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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 20te Junius.
schmälern. Waren die Stengel schwächer, so knickten sie bei
einigem Winde ein; und waren sie stärker, so kröchen Feldmäuse
und Jnsekten heran, oder Vögel setzten sich häufig darauf, und
hackten die reifende Körner aus. Schlank also, aber mit eini-
gen Knoten, wie mit festen Reifen umgeben; die Aehre mit
Stacheln verschanzt, raget dieser zukünftige Tisch des Menschen
über alle Speisekammern der Thiere hervor. Solte sich nicht
auch sein Dank über alle Sänger der Lüfte erheben?

Durchdenk auch den Gedanken: An Menschen war dem
Schöpfer mehr gelegen, als an allen übrigen Geschöpfen des
Erdbodens. Diese haben daher nur gewisse Bezirke zu ihrer Be-
wohnung, und in diese schränket sie auch sonderlich die Art ihres
Futters ein. Die hauptsächlichste Speise des Menschen aber,
Korn wächset zwar nicht von sich selbst, denn der Mensch soll im
Schweisse seines Angesichts sein Brod essen; es wächst aber bei
einigem Fleiß unter allen Himmelsgegenden. Es kan wider dit
Natur andrer Pflanzen, Frost und Hitze in hohen Graden wider-
stehen, und träget daher reichre Früchte, als irgend ein wuchern-
des Kraut.

Gelobt, angebetet seyst du, überschwenglicher Geber und
Erhalter! Schenk uns Früh- und Spatregen, Sonnenschein,
Donner und Stürme! Du weißst, wie nöthig jedes zum Ge-
deien der Kornfelder sey. Du wägest Thau und Sonnenstralen
mit Weisheit ab; und jedes Korn, das noch im Schooß der
Aehre verborgen liegt, hast du schon einem deiner Kostgänger be-
stimmt. Und als wenn es nicht genug wäre, uns zu sättigen,
erquickest du uns auch durch die Kornblüte und lässest unter un-
serm Brod Chamillen, Kornblumen und Klapperrosen, zur Wie-
derherstellung unsrer Gesundheit wachsen. Allgütigster! deine
Milde übersteigt alle Erwartung und Begriffe. So viel thatst
du zur Erhaltung des Körpers! Darf ich noch zweifeln, daß
du aus Liebe deinen eingebohrnen Sohn für meine Seele dahin-
gabst?

Der

Der 20te Junius.
ſchmaͤlern. Waren die Stengel ſchwaͤcher, ſo knickten ſie bei
einigem Winde ein; und waren ſie ſtaͤrker, ſo kroͤchen Feldmaͤuſe
und Jnſekten heran, oder Voͤgel ſetzten ſich haͤufig darauf, und
hackten die reifende Koͤrner aus. Schlank alſo, aber mit eini-
gen Knoten, wie mit feſten Reifen umgeben; die Aehre mit
Stacheln verſchanzt, raget dieſer zukuͤnftige Tiſch des Menſchen
uͤber alle Speiſekammern der Thiere hervor. Solte ſich nicht
auch ſein Dank uͤber alle Saͤnger der Luͤfte erheben?

Durchdenk auch den Gedanken: An Menſchen war dem
Schoͤpfer mehr gelegen, als an allen uͤbrigen Geſchoͤpfen des
Erdbodens. Dieſe haben daher nur gewiſſe Bezirke zu ihrer Be-
wohnung, und in dieſe ſchraͤnket ſie auch ſonderlich die Art ihres
Futters ein. Die hauptſaͤchlichſte Speiſe des Menſchen aber,
Korn waͤchſet zwar nicht von ſich ſelbſt, denn der Menſch ſoll im
Schweiſſe ſeines Angeſichts ſein Brod eſſen; es waͤchſt aber bei
einigem Fleiß unter allen Himmelsgegenden. Es kan wider dit
Natur andrer Pflanzen, Froſt und Hitze in hohen Graden wider-
ſtehen, und traͤget daher reichre Fruͤchte, als irgend ein wuchern-
des Kraut.

Gelobt, angebetet ſeyſt du, uͤberſchwenglicher Geber und
Erhalter! Schenk uns Fruͤh- und Spatregen, Sonnenſchein,
Donner und Stuͤrme! Du weißſt, wie noͤthig jedes zum Ge-
deien der Kornfelder ſey. Du waͤgeſt Thau und Sonnenſtralen
mit Weisheit ab; und jedes Korn, das noch im Schooß der
Aehre verborgen liegt, haſt du ſchon einem deiner Koſtgaͤnger be-
ſtimmt. Und als wenn es nicht genug waͤre, uns zu ſaͤttigen,
erquickeſt du uns auch durch die Kornbluͤte und laͤſſeſt unter un-
ſerm Brod Chamillen, Kornblumen und Klapperroſen, zur Wie-
derherſtellung unſrer Geſundheit wachſen. Allguͤtigſter! deine
Milde uͤberſteigt alle Erwartung und Begriffe. So viel thatſt
du zur Erhaltung des Koͤrpers! Darf ich noch zweifeln, daß
du aus Liebe deinen eingebohrnen Sohn fuͤr meine Seele dahin-
gabſt?

Der
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[356[386]/0393] Der 20te Junius. ſchmaͤlern. Waren die Stengel ſchwaͤcher, ſo knickten ſie bei einigem Winde ein; und waren ſie ſtaͤrker, ſo kroͤchen Feldmaͤuſe und Jnſekten heran, oder Voͤgel ſetzten ſich haͤufig darauf, und hackten die reifende Koͤrner aus. Schlank alſo, aber mit eini- gen Knoten, wie mit feſten Reifen umgeben; die Aehre mit Stacheln verſchanzt, raget dieſer zukuͤnftige Tiſch des Menſchen uͤber alle Speiſekammern der Thiere hervor. Solte ſich nicht auch ſein Dank uͤber alle Saͤnger der Luͤfte erheben? Durchdenk auch den Gedanken: An Menſchen war dem Schoͤpfer mehr gelegen, als an allen uͤbrigen Geſchoͤpfen des Erdbodens. Dieſe haben daher nur gewiſſe Bezirke zu ihrer Be- wohnung, und in dieſe ſchraͤnket ſie auch ſonderlich die Art ihres Futters ein. Die hauptſaͤchlichſte Speiſe des Menſchen aber, Korn waͤchſet zwar nicht von ſich ſelbſt, denn der Menſch ſoll im Schweiſſe ſeines Angeſichts ſein Brod eſſen; es waͤchſt aber bei einigem Fleiß unter allen Himmelsgegenden. Es kan wider dit Natur andrer Pflanzen, Froſt und Hitze in hohen Graden wider- ſtehen, und traͤget daher reichre Fruͤchte, als irgend ein wuchern- des Kraut. Gelobt, angebetet ſeyſt du, uͤberſchwenglicher Geber und Erhalter! Schenk uns Fruͤh- und Spatregen, Sonnenſchein, Donner und Stuͤrme! Du weißſt, wie noͤthig jedes zum Ge- deien der Kornfelder ſey. Du waͤgeſt Thau und Sonnenſtralen mit Weisheit ab; und jedes Korn, das noch im Schooß der Aehre verborgen liegt, haſt du ſchon einem deiner Koſtgaͤnger be- ſtimmt. Und als wenn es nicht genug waͤre, uns zu ſaͤttigen, erquickeſt du uns auch durch die Kornbluͤte und laͤſſeſt unter un- ſerm Brod Chamillen, Kornblumen und Klapperroſen, zur Wie- derherſtellung unſrer Geſundheit wachſen. Allguͤtigſter! deine Milde uͤberſteigt alle Erwartung und Begriffe. So viel thatſt du zur Erhaltung des Koͤrpers! Darf ich noch zweifeln, daß du aus Liebe deinen eingebohrnen Sohn fuͤr meine Seele dahin- gabſt? Der

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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 356[386]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/393>, abgerufen am 25.11.2024.