und Durstigen darreichen. Verklärte Freunde! (Feinde will ich euch in Ewigkeit nicht mehr nennen!) Jene Kleinigkeiten, welche uns veruneinigten, machen mich jetzt schamroth! Und war ich ganz unschuldig?
Gott wendet alle Unarten der Menschen zum Besten. Wäre uns der Zügel überlaßen worden: wo wären wir jetzt? Wir wun- dern uns zuweilen über unvermutete Todesfälle: aber um weit aussehende Zänkereien zu entscheiden, oder um ihnen vorzubeugen, ruft der Gott des Friedens Einen Part von hinnen, auf daß der andere sich besinne und klug werde. Wenn ich den Gottesacker besuche, so trete ich auf manches Grab, von dem ich gestehen muß, daß es mir Ruhe verschaft habe. Eine Sache, die ich mit Hitze verfochten hätte, gebe ich auf und verloren, so bald ich auf die Gruft meines Gegenparts trete. Schon Heiden redeten Ver- storbenen das Wort; und ich als Christ mag niemals Recht wider sie haben. Aber hüten will ich mich, daß niemals ein Beleidig- ter auf mein Grab trete, und mit den Zähnen knirsche, oder höh- nisch lächle.
Wer gut schlafen und sterben will, muß alle Feindschaft ver- meiden. Ach! todte Brüder! ich vergebe euch euren Fehl von ganzem Herzen; hoffentlich vergabt ihr mir den meinigen auch, ehe ihr eure Augen schloßt. Wie hättet ihr sonst ruhig sterben können, und wie könte ich jetzt ruhig schlafen! So oft mir unser durch euren Tod geschlichtete Zwist in die Gedanken komt, will ich erröten und fest mich entschliessen, mit jedermann in Friede und Freundschaft zu leben. Brüder, welche unter gegenseitigen Truppen dienen und sich tödtlich einander verwunden, können nicht bestürzter seyn als wir es sämtlich sind, wenn wir uns am Rande des Grabes, wo unsre Privatgeschäfte aufhören, als Brüder er- kennen. Schweig also, auffahrendes und mißtrauisches Herz! du, oder mit dem du zankst, seyd morgen Staub; und dann ver- giebt Gott dir, wie du deinem Bruder vergeben hast Sey nicht zu empfindlich gegen die Drohungen deines Feindes, denn er oder du seyd morgen Staub. Dein Friede, o Gott! sey und bleibe mit mir! Vergib mir meine Schulden, wie ich vergebe meinen Schuldigern! Ich segne jetzt alle meine Feinde: Herr Jesu segne du auch mich und sey mein Freund in Ewigkeit!
Der
Der 17te Januar.
und Durſtigen darreichen. Verklaͤrte Freunde! (Feinde will ich euch in Ewigkeit nicht mehr nennen!) Jene Kleinigkeiten, welche uns veruneinigten, machen mich jetzt ſchamroth! Und war ich ganz unſchuldig?
Gott wendet alle Unarten der Menſchen zum Beſten. Waͤre uns der Zuͤgel uͤberlaßen worden: wo waͤren wir jetzt? Wir wun- dern uns zuweilen uͤber unvermutete Todesfaͤlle: aber um weit ausſehende Zaͤnkereien zu entſcheiden, oder um ihnen vorzubeugen, ruft der Gott des Friedens Einen Part von hinnen, auf daß der andere ſich beſinne und klug werde. Wenn ich den Gottesacker beſuche, ſo trete ich auf manches Grab, von dem ich geſtehen muß, daß es mir Ruhe verſchaft habe. Eine Sache, die ich mit Hitze verfochten haͤtte, gebe ich auf und verloren, ſo bald ich auf die Gruft meines Gegenparts trete. Schon Heiden redeten Ver- ſtorbenen das Wort; und ich als Chriſt mag niemals Recht wider ſie haben. Aber huͤten will ich mich, daß niemals ein Beleidig- ter auf mein Grab trete, und mit den Zaͤhnen knirſche, oder hoͤh- niſch laͤchle.
Wer gut ſchlafen und ſterben will, muß alle Feindſchaft ver- meiden. Ach! todte Bruͤder! ich vergebe euch euren Fehl von ganzem Herzen; hoffentlich vergabt ihr mir den meinigen auch, ehe ihr eure Augen ſchloßt. Wie haͤttet ihr ſonſt ruhig ſterben koͤnnen, und wie koͤnte ich jetzt ruhig ſchlafen! So oft mir unſer durch euren Tod geſchlichtete Zwiſt in die Gedanken komt, will ich erroͤten und feſt mich entſchlieſſen, mit jedermann in Friede und Freundſchaft zu leben. Bruͤder, welche unter gegenſeitigen Truppen dienen und ſich toͤdtlich einander verwunden, koͤnnen nicht beſtuͤrzter ſeyn als wir es ſaͤmtlich ſind, wenn wir uns am Rande des Grabes, wo unſre Privatgeſchaͤfte aufhoͤren, als Bruͤder er- kennen. Schweig alſo, auffahrendes und mißtrauiſches Herz! du, oder mit dem du zankſt, ſeyd morgen Staub; und dann ver- giebt Gott dir, wie du deinem Bruder vergeben haſt Sey nicht zu empfindlich gegen die Drohungen deines Feindes, denn er oder du ſeyd morgen Staub. Dein Friede, o Gott! ſey und bleibe mit mir! Vergib mir meine Schulden, wie ich vergebe meinen Schuldigern! Ich ſegne jetzt alle meine Feinde: Herr Jeſu ſegne du auch mich und ſey mein Freund in Ewigkeit!
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[36[66]/0073]
Der 17te Januar.
und Durſtigen darreichen. Verklaͤrte Freunde! (Feinde will ich
euch in Ewigkeit nicht mehr nennen!) Jene Kleinigkeiten, welche
uns veruneinigten, machen mich jetzt ſchamroth! Und war ich
ganz unſchuldig?
Gott wendet alle Unarten der Menſchen zum Beſten. Waͤre
uns der Zuͤgel uͤberlaßen worden: wo waͤren wir jetzt? Wir wun-
dern uns zuweilen uͤber unvermutete Todesfaͤlle: aber um weit
ausſehende Zaͤnkereien zu entſcheiden, oder um ihnen vorzubeugen,
ruft der Gott des Friedens Einen Part von hinnen, auf daß der
andere ſich beſinne und klug werde. Wenn ich den Gottesacker
beſuche, ſo trete ich auf manches Grab, von dem ich geſtehen
muß, daß es mir Ruhe verſchaft habe. Eine Sache, die ich mit
Hitze verfochten haͤtte, gebe ich auf und verloren, ſo bald ich auf
die Gruft meines Gegenparts trete. Schon Heiden redeten Ver-
ſtorbenen das Wort; und ich als Chriſt mag niemals Recht wider
ſie haben. Aber huͤten will ich mich, daß niemals ein Beleidig-
ter auf mein Grab trete, und mit den Zaͤhnen knirſche, oder hoͤh-
niſch laͤchle.
Wer gut ſchlafen und ſterben will, muß alle Feindſchaft ver-
meiden. Ach! todte Bruͤder! ich vergebe euch euren Fehl von
ganzem Herzen; hoffentlich vergabt ihr mir den meinigen auch,
ehe ihr eure Augen ſchloßt. Wie haͤttet ihr ſonſt ruhig ſterben
koͤnnen, und wie koͤnte ich jetzt ruhig ſchlafen! So oft mir unſer
durch euren Tod geſchlichtete Zwiſt in die Gedanken komt, will ich
erroͤten und feſt mich entſchlieſſen, mit jedermann in Friede und
Freundſchaft zu leben. Bruͤder, welche unter gegenſeitigen
Truppen dienen und ſich toͤdtlich einander verwunden, koͤnnen nicht
beſtuͤrzter ſeyn als wir es ſaͤmtlich ſind, wenn wir uns am Rande
des Grabes, wo unſre Privatgeſchaͤfte aufhoͤren, als Bruͤder er-
kennen. Schweig alſo, auffahrendes und mißtrauiſches Herz!
du, oder mit dem du zankſt, ſeyd morgen Staub; und dann ver-
giebt Gott dir, wie du deinem Bruder vergeben haſt Sey nicht
zu empfindlich gegen die Drohungen deines Feindes, denn er oder
du ſeyd morgen Staub. Dein Friede, o Gott! ſey und bleibe
mit mir! Vergib mir meine Schulden, wie ich vergebe meinen
Schuldigern! Ich ſegne jetzt alle meine Feinde: Herr Jeſu ſegne
du auch mich und ſey mein Freund in Ewigkeit!
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Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-05-24T12:24:22Z)
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 36[66]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/73>, abgerufen am 27.11.2024.
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