Das besonderste bei diesem nächtlichen Grauen ist der Mut, welchen die geringste menschliche Gesellschaft ertheilet. Schon die Gegenwart eines Kindes mäßiget die Furchtsamkeit, und ein Feiger, der sich vor nichts geringerm, als vor vermeinter All- macht der Gespenster fürchtet, waget sich in entlegne Winkel des Hauses, so bald er einen eben so verzagten und ohnmächtigen Begleiter hat. -- O! in der Nacht des Todes muß auch der Herzhafteste einen Begleiter haben: aber alle erschrecken und lau- fen davon, wenn du, o Jesu! nicht hülfreich und tröstend die Hand beutst!
Ueberhaupt lehret mich das nächtliche Grauen, daß der Mensch zur Gesellschaft gebohren und ein Kind sey, das nicht lange ohne Beihülfe bleiben könne. So predigt die schwarze Nacht eine Lehre, welche der mutige und lärmende Tag durchaus widerlegen will. Bei der Nacht glaubet der Gottesleugner halb einen Gott, und der Freigeist wird, wenn er nicht bald einschla- fen kan, so klein oder so groß, daß er beinahe -- beten mögte. Kan aber die Gesellschaft eines ohnmächtigen Hausgenossen oder Bedienten, den Mut der Furchtsamen stärken: o Allgegenwär- tiger, Allmächtiger! wie sicher muß man nicht in deiner Gemein- schaft seyn! Eine starke Vernunft besieget zwar bei manchen die Eindrücke einer grauenmachenden Erziehung und einer schwärmen- den Phantasie: aber ein kindliches Gebet vermag weit mehr.
Ueberzeuge mich demnach, Grundgütiger! von deiner all- waltenden Obhut. Ohne dich sind Nacht, Gräbet und Ein- samkeit fürchterlich: ich bitte dich also von Herzen: bewahr mich vor Schrecken und ungläubiger, sündlicher Furchtsamkeit. Laß mich bedenken, daß es die Pflicht eines Christen sey, unverzagt und ohne Grauen zu leben; und wenn dennoch einige Furcht anwandelt, herzlich zu beten. Wie widerlich sind meiner Natur Nacht, Gräber und Einsamkeit: für sie hast du mich also nicht, sondern zum Leben und Himmel erschaffen. Was zage ich denn noch einen Augenblick!
Der
Der 19te Junius.
Das beſonderſte bei dieſem naͤchtlichen Grauen iſt der Mut, welchen die geringſte menſchliche Geſellſchaft ertheilet. Schon die Gegenwart eines Kindes maͤßiget die Furchtſamkeit, und ein Feiger, der ſich vor nichts geringerm, als vor vermeinter All- macht der Geſpenſter fuͤrchtet, waget ſich in entlegne Winkel des Hauſes, ſo bald er einen eben ſo verzagten und ohnmaͤchtigen Begleiter hat. — O! in der Nacht des Todes muß auch der Herzhafteſte einen Begleiter haben: aber alle erſchrecken und lau- fen davon, wenn du, o Jeſu! nicht huͤlfreich und troͤſtend die Hand beutſt!
Ueberhaupt lehret mich das naͤchtliche Grauen, daß der Menſch zur Geſellſchaft gebohren und ein Kind ſey, das nicht lange ohne Beihuͤlfe bleiben koͤnne. So predigt die ſchwarze Nacht eine Lehre, welche der mutige und laͤrmende Tag durchaus widerlegen will. Bei der Nacht glaubet der Gottesleugner halb einen Gott, und der Freigeiſt wird, wenn er nicht bald einſchla- fen kan, ſo klein oder ſo groß, daß er beinahe — beten moͤgte. Kan aber die Geſellſchaft eines ohnmaͤchtigen Hausgenoſſen oder Bedienten, den Mut der Furchtſamen ſtaͤrken: o Allgegenwaͤr- tiger, Allmaͤchtiger! wie ſicher muß man nicht in deiner Gemein- ſchaft ſeyn! Eine ſtarke Vernunft beſieget zwar bei manchen die Eindruͤcke einer grauenmachenden Erziehung und einer ſchwaͤrmen- den Phantaſie: aber ein kindliches Gebet vermag weit mehr.
Ueberzeuge mich demnach, Grundguͤtiger! von deiner all- waltenden Obhut. Ohne dich ſind Nacht, Graͤbet und Ein- ſamkeit fuͤrchterlich: ich bitte dich alſo von Herzen: bewahr mich vor Schrecken und unglaͤubiger, ſuͤndlicher Furchtſamkeit. Laß mich bedenken, daß es die Pflicht eines Chriſten ſey, unverzagt und ohne Grauen zu leben; und wenn dennoch einige Furcht anwandelt, herzlich zu beten. Wie widerlich ſind meiner Natur Nacht, Graͤber und Einſamkeit: fuͤr ſie haſt du mich alſo nicht, ſondern zum Leben und Himmel erſchaffen. Was zage ich denn noch einen Augenblick!
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Der 19te Junius.
Das beſonderſte bei dieſem naͤchtlichen Grauen iſt der Mut,
welchen die geringſte menſchliche Geſellſchaft ertheilet. Schon
die Gegenwart eines Kindes maͤßiget die Furchtſamkeit, und ein
Feiger, der ſich vor nichts geringerm, als vor vermeinter All-
macht der Geſpenſter fuͤrchtet, waget ſich in entlegne Winkel des
Hauſes, ſo bald er einen eben ſo verzagten und ohnmaͤchtigen
Begleiter hat. — O! in der Nacht des Todes muß auch der
Herzhafteſte einen Begleiter haben: aber alle erſchrecken und lau-
fen davon, wenn du, o Jeſu! nicht huͤlfreich und troͤſtend die
Hand beutſt!
Ueberhaupt lehret mich das naͤchtliche Grauen, daß der
Menſch zur Geſellſchaft gebohren und ein Kind ſey, das nicht
lange ohne Beihuͤlfe bleiben koͤnne. So predigt die ſchwarze
Nacht eine Lehre, welche der mutige und laͤrmende Tag durchaus
widerlegen will. Bei der Nacht glaubet der Gottesleugner halb
einen Gott, und der Freigeiſt wird, wenn er nicht bald einſchla-
fen kan, ſo klein oder ſo groß, daß er beinahe — beten moͤgte.
Kan aber die Geſellſchaft eines ohnmaͤchtigen Hausgenoſſen oder
Bedienten, den Mut der Furchtſamen ſtaͤrken: o Allgegenwaͤr-
tiger, Allmaͤchtiger! wie ſicher muß man nicht in deiner Gemein-
ſchaft ſeyn! Eine ſtarke Vernunft beſieget zwar bei manchen die
Eindruͤcke einer grauenmachenden Erziehung und einer ſchwaͤrmen-
den Phantaſie: aber ein kindliches Gebet vermag weit mehr.
Ueberzeuge mich demnach, Grundguͤtiger! von deiner all-
waltenden Obhut. Ohne dich ſind Nacht, Graͤbet und Ein-
ſamkeit fuͤrchterlich: ich bitte dich alſo von Herzen: bewahr mich
vor Schrecken und unglaͤubiger, ſuͤndlicher Furchtſamkeit. Laß
mich bedenken, daß es die Pflicht eines Chriſten ſey, unverzagt
und ohne Grauen zu leben; und wenn dennoch einige Furcht
anwandelt, herzlich zu beten. Wie widerlich ſind meiner Natur
Nacht, Graͤber und Einſamkeit: fuͤr ſie haſt du mich alſo nicht,
ſondern zum Leben und Himmel erſchaffen. Was zage ich denn
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Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 354[384]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/391>, abgerufen am 21.11.2024.
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