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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 4te Januar.
Wie viele starren jetzt von Frost und Blösse:
Und mich erwärmt der Vorsicht Schooß?
Vergiß, mein Herz! nicht deines Wohlstands Grösse,
Erhebe Gott: dein Glück ist groß.


Jn einem Bezirk von etlichen Meilen um mich her sind jetzt ge-
gewiß viele, welche die Winternacht in ihrer ganzen
Strenge erfahren. Arme, denen es an nothwendiger Feue-
rung und wol gar an Betten gebricht; Wächter, die mit dem
gefährlichen Schlafe kämpfen, den ihnen der Frost aufdringen
will; und Reisende, welche zitternd nach Obdach verlangen und
von der gebahnten Strasse sich zu verirren befürchten: allen die-
sen bin ich Glücklicher beneidenswerth. Wie werden doch deine
Gaben, du gütigster Gott! mit so weniger Danksagung genos-
sen! Wer ihrer entbehrt, schmachtet nach ihnen; nnd wer sie be-
sitzt, achtet ihrer nicht. Mancher, der anjetzt für Frost mit den
Zähnen klappt, würde warmen Sonnenschein für Wohlthat
Gottes halten: aber bei den heitersten Sonnenstralen des Som-
mers wird er sich doch nicht glücklich schätzen, sondern auf abwe-
sende Güter schielen.

So ist das menschliche Herz leicht zum Murren, aber sehr
schwer zum Danken geneigt. Frierende können nicht lobsingen:
Erwärmte gähnen und schlafen ein! Nun, wer soll denn Gott
loben? Aber, ich will mich jetzt noch auf einige Minuten ermun-
tern, mein Glück fühlen und dem Geber desselben innigsten Dank
sagen. Schneegestöber und schneidender Frost sind allerdings
deine Herolde, o Allmächtiger! Sie haben denselben Auftrag an

uns,
A 5


Der 4te Januar.
Wie viele ſtarren jetzt von Froſt und Bloͤſſe:
Und mich erwaͤrmt der Vorſicht Schooß?
Vergiß, mein Herz! nicht deines Wohlſtands Groͤſſe,
Erhebe Gott: dein Gluͤck iſt groß.


Jn einem Bezirk von etlichen Meilen um mich her ſind jetzt ge-
gewiß viele, welche die Winternacht in ihrer ganzen
Strenge erfahren. Arme, denen es an nothwendiger Feue-
rung und wol gar an Betten gebricht; Waͤchter, die mit dem
gefaͤhrlichen Schlafe kaͤmpfen, den ihnen der Froſt aufdringen
will; und Reiſende, welche zitternd nach Obdach verlangen und
von der gebahnten Straſſe ſich zu verirren befuͤrchten: allen die-
ſen bin ich Gluͤcklicher beneidenswerth. Wie werden doch deine
Gaben, du guͤtigſter Gott! mit ſo weniger Dankſagung genoſ-
ſen! Wer ihrer entbehrt, ſchmachtet nach ihnen; nnd wer ſie be-
ſitzt, achtet ihrer nicht. Mancher, der anjetzt fuͤr Froſt mit den
Zaͤhnen klappt, wuͤrde warmen Sonnenſchein fuͤr Wohlthat
Gottes halten: aber bei den heiterſten Sonnenſtralen des Som-
mers wird er ſich doch nicht gluͤcklich ſchaͤtzen, ſondern auf abwe-
ſende Guͤter ſchielen.

So iſt das menſchliche Herz leicht zum Murren, aber ſehr
ſchwer zum Danken geneigt. Frierende koͤnnen nicht lobſingen:
Erwaͤrmte gaͤhnen und ſchlafen ein! Nun, wer ſoll denn Gott
loben? Aber, ich will mich jetzt noch auf einige Minuten ermun-
tern, mein Gluͤck fuͤhlen und dem Geber deſſelben innigſten Dank
ſagen. Schneegeſtoͤber und ſchneidender Froſt ſind allerdings
deine Herolde, o Allmaͤchtiger! Sie haben denſelben Auftrag an

uns,
A 5
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[9[39]/0046] Der 4te Januar. Wie viele ſtarren jetzt von Froſt und Bloͤſſe: Und mich erwaͤrmt der Vorſicht Schooß? Vergiß, mein Herz! nicht deines Wohlſtands Groͤſſe, Erhebe Gott: dein Gluͤck iſt groß. Jn einem Bezirk von etlichen Meilen um mich her ſind jetzt ge- gewiß viele, welche die Winternacht in ihrer ganzen Strenge erfahren. Arme, denen es an nothwendiger Feue- rung und wol gar an Betten gebricht; Waͤchter, die mit dem gefaͤhrlichen Schlafe kaͤmpfen, den ihnen der Froſt aufdringen will; und Reiſende, welche zitternd nach Obdach verlangen und von der gebahnten Straſſe ſich zu verirren befuͤrchten: allen die- ſen bin ich Gluͤcklicher beneidenswerth. Wie werden doch deine Gaben, du guͤtigſter Gott! mit ſo weniger Dankſagung genoſ- ſen! Wer ihrer entbehrt, ſchmachtet nach ihnen; nnd wer ſie be- ſitzt, achtet ihrer nicht. Mancher, der anjetzt fuͤr Froſt mit den Zaͤhnen klappt, wuͤrde warmen Sonnenſchein fuͤr Wohlthat Gottes halten: aber bei den heiterſten Sonnenſtralen des Som- mers wird er ſich doch nicht gluͤcklich ſchaͤtzen, ſondern auf abwe- ſende Guͤter ſchielen. So iſt das menſchliche Herz leicht zum Murren, aber ſehr ſchwer zum Danken geneigt. Frierende koͤnnen nicht lobſingen: Erwaͤrmte gaͤhnen und ſchlafen ein! Nun, wer ſoll denn Gott loben? Aber, ich will mich jetzt noch auf einige Minuten ermun- tern, mein Gluͤck fuͤhlen und dem Geber deſſelben innigſten Dank ſagen. Schneegeſtoͤber und ſchneidender Froſt ſind allerdings deine Herolde, o Allmaͤchtiger! Sie haben denſelben Auftrag an uns, A 5

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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 9[39]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/46>, abgerufen am 24.11.2024.