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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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gung und Gewissenlosigkeit dazu; aber dies sind einmalige
Acte, vor deren Wiederholung der Gewarnte sich schützen
mag, und welche vielfach (besonders im Verkehr von Kauf-
leuten unter einander) berechnende Klugheit selbst verbietet.
Es entsteht, der Sache nach, keine Abhängigkeit, kein An-
spruch, kein Zwangsrecht, welches ihn zum Herren über
fremde Thätigkeiten macht. Durch solches haben dagegen
der Gläubiger und der Landlord die Möglichkeit, ihre
Schuldner unmittelbarer Weise für sich arbeiten zu lassen,
ihre Kräfte auszubeuten. Und ebenso verhält sich endlich
der Kaufmann, wenn er einem Handwerker Geld für Stoffe
oder Werkzeuge oder Beides vorschiesst; insofern als dieses
Arbeits-Substrate sind, einem Landlord vergleichbar, aber
sehr verschieden dadurch, dass er nicht den Arbeiter sich
selber überlässt, um aus dessen Gelderträgen seine Rente
zu ziehen; sondern es ist ihm um den eigenen Erwerb der
Arbeitsproducte in natura zu thun, welcher noch, der Form
nach, als Einkauf geschieht, vielmehr aber, da er selber
allein den Preis setzt (denn der Handwerker ist als Schuldner
von ihm abhängig), eine blosse Aneignung heissen sollte;
nicht ein neuer Tausch-Contract, sondern die Folge aus dem
früheren, welcher daher in Wirklichkeit schon einem Ver-
kauf der erst zu schaffenden Waare, d. h. einem Verkauf
der Arbeits-Kraft gleichkömmt, wodurch der Kaufmann
als Eigenthümer derselben und somit als formeller Urheber
der Sachen selbst erscheinen muss. Dies wird auch der
Landlord (ausser als kapitalistischer Unternehmer) in dem
Systeme, wo seine Pächter durch contractliche Bedingung
genöthigt sind, auf seinem Hoffelde zu arbeiten und ihn
also zum Herren verkäuflicher Producte machen. Sofern
aber die Pächter ihre eigene Wirthschaft führen, so kann
er nur, im üblen Falle, ein Zwingherr sein, der nicht
Waaren, sondern Geld aus ihnen erpresst. Die Rollen sehen
wie vertauscht aus. Geldrente ist ihrem Ursprunge nach
immer Naturalrente und geht nicht aus contractlichem Ver-
hältnisse hervor. So bleibt es auch dem Landlord (ausser
sofern er noch nebenher eigentlicher Kapitalist wird) um
die Geldsumme zu thun, weil sie für ihn eine Menge von
Gegenständen und Genüssen bedeutet. Für den Kaufmann

gung und Gewissenlosigkeit dazu; aber dies sind einmalige
Acte, vor deren Wiederholung der Gewarnte sich schützen
mag, und welche vielfach (besonders im Verkehr von Kauf-
leuten unter einander) berechnende Klugheit selbst verbietet.
Es entsteht, der Sache nach, keine Abhängigkeit, kein An-
spruch, kein Zwangsrecht, welches ihn zum Herren über
fremde Thätigkeiten macht. Durch solches haben dagegen
der Gläubiger und der Landlord die Möglichkeit, ihre
Schuldner unmittelbarer Weise für sich arbeiten zu lassen,
ihre Kräfte auszubeuten. Und ebenso verhält sich endlich
der Kaufmann, wenn er einem Handwerker Geld für Stoffe
oder Werkzeuge oder Beides vorschiesst; insofern als dieses
Arbeits-Substrate sind, einem Landlord vergleichbar, aber
sehr verschieden dadurch, dass er nicht den Arbeiter sich
selber überlässt, um aus dessen Gelderträgen seine Rente
zu ziehen; sondern es ist ihm um den eigenen Erwerb der
Arbeitsproducte in natura zu thun, welcher noch, der Form
nach, als Einkauf geschieht, vielmehr aber, da er selber
allein den Preis setzt (denn der Handwerker ist als Schuldner
von ihm abhängig), eine blosse Aneignung heissen sollte;
nicht ein neuer Tausch-Contract, sondern die Folge aus dem
früheren, welcher daher in Wirklichkeit schon einem Ver-
kauf der erst zu schaffenden Waare, d. h. einem Verkauf
der Arbeits-Kraft gleichkömmt, wodurch der Kaufmann
als Eigenthümer derselben und somit als formeller Urheber
der Sachen selbst erscheinen muss. Dies wird auch der
Landlord (ausser als kapitalistischer Unternehmer) in dem
Systeme, wo seine Pächter durch contractliche Bedingung
genöthigt sind, auf seinem Hoffelde zu arbeiten und ihn
also zum Herren verkäuflicher Producte machen. Sofern
aber die Pächter ihre eigene Wirthschaft führen, so kann
er nur, im üblen Falle, ein Zwingherr sein, der nicht
Waaren, sondern Geld aus ihnen erpresst. Die Rollen sehen
wie vertauscht aus. Geldrente ist ihrem Ursprunge nach
immer Naturalrente und geht nicht aus contractlichem Ver-
hältnisse hervor. So bleibt es auch dem Landlord (ausser
sofern er noch nebenher eigentlicher Kapitalist wird) um
die Geldsumme zu thun, weil sie für ihn eine Menge von
Gegenständen und Genüssen bedeutet. Für den Kaufmann

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[75/0111] gung und Gewissenlosigkeit dazu; aber dies sind einmalige Acte, vor deren Wiederholung der Gewarnte sich schützen mag, und welche vielfach (besonders im Verkehr von Kauf- leuten unter einander) berechnende Klugheit selbst verbietet. Es entsteht, der Sache nach, keine Abhängigkeit, kein An- spruch, kein Zwangsrecht, welches ihn zum Herren über fremde Thätigkeiten macht. Durch solches haben dagegen der Gläubiger und der Landlord die Möglichkeit, ihre Schuldner unmittelbarer Weise für sich arbeiten zu lassen, ihre Kräfte auszubeuten. Und ebenso verhält sich endlich der Kaufmann, wenn er einem Handwerker Geld für Stoffe oder Werkzeuge oder Beides vorschiesst; insofern als dieses Arbeits-Substrate sind, einem Landlord vergleichbar, aber sehr verschieden dadurch, dass er nicht den Arbeiter sich selber überlässt, um aus dessen Gelderträgen seine Rente zu ziehen; sondern es ist ihm um den eigenen Erwerb der Arbeitsproducte in natura zu thun, welcher noch, der Form nach, als Einkauf geschieht, vielmehr aber, da er selber allein den Preis setzt (denn der Handwerker ist als Schuldner von ihm abhängig), eine blosse Aneignung heissen sollte; nicht ein neuer Tausch-Contract, sondern die Folge aus dem früheren, welcher daher in Wirklichkeit schon einem Ver- kauf der erst zu schaffenden Waare, d. h. einem Verkauf der Arbeits-Kraft gleichkömmt, wodurch der Kaufmann als Eigenthümer derselben und somit als formeller Urheber der Sachen selbst erscheinen muss. Dies wird auch der Landlord (ausser als kapitalistischer Unternehmer) in dem Systeme, wo seine Pächter durch contractliche Bedingung genöthigt sind, auf seinem Hoffelde zu arbeiten und ihn also zum Herren verkäuflicher Producte machen. Sofern aber die Pächter ihre eigene Wirthschaft führen, so kann er nur, im üblen Falle, ein Zwingherr sein, der nicht Waaren, sondern Geld aus ihnen erpresst. Die Rollen sehen wie vertauscht aus. Geldrente ist ihrem Ursprunge nach immer Naturalrente und geht nicht aus contractlichem Ver- hältnisse hervor. So bleibt es auch dem Landlord (ausser sofern er noch nebenher eigentlicher Kapitalist wird) um die Geldsumme zu thun, weil sie für ihn eine Menge von Gegenständen und Genüssen bedeutet. Für den Kaufmann

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/111>, abgerufen am 23.11.2024.