dessen Erreichung ihnen insgesammt förderlich, also ein Mittel zu sein scheint. Sie werden selber dadurch immer wieder zu Mitteln herabgesetzt, nämlich in Bezug auf den höheren Zweck und durch denselben. Die vollkommene Herrschaft des Denkens über das Wollen würde mithin eine Hierarchie der Zwecke darstellen, in welcher alles Gewollte zuletzt auf einen obersten und allgemeinsten Zweck hinaufgeführt werden müsste, oder auf mehrere solche, wenn etwa mehrere als unabhängig von einander und von gleich grosser Bedeutung einander beigeordnet würden. Aber auch diese obersten Zwecke beziehen, nach dem aufgestellten Begriffe, ihre Kräfte insofern vom Denken, als dieses ihnen seine Anerkennung und Bestätigung verleiht, dadurch sich mit souveräner Geltung bewährend. Einem solchen Zu- stande gemäss, müssen alle Erscheinungen des Wollens aus Gedanken, welche über ihnen oder hinter ihnen vorhanden sein mögen, sich ableiten oder erklären lassen. -- Die Tendenz zu solcher Herrschaft macht sich in jedem Acte des (für sich gedachten) Intellectes geltend; denn auch jede actuelle Wahrnehmung dient zur Leitung und Richtung der aus dem Wesenwillen entspringenden Conate. Sie bringt zwar keine Motive hervor; aber sie gibt die Directive den vorhandenen. Sogar können Vorstellungen und Ge- danken die nothwendigen Bedingungen oder Gelegenheits- Ursachen abgeben, um schlummernde Potenzen des Willens zur Aeusserung zu bringen, und dennoch bleiben diese ihrem Wesen nach davon unabhängig; wie eine Naturkraft von den Gesetzen der Bewegung. Das Denken aber wirft sich zum Herrn auf; es wird der Gott, welcher von aussen einer trägen Masse Bewegung mittheilt. So muss es selber als von dem ursprünglichen Willen (daraus es doch hervor- gegangen ist) abgelöst und frei gedacht werden, Willen und Wünsche in sich darstellend und enthaltend, anstatt in ihnen dargestellt und enthalten zu werden. Die Möglichkeit also der Willkür beruhet darauf, dass die Werke des Den- kens in Bezug auf ein zukünftiges Verhalten beharren können, und, obgleich sie ausserhalb des sie festhaltenden und bewahrenden Denkens nichts sind, eine scheinbar un- abhängige Existenz darstellen; und indem nun dieses Den-
dessen Erreichung ihnen insgesammt förderlich, also ein Mittel zu sein scheint. Sie werden selber dadurch immer wieder zu Mitteln herabgesetzt, nämlich in Bezug auf den höheren Zweck und durch denselben. Die vollkommene Herrschaft des Denkens über das Wollen würde mithin eine Hierarchie der Zwecke darstellen, in welcher alles Gewollte zuletzt auf einen obersten und allgemeinsten Zweck hinaufgeführt werden müsste, oder auf mehrere solche, wenn etwa mehrere als unabhängig von einander und von gleich grosser Bedeutung einander beigeordnet würden. Aber auch diese obersten Zwecke beziehen, nach dem aufgestellten Begriffe, ihre Kräfte insofern vom Denken, als dieses ihnen seine Anerkennung und Bestätigung verleiht, dadurch sich mit souveräner Geltung bewährend. Einem solchen Zu- stande gemäss, müssen alle Erscheinungen des Wollens aus Gedanken, welche über ihnen oder hinter ihnen vorhanden sein mögen, sich ableiten oder erklären lassen. — Die Tendenz zu solcher Herrschaft macht sich in jedem Acte des (für sich gedachten) Intellectes geltend; denn auch jede actuelle Wahrnehmung dient zur Leitung und Richtung der aus dem Wesenwillen entspringenden Conate. Sie bringt zwar keine Motive hervor; aber sie gibt die Directive den vorhandenen. Sogar können Vorstellungen und Ge- danken die nothwendigen Bedingungen oder Gelegenheits- Ursachen abgeben, um schlummernde Potenzen des Willens zur Aeusserung zu bringen, und dennoch bleiben diese ihrem Wesen nach davon unabhängig; wie eine Naturkraft von den Gesetzen der Bewegung. Das Denken aber wirft sich zum Herrn auf; es wird der Gott, welcher von aussen einer trägen Masse Bewegung mittheilt. So muss es selber als von dem ursprünglichen Willen (daraus es doch hervor- gegangen ist) abgelöst und frei gedacht werden, Willen und Wünsche in sich darstellend und enthaltend, anstatt in ihnen dargestellt und enthalten zu werden. Die Möglichkeit also der Willkür beruhet darauf, dass die Werke des Den- kens in Bezug auf ein zukünftiges Verhalten beharren können, und, obgleich sie ausserhalb des sie festhaltenden und bewahrenden Denkens nichts sind, eine scheinbar un- abhängige Existenz darstellen; und indem nun dieses Den-
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dessen Erreichung ihnen insgesammt förderlich, also ein
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wieder zu Mitteln herabgesetzt, nämlich in Bezug auf den
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Herrschaft des Denkens über das Wollen würde mithin
eine Hierarchie der Zwecke darstellen, in welcher alles
Gewollte zuletzt auf einen obersten und allgemeinsten Zweck
hinaufgeführt werden müsste, oder auf mehrere solche, wenn
etwa mehrere als unabhängig von einander und von gleich
grosser Bedeutung einander beigeordnet würden. Aber
auch diese obersten Zwecke beziehen, nach dem aufgestellten
Begriffe, ihre Kräfte insofern vom Denken, als dieses ihnen
seine Anerkennung und Bestätigung verleiht, dadurch sich
mit souveräner Geltung bewährend. Einem solchen Zu-
stande gemäss, müssen alle Erscheinungen des Wollens aus
Gedanken, welche über ihnen oder hinter ihnen vorhanden
sein mögen, sich ableiten oder erklären lassen. — Die
Tendenz zu solcher Herrschaft macht sich in jedem Acte
des (für sich gedachten) Intellectes geltend; denn auch jede
actuelle Wahrnehmung dient zur Leitung und Richtung der
aus dem Wesenwillen entspringenden Conate. Sie bringt
zwar keine Motive hervor; aber sie gibt die Directive
den vorhandenen. Sogar können Vorstellungen und Ge-
danken die nothwendigen Bedingungen oder Gelegenheits-
Ursachen abgeben, um schlummernde Potenzen des Willens
zur Aeusserung zu bringen, und dennoch bleiben diese
ihrem Wesen nach davon unabhängig; wie eine Naturkraft
von den Gesetzen der Bewegung. Das Denken aber wirft
sich zum Herrn auf; es wird der Gott, welcher von aussen
einer trägen Masse Bewegung mittheilt. So muss es selber
als von dem ursprünglichen Willen (daraus es doch hervor-
gegangen ist) abgelöst und frei gedacht werden, Willen
und Wünsche in sich darstellend und enthaltend, anstatt in
ihnen dargestellt und enthalten zu werden. Die Möglichkeit
also der Willkür beruhet darauf, dass die Werke des Den-
kens in Bezug auf ein zukünftiges Verhalten beharren
können, und, obgleich sie ausserhalb des sie festhaltenden
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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/159>, abgerufen am 23.11.2024.
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