ein Jeder als Kaufmann zu handeln verständig ist; und in diesem Sinne ist gesagt worden, dass die bürgerliche Gesell- schaft bei jedermann eine encyklopädische Waarenkenntniss voraussetze: K. Marx, Kapital I, Cap. 1, Anmerk.).
§ 27.
Alles Schaffen, Bilden und Wirken der Menschen ist etwas wie eine Kunst und gleichsam organische Thätig- keit, wodurch menschlicher Wille in die fremde Materie, Form gebend überströmt; und wenn zur Erhaltung, Förde- rung oder Freude einer Gemeinschaft dienend, wie im natürlichen und ursprünglichen Verhältnisse, als eine Func- tion derselben begreifbar, d. i. als ob die Gemeinschaft, durch diesen Einzelnen (diese Gruppe) ausgedrückt, sich selber solches leiste. Der Handel als die Geschicklichkeit Profit zu machen, ist das Gegentheil aller solcher Kunst. Profit ist kein Werth, er ist nur eine Veränderung in den Relationen der Vermögen: das Plus des Einen ist das Minus des Anderen (le proufict de l'un c'est le dommage d'aultruy:Montaigne). Die Aneignung ist eine blos occupatorische, also sofern Andere beeinträchtigt werden eine räuberische Thätigkeit; nicht Arbeit, welche zum Gute (oder Gegenstande des Gebrauches) verändert, was vorher nicht da war, ausser als Stoff in der Natur, oder doch nicht von solcher guten Beschaffenheit war. Und die "Thätigkeit", welche Handel in Bezug auf die Gegenstände ver- nimmt, ist (wenn auch von demselben Subjecte aus irgend- welche Arbeit hinzukommen mag) ihrer Essenz nach nichts als Nachfrage, Aneignung, Angebot, Abgabe, also lauter Handhabungen, welche die Natur der Sache unberührt lassen. Dagegen ist der Kaufmann, da er einen greifbaren und doch abstracten Nutzen als den wirklichen und ratio- nalen Zweck seiner Thätigkeit ausser dieselbe setzt, der erste (in diesem Sinne) denkende und freie Mensch, wel- cher in der normalen Entwicklung eines socialen Lebens erscheint. Er steht isolirt von allen nothwendigen Be- ziehungen (necessitudines), Pflichten, Vorurtheilen, so sehr als möglich(A merchant, it has been said very properly,
ein Jeder als Kaufmann zu handeln verständig ist; und in diesem Sinne ist gesagt worden, dass die bürgerliche Gesell- schaft bei jedermann eine encyklopädische Waarenkenntniss voraussetze: K. Marx, Kapital I, Cap. 1, Anmerk.).
§ 27.
Alles Schaffen, Bilden und Wirken der Menschen ist etwas wie eine Kunst und gleichsam organische Thätig- keit, wodurch menschlicher Wille in die fremde Materie, Form gebend überströmt; und wenn zur Erhaltung, Förde- rung oder Freude einer Gemeinschaft dienend, wie im natürlichen und ursprünglichen Verhältnisse, als eine Func- tion derselben begreifbar, d. i. als ob die Gemeinschaft, durch diesen Einzelnen (diese Gruppe) ausgedrückt, sich selber solches leiste. Der Handel als die Geschicklichkeit Profit zu machen, ist das Gegentheil aller solcher Kunst. Profit ist kein Werth, er ist nur eine Veränderung in den Relationen der Vermögen: das Plus des Einen ist das Minus des Anderen (le proufict de l’un c’est le dommage d’aultruy:Montaigne). Die Aneignung ist eine blos occupatorische, also sofern Andere beeinträchtigt werden eine räuberische Thätigkeit; nicht Arbeit, welche zum Gute (oder Gegenstande des Gebrauches) verändert, was vorher nicht da war, ausser als Stoff in der Natur, oder doch nicht von solcher guten Beschaffenheit war. Und die »Thätigkeit«, welche Handel in Bezug auf die Gegenstände ver- nimmt, ist (wenn auch von demselben Subjecte aus irgend- welche Arbeit hinzukommen mag) ihrer Essenz nach nichts als Nachfrage, Aneignung, Angebot, Abgabe, also lauter Handhabungen, welche die Natur der Sache unberührt lassen. Dagegen ist der Kaufmann, da er einen greifbaren und doch abstracten Nutzen als den wirklichen und ratio- nalen Zweck seiner Thätigkeit ausser dieselbe setzt, der erste (in diesem Sinne) denkende und freie Mensch, wel- cher in der normalen Entwicklung eines socialen Lebens erscheint. Er steht isolirt von allen nothwendigen Be- ziehungen (necessitudines), Pflichten, Vorurtheilen, so sehr als möglich(A merchant, it has been said very properly,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0102"n="66"/>
ein Jeder als Kaufmann zu handeln verständig ist; und in<lb/>
diesem Sinne ist gesagt worden, dass die bürgerliche Gesell-<lb/>
schaft bei jedermann eine encyklopädische Waarenkenntniss<lb/>
voraussetze: K. <hirendition="#k">Marx</hi>, <hirendition="#i">Kapital I, Cap. 1, Anmerk.)</hi>.</p></div><lb/><divn="3"><head>§ 27.</head><lb/><p>Alles Schaffen, Bilden und Wirken der Menschen<lb/>
ist etwas wie eine Kunst und gleichsam organische Thätig-<lb/>
keit, wodurch menschlicher Wille in die fremde Materie,<lb/>
Form gebend überströmt; und wenn zur Erhaltung, Förde-<lb/>
rung oder Freude einer Gemeinschaft dienend, wie im<lb/>
natürlichen und ursprünglichen Verhältnisse, als eine Func-<lb/>
tion derselben begreifbar, d. i. als ob die Gemeinschaft,<lb/>
durch diesen Einzelnen (diese Gruppe) ausgedrückt, sich<lb/>
selber solches leiste. Der <hirendition="#g">Handel</hi> als die Geschicklichkeit<lb/>
Profit zu machen, ist das Gegentheil aller solcher Kunst.<lb/>
Profit ist kein Werth, er ist nur eine Veränderung in den<lb/>
Relationen der Vermögen: das Plus des Einen ist das<lb/>
Minus des Anderen <hirendition="#i">(le proufict de l’un c’est le dommage<lb/>
d’aultruy:</hi><hirendition="#k">Montaigne</hi>). Die <hirendition="#g">Aneignung</hi> ist eine blos<lb/>
occupatorische, also sofern Andere beeinträchtigt werden eine<lb/>
räuberische Thätigkeit; nicht Arbeit, welche zum Gute (oder<lb/>
Gegenstande des Gebrauches) verändert, was vorher nicht<lb/>
da war, ausser als Stoff in der Natur, oder doch nicht von<lb/>
solcher guten Beschaffenheit war. Und die »Thätigkeit«,<lb/>
welche <hirendition="#g">Handel in Bezug auf</hi> die Gegenstände ver-<lb/>
nimmt, ist (wenn auch von demselben Subjecte aus irgend-<lb/>
welche Arbeit <hirendition="#g">hinzukommen</hi> mag) ihrer Essenz nach<lb/>
nichts als Nachfrage, Aneignung, Angebot, Abgabe, also<lb/>
lauter Handhabungen, welche die Natur der Sache unberührt<lb/>
lassen. Dagegen ist der Kaufmann, da er einen greifbaren<lb/>
und doch abstracten Nutzen als den wirklichen und ratio-<lb/>
nalen <hirendition="#g">Zweck</hi> seiner Thätigkeit <hirendition="#g">ausser</hi> dieselbe setzt, der<lb/>
erste (in diesem Sinne) denkende und <hirendition="#g">freie</hi> Mensch, wel-<lb/>
cher in der normalen Entwicklung eines socialen Lebens<lb/>
erscheint. Er steht isolirt von allen nothwendigen Be-<lb/>
ziehungen <hirendition="#i">(necessitudines)</hi>, Pflichten, Vorurtheilen, <hirendition="#g">so sehr<lb/>
als möglich</hi><hirendition="#i">(A merchant, it has been said very properly,<lb/></hi></p></div></div></div></body></text></TEI>
[66/0102]
ein Jeder als Kaufmann zu handeln verständig ist; und in
diesem Sinne ist gesagt worden, dass die bürgerliche Gesell-
schaft bei jedermann eine encyklopädische Waarenkenntniss
voraussetze: K. Marx, Kapital I, Cap. 1, Anmerk.).
§ 27.
Alles Schaffen, Bilden und Wirken der Menschen
ist etwas wie eine Kunst und gleichsam organische Thätig-
keit, wodurch menschlicher Wille in die fremde Materie,
Form gebend überströmt; und wenn zur Erhaltung, Förde-
rung oder Freude einer Gemeinschaft dienend, wie im
natürlichen und ursprünglichen Verhältnisse, als eine Func-
tion derselben begreifbar, d. i. als ob die Gemeinschaft,
durch diesen Einzelnen (diese Gruppe) ausgedrückt, sich
selber solches leiste. Der Handel als die Geschicklichkeit
Profit zu machen, ist das Gegentheil aller solcher Kunst.
Profit ist kein Werth, er ist nur eine Veränderung in den
Relationen der Vermögen: das Plus des Einen ist das
Minus des Anderen (le proufict de l’un c’est le dommage
d’aultruy: Montaigne). Die Aneignung ist eine blos
occupatorische, also sofern Andere beeinträchtigt werden eine
räuberische Thätigkeit; nicht Arbeit, welche zum Gute (oder
Gegenstande des Gebrauches) verändert, was vorher nicht
da war, ausser als Stoff in der Natur, oder doch nicht von
solcher guten Beschaffenheit war. Und die »Thätigkeit«,
welche Handel in Bezug auf die Gegenstände ver-
nimmt, ist (wenn auch von demselben Subjecte aus irgend-
welche Arbeit hinzukommen mag) ihrer Essenz nach
nichts als Nachfrage, Aneignung, Angebot, Abgabe, also
lauter Handhabungen, welche die Natur der Sache unberührt
lassen. Dagegen ist der Kaufmann, da er einen greifbaren
und doch abstracten Nutzen als den wirklichen und ratio-
nalen Zweck seiner Thätigkeit ausser dieselbe setzt, der
erste (in diesem Sinne) denkende und freie Mensch, wel-
cher in der normalen Entwicklung eines socialen Lebens
erscheint. Er steht isolirt von allen nothwendigen Be-
ziehungen (necessitudines), Pflichten, Vorurtheilen, so sehr
als möglich (A merchant, it has been said very properly,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/102>, abgerufen am 19.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.