Herr! alles wartet auf der Erde, Jm Meer und in der Luft auf dich: Daß es von dir gesättigt werde! Du segnest: sie erquicken sich.
Der wunderbare Tisch für alle Geschöpfe, wie gütig weise ist er nicht bereitet! So viele Kostgänger, und jeder verlanget seine eigne Speise! Jeder will mit Wohlgefallen gesät- tiget seyn: es muß also an nichts fehlen; aber auch zu grossem Ueberfluß vorgebeuget werden, um dem Ekel und der Fäulniß unaufgezehrter Nahrungsmittel zu steuren. Selbst das Aaß muß seine Abnehmer finden.
Wie verschieden sind nicht die Speisen, da doch das Wasser der Trank vor alle Thiere ist! Pferde können kein Fleisch, Löwen und Hunde kein Gras verdauen. Wie künstlich müssen die Zun- gen geformt seyn, denen Fleisch, Fische und Kräuter; und wie- der andre, denen Gras, Stroh, Holz, Federn, Haare, Wer- muth, Gift, Muschelschalen und Steine wohlschmecken sollen! Welcher Geruch, Gesicht, Zähne, Rüssel, Schnabel, Klauen, Magen und Eingeweide werden dazu erfodert, wenn ein so ver- schiedner Fraß gefunden, zermalmet werden und gedeien soll! Und nicht genug, daß die meisten Thiere auf Gras und Kräuter an- gewiesen sind, welche allenthalben von selbst wachsen, daß sie kaum ausgegätet und vertilget werden können: sondern die Thiere thei- len sich genau in diesen grossen Vorrath. Man hat gefunden, daß Ochsen 276 Kräuter assen, 218 aber vorbeigingen. Schafe nährten sich mit 387; Ziegen mit 449 Kräutern; für jene waren 141 und für diese 126 ungenießbar. Das Pferd ist auf 262 Kräuter angewiesen, hingegen sind ihm 212 zuwider. Das Schwein sonderte sich 72 Gewächse aus, und 171 waren ihm ein Ekel.
Die
Der 9te Junius.
Herr! alles wartet auf der Erde, Jm Meer und in der Luft auf dich: Daß es von dir geſaͤttigt werde! Du ſegneſt: ſie erquicken ſich.
Der wunderbare Tiſch fuͤr alle Geſchoͤpfe, wie guͤtig weiſe iſt er nicht bereitet! So viele Koſtgaͤnger, und jeder verlanget ſeine eigne Speiſe! Jeder will mit Wohlgefallen geſaͤt- tiget ſeyn: es muß alſo an nichts fehlen; aber auch zu groſſem Ueberfluß vorgebeuget werden, um dem Ekel und der Faͤulniß unaufgezehrter Nahrungsmittel zu ſteuren. Selbſt das Aaß muß ſeine Abnehmer finden.
Wie verſchieden ſind nicht die Speiſen, da doch das Waſſer der Trank vor alle Thiere iſt! Pferde koͤnnen kein Fleiſch, Loͤwen und Hunde kein Gras verdauen. Wie kuͤnſtlich muͤſſen die Zun- gen geformt ſeyn, denen Fleiſch, Fiſche und Kraͤuter; und wie- der andre, denen Gras, Stroh, Holz, Federn, Haare, Wer- muth, Gift, Muſchelſchalen und Steine wohlſchmecken ſollen! Welcher Geruch, Geſicht, Zaͤhne, Ruͤſſel, Schnabel, Klauen, Magen und Eingeweide werden dazu erfodert, wenn ein ſo ver- ſchiedner Fraß gefunden, zermalmet werden und gedeien ſoll! Und nicht genug, daß die meiſten Thiere auf Gras und Kraͤuter an- gewieſen ſind, welche allenthalben von ſelbſt wachſen, daß ſie kaum ausgegaͤtet und vertilget werden koͤnnen: ſondern die Thiere thei- len ſich genau in dieſen groſſen Vorrath. Man hat gefunden, daß Ochſen 276 Kraͤuter aſſen, 218 aber vorbeigingen. Schafe naͤhrten ſich mit 387; Ziegen mit 449 Kraͤutern; fuͤr jene waren 141 und fuͤr dieſe 126 ungenießbar. Das Pferd iſt auf 262 Kraͤuter angewieſen, hingegen ſind ihm 212 zuwider. Das Schwein ſonderte ſich 72 Gewaͤchſe aus, und 171 waren ihm ein Ekel.
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[333[363]/0370]
Der 9te Junius.
Herr! alles wartet auf der Erde,
Jm Meer und in der Luft auf dich:
Daß es von dir geſaͤttigt werde!
Du ſegneſt: ſie erquicken ſich.
Der wunderbare Tiſch fuͤr alle Geſchoͤpfe, wie guͤtig
weiſe iſt er nicht bereitet! So viele Koſtgaͤnger, und jeder
verlanget ſeine eigne Speiſe! Jeder will mit Wohlgefallen geſaͤt-
tiget ſeyn: es muß alſo an nichts fehlen; aber auch zu groſſem
Ueberfluß vorgebeuget werden, um dem Ekel und der Faͤulniß
unaufgezehrter Nahrungsmittel zu ſteuren. Selbſt das Aaß
muß ſeine Abnehmer finden.
Wie verſchieden ſind nicht die Speiſen, da doch das Waſſer
der Trank vor alle Thiere iſt! Pferde koͤnnen kein Fleiſch, Loͤwen
und Hunde kein Gras verdauen. Wie kuͤnſtlich muͤſſen die Zun-
gen geformt ſeyn, denen Fleiſch, Fiſche und Kraͤuter; und wie-
der andre, denen Gras, Stroh, Holz, Federn, Haare, Wer-
muth, Gift, Muſchelſchalen und Steine wohlſchmecken ſollen!
Welcher Geruch, Geſicht, Zaͤhne, Ruͤſſel, Schnabel, Klauen,
Magen und Eingeweide werden dazu erfodert, wenn ein ſo ver-
ſchiedner Fraß gefunden, zermalmet werden und gedeien ſoll! Und
nicht genug, daß die meiſten Thiere auf Gras und Kraͤuter an-
gewieſen ſind, welche allenthalben von ſelbſt wachſen, daß ſie kaum
ausgegaͤtet und vertilget werden koͤnnen: ſondern die Thiere thei-
len ſich genau in dieſen groſſen Vorrath. Man hat gefunden,
daß Ochſen 276 Kraͤuter aſſen, 218 aber vorbeigingen. Schafe
naͤhrten ſich mit 387; Ziegen mit 449 Kraͤutern; fuͤr jene waren
141 und fuͤr dieſe 126 ungenießbar. Das Pferd iſt auf 262
Kraͤuter angewieſen, hingegen ſind ihm 212 zuwider. Das Schwein
ſonderte ſich 72 Gewaͤchſe aus, und 171 waren ihm ein Ekel.
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 333[363]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/370>, abgerufen am 22.11.2024.
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