occupation, welche überwunden werden muss. So darf der Streber kein Bedenken tragen, irgendwelchen Schein anzu- nehmen, dessen Effect derjenige eines gleichen Wirklichen sein kann. Was das wahrgesprochene Wort vereiteln würde, kann die Lüge verbessern. Seine Gefühle zurückzuhalten, wenn sie hässlich und abscheulich sind, lehrt das Gewissen. Sie zu verbergen, wo ihre Offenbarung schädlich sein kann, ist Begriff und Regel gemeiner Lebensklugheit. Aber ihre Aeusserungen anzunehmen und abzulegen, je nach Forderung der Umstände, ja oft die Zeichen entgegengesetzter Empfin- dungen vor sich her zu tragen, als der wirklich gehegten, vor Allem aber seine Absichten zu verstecken oder doch Ungewissheit darüber auszubreiten: das ist einer Handlungs- weise eigen, welche durch Berechnung geleitet wird, und dies ist der Begriff des Apparates in seiner anderen Bestimmung. Der Streber will nichts umsonst thun; Alles, was er thut, soll ihm etwas eintragen; was er ausgibt, soll in anderer Gestalt zu ihm zurückkehren; er ist stets auf seinen Vortheil bedacht; er ist interessirt. Der Berechnende will nur ein endliches Ergebniss; er thut Vieles scheinbar umsonst, aber in seinem Calcül ist es vorgesehen und nach seinem Werthe verzeichnet; und der Abschluss seiner Handlungen soll nicht blos allen Verlust wieder auf heben, sondern dazu einen Gewinn ergeben, welchem kein Theil des ursprünglichen Aufwandes entspricht -- dieser Gewinn ist der Zweck, welcher keine besonderen Mittel gekostet hat, sondern nur durch richtige Disposition der vorhandenen, durch Berechnung und Vorbereitung ihres Gebrauches nach Zeit und Ort, erzielt wird. So zeigt sich Berechnung mehr in dem Zusammenhange umfassender Handlungen als in einzelnen kleinen Zügen, Gebahrungen, Reden. Der Stre- ber sucht seinen Weg, auf welchem er nur eine kurze Strecke deutlich vor sich sieht; er kennt seine Abhängigkeit von zufälligen Ereignissen, und hofft auf Glück. Der Be- rechnende weiss sich überlegen und frei, seiner Zwecke gewiss und seiner Machtmittel Herr, die er in Gedanken von sich abhängig hat und nach seinen Beschlüssen lenkt, wie sehr sie auch in ihren eigenen Bahnen sich zu bewegen scheinen. Den Complex aber von Erkenntnissen und Mei-
occupation, welche überwunden werden muss. So darf der Streber kein Bedenken tragen, irgendwelchen Schein anzu- nehmen, dessen Effect derjenige eines gleichen Wirklichen sein kann. Was das wahrgesprochene Wort vereiteln würde, kann die Lüge verbessern. Seine Gefühle zurückzuhalten, wenn sie hässlich und abscheulich sind, lehrt das Gewissen. Sie zu verbergen, wo ihre Offenbarung schädlich sein kann, ist Begriff und Regel gemeiner Lebensklugheit. Aber ihre Aeusserungen anzunehmen und abzulegen, je nach Forderung der Umstände, ja oft die Zeichen entgegengesetzter Empfin- dungen vor sich her zu tragen, als der wirklich gehegten, vor Allem aber seine Absichten zu verstecken oder doch Ungewissheit darüber auszubreiten: das ist einer Handlungs- weise eigen, welche durch Berechnung geleitet wird, und dies ist der Begriff des Apparates in seiner anderen Bestimmung. Der Streber will nichts umsonst thun; Alles, was er thut, soll ihm etwas eintragen; was er ausgibt, soll in anderer Gestalt zu ihm zurückkehren; er ist stets auf seinen Vortheil bedacht; er ist interessirt. Der Berechnende will nur ein endliches Ergebniss; er thut Vieles scheinbar umsonst, aber in seinem Calcül ist es vorgesehen und nach seinem Werthe verzeichnet; und der Abschluss seiner Handlungen soll nicht blos allen Verlust wieder auf heben, sondern dazu einen Gewinn ergeben, welchem kein Theil des ursprünglichen Aufwandes entspricht — dieser Gewinn ist der Zweck, welcher keine besonderen Mittel gekostet hat, sondern nur durch richtige Disposition der vorhandenen, durch Berechnung und Vorbereitung ihres Gebrauches nach Zeit und Ort, erzielt wird. So zeigt sich Berechnung mehr in dem Zusammenhange umfassender Handlungen als in einzelnen kleinen Zügen, Gebahrungen, Reden. Der Stre- ber sucht seinen Weg, auf welchem er nur eine kurze Strecke deutlich vor sich sieht; er kennt seine Abhängigkeit von zufälligen Ereignissen, und hofft auf Glück. Der Be- rechnende weiss sich überlegen und frei, seiner Zwecke gewiss und seiner Machtmittel Herr, die er in Gedanken von sich abhängig hat und nach seinen Beschlüssen lenkt, wie sehr sie auch in ihren eigenen Bahnen sich zu bewegen scheinen. Den Complex aber von Erkenntnissen und Mei-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0164"n="128"/>
occupation, welche überwunden werden muss. So darf der<lb/>
Streber kein Bedenken tragen, irgendwelchen Schein anzu-<lb/>
nehmen, dessen Effect derjenige eines gleichen Wirklichen<lb/>
sein kann. Was das wahrgesprochene Wort vereiteln würde,<lb/>
kann die Lüge verbessern. Seine Gefühle zurückzuhalten,<lb/>
wenn sie hässlich und abscheulich sind, lehrt das Gewissen.<lb/>
Sie zu verbergen, wo ihre Offenbarung schädlich sein kann,<lb/>
ist Begriff und Regel gemeiner Lebensklugheit. Aber ihre<lb/>
Aeusserungen anzunehmen und abzulegen, je nach Forderung<lb/>
der Umstände, ja oft die Zeichen entgegengesetzter Empfin-<lb/>
dungen vor sich her zu tragen, als der wirklich gehegten,<lb/>
vor Allem aber seine <hirendition="#g">Absichten</hi> zu verstecken oder doch<lb/>
Ungewissheit darüber auszubreiten: das ist einer Handlungs-<lb/>
weise eigen, welche durch <hirendition="#g">Berechnung</hi> geleitet wird,<lb/>
und dies ist der Begriff des Apparates in seiner anderen<lb/>
Bestimmung. Der Streber will nichts umsonst thun; Alles,<lb/>
was er thut, soll ihm etwas eintragen; was er ausgibt, soll<lb/>
in anderer Gestalt zu ihm zurückkehren; er ist stets auf<lb/>
seinen Vortheil bedacht; er ist interessirt. Der Berechnende<lb/>
will nur ein endliches Ergebniss; er thut Vieles scheinbar<lb/>
umsonst, aber in seinem Calcül ist es vorgesehen und nach<lb/>
seinem Werthe verzeichnet; und der Abschluss seiner<lb/>
Handlungen soll nicht blos allen Verlust wieder auf heben,<lb/>
sondern dazu einen Gewinn ergeben, welchem kein Theil<lb/>
des ursprünglichen Aufwandes entspricht — dieser Gewinn<lb/>
ist der Zweck, welcher keine besonderen Mittel gekostet<lb/>
hat, sondern nur durch richtige Disposition der vorhandenen,<lb/>
durch Berechnung und Vorbereitung ihres Gebrauches nach<lb/>
Zeit und Ort, erzielt wird. So zeigt sich Berechnung mehr<lb/>
in dem Zusammenhange umfassender Handlungen als in<lb/>
einzelnen kleinen Zügen, Gebahrungen, Reden. Der Stre-<lb/>
ber sucht seinen Weg, auf welchem er nur eine kurze<lb/>
Strecke deutlich vor sich sieht; er kennt seine Abhängigkeit<lb/>
von zufälligen Ereignissen, und hofft auf Glück. Der Be-<lb/>
rechnende weiss sich überlegen und frei, seiner Zwecke<lb/>
gewiss und seiner Machtmittel Herr, die er in Gedanken<lb/>
von sich abhängig hat und nach seinen Beschlüssen lenkt,<lb/>
wie sehr sie auch in ihren eigenen Bahnen sich zu bewegen<lb/>
scheinen. Den Complex aber von Erkenntnissen und Mei-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[128/0164]
occupation, welche überwunden werden muss. So darf der
Streber kein Bedenken tragen, irgendwelchen Schein anzu-
nehmen, dessen Effect derjenige eines gleichen Wirklichen
sein kann. Was das wahrgesprochene Wort vereiteln würde,
kann die Lüge verbessern. Seine Gefühle zurückzuhalten,
wenn sie hässlich und abscheulich sind, lehrt das Gewissen.
Sie zu verbergen, wo ihre Offenbarung schädlich sein kann,
ist Begriff und Regel gemeiner Lebensklugheit. Aber ihre
Aeusserungen anzunehmen und abzulegen, je nach Forderung
der Umstände, ja oft die Zeichen entgegengesetzter Empfin-
dungen vor sich her zu tragen, als der wirklich gehegten,
vor Allem aber seine Absichten zu verstecken oder doch
Ungewissheit darüber auszubreiten: das ist einer Handlungs-
weise eigen, welche durch Berechnung geleitet wird,
und dies ist der Begriff des Apparates in seiner anderen
Bestimmung. Der Streber will nichts umsonst thun; Alles,
was er thut, soll ihm etwas eintragen; was er ausgibt, soll
in anderer Gestalt zu ihm zurückkehren; er ist stets auf
seinen Vortheil bedacht; er ist interessirt. Der Berechnende
will nur ein endliches Ergebniss; er thut Vieles scheinbar
umsonst, aber in seinem Calcül ist es vorgesehen und nach
seinem Werthe verzeichnet; und der Abschluss seiner
Handlungen soll nicht blos allen Verlust wieder auf heben,
sondern dazu einen Gewinn ergeben, welchem kein Theil
des ursprünglichen Aufwandes entspricht — dieser Gewinn
ist der Zweck, welcher keine besonderen Mittel gekostet
hat, sondern nur durch richtige Disposition der vorhandenen,
durch Berechnung und Vorbereitung ihres Gebrauches nach
Zeit und Ort, erzielt wird. So zeigt sich Berechnung mehr
in dem Zusammenhange umfassender Handlungen als in
einzelnen kleinen Zügen, Gebahrungen, Reden. Der Stre-
ber sucht seinen Weg, auf welchem er nur eine kurze
Strecke deutlich vor sich sieht; er kennt seine Abhängigkeit
von zufälligen Ereignissen, und hofft auf Glück. Der Be-
rechnende weiss sich überlegen und frei, seiner Zwecke
gewiss und seiner Machtmittel Herr, die er in Gedanken
von sich abhängig hat und nach seinen Beschlüssen lenkt,
wie sehr sie auch in ihren eigenen Bahnen sich zu bewegen
scheinen. Den Complex aber von Erkenntnissen und Mei-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/164>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.