Nur ein Herz, das Gutes liebt, Nur ein ruhiges Gewissen, Das vor Gott die Zengniß giebt, Wird dir deinen Tod verfüssen; Dieses Herz, von Gott erneut, Gibt zum Tode Freudigkeit.
So fürchterlich auch der Tod ist, so gibt es doch einige Wage- hälse, welche ihn für nichts achten, und ihr Leben für ge- ringen Preis fell bieten. So leichtsinnig starben Jesus und andre Freunde Gottes nicht. Untersuchet man, wie Menschen eine so falsche Herzhaftigkeit im Tode besitzen und so kaltblütig mit ihm spielen können: so trift man folgende Ursachen an:
Eine gewisse Fühllosigkeit des Körpers, der die Vorboten des Todes nicht bemerkt; ein schwerschleichendes Blut, das we- der durch Freude in Wallung, noch durch Angst in Stocken ge- bracht werden kan. Trunkenheit und Dumheit der Seele vertrit bei ganz wilden Nationen, die Stelle des Heldenmuts. Thiere, Kinder, Verrückte und Barbaren kennen die Todesfurcht nicht, weil sie den Tod selbst nicht kennen. Auch die Gewonheit kan viel zur Abhärtung beitragen. Es gibt Länder, wo man fast täglich Selbstmord und Blutbühnen erblickt, und wo sich der Knabe schon auf eine Rede übet, die er dereinst auf dem Schafott halten will. Erziehung und Lebensart verändern gewissermassen die menschliche Natur. Mit der Muttermilch eingeflößte Grund- sätze, und tägliche Lebensgefahr verstatten nicht, den Tod aus
dem
Der 8te Junius.
Nur ein Herz, das Gutes liebt, Nur ein ruhiges Gewiſſen, Das vor Gott die Zengniß giebt, Wird dir deinen Tod verfuͤſſen; Dieſes Herz, von Gott erneut, Gibt zum Tode Freudigkeit.
So fuͤrchterlich auch der Tod iſt, ſo gibt es doch einige Wage- haͤlſe, welche ihn fuͤr nichts achten, und ihr Leben fuͤr ge- ringen Preis fell bieten. So leichtſinnig ſtarben Jeſus und andre Freunde Gottes nicht. Unterſuchet man, wie Menſchen eine ſo falſche Herzhaftigkeit im Tode beſitzen und ſo kaltbluͤtig mit ihm ſpielen koͤnnen: ſo trift man folgende Urſachen an:
Eine gewiſſe Fuͤhlloſigkeit des Koͤrpers, der die Vorboten des Todes nicht bemerkt; ein ſchwerſchleichendes Blut, das we- der durch Freude in Wallung, noch durch Angſt in Stocken ge- bracht werden kan. Trunkenheit und Dumheit der Seele vertrit bei ganz wilden Nationen, die Stelle des Heldenmuts. Thiere, Kinder, Verruͤckte und Barbaren kennen die Todesfurcht nicht, weil ſie den Tod ſelbſt nicht kennen. Auch die Gewonheit kan viel zur Abhaͤrtung beitragen. Es gibt Laͤnder, wo man faſt taͤglich Selbſtmord und Blutbuͤhnen erblickt, und wo ſich der Knabe ſchon auf eine Rede uͤbet, die er dereinſt auf dem Schafott halten will. Erziehung und Lebensart veraͤndern gewiſſermaſſen die menſchliche Natur. Mit der Muttermilch eingefloͤßte Grund- ſaͤtze, und taͤgliche Lebensgefahr verſtatten nicht, den Tod aus
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[331[361]/0368]
Der 8te Junius.
Nur ein Herz, das Gutes liebt,
Nur ein ruhiges Gewiſſen,
Das vor Gott die Zengniß giebt,
Wird dir deinen Tod verfuͤſſen;
Dieſes Herz, von Gott erneut,
Gibt zum Tode Freudigkeit.
So fuͤrchterlich auch der Tod iſt, ſo gibt es doch einige Wage-
haͤlſe, welche ihn fuͤr nichts achten, und ihr Leben fuͤr ge-
ringen Preis fell bieten. So leichtſinnig ſtarben Jeſus und andre
Freunde Gottes nicht. Unterſuchet man, wie Menſchen eine ſo
falſche Herzhaftigkeit im Tode beſitzen und ſo kaltbluͤtig
mit ihm ſpielen koͤnnen: ſo trift man folgende Urſachen an:
Eine gewiſſe Fuͤhlloſigkeit des Koͤrpers, der die Vorboten
des Todes nicht bemerkt; ein ſchwerſchleichendes Blut, das we-
der durch Freude in Wallung, noch durch Angſt in Stocken ge-
bracht werden kan. Trunkenheit und Dumheit der Seele vertrit
bei ganz wilden Nationen, die Stelle des Heldenmuts. Thiere,
Kinder, Verruͤckte und Barbaren kennen die Todesfurcht nicht,
weil ſie den Tod ſelbſt nicht kennen. Auch die Gewonheit kan
viel zur Abhaͤrtung beitragen. Es gibt Laͤnder, wo man faſt
taͤglich Selbſtmord und Blutbuͤhnen erblickt, und wo ſich der
Knabe ſchon auf eine Rede uͤbet, die er dereinſt auf dem Schafott
halten will. Erziehung und Lebensart veraͤndern gewiſſermaſſen
die menſchliche Natur. Mit der Muttermilch eingefloͤßte Grund-
ſaͤtze, und taͤgliche Lebensgefahr verſtatten nicht, den Tod aus
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 331[361]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/368>, abgerufen am 22.12.2024.
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