kennt. Seine individuelle und abgesonderte Existenz ist insoweit vollkommen; aber es ist todt, da es nicht sich erhält und nicht sich reproducirt; sondern wird abgenutzt, und seines Gleichen kann nur dieselbe ihm fremde Arbeit und Geist herstellen, durch welche es selber hervorgebracht wurde; herstellen nach seinem Bilde oder nach dem Bilde, welches vor ihm war.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/180
Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/180>, abgerufen am 25.11.2024.